Presseschau | 23.12.2010
Freut euch, der Herr ist auferstanden! Ach ne, das war Ostern. Was auch immer wir gerade feiern, es gibt eine aktuelle Presseschau dazu. Es geht vor allem um neue, verblüffende Erkenntnisse der Psychologie. Wir offerieren außerdem Tipps für Paranoide, die im Verfolgungs-Trend liegen wollen. Frohes Fest!
Deutschland mag sich abschaffen, aber was ist mit dem Mehltau? Warum denkt niemand an den Mehltau? Und was ist überhaupt Mehltau?
Der „Echte Mehltau“, nicht diese Plagiate aus China, ist ein parasitärer Pflanzenschädling. Und er hat ein potenzielles Problem: Er steckt in einer Sackgasse der Evolution, da er im Laufe seiner Entwicklung 99% der Gene für eine unabhängige Lebensweise verloren hat. Der Mehltau hängt nun, im Gegensatz zur verwandten Bäckerhefe, vollständig vom Wirt ab, zum Beispiel von Gersten und Erbsen. Wenn die aussterben, dann auch der Mehltau.
Und was ist daran so interessant? Nicht wirklich viel, aber es haben zahlreiche Medien darüber berichtet, also müssen wir es auch tun. Vielleicht empfinden die Deutschen eine Art von seelischer Verwandtschaft mit dem Mehltau, dass sie sich so sehr um sein Schicksal sorgen.
Wir wissen gar nichts mehr [3]
So uninteressant die Info über den Mehltau gewesen sein mag, so bedeutsam ist die Erkenntnis von einer Reihe aktueller Studien, laut denen die Kindheits-Amnesie stufenweise voranschreitet. Das heißt, dass wir uns immer weniger an unsere jungen Jahre erinnern können, je älter wir werden. Zunächst mag dies trivial klingen, aber eine Teilerkenntnis der ganzen Sache lautet, dass sich 20% der Erinnerungen von Fünfjährigen auf Ereignisse vor ihrem ersten Lebensjahr beziehen!
Und was ist daran so bemerkenswert? Ganz einfach: Laut einer weit verbreiteten Theorie entsteht das Bewusstsein des Selbst mit dem Spracherwerb. Der findet aber erst ab zwei Jahren statt. Warum also erinnern sich Fünfjährige an Ereignisse vor ihrem ersten Geburtstag? Entwerfen sie im Rückblick ein Selbstbewusstsein? Aber wenn dem so ist, wie haben sie ihre Umwelt denn vorher wahrgenommen, wenn sie sich an diese als bewusste Akteure erinnern können?
Haben Babies also bereits ein Bewusstsein ihres Selbst, obwohl sie keine Sprache haben? Gilt das dann etwa auch für Tiere? Oder findet der Spracherwerb früher statt, als wir bisher dachten? Auf jeden Fall spricht das gegen eine Abtreibung nach der Geburt, für den Fall, dass jemand so etwas vorhatte.
Die zehn interessantesten Psychologie-Studien von 2010 [4]
David DiSalvo von Psychology Today hat die zehn aufschlussreichsten Studien aus der Psychologie von 2010 herausgesucht. Hier die interessantesten Beispiele:
1.) Eine Studie vom Harvard-Psychologen
Daniel Gilbert hat aufgezeigt, dass 2250 Testpersonen im Schnitt
46,9% des Tages mit Tagträumerei verbringen. Und selbst bei anderen
Tätigkeiten schweifen sie 30% ihrer Zeit ab.
2.) Forscher vom MIT, von Harvard und
Yale haben in sechs Experimenten überprüft, welchen Effekt schwere
Gegenstände auf unsere Wahrnehmung und unser Verhalten haben. Es ist
demnach empfehlenswert, sich bei Verhandlungen auf harte, robuste
Stühle zu setzen, weil man dann härter verhandelt. Die
Bewerbungsmappe sollte schwer sein, weil Sie dann den Eindruck
machen, Sie wären besonders wichtig. Ein Rendezvous funktioniert
besser mit leichten und glatten Gegenständen, da sie das
Sozialverhalten vereinfachen.
