
Presseschau | 06.03.2010
Sie möchten eine höhere Bewusstseinsebene erreichen? Sie möchten die Welt mit anderen Augen sehen? Dann werfen Sie Ihren Buddha in die Tonne und lesen Sie die aktuelle Presseschau von evo-magazin.de! Diesmal geht es um lebenspraktische Erkenntnisse: Sind Pornos gut für die Gesellschaft? Wie gefährlich ist Alkohol wirklich? Wie wird man Depressionen los? Und schließlich: Mythen der Psychologie – endlich entschlüsselt!

Die Ko-Evolution von Kultur und Genen [2]
Die Kultur (erlerntes Verhalten) beeinflusst unsere Gene und unsere Gene beeinflussen die Kultur. Wie das? Tiere und Menschen verändern ihre Umwelt und somit die Selektionsbedingungen. Beispielsweise haben sich Maulwürfe irgendwann dazu entschlossen, in den Boden zu kriechen und dort zu leben, weshalb sich ihre Augen zurückgebildet haben. Auch hat die moderne Medizin dafür gesorgt, dass erheblich weniger krankheitsanfällige Menschen „ausselektiert“ werden, wodurch sich Genpool und Selektionsbedingungen verändern.
Laktosetoleranz wurde durch die Haltung von Kühen und Ziegen zwecks Milchgewinnung bei vielen Menschen genetisch verankert. Früher waren alle Menschen laktoseintolerant, weil Babies Milch trinken mussten, Erwachsene aber nicht, und sich darum das zuständige Gen abschaltete. Mit Beginn der Landwirtschaft vor rund 10 000 Jahren hat sich ein stets angeschaltetes Gen durchgesetzt. Populationsgenetischen Berechnungen zufolge hatten laktosetolerante Individuen in pastoralen Kulturen nämlich 4-10% mehr Nachkommen (Fitness) als laktoseintolerante Individuen, weil sie besser ernährt waren. Dinge wie Haarkonsistenz könnten durch kulturabhängige sexuelle Selektion beeinflusst worden sein (manche Frauen in bestimmten Kulturen standen vielleicht auf Männer mit Dreadlocks).
Siehe auch Jerry Coynes Artikel zum Thema [3].
Die Red-Queen-Hypothese besagt, dass evolutionäre Änderungen vor allem durch die Interaktion zwischen Spezies zustande kämen, mehr als durch die Anpassung an Umweltbedingungen. Die Hypothese konnte durch Experimente mit schnell mutierenden Viren nun bestätigt werden.
Dinosaurier älter als gedacht [5]
Nach Untersuchung des Skeletts eines „Silesauriers“, ein Verwandter der Dinosaurier, nimmt man an, dass sich Dinosaurier und Silesaurier bereits vor 240 Millionen Jahren von ihrem gemeinsamen Vorfahren abspalteten. Damit sind Dinosaurier zehn Millionen Jahre älter als gedacht.
Archaeogenetik [6]
Archaeogenetik ist der Versuch, historische Fragen mit Hilfe der Genetik zu lösen. So konnte man zum Beispiel herausfinden, dass der Mensch aus Afrika stammt.
Konsens erreicht: Dinosaurier durch Meteoriteneinschlag ausgestorben [7]
Es gibt nun einen Konsens darüber, dass die Dinosaurier vor 65 Millionen Jahren aufgrund eines Meteoriteneinschlags ausgestorben sind. Als Alternative wurden bislang Vulkanausbrüche gehandelt. Die Theorie, dass Vögel von Dinosauriern abstammen, ist ebenfalls ein Konsens.
Das 47 Millionen Jahre alte Fossil namens „Ida“ oder „Darwinius masillae“, wurde in vielen Medien als „Missing Link“ beworben. Nun weiß man endgültig, dass es kein Missing Link ist. Vielmehr gehört es zu den nun ausgestorbenen „Adapiden“.

Die Verdammung von Pornographie durch religiöse und feministische Kreise basiert auf überhaupt nichts. Im Gegenteil wurde festgestellt, dass sexuelle Gewalt mit der Verfügbarkeit von Pornographie zurückgeht. Außerdem haben inhaftierte Vergewaltiger laut einer Studie weniger Pornos gesehen als Nicht-Vergewaltiger und sie wurden mit höherer Wahrscheinlichkeit als Jungs dafür bestraft, sie sich anzusehen. Auch Menschen, die konkret Kinder missbraucht haben, haben weniger Pornographie konsumiert als andere.
