E-Day | 13.05.2010
Heute ist Evolutionstag! In finsteren Urzeiten feierten unsere Vorfahren an jenem Tage den Flug eines Wundersheilers auf zum Himmel. Heute feiern wir die Entstehung des Lebens auf der Erde. Und mehr als das!
Damals: Christi Himmelfahrt
Der Gott unserer Vorfahren ist dem Mythos zufolge eines Tages auf eine merkwürdige Idee gekommen: Was, wenn er sich selbst als Mensch auf die Erde schicken würde, um sich dort hinrichten zu lassen? Das wärs! Aber er benötigte noch eine Legitimation für diesen amüsanten Einfall: Die Ursünde!
Einst verstießen die ersten Menschen, die er erschaffen hatte, gegen das göttliche Gebot und sie aßen vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse. Die Menschenkinder verließen die Obhut des Vaters, um selbst ihr tägliches Brot zu verdienen. Das bedeutete mehr Arbeit, aber auch Selbstbestimmung und intellektuelle Reifung. Man kann ja nicht ewig im „Hotel Papa“ leben. Der Vater hing allerdings sehr an seinen Kindern und er wollte sie bei sich behalten. Er fühlte sich betrogen, dass ihm sein kleiner Junge und sein kleines Mädchen davongelaufen sind. Also bestrafte er sie mit Krankheiten, Naturkatastrophen, Talkshows und Mumps. Aber die Menschen ließen sich davon nicht unterkriegen.
Nachdem er 4000 Jahre lang mürrisch zugesehen hatte, wurde er gewahr, wie einige reaktionär anti-imperialistisch gesinnte jüdische Gruppierungen im Nahen Osten genug hatten von der allzu progressiven römischen Besatzungsmacht. Sie träumten von einem Erlöser, der sie von der Unterdrückung durch zu viele gepflasterte Straßen befreien würde, um sie wieder in kleinen Wüstenstämmen nach den mosaischen Gesetzen (Todesstrafe für Stöckesammeln am Sabbat) leben zu lassen. Gottes großer Moment war gekommen!
Um sein Comeback schön dramatisch zu gestalten, ließ er sich unter großem Trara mit Hilfe eines Helferphantoms als sein eigener Sohn auf der Erde inkarnieren. So lief er in der Gegend herum, heilte Kranke, randalierte gegen den Kapitalismus und trieb Dämonen aus. Ansonsten kündigte er das baldige Weltende an. Schließlich ließ er sich von einem seiner Anhänger verraten und von den Römern ans Kreuz nageln. Das tat er, um den Menschen für die Ursünde zu vergeben. Praktisch hatte das keinerlei Konsequenzen, aber es klang damals nach einer guten Idee.
Nach einer Weile wurde ihm langweilig in seinem Grab, also ging er hinaus, überzeugte noch ein paar Leute, dass er auferstanden war und dass er es insofern echt draufhatte und schließlich, nach dem Konsum von einigen Superman-Comics, flog er hinauf zum Himmel. Dort setzte er sich neben sich selber auf eine Wolke und schaute wieder den Menschen zu, bis er eine neue Gelegenheit erspähen würde, sich selbst markant in Szene zu setzen.
Heute: Evolutionstag
Der Evolutionstag reflektiert nicht nur die Freude über unsere Existenz, sondern auch den Triumph des menschlichen Geistes über die eigene Sehnsucht nach einfachen Antworten, nach schönen Märchen, und nach verhängnisvoll bequemer Fremdbestimmung.
