Presseschau | 26.02.2010
Und viele ihrer Facetten haben es in diese Presseschau geschafft. Es geht um die Wirkung von Nahrungsergänzungsmitteln, um Sauropoden, um Tierrechte und um ein Verbot von Zoos. Wir sehen uns das Gehirn an und wo sich die Intelligenz darin befindet. Auch die Gerechtigkeit ist im Gehirn beheimatet. Außerdem glauben die Leute alles, wenn man was über Gehirne sagt. Es geht um Hundegulasch, Super-Atheisten und diabolische Materialisten. Ein buntes Sorbet schmackhafter Wissenschaft und Philosophie.
Die Wirkung von Nahrungsergänzungsmitteln [2]
Der Astronom Florian Freistetter hat eine Grafik entdeckt, welche die wissenschaftlichen Belege für die Wirksamkeit von Nahrungsergänzungsmitteln aufzeigt. Es scheint kaum einen Zusammenhang zwischen der Beliebtheit der Mittel und ihrer Wirksamkeit zu geben. Zum Beispiel sind grüner Tee, „Omega 3“-Fettsäuren und Vitamin D sehr beliebt und zugleich auch sehr wirksam (= gut für die Gesundheit). Ebenso beliebt sind aber die wirkungslosen Mittel Beta-Carotin, Kupfer und Vitamin A. Dies zeigt auf, wie bemerkenswert unfähig wir sind, wirksame von unwirksamen Nahrungsergänzungsmitteln zu unterscheiden – selbst, wenn man bedenkt, dass wir Nahrungsmittel auch wegen dem Geschmack zu uns nehmen (welchen Geschmack haben Kupfer und Vitamin A?). Man fragt sich, wie wir eigentlich so lange überleben konnten. Also: Nicht auf Instinkte und Hörensagen verlassen, sondern lieber auf die Wissenschaft!
Sauropoden schlangen Nahrung hinunter [3]
Der Fund vier neuer Dinosaurierschädel zeigt auf, dass Sauropoden („Langhälse“) ihre pflanzliche Nahrung nicht zerkauten, wie sie das zum Beispiel im Film „Jurassic Park“ tun, sondern sie schnappten nach den Blättern und schluckten sie unzerkaut hinunter. Ihre Schädel sind zu leicht und nicht für eine starke Zahnmuskulatur angelegt.
Angriff der Tierrechts-Extremisten [4]
Tierrechtler neigen immer häufiger zur Gewalt, was umso bedauerlicher ist, als ihr Anliegen ja nicht völlig unberechtigt erscheint. Der Neurowissenschaftler Dario Ringach, der Experimente an Affen durchführte, erhielt nicht nur Morddrohungen am Telefon und per E-Mail. Maskierte Gangster der Tierrechtsbewegung schlugen nachts an die Scheiben des Kinderzimmerfensters. Über Nachbarn machten sie die Schule ausfindig, die seine Kinder besuchten und terrorisierten sie dort und erzählten den Mitschülern, was für ein schlimmer Mensch ihr Vater wäre. Einem Kollegen von Ringach stellten sie einen brennenden Molotov-Cocktail vor die Haustür (allerdings aus Versehen vor die seiner Nachbarn). Mal wieder ein Zeichen angeblicher moralischer Überlegenheit: Die Tierrechtler glauben, sie wären ethisch weiterentwickelt als der Rest der Menschheit und das gibt ihnen aus ihrer Sicht das Recht, Menschen zu terrorisieren und Brandbomben auf ihre Häuser, Labors und Autos zu werfen. Mit der Tierrechtsbewegung von Peter Singer, der Angriffe auf Forscher immer strickt ablehnte, hat das nichts mehr zu tun. Siehe auch PZ Myers zum Thema [5].
Zoos verbieten! [6]
Wo wir schon von Tierrechten sprechen – es gibt wirklich gute Gründe, Zoos zu verbieten. Biologe Jerry Coyne geht auf das Thema näher ein und erläutert, warum Zoos so gut wie nutzlos für die Bildung sind und nur der Unterhaltung und der Geldmacherei dienen. Dies geht jedoch auf Kosten der Tiere, die in einer unnatürlichen Umgebung leben müssen (meist nicht sehr lange) und die ihre Instinkte nicht ausleben können. Für die Forschung sind Zoos ebenfalls sinnlos, so bemerkte H.L. Mencken einst: „Ein Universitätsprofessor, der zum Beispiel die Gewohnheiten einer Giraffe erforscht und seine Beobachtungen auf Exemplare in einem Zoo beschränkt, würde zwangsweise zur Schlussfolgerung gelangen, dass Giraffen ortsgebundene und melancholische Tiere sind, die stundenlang reglos herumstehen und die einen Italiener dafür bezahlen, dass er sie mit Heu und Kohlköpfen füttert.“
Ultimativ wird man bei Tierrechten Kompromisse eingehen müssen, da es zum Beispiel gute Gründe für spezifische Arten von Tierversuchen gibt. Aber ob man Tiere zur bloßen Unterhaltung quälen muss, das ist schon wieder eine ganz andere Frage.
