Gastbeitrag | 22.01.2010
Der Kosmologe Sean Carroll schaltet sich in die Debatte über die Vereinbarkeit von Wissenschaft und Religion ein. Welche Haltung sollten Wissenschaftsorganisationen zu dieser Frage vertreten? Auch in Deutschland neigen diese eher dazu, von einer selbstverständlichen Vereinbarkeit auszugehen. Das aber eher aus politischen Gründen. Sean Carroll argumentiert dagegen, dass es der Wissenschaft um die Wahrheit gehen muss.
Drüben bei der „Intersection“ (Anm des Übers: Ein Blog) ist Chris Mooney besorgt [2], dass wir keinen Krach zwischen Wissenschaft und Religion hatten für, wie lange schon, einige Tage? Also möchte er Organisationen wie das National Center for Science Education [3] verteidigen, die sich dazu entschlossen haben, die Wissenschaft zu fördern, indem sie alle Konflikte zwischen Wissenschaft und Religion herunterspielen. Zum Beispiel sponsort das NCSE ein Glaubensprojekt [4], in dem man sich davon überzeugen kann, dass Wissenschaftler lange nicht so gottlos sind, wie uns die Zeitungen glauben machen.
In der wirklichen Welt haben Wissenschaftler unterschiedliche Meinungen über Religion. Einige von uns denken, dass Wissenschaft und Religion (siehe hier für gebräuchliche Definitionen von Wissenschaft [5] und Religion [6]) unvereinbar sind. Andere halten sie für vollkommen konsistent miteinander. (Es lohnt sich, darauf hinzuweisen, dass es sich bei „X ist wahr“ und „Es gibt Leute, die glauben, dass X wahr ist“ nicht um dieselbe Aussage handelt, im Gegensatz zu dem, was Chad [7] und Chris [8] und andere uns glauben machen wollen. Ich habe mehrmals versucht, diese Unterscheidung zu betonen, doch es hat kaum etwas gebracht.)
Als Antwort auf diese Situation haben wir kompromisslosen Atheisten eine typischerweise lautstarke und wichtigtuerische Meinung: Organisationen, die sich als „Zentren für wissenschaftliche Bildung“ und „Wissenschaftsgesellschaften“ und „Wissenschaftliche Akademien“ bezeichnen, sollten keine Position gegenüber religiösen Fragen einnehmen. Haarsträubend, ich weiß. Dennoch meinen wir, dass Organisationen, die sich der Wissenschaft verschrieben haben, nicht in die Theologie abwandern sollten, wenn auch mit den besten Intentionen. Sprich einfach über Wissenschaft und jeder sollte glücklich sein.
Aber sie sind nicht glücklich; Chris und andere (Josh Rosenau bei Thoughts from Kansas [9] ist ein nachdenkliches Beispiel) glauben, dass das NCSE effektiver sein kann, wenn es präventiv Leute davon zu überzeugen versucht, dass Wissenschaft und Religion nicht unvereinbar sein müssen. Als Argument in Richtung dieser Schlussfolgerung versucht uns Chris mit folgender hypothetischer Konversation zwischen einem Gläubigen und einem Repräsentanten des NCSE zu schockieren:
Gläubiger: Ich weiß, dass Sie sagen, Evolution wäre gute Wissenschaft, aber ich fürchte mich vor dem, was mein Pastor sagt – dass deren Akzeptanz der Weg zur Verdammnis sei.
NCSE: Unseren Richtlinien zufolge sprechen wir nur über Wissenschaft und nehmen keine Position ein gegenüber religiösen Fragen. Also könnten wir das nicht kommentieren.
Gläubiger: Ich habe einen Freund, der die Evolution akzeptiert, aber er hat auch damit aufgehört, zur Kirche zu gehen und das beunruhigt mich.
NCSE: Wir können Ihnen lediglich sagen, dass die Evolution die Grundlage der modernen Biologie ist und in der wissenschaftlichen Gemeinschaft universell akzeptiert wird.
Gläubiger: Ich sorge mich um meine Kinder. Wenn ich sie in der Schule etwas über die Evolution lernen lasse, werden sie dann eines Tages nach Hause kommen und mir erzählen, dass wir nichts sind als Materie in Bewegung?
