Philosophie | 02.09.2009
Christengott und Evolution sind schlecht unter einen Hut zu bringen. Sollten Sie unbedingt an einen Gott glauben wollen, empfiehlt sich stattdessen ein Blick in unser reichhaltiges Sortiment.
Die folgenden Götter können einen Vorteil in Punkto Plausibilität für sich verbuchen, vergleicht man sie mit den Göttern, an denen die meisten Menschen tatsächlich glauben. Rein empirisch (ohne Beachtung philosophischer Einwände) könnten sie sogar existieren.
Die Welt und das Leben haben keinen höheren Sinn. Genau das Richtige für den Gott des Chaos, den die alten Griechen erfunden haben. In ihrer Mythologie [2] ist Chaos die finstere, endlose Tiefe, der Anfang aller Dinge. Sagen wir also, der Gott des Chaos war die Ursache des Urknalls und Schöpfer des beobachtbaren Universums. Kosmologen wissen noch nicht, was während der "Singularität", im Moment des Urknalls, vor sich ging, noch wissen sie, was davor geschah, wenn es ein "davor" gab. Dort hinein können wir den Gott des Chaos also stecken. Der Gott des Chaos ist eine vergleichsweise plausible Version des deistischen Gottes (reiner Schöpfergott, der nach der Schöpfung nicht mehr in die Welt eingreift).
Gewiss, das ist reine Spekulation, die auf gar nichts beruht. Erfahrungsgemäß hilft es nicht, Gott in Lücken zu stecken, weil diese Lücken irgendwann gefüllt werden. Auch stellt sich angesichts der Umstände während des Urknalls – extreme Dichte und unfassbare Hitze – die Frage, was der Gott des Chaos ist und was genau er mit dem Urnkall zu schaffen hat. Zudem möchte man gerne wissen, wo der Gott des Chaos nun eigentlich herkommt.
Doch, wie schon gesagt: Rein empirisch können wir ihm momentan nicht zu Leibe rücken und er hat den Vorteil, mit einer sinnlosen Welt vereinbar zu sein, was bei einem allguten Gott, der einen Plan hat, nicht so ist.
Auf der Plausibilitäts-Skala bewerte ich ihn mit 5/10 Punkten. Eine reife Leistung für Götter!
Der pantheistische Gott ist die natürliche Welt, nur eben vergöttlicht. Für Pantheisten wie Johann Wolfgang von Goethe und Friedrich Schiller bedeutete die Vergöttlichung der Welt, dass die Welt etwas wirklich Tolles ist, das es wert erscheint, vergöttlicht zu werden. Sie teilten eine idealistische Vorstellung von der Natur, in der alles harmonisch am rechten Platze sitzt.
Diese Vorstellung ist angesichts der Erkenntnisse der Evolutionstheorie kaum mehr vertretbar. Hier tut sich vielmehr ein Bild der Natur auf, das zwar nicht vollständig negativ ausfällt, das aber mit viel sinnlosem Leid verbunden ist. Die allermeisten Arten, die je existierten, sind ausgestorben. Die Tiere fressen sich gegenseitig auf, sie sterben an Naturkatastrophen und Nahrungsmangel auf qualvolle Weise. Das ist beim besten Willen keine harmonische Natur, die sich hier auftut.
Versteht man den Pantheismus dagegen wie Albert Einstein und Richard Dawkins, ist das Konzept schon plausibler, so schrieb Einstein: „Ich glaube an Spinozas Gott, der sich in der gesetzlichen Harmonie des Seienden offenbart, nicht an einen Gott, der sich mit Schicksalen und Handlungen der Menschen abgibt.“
Die Harmonie leitet sich hier von der (Natur-)Gesetzlichkeit des Seienden ab. Richard Dawkins stimmt dem zu: „Im Einsteinschen Sinn bin auch ich ein tief religiöser Mensch.“
Trotzdem erscheint es kaum zweckmäßig, hier von "Theismus" zu sprechen, wenn Gott einfach mit der Welt identisch ist, mag diese Welt auch noch so ehrfurchtsgebietend sein. Immerhin: Der pantheistische Gott ist gut zu vereinbaren mit der Wissenschaft (wobei man die harmonische Gesetzlichkeit der Welt angesichts rätselhafter Phänomene im Quantenbereich bezweifeln kann. Vielleicht ist es eher eine neutrale Gesetzlichkeit?).
