Mythologie | 07.02.2009

Der ägyptische Schöpfungsmythos


Tut ihnen, wie es gut ist in euren Augen!

Der weniger bekannte Teil dieser Geschichte dreht sich um den Besuch zweier Engel bei Lot, die ihm von der kommenden Rache Gottes an Sodom berichten und ihm empfehlen zu fliehen. Der Hauptgrund, den Yahwe dafür hat, Sodom zu vernichten, besteht darin, dass ihm die Stadt zu schwul geworden ist (kein Scherz!). So trägt es sich zu, dass die Männer von Sodom an Lots Tür klopfen und die beiden Engel Gottes vergewaltigen wollen. Und zwar alle Männer von Sodom, „vom Knaben bis zum Greis, das ganze Volk von allen Enden“ (Genesis 19, 4). An dieser Stelle kommen wir erneut in den Genuss erhabener biblischer Moral, als Lot ihnen antwortet: „Seht doch, ich habe zwei Töchter, die keinen Mann erkannt haben [die Jungfrauen sind]; die will ich zu euch herausbringen. Tut ihnen, wie es gut ist in euren Augen! Nur diesen Männern tut nichts, da sie nun einmal unter den Schatten meines Daches gekommen sind! (Genesis 19, 8). Nach der Flucht aus Sodom wird es sogar noch merkwürdiger, denn dann machen seine Töchter ihren Vater Lot betrunken und haben Sex mit ihm in einer Höhle.

Eine andere Variation dieser Geschichte findet man im Buch der Richter, Kapitel 19. Dort zieht ein namenloser Levit mit seiner Prostituierten, in der Übersetzung nennt sich das „Nebenfrau“, durchs Land und hält sich eines Tages als Gast im Hause eines älteren Mannes auf. Plötzlich umringen „ruchlose Männer“ das Haus und fordern die Herausgabe des Leviten, damit sie ihn vergewaltigen können. Doch der Gastgeber bietet ihnen stattdessen seine Tochter an und der Levit gibt noch seine Nebenfrau dazu. „Ihnen tut Gewalt an und macht mit ihnen, was gut ist in euren Augen“, sagt er. Die ganze Nacht lang sind Tochter und Nebenfrau einer Massenvergewaltigung ausgeliefert. Am nächsten Morgen geht der Levit nach draußen und sieht, dass seine Gespieltin vor der Türe liegt. „Steh auf und lass uns gehen!“, meint er lakonisch. Doch die Frau ist tot. Er nimmt ihre Leiche mit und kommt dann auf folgende bizarre Idee: „Und als er in sein Haus gekommen war, nahm er das Messer, ergriff seine Nebenfrau und zerlegte sie, Glied für Glied, in zwölf Stücke und schickte sie ins ganze Gebiet Israels.“


Die Bibel als Plagiat

Die frauenfeindliche Moral dieser beiden Versionen der selben Geschichte ist durchaus nicht ungewöhnlich für biblische Verhältnisse. Doch selbst wenn man diese Barbarei als biblischen Normalfall akzeptiert, kommt es einem komisch vor, dass der levitische Mann seine Nebenfrau in zwölf Teile zerstückelt und diese an alle Ecken Israels schickt. Es sei denn, man erinnert sich an die ältere Fassung dieser Geschichte, die sich die alten Ägypter erzählt haben: Seth zerstückelt die Leiche seines Bruders Osiris in 14 Teile und verschickt sie an alle Ecken Ägyptens.

Im Originalkontext ergibt die Geschichte Sinn, weil die Zerstückelung von Feinden und die öffentliche Ausstellung ihrer Leichenteile zur Einschüchterung potenzieller Gegner keineswegs ungewöhnlich war. So etwas kam auch noch in den amerikanischen Kriegen gegen die Indianer im 19. Jahrhunderts vor. Die Zerstückelung von einer Prostituierten und die Ausstellung ihrer Leichenteile ist allerdings Unsinn und kann nur erklärt werden, wenn man davon ausgeht, dass hier einiges beim Abschreiben durcheinandergeraten ist. Die Zahl „12“ statt „14“ verwundert dagegen nicht: Sie steht für die zwölf Stämme Israels (und im NT für die zwölf Jünger Jesu). Die Zahl kommt in der Bibel immer wieder vor.

Warum die Geschichte letztlich auf diese seltsame Weise zusammengestellt wurde, ist nicht ganz klar. Der Folklorist Alan Dunes argumentiert in Holy Writ as Oral Lit, dass die Bibel aufgeschriebene Folklore ist, also mündlich überlieferte Geschichten, die irgendwann einfach zusammengeschrieben wurden. Es ist typisch für Folklore, dass sie in verschiedenen Variationen (etwa mit unterschiedlichen Zahlen und Namen) erzählt wird, einfach weil die Erzähler sich nicht mehr an alle Details erinnern. Im Falle der Bibel haben es unentwegt verschiedene Variationen in den selben Text geschafft. Zum Beispiel gibt es an manchen Stellen keine zehn Gebote, sondern elf oder sogar zwölf. Vielleicht konnte man sich nicht darauf einigen, welche Variation die richtigste oder die heiligste ist. Allerdings gibt es in der Folklore sowieso keine „richtigen“ Variationen.