NCSE: …
Worauf ich nur antworten kann... na und? Das erscheint mir keineswegs allzu schlecht zu sein. Wollen wir tatsächlich, dass Vertreter des NCSE sagen: „Nein, die Behauptung, dass Evolution der Weg zu Verdammnis ist basiert auf einer falschen Interpretation der Bibel und ist ziemlich schlechte Theologie. Wenn wir bis zum heiligen Augustinus zurückgehen, sehen wir, dass die Kirche eine lange Tradition von...“ Erwürgt mich mit einem Teelöffel, wie es die Kids heutzutage so weit ich weiß ausdrücken.
Natürlich könnte man sich auch folgendes vorstellen:
Gläubiger: Ich weiß, dass Sie sagen, Evolution wäre gute Wissenschaft, aber ich fürchte mich vor dem, was mein Pastor sagt – dass deren Akzeptanz der Weg zu Verdammnis sei.
NCSE: Ach, da machen Sie sich mal keine Sorgen. So etwas wie die „Verdammnis“ existiert nicht und Ihr Pastor hat sie nur irregeleitet.
Gläubiger: Ich habe einen Freund, der die Evolution akzeptiert, aber er hat auch damit aufgehört, zur Kirche zu gehen und das beunruhigt mich.
NCSE: Nun, das geschieht eben. Eine längere Auseinandersetzung mit wissenschaftlichen Denkweisen kann Leute dazu bringen, ihre religiösen Ansichten aufzugeben. Aber machen Sie sich keine Sorgen: Sie werden glücklicher sein und eine stimmigere Meinung über die Art und Weise haben, wie das Universum funktioniert, sollte das geschehen.
Gläubiger: Ich sorge mich um meine Kinder. Wenn ich sie in der Schule etwas über die Evolution lernen lasse, werden sie dann eines Tages nach Hause kommen und mir erzählen, dass wir nichts sind als Materie in Bewegung?
NCSE: Das wäre toll! Denn das ist es, was wir sind. Aber es ist nicht so deprimierend, wie Sie es darstellen; die Art und Weise zu verstehen, wie die Welt funktioniert, ist der erste Schritt, so viel wie möglich aus seinem Leben zu machen.
Wie fantastisch wäre das denn? Ich rede einem solchen Dialog in diesem speziellen Kontext nicht das Wort – wie ich eben gesagt habe, sollten wissenschaftliche Organisationen einfach einen direkten Kurs fahren. Aber diese Antworten haben einen großen Vorteil, nämlich jenen, dass ich sie für „wahr“ halte.
Das ist der Kern der Sache. Interessensvertreter und Bildungsorganisationen haben das Ziel, Wissenschaft und Bildung so gut wie möglich zu unterstützen, aber es gibt Grenzen. Zum Beispiel sollten sie bei der Wahrheit bleiben. Ich habe versucht, in meinem Beitrag über Politiker und Kritiker [10] hierfür zu argumentieren – das Hauptziel von einigen Leuten ist die Vertretung von irgendeiner Sache, während andere schlicht der Wahrheit verpflichtet sind. Aber eine Organisation, welche die Interessen der Wissenschaft vertritt, muss beide einbeziehen.
Und es gibt einige Wissenschaftler – eine ganze Menge von uns sogar – die ohne Umschweife glauben, dass Wissenschaft und Religion unvereinbar sind. Es gibt zweifellos auch jene, die nicht dieser Meinung sind, klare Sache. Aber die Wahrheit festzustellen ist eine Aufgabe, die einer ehrlichen und effektiven Interessensvertretung vorausgeht, nicht eine, die man einfach unter den Teppich kehren kann, wann immer sie unbequem ist oder wann immer sie nicht als die beste Verkaufsmasche taugt. Das ist auch der Grund, warum es sich lohnt, immer wieder diese Debatten über Wissenschaft und Religion durchzugehen, sogar im Angesicht von wiederholt krassen Falschdarstellungen seiner Meinungen. Falls Wissenschaft und Religion wirklich unvereinbar sind, dann wäre es unehrlich und verantwortungslos, etwas anderes zu behaupten, selbst wenn es ein paar beunruhigte Seelen trösten könnte, wenn man das tut. Und falls Sie argumentieren wollen, dass Wissenschaft und Religion tatsächlich vereinbar sind (und nicht nur, dass es Leute gibt, die das glauben), dann argumentieren Sie bitte auf jeden Fall dafür – diese Diskussion lohnt sich. Aber es ist einfach falsch, die Position zu vertreten, dass es egal ist, ob Wissenschaft und Religion vereinbar sind, dass wir immer noch so tun müssten, um die Gefühle der Menschen nicht zu verletzen. Das ist unehrlich.
