Hirnforschung | 05.08.2010

Aufgeputschte Gehirne

 

Rasende Gewinne und ruinierte Gehirne

Kind der Zukunft?Viele Wirkstoffe greifen in das Gleichgewicht der Hirnbotenstoffe ein. Sie behindern beispielsweise die Wiederaufnahme von Dopamin. Das kann Patienten mit Depressionen oder Motivationsstörungen helfen, wenn bei ihnen eine zu geringe Dopamin-Konzentration vorliegt. Zu viel Dopamin erhöht jedoch das Risiko, eine Psychose zu bekommen.

Nur weil ein pharmakologischer Eingriff Kranken hilft, heißt das jedoch noch lange nicht, dass auch bei Gesunden ein positiver Effekt auftritt. Bei genauerer Betrachtung überwiegen die Risiken. Und wer will schon die langfristige Gesundheit seines Gehirns für einen kurzfristigen Vorteil aufs Spiel setzen?

Hirn-Doper freilich werden sich von den Warnungen allerdings ebenso wenig abhalten lassen wie jene, die mit Alkohol oder anderen Drogen ihr Gehirn ruinieren. Und die Pharmaindustrie tut ihren Teil, um die Kassen klingeln zu lassen.

In den USA ist der Konzern Eli Lilly ins Zwielicht geraten, weil er Gratisproben des Antidepressivums und Stimmungsaufhellers Prozac an private Haushalte verschickte. In Deutschland wäre so eine Werbekampagne illegal – doch wie lange noch, und sind die gesetzlichen Regelungen angesichts der leichten internationalen Beschaffungsmöglichkeiten über das Internet nicht ohnehin längst von untergeordneter Bedeutung?

Wo Nachfrage besteht, wird sich auch ein Markt ausbilden – die Frage nach der Legalität ist da zweitrangig.

 

Fluch und Segen der Hirnkorrektur

In einer freiheitlichen Gesellschaft sollte jeder die Chance haben, sein Leben für sich bestmöglich zu gestalten, ohne dass andere ihn gängeln oder einschränken. Und gerade die durch das Schicksal biologisch Zu-kurz-Gekommenen werden verständlicherweise ihre ihnen auferlegten Nachteile bekämpfen wollen. Getreu nach dem Motto des britischen Schauspielers Peter Ustinov: "Das Schicksal ist viel zu ernst, als dass man es dem Zufall überlassen könnte."

Und warum soll eine Intelligenz- oder Gefühlskorrektur nicht genauso erlaubt sein wie die Leibkorrekturen der kosmetischen Chirurgie? Andererseits zeigen gerade sie, wie dumm und unreflektiert diese oft gewählt werden, wie stark ein sozialer Druck oder bloß irgendwelche Werbekampagnen und verinnerlichte Moden sich auswirken. Nicht nur das biologische Schicksal, auch der wenig selbstbewusste Umgang damit können sich als Fluch erweisen. Entsprechend heikel und schwierig sind ethische Bewertungen und gesetzliche Richtlinien.

 

Wie viel Freiheit soll es sein?

Länger rumstehen mit Neuro-EnhancementMichael Gazzaniga, der Direktor des Zentrums für Kognitive Neurowissenschaften am Dartmouth College, Hanover, New Hampshire, ist davon überzeugt, dass wir bereits die "Schwelle eines neuen Zeitalters der Wissenschaftsgeschichte überschritten haben – einer Ära, in der Neurowissenschaftler den individuellen Unterschieden von Intelligenz nachgehen und sich damit auf ein Feld wagen, das bisher den Psychologen vorbehalten war." Er hält es für wünschenswert, ja geboten, Wege zu finden, "wie wir jene Menschen klug machen, denen kein brillantes Genom in die Wege gelegt wurde – und wie wir diejenigen noch schlauer machen, die es auch so sch

on sind. Gentherapien werden Gene einfügen, löschen, an- oder abschalten, von denen wir erst noch herausfinden müssen, dass sie die Intelligenz beeinflussen."

Bevor die Gen-Designer so weit sind, wird die Neuropharmakologie aber das ihre tun. Gazzaniga: "Medikamente zur Steigerung der kognitiven Fähigkeiten werden kommen, und wir werden sie gebrauchen und missbrauchen. Aber genauso wie die wenigsten Leute zur Stimmungsaufhellung auf Prozac zurückgreifen und wir unser Leben den vielfältigen Möglichkeiten zur Bewusstseinserweiterung immer neu anpassen, wird die Gesellschaft auch die neuen Gedächtnismittel je nach individueller Überzeugung und persönlichem Selbstbild aufnehmen. Es wird zu einer Selbstregulierung kommen. Die wenigen Menschen, die ihre Sinne erweitern möchten, werden die Möglichkeiten nutzen. Und diejenigen, die kein neues Bild ihrer selbst anstreben, werden sie ignorieren. Die Politik sollte sich nicht einmischen. Wir müssen uns von unseren eigenen Moralvorstellungen durch die neue Welt der leistungssteigernden Pillen führen lassen!