Darum bekommt der pantheistische Gott von mir 6/10 Punkte auf der Plausibilitäts-Skala. Er ist es also gerade so wert, dass man sich näher mit ihm befasst. Gut gemacht, Gott!
Der Gott der Philosophen ist eigentlich kein Gott, an den man wirklich glaubt, sondern einer, über den man nachdenkt. Doch gibt es tatsächlich eine Philosophin, die davon ausgeht, dass ein rein übernatürlicher Gott, der nicht in die natürliche Welt eingreift, existiert und mehr noch: Sie glaubt, dass dieser rein übernatürliche Gott der christliche Gott ist!
In ihrem Artikel Der nicht-verifizierbare Gott ist immernoch gut [3] stellt "HE Barber" ihr Gottesbild näher vor. So schreibt Barber:
"Ich habe mir von der Religion noch nie praktische Vorzüge erhofft [...] Ich glaube nicht, dass das Universum erst vor ein paar tausend Jahren erschaffen wurde. Ich glaube nicht, dass Menschen oder andere Tiere in ihrer heutigen Form erschaffen wurden, oder auch nur, dass Gott bei der "Lenkung" der Evolution seine Hand im Spiel hatte. Ich glaube nicht, dass die Bibel ein akkurater Bericht der Geschichte des Mittleren Ostens ist, oder dass sich irgendwelche der berichteten Wunder tatsächlich zugetragen haben, oder dass die Weisheits-Literatur, die sie enthält, ein geeigneter Lebensführer ist. Ich glaube nicht, dass die Existenz Gottes irgendeinen Unterschied für die Art und Weise macht, wie die Welt funktioniert, oder dass religiöser Glaube irgendeinen Unterschied machen sollte für die Art und Weise, wie wir leben."
Das ist doch mal ein sympathischer Glaube! Aber bevor Sie Frau Barber für eine Atheistin halten: Etwas gibt es schon, das sie glaubt:
"Theisten wie ich glauben, dass es ein bewusstes Wesen gibt, das allmächtig und allwissend ist, das nicht Teil der natürlichen Welt ist und nicht identisch mit dem Kosmos in toto, sondern das unkörperlich und transzendent ist. Es gibt wohl keinen triftigen Grund zu glauben, dass ein solches Wesen existiert [...]"
In der Tat: Was Barber hier beschreibt, ist der christliche Gott, allerdings mit dem gewaltigen Unterschied, dass diese Version niemals in die natürliche Welt eingegreift, sondern komplett in einer übernatürlichen Welt existiert! Dieser Gott hat also auch keinen Sohn namens Jesus, er vollbringt keine Wunder und erhört keine Gebete, er hat nicht das Geringste zu tun mit der Welt, in der wir leben. Er hat uns und die Welt nicht einmal erschaffen!
Warum sollte jemand an einen Gott glauben wollen, der genausogut nicht existieren könnte? Barber beantwortet diese Frage wie folgt:
[4]"Gott ist ein Objekt, über das man nachdenken kann. Ich schätze, ich glaube, dass Gott das ultimative ästhetische Objekt ist, ultimative Schönheit, Herrlichkeit und Macht, und dass die Vision Gottes die Quintessenz von jedem ästhetischen Erlebnis und jeder Sinnesfreude verkörpert."
Es gibt nichts dagegen einzuwenden, über so eine Art von "Gott" nachzudenken. Allerdings ist es eine andere Art von Gott als der allgute, allwissende, unkörperliche und transzendente Gott, von dem sie zuvor geredet hat. Vielleicht kann man seine Eigenschaften beliebig wählen, um dann über ihn nachzudenken?
Leider macht Barber in ihrem Artikel den Fehler, Gott auch als die Erklärung für das Bewusstsein zu Rate zu ziehen. Sie bejaht die Frage, ob es philosophische Zombies geben könnte (solche, die sich genau wie Menschen verhalten, nur ohne Bewusstsein). Eine Welt mit Gott wäre dann eine Welt, die genauso aussieht wie eine ohne Gott, nur dass sie bewusstes Erleben enthalten würde. Philosophische Zombies [5] wären aber dasselbe wie Menschen, also hätten sie Bewusstsein, also existieren sie nicht. Das heißt, eine Welt mit oder ohne Barbers Gott wäre auch in dieser Hinsicht ununterscheidbar.
