Hirnforschung | 05.08.2010
Zweischneidig und kompliziert
Der Effekt ist freilich zweischneidig: Zwar wird die Arbeitsleistung zunächst gesteigert, weil die Aufmerksamkeit steigt; aber Lernprozesse werden behindert, so dass schon mittelfristig die Leistungen schlechter sind als bei denen, die nichts einnehmen. Außerdem schnitten Methylphenidat-Konsumenten in einigen Tests sogar schlechter ab als Placebo-Konsumenten, weil die "Gedopten" die Fragen zu schnell beantworteten. Ein tückischer Nebeneffekt besteht auch darin, dass sich die Methylphenidat-Konsumenten (fälschlicherweise) für besser halten, als sie es wirklich sind. Und die Last des Lernens nehmen die Neuro-Enhancer, selbst wenn sie noch viel effektiver werden, einem ohnehin nicht ab: Sich aneignen und verstehen muss man die Lerninhalte trotzdem noch.
Aber auch das Lernen lässt sich biochemisch vielleicht bald erleichtern. Bei kognitiven Inhalten ist das noch schwierig und betrifft eher den Rahmen (Aufmerksamkeit, Konzentrationsfähgkeit, Gedächtnisbildung); bei praktischen Fertigkeiten sieht es schon besser aus.
So gibt es Hinweise darauf, dass eine Abnahme des Botenstoffs Gamma-Aminobuttersäure (GABA) im menschlichen motorischen Cortex mit dem Erlernen von neuen Bewegungsmustern einherzugehen scheint, etwa beim Musizieren. Da dieser Botenstoff (Neurotransmitter) eine hemmende Wirkung hat, dürfte seine Abnahme die Verknüpfung neuer Nervenzell-Verbindungen fördern. Man könnte sich also vorstellen, mit GABA-Blockern künftig das Hirntraining von Sportlern oder Musikern zu fördern.
Das könnte freilich verheerende Effekte auf den Hirnstoffwechsel haben, muss es aber nicht unbedingt. Wenn es quasi nebenwirkungsfrei wäre, könnten Kinder gewissermaßen "nebenbei" zusätzliche Fertigkeiten erwerben und beispielsweise auf Parties mit Klavier-Etüden von Frédéric Chopin aufwarten. Jemand, der diese Hirnförderung nicht bekam, müsste sich dann vielleicht fragen, warum seine Eltern ihm nicht diese Fertigkeit angedeihen ließen und er jetzt unter dem Defizit zu leiden hat. (Er hätte die Etüden selbstverständlich auch auf die konventionelle Weise erlernen können, aber in dieser Zeit wäre ihm dann wieder eine andere Fertigkeit entgangen.)
Keine Wirkung ohne Nebenwirkung!
Dass man Demenz-Patienten mit allen erdenklichen Mitteln helfen sollte, ihren Geist und ihre Persönlichkeit zu bewahren, ist kaum zu bestreiten. Und wer würde sich, wenn es keine Nebenwirkungen gäbe, dagegen sträuben, die mit den Jahren einsetzende natürliche Vergesslichkeit zu bekämpfen? Und was, wenn diese Mittel auch bei Gesunden zu einer Steigerung der Intelligenz führen?
Doch so einfach ist es nicht, wie manche Utopisten sich das erhoffen. Manipulationen der Nervenaktivitäten sind immer problematisch, weil das Gehirn ein hochkomplexes System ist und Veränderungen lawinenartige, nicht vorhersehbare Auswirkungen haben können. So gibt es beispielsweise Indizien dafür, dass Substanzen, die die Lernfähigkeit erhöhen, auch die Schmerzempfindlichkeit vergrößern. Langzeitwirkungen sind schon aufgrund der geringen Erfahrung mit den meisten Substanzen bislang noch kaum absehbar.
Selbst beim klinisch gut untersuchten Ritalin sind die Gefahren langjährigen Konsums unklar. Studien mit Ratten zeigten immerhin, dass AMPH die Morphologie der Dendriten verändert. Mit diesen Zellfortsätzen nehmen Nervenzellen die Informationen von anderen Nervenzellen auf. Die Langzeitfolgen solcher Veränderungen, die teilweise irreversibel zu sein scheinen, sind noch völlig unbekannt. Bei Kokain hingegen ist klar, dass bestimmte Gehirnregionen weniger "plastisch" werden, das heißt weniger neue Verknüpfungen der Nervenzellen erlauben, was zu den bekannten kognitiven Defiziten und Verhaltensänderungen der Konsumenten führt.
Bislang gilt der Lehrsatz ‚Keine Wirkung ohne Nebenwirkung‘ ohne Ausnahme. Denn effektive Medikamente greifen stets in neurobiologische Regelkreise ein. Auch für kognitives Enhancement gilt: Was eine Nebenwirkung ist und ob man sie in Kauf nehmen will, ist häufig Ansichtssache. Und selbst wenn scheinbar keine Nebenwirkungen da sind, hat man wohl einfach nur zu ungenau danach gesucht – oder das Mittel noch nicht lange genug eingenommen.