Ethik | 01.12.2010

Alles Denken ist unmoralisch

 

Ethischer Relativismus

Ist wirklich alles gleich? (Bildquelle unbekannt)Der „moderate“ ethische Relativismus besagt lediglich, dass verschiedene Kulturen unterschiedliche Moralvorstellungen haben, was eine recht banale Feststellung ist. Der radikale ethische Relativismus besagt, dass es keine Möglichkeit gibt, unterschiedliche moralische Vorstellungen zu bewerten. Demnach sind alle Moralitäten gleich gut. Im Extremfall müsste ein ethischer Relativist sagen, dass Hexenverbrennung ebenso ethisch ist wie der Muttertag.

David Eller bezweifelt tatsächlich alle Möglichkeiten, wie man Ethik normativ festlegen könnte. „Ein moralisches System könnte auf einer Tradition beruhen oder auf einer populären Meinung oder auf Mehrheitswahl oder auf irgendeiner Theorie (wie Marxismus) oder, am Ende, Gewalt. Keine davon ist eine sehr angemessene Grundlage, weil wir 1) uns uneinig sein könnten und 2) weil wir falsch liegen könnten.“

Trotzdem lehnt er eine religiös begründete Moral ab. Er erklärt zum Beispiel, die rationalistische Moral sei der religiös begründeten „oftmals überlegen“. Die menschliche Moral wäre „besser dran ohne religiöse Ergänzungen“. Aus seiner eigenen relativistischen Perspektive hat er eigentlich kein Recht, das zu sagen. Und hier sieht man einmal mehr, dass ethische Relativisten keine sind, sondern dass sie diese Position nur ergreifen, wenn sie damit überfordert sind, ethische Fragen zu beantworten, oder wenn ihnen diese Haltung persönliche Vorteile verschafft. Dies ist etwa so, wenn man sich vor Terroristen fürchtet und aus Furcht behauptet, dass die Kultur von Islamisten genauso gut wäre wie die des Westens. Würden ethische Relativisten es wirklich für gleichermaßen ethisch halten, ihrer Tochter ein Auto zu kaufen und sie dem Gott Baal zu opfern, warum opfern dann so wenige ethische Relativisten ihre Tochter dem Gott Baal? Weil sie dafür ins Gefängnis kommen? Aber wer sagt denn, dass es nicht moralisch wünschenswert wäre, ins Gefängnis zu kommen?

Der radikale ethische Relativismus ist eine absurde Position, aber er ist die Ethik der meisten Anthropologen, wie Sam Harris in The Moral Landscape aufzeigt. Der Grund, warum David Eller an den ethischen Relativismus glaubt, liegt also wahrscheinlich darin, dass seine soziale Gruppe daran glaubt, weil es zu ihrer Kultur gehört. In seinem Buch Sick Societies. Challenging the Myth of Primitive Harmony zeigt der Anthropologe Robert Edgerton, der zu den Abweichlern zählt, auf, wie Anthropologen Naturvölker glorifiziert haben und ihre Fehler den Kolonialherren in die Schuhe schoben. Bald verloren sie jede Fähigkeit zur ethischen Differenzierung. 1939 sagte ein prominenter Anthropologe der Harvard-Universität, dass die Urteilsverweigerung „wahrscheinlich der bedeutsamste Beitrag gewesen ist, den anthropologische Studien zum Allgemeinwissen gemacht haben“. Man könnte ihn auch das Ende der Moral nennen, oder das Ende jeglicher Ethik. Zum Glück sind noch immer viele Menschen nicht so „allgemeingebildet“, um dergleichen Dinge zu glauben.

Die traditionelle Religion hat gegenüber dem ethischen Relativismus den Vorteil, dass sie wenigstens irgendwelche moralischen Urteile ermöglicht. In diesem Artikel wurden jedoch zahlreiche bessere Alternativen aufgezeigt, welche die Philosophie anbietet, sodass sich niemand länger mit Gott oder Beliebigkeit herausreden kann.

 

AM

 

Bildquellen

Foto von Paris Hilton: Glenn Francis, Wikipedia

Bild-Cover über Stalins Affenmenschen: Bild-Blog

 

Literatur

Jack David Eller: Cruel Creeds, Virtuous Violence: Religious Violence Across Culture and History

Robert Edgerton: Sick Societies. Challenging the Myth of Primitive Harmony

Sam Harris: The Moral Landscape

Verschiedene Autoren: The Christian Delusion


Der Christenwahn: Die Reihe

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Christlicher Glaube aus Sicht der Kognitionswissenschaften

Die Formbarkeit des menschlichen Verstandes

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