Vor diesem Bildschirm. Und in unserem Gehirn befinden sich die für Intelligenz zuständigen Areale in einem weitverzweigten Netzwerk im Stirn- und Scheitellappen. Demnach ist nicht das Gesamtgehirn mit der Erzeugung von Intelligenz befasst. Die Befunde stützen die „parieto-frontale Integrations-Theorie“ der Intelligenz, laut der sie davon abhängt, „verschiedene geistige Leistungen miteinander in Zusammenhang zu bringen“, so Neurowissenschaftler Ralph Adolphs.
Gott Vater [8]
Kleine Kinder lernen eher von Erwachsenen als von ihren Altersgenossen und akzeptieren die Anweisungen der Großen als die Wahrheit, wie eine neue Studie bestätigt. Die Kinder korrigieren sogar ihre Altersgenossen, wenn diese sich nicht an die Regeln halten, welche die Erwachsenen vorgegeben haben. Also ist es in der Tat wichtig, Kindern ein gutes Beispiel zu sein. Und vielleicht auch sich selbst.
Die Gerechtigkeit sitzt nicht auf einer Wolke, sondern in unserem Gehirn. Genauer im Präfrontalen Cortex und im Striatum. Dort, so hat eine aufwändige Studie mit 40 Teilnehmern, die man in die Röhre gesteckt hat (Magnetresonanztomographie) gezeigt, ist eine stärkere Aktivität zu verzeichnen, wenn jemand ungerecht behandelt wird. Bei einem Geldspiel missgönnten Arme den Reichen ihre Gewinne, wobei sich Reiche freuten, wenn die Armen gewannen und sich die Einkommensunterschiede verringerten. Arme Spieler freuten sich mehr, wenn sie Geld erhielten als wenn andere Geld erhielten. Bei Reichen war es umgekehrt, es sei denn, sie spielten gegen andere Reiche. Insgesamt ist unser Gerechtigkeitsempfinden auf geringe Einkommensunterschiede ausgelegt. Dies erklärt, warum eine ganze Reihe von Gesellschaftskrankheiten mit großen Einkommensunterschieden korrelieren: Kindersterblichkeit [10], geringe Lebenserwartung [11], Geschlechtskrankheiten [12], Teenagergeburten [13], Gewaltverbrechen [14], Korruption [15], psychische Störungen [16] und Verluste in der Biodiversität [17]. Außerdem steigt mit den Einkommensunterschieden die Religiosität einer Gesellschaft.
Hirnregion für Begeisterung für Hirnregionen entdeckt [18]
Nun wurde endlich auch die Hirnregion entdeckt, die Menschen dazu veranlasst, bunte Gehirnbilder für irgendwie wissenschaftlich oder relevant zu halten, auch wenn sie das gar nicht sind – übrigens tun sie das wirklich, so das Ergebnis einer echten Studie von 2008. Eine andere Studie aus dem selben Jahr hat gezeigt, dass ein zusätzlicher Satz über das menschliche Gehirn den selben Effekt hat. Offenbar gibt es eine Art von Gehirn-Aberglauben, laut dem man nur das Gehirn erwähnen muss, um unsinnige Aussagen über die menschliche Natur überzeugend klingen zu lassen (das war übrigens kein Tipp).
Was tun, wenn Eltern spinnen? [19]
Sind die Eltern psychisch krank, ist das auch eine Belastung für ihre Kinder. Ein Lehrer sollte sich um sie kümmern oder der Schulpsychologe. Wenn abwertende Sprüche von anderen Schülern kommen, etwa, dass die Eltern „spinnen“, so kann man dies als Lehrer nutzen, um über psychische Krankheiten aufzuklären.