Was die Einwände der Feministen angeht: „Studien von Männern, die Pornos gesehen haben, zeigten auf, dass sie toleranter und akzeptierender gegenüber Frauen waren als jene Männer, die solche Filme nicht gesehen haben.“
Und der Witz an der Sache: „Was mit hohen Sexualstraftaten korreliert, ist eine strenge, repressive religiöse Erziehung.“ Anstatt sich über Pornos zu beschweren, sollten religiöse Moralapostel lieber vor der eigenen Türe kehren.
Konservative haben keinen geringeren IQ [10]
Im Gegensatz zu dem, was beim SPIEGEL und bei zahlreichen anderen Medien berichtet wurde, haben Konservative im Vergleich zu Liberalen und Linken keinen geringeren IQ. Der Psychologe Rolf Degen hat sich gegenüber evo-magazin.de zum Thema geäußert: „In dieser Studie wurden ausschliesslich Jugendliche getestet. Bei Erwachsenen ließ sich dieser Zusammenhang in der Literatur nie nachweisen. Und da steckt das Problem: Das ist ein alter Hut. Wer als Jugendlicher nicht links war.... Was anderes beim Atheismus, da existiert der Zusammenhang auch bei Erwachsenen. Aber das ist ein schwacher Effekt.“
In einem neuen Buch namens „50 Great Myths of Popular Psychology“ werden beliebte psychologische Fehleinschätzungen korrigiert. Beispiele: Wenn man sich bei einem Test unsicher ist, wie die Antwort lautet, sollte man die erste Einschätzung korrigieren. Die erste Lösung ist statistisch gesehen eher falsch als die Korrektur. Außerdem: Man sollte seine Wut besser nicht ausdrücken, sondern sie unterdrücken. Der Ausdruck der eigenen Wut verstärkt sie nur. Drittens: Männer und Frauen kommunizieren zwar anders, aber sie sprechen beide rund 16 000 Wörter pro Tag im Durchschnitt. Männer sind nur wieder die Repräsentanten der Extreme: Sie sprechen häufiger mehr und häufiger weniger als Frauen. Schließlich: Erinnerungen an traumatische Erfahrungen werden gerade nicht unterdrückt, sondern sie verfolgen die Betroffenen (daher das post-traumatische Stresssyndrom).
Stress kennt keine Rücksicht [12]
Bei einem Vergleich zwischen dem Untergang der Titanic und dem Untergang der Lusitania haben Forscher bemerkt, dass Menschen eher dann anderen den Vorzug lassen, wenn sie eine Bedenkzeit hatten. Gilt sofortiges Handeln, entscheidet der Überlebensinstinkt. Bei Gefahr erhöht sich durch die Ausschüttung von Adrenalin der Herzschlag, die Muskeln spannen sich an und wir atmen schneller. Unter diesen Bedingungen denken wir eher an das eigene Überleben. So erkämpften sich beim rapiden Untergang der Lusitania die 16-35-jährigen Männer Plätze in den Rettungsbooten, beim langsameren Untergang der Titanic dagegen hatten Frauen und Kinder den Vorzug.
Wie man sein Leben einfach und schnell verbessert [13]
Im Gegensatz zu Tipps in Lebenshilfe-Büchern basieren die hier verlinkten Rezepte auf Erkenntnissen der empirischen Psychologie. Darunter: Wie findet man einen guten Ehepartner, wie steigert man die Preise bei eBay, wie gibt man erfolgreich an und wie bringt man ein anderes Unternehmen per Twitter dazu, die eigenen Probleme zu lösen?
Frauen tragen rosa Brille [14]
In der Anfangsphase einer Beziehung unterliegen Frauen laut „Psychologie Heute“ romantischen Illusionen und malen sich die Beziehung märchenhafter aus als Männer. Aber nach einem Jahr sehen auch Frauen die Welt realistischer, worunter die Beziehung aber nicht leidet.