Die Evolutionsbiologie ist ein Unternehmen, das nur in komplexen Zivilisationen entstehen konnte. Das Christentum war und ist noch in verfeindete Konfessionen und kleine Gemeinden gespalten, die sich jeweils am Gesellschaftsmodell der Stammeskulturen orientieren. Gemeinsam ist ihnen ein fortschrittsfeindliches Dogmensystem und ein Weltbild von vor 2000 Jahren, dessen Grundlagen lange vor dem Entstehen der modernen Wissenschaft festgelegt wurden. Anfänglich gab es unter vereinzelten Christen noch Zustimmung für das Projekt Naturwissenschaft, Isaak Newton meinte schließlich, damit Gottes Plan erkunden zu können. Als sich herausstellte, dass die Naturwissenschaft, statt das biblische Weltbild zu bestätigen, es vielmehr widerlegt und es zurückdrängt, wurde der christliche Widerstand immer lauter. Die Geisteswissenschaft, zuerst in ihrer einflussreichen Inkarnation als der Philosoph Spinoza, beschäftigte sich gleichermaßen mit der Dekonstruktion christlichen Kinderglaubens. Mit der Aufklärung und der bürgerlichen Revolution im 18. Jahrhundert, welche den Geistes- und den Naturwissenschaften gleichermaßen zum Durchbruch verhalfen, entstand der moderne Fundamentalismus als militante Gegenbewegung.
Im internationalen Austausch, mit Hilfe modernster Forschungsbereiche wie der Molekularbiologie und unter dem Druck gegenseitiger Kritik gewinnen Biologen täglich genauere Einsichten über das Leben auf diesem Planeten, inklusive dem Menschen. Die freie Gesellschaft, die das Hinterfragen von Dogmen und alten Vorurteilen legalisierte, war und ist eine weitere notwendige Voraussetzung für das Erblühen der Wissenschaft. Während die Erkenntnissuche immer weiter voranschreitet und während sie stetig falsche Annahmen hinter sich lässt, glauben christliche Fundamentalisten, sie müssten nur Charles Darwin, den angebliche Begründer einer falschen Religion, widerlegen, um gegen die Moderne zu siegen. Ihr autoritätsfixiertes Weltbild, das von der kritiklosen Akzeptanz ewiger Wahrheiten ausgeht, hindert sie daran, die Funktionsweise und den Wert freier Forschung zu erkennen. Es ist ein Konflikt zwischen Vergangenheit und Moderne.
Niemand weiß, was die Zukunft bringt. Vielleicht wird eine Krise über uns hereinbrechen, welche die Menschen so sehr verängstigt, dasss sie sich wieder panisch an die klaren und simplen Strukturen unserer Vorväter klammern und das gewagte Projekt der freien Gesellschaft und der modernen Zivilisation hinter sich lassen. Aber momentan gibt es allen Grund zur Hoffnung. Die Entwicklung muss nur weitergehen wie jetzt und ein Zeitalter der Vernunft, das den Menschen ein langes und glückliches Leben ermöglicht und das unsere Erkenntnis über uns selbst und alles andere auf ungeahnte Weise bereichert, wäre eine reale Option. Der Evolutionstag ist ein Zeichen des Umbruchs: Von der Fremdbestimmung zur Selbstbestimmung, von der Versklavung zur Freiheit, von der Leichtgläubigkeit zur intellektuellen Reife, vom Krieg aller gegen aller zum ewigen Frieden. Ob wir uns von Rückfällen in die Barbarei aufhalten lassen, oder mutig voranschreiten, hängt nur von uns selbst ab.
Einen fröhlichen Evolutionstag!
AM
Bild: "Darwins Affe", Lizenz: CC. http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Darwin%27s_ape.jpg [2]
Tipp: Schleswig-Holsteinische Landeszeitung über den Evolutionstag [3]
Links:
[1] http://www.darwin-jahr.de/sites/darwin-jahr.de/files/story/node-428-718.jpg
[2] http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Darwin%27s_ape.jpg
[3] http://www.shz.de/nachrichten/lokales/landeszeitung/artikeldetails/article/801/evolutionstag-statt-himmelfahrt.html
[4] http://giordano-bruno-stiftung.org/p_eday/petitionbook.php
[5] http://www.darwin-jahr.de/evo-magazin/einen-froehlichen-evolutionstag