Ich habe kein Problem damit, wenn das NCSE und andere Organisationen darauf hinweisen, dass es Wissenschaftler gibt, die religiös sind. Das ist eine unumstrittene Tatsachenbehauptung. Aber ich habe ein großes Problem damit, wenn sie Aussagen darüber tätigen, ob man sich in einem Konflikt mit der Wissenschaft befindet, wenn man religiöse Ansichten vertritt (oder andersherum), oder wenn man „Glaubensprojekte“ gründet oder allgemein Partei für politisch vorteilhafte Seiten ergreift, die nicht streng wissenschaftlich sind. Und Leuten zu erklären, wo ihre Pastoren falsch lagen, wenn sie über Verdammnis sprechen? Auf keinen Fall.
Momentan gibt es keinen starken Konsens innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaft, was in Hinsicht auf Wissenschaft und Religion eigentlich zutrifft; ich habe meine Ansichten, aber leider werden diese nicht universell geteilt. Also sollte die Strategie für das NCSE und andere Organisationen offensichtlich sein: Bleibt dem Thema einfach fern. Sprecht weiterhin über Wissenschaft. Ja, das ist eine Strategie, mit der man einige potenzielle Konvertiten (sozusagen) verlieren kann. So sei es! Der Grund, warum es sich lohnt, diese Schlacht überhaupt zu schlagen, besteht darin, dass wir uns der Aufgabe gewidmet haben, die Wahrheit zu verkünden und nicht nur, um ein paar politische Geplänkel zum Selbstzweck zu gewinnen. Denn was gewinnt ein Mensch, wenn er die ganze Welt erhält, aber seine Seele verliert? (Mt. 16:26.)
Sean Carroll
Quelle: Cosmic Variance [11]
Sie können über den Artikel auf feuerbringer.com diskutieren [12].
Sean Carroll ist Theoretischer Astrophysiker. Von ihm stammt der einflussreiche Wissenschaftsblog Cosmic Variance [13]. Er ist außerdem Autor des neuen Buches „From Eternity to Here“. Wie zunehmend viele Wissenschaftler lehnte es Carroll ab, auf einer Konferenz der christlichen John Templeton Stiftung aufzutreten, um nicht den Eindruck zu erwecken, er würde Wissenschaft und Religion für vereinbar halten.
Links:
[1] http://www.darwin-jahr.de/sites/darwin-jahr.de/files/story/node-379-640.jpg
[2] http://blogs.discovermagazine.com/intersection/2010/01/19/what-should-science-organizations-say-about-religion-answer-a-lot/
[3] http://ncse.com/
[4] http://ncse.com/religion
[5] http://blogs.discovermagazine.com/cosmicvariance/2009/07/15/what-questions-can-science-answer/
[6] http://blogs.discovermagazine.com/cosmicvariance/2009/06/23/science-and-religion-are-not-compatible/
[7] http://scienceblogs.com/principles/2010/01/a_statement_of_fact_cannot_be.php
[8] http://blogs.discovermagazine.com/intersection/2010/01/11/orzel-nails-it-on-science-and-religion/
[9] http://scienceblogs.com/tfk/
[10] http://blogs.discovermagazine.com/cosmicvariance/2008/03/23/politicians-and-critics/
[11] http://blogs.discovermagazine.com/cosmicvariance/2010/01/19/the-truth-still-matters/
[12] http://feuerbringer.com/2010/01/22/die-wahrheit-zahlt-noch/
[13] http://cosmicvariance.com/