Macht beeinflusst das moralische Denken [15]
Um zu bestimmen, was richtig und was falsch ist, orientieren sich Mächtige daran, ob Regeln und Prinzipien verletzt wurden und Machtlose sehen sich eher die Konsequenzen an. Dieses Verhältnis wird umgekehrt, sobald das Regel-Prinzip die Eigeninteressen der Mächtigen bedroht.
Expressives Schreiben gegen Depressionen [16]
Expressives Schreiben hilft gegen Depressionen bei Menschen, die zu ausartendem Grübeln neigen. Damit ist Schreiben gemeint, mit dem Gefühle direkt ausgedrückt werden. Ein Stil wie der von Goethes Werther: „Wie oft lull' ich mein empörtes Blut zur Ruhe, denn so ungleich, so unstet hast du nichts gesehn als dieses Herz. Lieber!“
Die Wahrheit über Alkohol [17]
In einer britischen Studie gaben 75% der Frauen an, sie hätten Angst, dass ihnen ein Mann Rohypnol oder ein anderes Betäubungsmittel in den Drink schüttet, um sie dann zu vergewaltigen. Zwar ist „Date Rape“ ein reales Problem: 70% der 160 000 vergewaltigten Frauen in England wurden 2008 von Männern missbraucht, die sie kannten. Aber Rohypnol spielte nur in 0-2% der Fälle, je nach Studie, eine Rolle, also so gut wie nie. Derweil waren ein Drittel der vergewaltigen Frauen während der Tat im Vollrausch und bekamen oft erst später mit, was eigentlich passiert war. Alkohol ist ein viel höherer Risikofaktor für Vergewaltigung als dafür vorgesehene Betäubungsmittel.
Andere Studien haben gezeigt, dass Minderjährige eher zu Alkohol greifen, wenn sich ihre Mütter darüber Sorgen machen, dass sie zu Alkohol greifen: Eine selbst-erfüllende Prophezeiung. Der Grad an Sorgen über Alkoholmissbrauch wurde vor dem tatsächlichen Missbrauch gemessen, also kann man ausschließen, dass die Sorgen mit dem Verhalten der Kinder zusammenhingen.
Außerdem wurde eine genetische Variation festgestellt, die dazu führt, dass einige Alkoholkonsumenten Acetaldehyd, ein Nebenprodukt des Alkoholkonsums, langsamer abbauen als den Alkohol. Dabei ist Acetaldehyd für die psychomotorischen Einschränkungen nach dem Alkoholkonsumen verantwortlich und nicht der Blut-Alkohollevel. Mit anderen Worten sind einige Menschen fahruntüchtig, obwohl sie den Blut-Alkohol-Test bestehen.

Mooney hat seine Seele verkauft [18]
...und zwar an die Templeton-Stiftung. Die Wissenschaftsjournalisten Chris Mooney und Sheril Kirshenbaum, selbst Atheisten, betreiben den Blog The Intersection [19]. In ihrem Buch Unscientific America machen sie die „Neuen Atheisten“ (Dawkins, Harris, Hitchens, etc.) für die Wissenschaftsfeindlichkeit in den USA verantwortlich.
Zwar ist der Neue Atheismus viel jünger als die seit Jahrzehnten unveränderte „Wissenschaftsfeindlichkeit“ – oder vielmehr Unwissenheit – breiter Bevölkerungsschichten, aber wer das Gegenteil behauptet, bekommt nicht nur Geld von Templeton, sondern er bekommt auch noch eine halbe Stunde Sendezeit als Moderator von Point of Inquiry, dem einflussreichen Podcast der großen säkular-humanistischen Organisation Center for Inquiry. Mooneys Thema dort: „Wissenschaft und Öffentlichkeitsarbeit“. Wie kommt das? Weil die Neuen Atheisten selbst in den eigenen Reihen als Unheilsbringer dämonisiert und als Sündenböcke missbraucht werden.
Die USA ist Umfragen zufolge [20] eigentlich nicht wissenschaftsfeindlich, sondern überaus wissenschaftsfreundlich. Das Problem besteht vielmehr darin, dass gläubige Amerikaner keinen Konflikt zwischen ihrem Glauben und der Wissenschaft erkennen können und im Zweifelsfall ihrem Glauben Vorrang geben würden.