3.) Wie Schweiß das menschliche Verhalten beeinflusst
Laut einer Studie der Julius-Maximilians-Universität in München verändert der Geruch von Schweiß unser Verhalten. Dabei kommt es auf die Art des Schweißes an. Der Geruch des Schweißes von Menschen, die gerade einen Hochseilgarten durchklettert hatten, führte dazu, dass Glücksspieler länger für ihre Entscheidungen brauchten, aber ihre Einsätze erhöhten. Die Gruppe von Genießern, die dem Schweiß von Heimtrainer-Benutzern ausgesetzt wurde, traf schneller Entscheidungen und riskierte weniger.
4.) Wir neigen zur Faulheit, sind aber glücklicher, wenn wir arbeiten
Forscher haben Testpersonen gebeten,
einen ausgefüllten Fragebogen entweder direkt vor der Tür abzugeben
und fünfzehn Minuten zu warten, oder ihn an einem Ort abzugeben, für
den sie fünfzehn Minuten hin und zurück benötigen würden. Als
Belohnung winkte ein Schokoladenriegel. Beim ersten Mal entschieden
sich die meisten für das Warten im Raum, beim zweiten Mal für den
Spaziergang. Diejenigen, die den Spaziergang auf sich nahmen, waren
glücklicher mit ihrer Entscheidung. Wir neigen von Natur aus zur
Faulheit, aber es wäre klüger von uns, stattdessen aktiv zu werden
- denn das macht glücklich.
5.) Reiche haben weniger Empathie
Eine Reihe von Experimenten legen nahe, dass Reiche weniger gut darin sind, Emotionen in den Gesichtern und anhand der Körpersprache ihrer Mitmenschen zu lesen. Arme Menschen unterstützen sich gegenseitig mehr und gehen stärkere Bündnisse ein. Dies liegt wahrscheinlich an dem Eigennutz eines Empathietrainings: Reiche brauchen die Eigenschaft weniger als Arme.
6.) Religiöse Menschen sind glücklicher - aber warum?
Religiöse Menschen sind ein bisschen glücklicher als Atheisten, weil sie an sozialen Netzwerken teilhaben. Mit ihrem Glauben hat das nichts zu tun.
Vertrauende Menschen erkennen Lügen besser [5]
Mehrere Studien kommen zu einem konterintuitiven Ergebnis: Menschen, die stärker dazu neigen, anderen Menschen zu vertrauen, sind besser darin, zu erkennen, wenn jemand lügt. Wer von Anfang an niemandem vertraut, bemerkt auch nicht, wenn jemand lügt. Wir sollten mehr Vertrauen zueinander haben.
Hilft Schlafentzug gegen das posttraumatische Stresssyndrom? [6]
Und sind da wirklich drei „s“ in „Stresssyndrom“? Selbst Jahre nach Einführung der Rechtschreibreform sieht es immer noch komisch aus.
Schlafentzug führt zu Gedächtnisschäden und trägt bei zur Erzeugung falscher Erinnerungen (False Memory Syndrome). Normalerweise bringts das nicht, aber Patienten mit posttraumatischem Stresssyndrom könnten vom Schlafentzug profitieren, wie eine neue Studie nahelegt. Auch gegen Depressionen könnte Schlafentzug helfen.
Noch ist das nicht eindeutig belegt. Ergibt aber Sinn. Schließlich können gerade Menschen mit Depressionen und PST oftmals schlecht schlafen – vielleicht ist das eine Selbsttherapie des Körpers? Vorteil der ganzen Sache: Wenn der CIA Schlafentzug als Folter einsetzt, könnte er Terroristen mit posttraumatischem Stresssyndrom oder Depressionen einen Gefallen damit tun! Sie sollten also dankbar sein.