Hundegulasch und Kätzchenbraten [20]
Warum existieren Nahrungstabus? Dem Ethnologen Christoph Antweiler (auch in unserem Komitee vertreten) zufolge, dienen Nahrungstabus zur Abgrenzung. Was die andere Gruppe isst, wird als „eklig“ definiert und so konstruiert man ein „wir“-Gefühl für die eigene Gruppe, die im Gegensatz zu den Chinesen keine Hunde isst (aber stattdessen Schweine, die ähnlich leidensfähig sind). Am sinnvollsten wäre es, wenn nur giftige Nahrung und vielleicht besonders leidensfähige Tiere als Tabu gelten würden. Dies würde auch die Anpassungsfähigkeit an neue Umwelten erhöhen, da man es nicht unterlassen müsste, etwas zu essen, was man aus biologischer Sicht ruhig essen kann. Auch interessant: Dieser Artikel bei Focus wurde nur mit 2 von 5 Sternen bewertet, was wohl daran liegt, dass die Leser entweder den Gedanken an Kätzchenbraten für geschmacklos hielten oder die Aufklärung über ihre albernen Nahrungstabus. Beides keine guten Gründe. Wir fordern: Ab sofort 5 Sterne für gute Wissenschaftsartikel!
Atheisten sind im Durchschnitt intelligenter als Gläubige und sie sind liberaler. So weit nichts Neues, auch wenn eine aktuelle Studie diese älteren Befunde einmal mehr bestätigt hat. Neu ist jedoch: Atheisten bleiben nachts länger wach, schlafen länger und stehen später auf. Ebenso neu und viel erstaunlicher: Atheistische Männer sind treuere Partner und leben eher monogam.
Gemeinsam haben all diese Eigenschaften, dass sie evolutionäre Neuerungen sind, so der Evolutionspsychologe Satoshi Kanazawa. Und intelligentere Menschen kommen besser damit zurecht, diese Neuerungen zu akzeptieren. Frauen sind ohnehin von Natur aus eher monogam ausgerichtet als Männer, weshalb das bei ihnen kein Kriterium ist. Also sind monogame Männer die fortschrittsbegeisterten Nerds – und nicht die Schürzenjäger. Religiosität kann als eine Art Paranoia gesehen werden, so der Psychologe, was in Urzeiten Vorteile gehabt haben mochte, da überall Gefahren lauerten. In unseren sicheren Gesellschaften kann man sich dagegen entspannen. Diese Erklärung passt gut zur Nebenprodukt-Theorie der Religiosität, die sich gerade durchsetzt. Demnach neigen wir eher zur Religiosität oder allgemein zum Aberglauben, wenn wir unsicher sind. Und dies hängt stark von Umweltfaktoren ab. Wenn hinter jedem Busch ein Löwe lauern kann, dann sind wir eben unsicherer und sehen Muster (z.B. Löwen oder Geister), wo keine sind.
Der Theologe Dr. Hans Kessler, auf der Website des Bistums Trier als „Religionswissenschaftler“ bezeichnet (das ist übrigens etwas anderes), deutete die Evolution in Abgrenzung vom Kreationismus und einem „materialistischen Fundamentalismus“. Damit wird das aktuelle Theologenspielchen weitergeführt, mit dem sie religiöse Fundamentalisten und Naturalisten auf eine Ebene stellen wollen. „Der Schöpfungsglaube sei eine vernünftige Option“, heißt es. Ferner: „Wer aber nach Gott fragt, fragt nach dem Grund des ganzen und nicht nur nach einem Glied in einer unendlichen Ursachenkette.“ Die Schöpfung sei die Voraussetzung für die Evolution. Sehen wir uns das einmal näher an:
Theologen akzeptieren für gewöhnlich, dass das Universum mit dem Urknall begonnen hat. Gott sei für diesen verantwortlich und habe somit auch den Prozess der Evolution als seine Schöpfungsmethode eingeleitet. Aber wozu braucht Gott einen Urknall? Das ist ein extrem langsamer, komplizierter und verschwenderischer Weg, um ein Universum, geschweige denn Menschen, zu erschaffen. Warum erschafft Gott das Universum nicht einfach spontan, ohne große Umwege? Warum erschafft er unzählige Galaxien, darunter unermessliche viele schwarze Löcher (laut dem Physiker Lee Smolin ist das Universum sogar für schwarze Löcher, und nicht für Leben, „gemacht“)? Warum erschafft Gott nicht einfach nur Erde und Sonne, vielleicht noch den Mond, wenn es doch um uns geht? Warum erschafft er uns überhaupt auf eine Weise, dass wir die Sonne nötig haben?
Wozu benötigt Gott Quarks, Neutrinos und Milliarden Jahre mechanischer Prozesse? Wie gelangen wir von „Gott hat es gemacht“ zu einer Antwort auf die Frage, wie viele Arten von Quarks existieren? Wie gelangen wir auf diese Weise zu irgendeiner Antwort? „Gott“ erklärt gar nichts.
