Presseschau | 27.11.2009
Zu viel Kohlendioxid löst Panikreaktionen aus, während die aktuelle Gott-ist-gut-wegen-der-Evolution-Apologetik wissenschaftliche Gefühle beleidigt. Schon wieder ist eine neue RNA entdeckt worden. Es geht um Bionik und um die Frage, warum wir lesen können. Es gibt sogar Neuigkeiten über die Hobbits. Im Übrigen sind wir Flugsimulatoren.
Schon wieder eine neue RNA [2]
Wenn mir etwas auf die Nerven geht, dann ist das nicht die rote Ampel oder der flüchtende Verkäufer, sondern die Ribonukleinsäure. Davon werden nämlich gerade immer mehr Varianten entdeckt, ohne dass noch jemand durchblicken würde. Diesmal geht es um die „lincRNA“. Sie dient als zusätzlicher Informationsspeicher und sie reguliert Zellstoffwechselprozesse. Vielleicht schaltet sie auch bestimmte Gene ein und aus, beteiligt sich also an entwicklungsbiologischen Vorgängen (Evo-Devo).
Bionik [3]
Bionik ist die Nachahmung der Natur mittels Technologie. Bionik gibt es nun sogar als Hauptfach an der Fachhochschule Bremen. Siehe auch dieses Interview [4] mit dem Bioniker Ingo Rechenberg über sein Fachgebiet. Das Flugzeug dürfte das bekannteste Resultat der Bionik sein.
Man versucht gerade, aus Algen Wasserstoff zu gewinnen, den man als Treibstoff gebrauchen möchte.
Hammerhaie in 3D [6]
Die exzentrisch aussehenden Hammerhaie verfügen aufgrund ihrer weit voneinander entfernten Augen über eine gut augeprägte Fähigkeit zum räumlichen Sehen. Dafür gibt es nun erste experimentelle Belege.
Viele Deutsche können gar nicht lesen. Offenbar lesen einige von uns, seit die Menschen die Schrift erfunden haben, wofür, soweit uns das bekannt ist, die Sumerer verantwortlich sind. Die prinzipielle Fähigkeit zu lesen hängt wohl mit der Fähigkeit zusammen, Symbole mit Inhalten zu verknüpfen.
Der Jahrtausend-Buntbarsch [8]
Jedes neue Jahrtausend entstand im Victoria-See eine neue Buntbarschart. Schneller geht es nicht mehr.
Der Glaube ist vielleicht der größte Unsinn der Evolution [9]
Was ist der evolutionäre Nutzen der Religiosität? Gibt es überhaupt einen? Muss man ständig über dieses Thema reden, auch wenn man keine Ahnung davon hat? In diesem Streitgespräch zwischen dem Neurobiologen Randolf Menzel und dem Theologen Markus Vogt geht es mal wieder um die Gottesfrage, was heutzutage bedeutet, dass auch die Frage nach dem evolutionären Ursprung der Religiosität mit hinein muss, aber auch der herkömmliche Unsinn: „Wir dürfen die Bibel nicht wörtlich, aber wir müssen sie als verbindlich nehmen“, erfahren wir von Vogt. Und warum sollten wir das tun? Keine Zeit für Antworten haben die Theologen, lieber weiter Behauptungen aufstellen – wie diese: „Die Evolutionstheorie beantwortet nicht die Frage nach dem intentionalen Ursprung und nach dem Sinn des Lebens“. Gewiss beantwortet die Evolutionstheorie nicht die Frage nach dem intentionalen Ursprung, einfach deshalb, weil es keinen intentionalen Ursprung (absichtliche Schöpfung) des Universums gab. Die Evolutionstheorie beantwortet auch nicht die Frage, warum so viele Feen in meinem Gartenteich rumschwimmen, womöglich, weil keine Feen in meinem Gartenteich rumschwimmen.
Der biologische Sinn des Lebens ist die Vermehrung und Weitergabe von Genen. Sonstige Sinne des Lebens wollen uns Leute wie Herr Vogt mit Rückendeckung ihrer unsichtbaren Freunde vorgeben, als ob wir unseren Lebenssinn nicht selbst finden könnten. „Dawkins ist ein ehrenwerter Wissenschaftler, er unterschätzt jedoch die evolutionär hilfreichen Aspekte der Religion“, glaubt Neuroforscher Herr Menzel derweil kundtun zu müssen. Ein evolutionär hilfreicher (hilfreich zum Beispiel zur göttlich legitimierten Ausrottung feindlicher Stämme und zur Sicherung ihrer Frauen zwecks Genweitergabe) Aspekt der Religion sagt aber nichts darüber aus, ob Religion ethisch wünschenswert und in irgendeiner Weise „gut“ ist. „Der Glaube an Gott als die Ursache von allem ist ausgesprochen hilfreich und nützlich, vielleicht ist er sogar der tollste Trick, der sich im Verlauf der Evolution eingestellt hat – auch wenn er auf einem tiefen Irrtum beruht“, sagt Menzel dagegen. Warum aber sollte es hilfreich und nützlich sein, falsche Dinge über die Realität zu glauben? Und was hat diese philosophische Quadratur des Kreises mit der Evolutionstheorie zu tun?