Worüber soll ich paranoid sein? [7]
Wir haben die neusten Trends in Punkto Verfolgungswahn aufgespürt. Zumindest in den USA fürchten sich viele Menschen vor WiFi, Fluorid, vor einem genetisch veränderten Apfel, der nicht braun wird (weil das Braun-Gen abgeschaltet wurde), vor angeblich krebsauslösenden Handys, vor vermeintlich Autismus-auslösenden Impfstoffen und vor „Bisphenol-A“. Verdächtigerweise hängen all diese Dinge zusammen mit moderner Technologie. Was man nicht in der Pampa oder in Pandora findet, ist schwerstens verdächtig.
78% der Amerikaner sind Kreationisten [8]
Eine neue Gallup-Umfrage bestätigt die Sturköpfigkeit der Amerikaner, die schon seit Jahrzehnten in immer gleichen Anteilen Kreationisten sind. Zu 40% Kurzzeit-Kreationisten, für die Gott die Welt vor 10 000 Jahren in ihrer jetzigen Gestalt erschaffen hat, kommen 38% Anhänger des Intelligent Design, welches davon ausgeht, dass Gott für die Erschaffung neuer Arten zuständig ist und allenfalls die „Mikroevolution“ natürlichen Prozessen überlassen bleibt. 1982 gab es vier Prozent mehr Kurzzeit-Kreationisten und ebensoviele ID-Vertreter. Zwei Drittel der Demokraten und der Unabhängigen sind Kreationisten und IDler, während es bei den Republikanern 88% sind.
In Deutschland hängen insgesamt 40% Kreationismus und ID an, ganze 46% sehen eine gottfreie Evolution am Werk.
Selbstmord wegen Gotteswahn? [9]
Es ist wieder einer dieser Fälle, wenn eine Zeitung nahelegen will, dass Richard Dawkins' Buch „Der Gotteswahn“ für eine Gewalttat verantwortlich ist. Im Titel eines Beitrags über den Selbstmord von zwei jugendlichen Mädchen schreibt die australische „Herald Sun“: „Selbstmordzwillinge Kristin und Candice Hermeler hatten Gotteswahn in ihrem Gepäck“.
Sie hatten jedoch auch eine CD von Kenny Rogers und ein Buch von Eckhart Tolle im Rucksack. Man könnte ebenso sagen, dass sie sich wegen Rogers und Tolle umbringen wollten – das klingt sogar plausibler. Dabei berichtet die Zeitung auch über den eigentlichen Grund des Selbstmords: Die Mädchen schreiben in ihren Notizen darüber, dass sie gehänselt und ausgegrenzt wurden. Außerdem interessierten sie sich für das Columbine-Massaker, das sich in der Nähe des Schießstandes zugetragen hatte, wo die beiden versuchten, sich umzubringen (eine der Schwestern hat überlebt).
Es waren mehrere Menschen am
Schießstand anwesend, die, ganz abgesehen von den Eltern, nun lange
Zeit traumatisiert sein werden. Selbstmord ist eine sehr egoistische
und rücksichtslose Freizeitbetätigung. Dies nur als abschließenden Weihnachtsgruß.
AM
Links:
[1] http://www.darwin-jahr.de/sites/darwin-jahr.de/files/story/node-507-927.jpg
[2] http://derstandard.at/1291454831861/Schwacher-Trost-Der-Mehltau-hat-sich-ins-evolutionaere-Abseits-befoerdert
[3] http://www.psychologytoday.com/blog/the-child-in-time/201012/the-shifting-boundary-childhood-amnesia
[4] http://www.psychologytoday.com/blog/neuronarrative/201012/ten-psychology-studies-2010-worth-knowing-about
[5] http://www.bakadesuyo.com/is-trusting-people-the-secret-to-detecting-li
[6] http://www.guardian.co.uk/science/blog/2010/dec/17/sleep-post-traumatic-stress-disorder-ptsd?CMP=twt_gu
[7] http://www2.macleans.ca/2010/12/13/nothing-to-fear/
[8] http://www.heise.de/tp/blogs/6/148958
[9] http://www.heraldsun.com.au/news/world/suicide-twins-kristin-and-candice-hermeler-had-god-delusion-in-their-luggage/story-e6frf7lf-1225961214736