
Presseschau | 18.12.2009
Hier gibt es mehr über Evolution und Kapitalismus. Außerdem: Cornflakes aus der Steinzeit, ein künstliches Gehirn, schlaue Kraken, tanzende Väter und der Satzbau von Affen. Schlechte Nachricht: Die Neurotheologie wird religiös unterwandert.
Das kapitalistische Schwein [2]
„Es ist selbstredend, dass es in den Kreisläufen der Natur kein Privateigentum gibt. Durchgesetzt haben sich bei unseren Ahnen im Laufe der Evolution jene, die aggressiver und besitzergreifender waren. Sie bezeichneten die gewaltsame Aneignung als Privatisierung.“ Das schreibt zumindest der Biologe Andreas Kilian in seinem Gastbeitrag auf darwin-jahr.de [3]. Der Psychologe Rolf Degen hat prompt widersprochen und den Link zu seinem eigenen Beitrag rübergeschickt, in dem er zu einer anderen Schlussfolgerung gelangt: „Mit der Devise 'Eigentum ist Diebstahl' hat die Studentenbewegung ihre Vorbehalte formuliert. Doch jetzt zwingen uns Verhaltensforscher, Psychologen und Ökonomen mit neuen Daten und Theorien zum Umdenken. Danach haben wir mit vielen Tieren einen angeborenen Besitzinstinkt gemeinsam, der uns ein Bauchgefühl für den Umgang mit Mein und Dein vermittelt.“
In der Tat sollte man vorsichtig sein mit der Vermischung von Wissenschaft und Politik, gerade im Falle der Evolutionsbiologie. Kein geringerer als Michael Shermer, Gründer des US-Skeptiker, nimmt genau die gegenteilige Perspektive von Andreas Kilian ein, wenn er in seinem Buch The Mind of the Market [4] behauptet, dass die freie Marktwirtschaft am besten zur Natur des Menschen passe.
Cornflakes in der Mittleren Altsteinzeit [5]
Auch ohne Landwirtschaft sind Menschen schon vor über 100 000 Jahren an ihr Getreide gekommen: In einer Steinzeithöhle in Mosambik wurde wildes Getreide entdeckt, genauer Sorghumhirse. Damit wird eine Theorie [6] hinfällig, laut der sich Zivilisationen aufgrund von psychoaktiver Substanzen im Getreide entwickelten.
Das Gehirn wird nachgebaut [7]
Forscher des „Blue Brain Project“ befassen sich mit dem Nachbau des menschlichen Gehirns. Projektleiter Henry Markram: „Wenn wir unser Gehirn in den nächsten zehn bis 15 Jahren nicht verstehen lernen, werden wir die Konsequenzen tragen müssen. Neurologische Erkrankungen wie z.B. Alzheimer sind auf dem Vormarsch, da wir alle immer älter werden. Nur so können wir wirkungsvolle Behandlungsmethoden wie personalisierte und zielgenaue Medikamente entwickeln. In meinen Augen, haben wir keine Wahl - wir müssen es tun!“
Der Tagesspiegel zeigt sich begeistert von Richard Dawkins neuestem Buch über die Evolution, The Greatest Show on Earth.
Darwins Schöpfungsgeschichte [9]
Andreas Dreschers Hörroman befasst sich mit Darwins Abenteuern bei seiner Reise mit der Beagle und seinen Konfrontationen mit Kapitän Fitzroy. Den Rezensionen zufolge scheint es ein sehr spannender, empfehlenswerter Hörroman zu sein.
In der aktuellen Naturwissenschaftlichen Rundschau (12/2009) wirft Prof. Franz Wuketits einen näheren Blick auf den Begründer der ersten Evolutionstheorie, Jean-Baptiste de Lamarck. Zwar irrte er sich letztlich und doch war seine Theorie die erste natürliche Erklärung für die Entwicklung der Lebewesen.
Jung Aussehende leben länger [11]
Laut einer neuen Studie von Forschern der University of Southern Denmark leben Menschen, die für ihr Alter jung aussehen, tatsächlich länger als die anderen. Das liegt daran, weil junges Aussehen ein Indikator für den Gesundheitszustand eines Menschen ist.
Kraken bauen Hütten aus Kokosnussschalen [12]
Und ja: Man schreibt „Kokosnusssschalen“ wirklich mit drei „s“. Der Ader-Oktopuss sammelt Kokosnussschalen, um später eine Hütte daraus zu bauen. Damit gesellt er sich zu den vorausschauenden Werkzeugbauern wie Affen und Vögel.
Englische Presse
Ardi ist top! [13]
Der Hominid namens „Ardipithecus ramidus“ wurde vom Wissenschaftsmagazin „Science“ zur Top-Entdeckung des Jahres 2009 gekührt. Eine wohlverdiente Auszeichnung. „Ida“ ist der große Verlierer: Dieser angebliche "Missing Link" wird nicht einmal erwähnt.
Evolutionsbiologie statt Evolutionstheorie [14]
Prof. Ulrich Kutschera schlägt vor, statt von der „Evolutionstheorie“ zukünftig lieber von der „Evolutionsbiologie“ zu sprechen: „Es gibt keine einheitliche 'Evolutionstheorie', sondern eine Wissenschaftsdisziplin“, so Kutschera. Schließlich spreche man auch nicht von der „Verhaltenstheorie“, sondern von der „Verhaltensbiologie“.