Trotzdem: Der Gott der Philosophen hat eine vergleichsweise hohe Daseinsberechtigung. Es ist interessant, über ihn nachzudenken. Empirisch können wir ihn – übersehen wir mal die zweifelhafte Argumentation mit dem Bewusstsein – überhaupt nicht erfassen, weil er sich in einer komplett übernatürlichen Welt aufhalten soll.
Einwenden könnte man, dass eine "rein übernatürliche Welt" so ziemlich dasselbe ist wie "die menschliche Fantasie". Wir können ebenso behaupten, dass Werwölfe, Feen und Lord Voldemort in dieser rein übernatürlichen Welt existieren und wir wären nicht in der Lage, ihnen empirisch beizukommen. Zudem ist die einfachste Erklärung meist die richtige (Ockhams Rasiermesser) und eine rein natürliche Welt ohne dieses übernatürliche Anhängsel wäre einfacher. Zudem, wie Bertrand Russel feststellt, muss etwas nicht wahr sein muss, nur weil es möglich ist. Siehe dazu meinen Beitrag zur Frage, ob unsere natürliche Welt eigentlich existiert [6].
Übersetzen wir also "rein übernatürliche Welt" mit "menschliche Fantasie". Die Fantasie, insofern man sie nicht mit der Realität verwechselt, ist eine tolle Sache, also gibt es für den philosophischen Gott 8/10 Punkte auf der Plausibilitäts-Skala. Es ist ein netter Zeitvertreib für Philosophen, über einen solchen Gott nachzudenken. Das hält sie davon ab, auf dumme Gedanken zu kommen. Auch für Fantasy-Autoren ist der Gott der Fantasie ein interessantes Objekt.
And the winner is...
1. Der Gott der Fantasie
Klare Sache: Der Gott der Fantasie (der Gott, der rein übernatürlichen Welt) hat mit 8/10 Punkten das Rennen gewonnen! Im eigenen Kopf kann man diesen Gott mit den verrücktesten Eigenschaften ausstatten und so lange über ihn nachdenken, wie man will! Auch kann er in Romanform oder in Hollywood-Filmen recht unterhaltsam sein.
2. Der Pantheistische Gott
Der Pantheismus beschreibt die Auffassung, dass die Natur es wert ist, vergöttlicht zu werden. Gewiss ist es faszinierend, die Geheimnisse der Natur mit Hilfe von Wissenschaft und Philosophie zu entschlüsseln. Ob man einen "Theismus" zu Rate ziehen sollte, um das damit verbundene Ehrfurchtsgefühl zu umschreiben, ist allerdings fraglich. Darum gibt es für den pantheistischen Gott von mir nur 6/10 Punkte.
3. Der Gott des Chaos
Der Gott des Chaos ist die plausibelste Version des deistischen Schöpfergottes. Leider ist er nur ein spekulativer Lückenfüller mit rätselhafter Natur und rätselhafter Herkunft. Vorteil: Noch steht er außerhalb unserer wissenschaftlichen Erkenntnisse. Mit 5/10 Punkten schlägt er den herkömmlichen Christengott (0/10 Punkte) und sorgt noch immer für ordentlich Radau.
AM
Links:
[1] http://www.darwin-jahr.de/sites/darwin-jahr.de/files/story/node-313-518.jpg
[2] http://www.darwin-jahr.de/evo-magazin/griechische-schoepfungsmythos
[3] http://www.guardian.co.uk/commentisfree/belief/2009/aug/25/religion-atheism-hume-verificationism
[4] http://www.denkladen.de/product_info.php/info/p1097_Vaas--Hawkings-neues-Universum.html/XTCsid/844ede5dfaf3e9967a0a64d858b7aa83
[5] http://feuerbringer.com/2009/08/29/konnten-zombies-existieren/
[6] http://feuerbringer.com/2009/08/25/existiert-die-welt/