Warum sollte Gott existieren? Warum ein spezifischer Gott und nicht ein anderer? Woher kommt er? Wenn er schon immer da war, warum hat er die Form, die er hat, und keine andere? Wenn Gott schon vor der Existenz von Zeit und Raum existierte, wo und wann soll er existiert haben, was bedeutet in einem solchen Fall überhaupt „Existenz“? Sollte Gott in einem von der natürlichen Welt unabhängigen Ort existiert haben, wo bereits eine Art von Raum und Zeit existierte, wie sind diese dann entstanden und wie interagieren sie mit der natürlichen Welt?
Wenn Gott so einen großen Einfluss hatte, warum können wir überhaupt keine Belege für sein Wirken erkennen? Warum ist alles exakt so, wie es wäre, wenn kein Gott existierte?
Wissenschaftler vermeiden so genannte „Ad Hoc“-Erklärungen. Das ist etwas, was man erfindet, ohne dafür Belege zu haben. Das kann unter Umständen Sinn ergeben, wie bei Lee Smolins Idee einer „kosmologischen Vererbung“, weil die Belege schlicht nahelegen, dass noch etwas existiert (die Rede ist von einem weiteren Naturgesetz, nicht von Gott). Die einzigen Dinge, deren Existenz jemals tatsächlich bewiesen worden sind, sind Materie, Energie und Raumzeit – und selbst diese lassen sich wahrscheinlich weiter reduzieren auf bloße Raumzeit, weil Energie aus einer bestimmten Interaktion der Raumzeit resultiert und Materie aus einer bestimmten Anordnung von Energie. Die physikalischen Gesetze (Naturgesetze) sind eigentlich nur Beschreibungen der Art und Weise, wie sich die Raumzeit verhält und bereits in ihrer Beschaffenheit angelegt. Es gibt durchaus Naturalisten, die sehr viel mehr postulieren als bloße Raumzeit, aber sie geben dafür wengistens Gründe an und erläutern, inwiefern ihre Annahmen real existierende Phänomene erklären könnten.
Theologen tun dies mit Gott nicht. Sie erklären weder, was Gott eigentlich ist, noch, wie genau er die Welt erschaffen hat, noch, woher er kommt. Was sollen wir also mit ihm?
AM
Links:
[1] http://www.darwin-jahr.de/sites/darwin-jahr.de/files/story/node-398-670.jpg
[2] http://www.scienceblogs.de/astrodicticum-simplex/2010/02/coole-grafik-wissenschaftliche-belege-fur-die-wirkung-von-nahrungserganzungsmitteln.php?utm_source=feedburner&utm_medium=feed&utm_campaign=Feed:+ScienceBlogs/AstrodicticumSimplex+%28ScienceBlogs+/+Astrodicticum+Simplex%29
[3] http://www.scinexx.de/wissen-aktuell-11282-2010-02-25.html
[4] http://scienceblogs.com/insolence/2010/02/animal_rights_thugs_researchers_children.php?utm_source=feedburner&utm_medium=feed&utm_campaign=Feed:+scienceblogs/insolence+%28Respectful+Insolence%29
[5] http://scienceblogs.com/pharyngula/2010/02/terrorists_of_the_animal_right.php
[6] http://whyevolutionistrue.wordpress.com/2010/02/26/animals-should-not-be-entertainment/
[7] http://ow.ly/1adVb
[8] http://www.wissenschaft.de/wissenschaft/news/310085
[9] http://ow.ly/1b4W5
[10] http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/17175841
[11] http://eprints.ucl.ac.uk/631/1/Income_Inequality_Italy_21_Nations.pdf
[12] http://www.hawaii.edu/hivandaids/Predictors_of_Gonorrhoea,_Syphilis,_Chlamydia_and_AIDS_Case_Rates_in_the_US.pdf
[13] http://www.ajph.org/cgi/reprint/95/7/1181
[14] http://www.sow.vu.nl/pdf/fajnzylber.pdf
[15] http://www.iq.harvard.edu/blog/sss/attachments/Inequality.and.Corruption.You&Khagram.%28ASR.Feb.05%29.pdf
[16] http://jech.bmj.com/cgi/content/extract/60/7/646
[17] http://www.plosone.org/article/info:doi/10.1371/journal.pone.0000444
[18] http://www.mindhacks.com/blog/2010/02/area_responsible_for.html
[19] http://www.focus.de/schule/schule/psychologie/tid-17105/psychologie-wenn-eltern-psychisch-krank-sind_aid_476819.html
[20] http://www.focus.de/wissen/wissenschaft/evolution/tid-17081/nahrungstabus-hundegulasch-und-kaetzchenbraten_aid_476131.html
[21] http://www.heise.de/tp/r4/artikel/32/32160/1.html
[22] http://cms.bistum-trier.de/bistum-trier/Integrale?SID=CRAWLER&MODULE=Frontend&ACTION=ViewPageView&PageView.PK=7&Document.PK=70696