Tanzende Väter sollen unattraktiv sein [15]
Männer zwischen 35 und 60 Jahren neigen dazu, komplizierte Tanzschritte mit wenig Koordination auszuführen. Dies könnte laut einer umfassenden Studie des Psychologen Dr. Peter Lovatt daran liegen, dass sie mit diesem Verhalten signalisieren, nicht mehr als Partner zur Verfügung zu stehen. Vielleicht soll das „Dad Dancing“ tatsächlich so peinlich wirken, wie es wirkt. Über 65-Jährige tanzen aber wieder sehr gut, vielleicht, weil sich ihre Ehefrauen dann von ihnen abwenden. All dies sind nur statistische Tendenzen, die evolutionär erklärbar sind, aber nicht davon ablenken sollten, dass man natürlich auch mit 35-60 ein sehr guter Tänzer sein kann, wenn man am Ball bleibt.
Religiöse Unterwanderung der Neurotheologie [16]
Offenbar sind meine Vorbehalte gegen religiöse Wissenschaftler doch nicht (nur) ein Resultat von Paranoia. In dieser Studie kommt Armin W. Geertz zum Ergebnis, dass die Neurotheologie tatsächlich von Forschern mit einer religiösen Agenda unterwandert wird, die an der Wahrheit kein Interesse haben und stattdessen ihre Ideologie legitimieren wollen.
Im Fazit heißt es: „Wenn Neurowissenschaftler die religiösen Legitimationsstrategien akzeptieren, dann wird es unweigerlich zu Abgrenzungsproblemen kommen. Die selben Probleme würden entstehen, mit denen wir in der akademischen und vergleichenden Religionswissenschaft leben mussten, nämlich dass Gelehrte und Experten ihre religiöse Praxis mit der Erforschung der Religion vermischen würden. Die Unterschiede zwischen Religion und der Erforschung der Religion, zwischen Anbetung und Analyse, werden entweder vermengt, ignoriert oder einfach geleugnet.
Ergebnisse der Neurotheologie werden oftmals von Evolutionären Psychologen rezipiert. Vorsicht ist angesagt.
Es gibt was umsonst [17]
Nämlich ein ganzes Buch gegen den Kreationismus. Dieses wird online zur Verfügung gestellt von der National Academy Press. Auserlesene Experten der National Academy of Sciences und des Institute of Medicine stellen die wissenschaftliche Herangehensweise vor und zeigen dem Leser die Belege für die Evolution.
Die Wahrheit über den Klimawandel [18]
Die gibt es nun auf einer Website des New Scientist. Kann ja nicht angehen, dass unsere Leser unter die Klimaleugner fallen.
Affensyntax [19]
Eine Affenart namens Cercopithecus campbelli campbelli verfügt über sechs verschiedene Alarmschreie. Die Affen kombinieren diese Schreie, um Botschaften über Soziales oder diverse Gefahren wie Raubtiere zu übermitteln.
AM
Links:
[1] http://www.darwin-jahr.de/sites/darwin-jahr.de/files/story/node-362-612.jpg
[2] http://www.weltwoche.ch/ausgaben/2005-17/artikel-2005-17-das-kapitalistische-schwein.html
[3] http://www.darwin-jahr.de/../../../../../../../../evo-magazin/darwin-und-weltwirtschaftskrise
[4] http://www.amazon.de/Mind-Market-Compassionate-Competitive-Evolutionary/dp/0805078320
[5] http://www.wissenschaft-aktuell.de/artikel/Cornflakes_in_der_Mittleren_Altsteinzeit_1771015586556.html
[6] http://www.paleofood.de/News/News7/news7.html#
[7] http://science.orf.at/stories/1634052/
[8] http://www.tagesspiegel.de/magazin/wissen/art304,2977358
[9] http://www.amazon.de/Darwins-Sch%C3%B6pfungsgeschichte-Andreas-H-Drescher/dp/3941621017
[10] http://www.naturwissenschaftliche-rundschau.de/
[11] http://www.pressetext.ch/news/091215024/jung-aussehende-leben-laenger/
[12] http://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/0,1518,667024,00.html
[13] http://www.sciencemag.org/btoy2009/
[14] http://www.evolutionsbiologen.de/pdf/Science09_Darwinism.pdf
[15] http://www.telegraph.co.uk/science/science-news/6817134/Dad-dancing-may-be-the-result-of-evolution-scientists-claim.html
[16] http://www.sciencedirect.com/science?_ob=ArticleURL&_udi=B6WWN-4XFXSPG-2&_user=10&_rdoc=1&_fmt=&_orig=search&_sort=d&_docanchor=&view=c&_searchStrId=1140956331&_rerunOrigin=google&_acct=C000050221&_version=1&_urlVersion=0&_userid=10&md5=acb56afd3223b5400d62eaf7ba3ae3c3
[17] http://www.nap.edu/catalog.php?record_id=11876#toc
[18] http://www.newscientist.com/article/dn11462-climate-change-a-guide-for-the-perplexed.html
[19] http://www.sciencedaily.com/releases/2009/12/091212144710.htm