Die Neuen Atheisten kommen hier ins Spiel, indem sie auf die Unvereinbarkeiten zwischen bestimmten religiösen Behauptungen und wissenschaftlichen Erkenntnissen und Methoden hinweisen. Oberflächlich betrachtet könnten sie damit die Zustimmung zur Wissenschaft untergraben. Aber das ist insofern ziemlich egal, weil viele Gläubige der Wissenschaft offenbar nur darum zustimmen, weil sie diese inhaltlich gar nicht verstehen. Sie bestätigen lediglich eine kulturelle Erwartungshaltung (die USA ist das einzige Land, das gezielt auf den Prinzipien der Aufklärung gegründet wurde und viele der Gründerväter waren praktizierende Wissenschaftler).
Die Templeton-Stiftung [21] ist eine sehr wohlhabende Organisation, die Wissenschaftler und Journalisten finanziell fördert, wenn sie Wissenschaft und Glaube als vereinbar ausgeben. Chris Mooney bekommt von der Stiftung 15 000 Dollar, wenn er zwei Monate nach Cambridge geht und am Ende ein „Term Paper“ über das Thema schreibt. Es ist offenbar sehr einfach, in das Programm aufgenommen zu werden.
Im Prinzip ist das einfach Bestechung, wie Jerry Coyne betont [21]. Es ist angesichts der hohen Anforderungen für Normalsterbliche äußerst schwierig, nach Cambridge zu kommen, aber wenn man die Wissenschaft nur genügend untergräbt und alte Dogmen lobpreist, bekommt man ein goldenes Ticket und 15 000 Dollar, plus hervorragende Karrierechancen im professionellen Heucheln. Mal sehen, wann es die Templeton-Lehre in die Schulbücher schafft – die Jungferngeburt Marias ist biologisch nämlich durchaus plausibel.
Aber warum ist das relevant? Weil man hier eine der Motivationen von bestimmten Wissenschaftlern erkennen kann, warum sie den Leuten im Fernsehen und anderswo erzählen, wie gut sich doch der Glaube an absurde Dogmen mit der kritischen Methode der Wissenschaft vereinbaren ließe: Entweder sie sind selbst gläubig, haben keine Ahnung, oder wollen Geld (lässt sich auch kombinieren).
AM
Links:
[1] http://www.darwin-jahr.de/sites/darwin-jahr.de/files/story/node-399-672.jpg
[2] http://www.nytimes.com/2010/03/02/science/02evo.html?pagewanted=1&em
[3] http://whyevolutionistrue.wordpress.com/2010/03/03/how-culture-affects-genes-and-vice-versa-2/
[4] http://www.wissenrockt.de/2010/03/03/evolution-was-ist-die-treibende-kraft/
[5] http://idw-online.de/pages/de/news358479
[6] http://www.cell.com/current-biology/fulltext/S0960-9822%2809%2902071-5
[7] http://www.theness.com/neurologicablog/?p=1699
[8] http://whyevolutionistrue.wordpress.com/2010/03/06/ida-not-a-missing-link/
[9] http://www.the-scientist.com/2010/3/1/29/1/
[10] http://ow.ly/1cLHK
[11] http://www.skeptic.com/eskeptic/10-02-24/
[12] http://ow.ly/1d6ox
[13] http://www.bakadesuyo.com/digest-how-to-quickly-and-easily-improve-your
[14] http://www.maerkischeallgemeine.de/cms/beitrag/11746068/7249995/Frauen-neigen-zu-verklaertem-Blick-auf-ihre-Beziehung.html
[15] http://www.bakadesuyo.com/does-power-influence-moral-thinking
[16] http://www.bakadesuyo.com/how-to-quickly-and-easily-fight-depression
[17] http://seedmagazine.com/content/article/a_sober_assessment/
[18] http://blogs.discovermagazine.com/intersection/2010/02/27/the-rumors-of-my-fellowship-have-been-greatly-accurate/
[19] http://blogs.discovermagazine.com/intersection
[20] http://www.secularhumanism.org/index.php?section=library&page=kaminer_30_2
[21] http://whyevolutionistrue.wordpress.com/2010/02/27/the-templeton-bribe/