Wer noch nicht genug hat, kann sich das Video unter dem Beitrag ansehen. Es handelt sich um eine Teilzeit-Kreationistenpropaganda, die plötzlich in ganz andere Richtungen umschwingt. So bizarr wie das Streitgespräch.
Ernst Peter Fischer ist eigentlich Wissenschaftshistoriker, aber er vertritt auch eine Reihe von theologischen Positionen: „Man denkt häufig, dass Darwins Theorie gezeigt habe, dass es keinen Gott gebe oder brauche. Gott bleibt auch nach Darwin eine Option. Darwin hat eben gezeigt, dass Gott die Dinge so gemacht hat, dass sie sich selbst machen können.“ Was nicht passt, wird also passend gemacht. Viel zu tun hat dieser Gott jedenfalls nicht mehr, wenn er sich die Dinge einfach selber machen lässt. Gott muss wirklich der faulste Handwerker aller Zeiten sein.
Zu viel Kohlendioxid kann beim Menschen panische Reaktionen auslösen. Außerdem macht CO2 die Ozonschicht kaputt. Aktuelle Umfragewerte zeigen, dass Kohlendioxid sehr unpopulär ist. Wahrscheinlich wird es nicht einmal das Rennen in die SPD-Führungsspitze machen.
Sozial lernt es sich besser [12]
Lernen über Fernsehen und Computer hat enge Grenzen. Zumindest Kinder können zwar die Wörter einer Fremdsprache über das Fernsehen lernen, aber nicht die Aussprache oder Grammatik. Direkter menschlicher Kontakt ist notwendig, um die kindliche Aufmerksamkeit zu erregen und zum Lernen zu motivieren. Ohne soziale Signale fällt das Lernen erheblich schwerer.
Der Mensch ist ein Flugsimulator [13]
Für den Philosophen Thomas Metzinger ist unser bewusstes Modell der Wirklichkeit eine Simulation unseres Gehirns und nur ein kleiner Ausschnitt der physikalischen Wirklichkeit, wie eine Flugsimulation. Sogar der wahrnehmende Pilot, das Selbst, ist eine Simulation.
Mais enthält mehr Gene als der Mensch [14]
Statt Penis-Neid nun Gen-Neid: Auch das Mais-Genom wurde jetzt entschlüsselt und es hat sich als komplexer als alle bislang entschlüsselten Genome herausgestellt, darunter das des Menschen. Mais verfügt über 32 000 Gene, der Mensch nur über 23 000. An sich bedeutet das gar nichts, aber es ist eben so.
Englische Presse
Darwins Fotografie-Wettbewerb [15]
Schon 200 Jahre alt, aber immernoch für einfallsreiche Aktionen zu haben. Die britische Zeitung Guardian rief einen Fotografie-Wettbewerb zu Darwins Ehren ins Leben. Die Ergebnisse kann man sich online ansehen.
Neues über Homo floresensis [16]
Der gemeinhin mit Hobbits verglichene Hominid namens „Homo floresensis“ war eine eigenständige Art. Man hat inzwischen herausgefunden, dass er Steinwerkzeuge gebrauchte, die weiter entwickelt waren als die des Homo erectus, aber anders gestaltet waren als die des Homo sapiens. Möglicherweise ist Homo floresensis eine Abspaltung von Homo erectus und wanderte vor ihm aus Afrika aus. Er steht nicht in einer Entwicklungslinie mit dem Homo sapiens.
AM
Links:
[1] http://www.darwin-jahr.de/sites/darwin-jahr.de/files/story/node-353-600.jpg
[2] http://derstandard.at/1256745577373/DNA-und-RNA-Das-Gedaechtnis-der-Gene
[3] http://www.fr-online.de/in_und_ausland/wissen_und_bildung/aktuell/2103484_Bioniker-Kakerlaken-fuer-die-Marsmission.html
[4] http://www.fr-online.de/in_und_ausland/wissen_und_bildung/aktuell/2103059_Interview-mit-Bioniker-Ingo-Rechenberg-Einer-Spinne-auf-die-Beine-geschaut.html
[5] http://www.neues-deutschland.de/artikel/159606.wasserstoff-aus-algen.html
[6] http://www.scienceticker.info/2009/11/27/hammerhaie-mit-guter-3d-sicht/
[7] http://derstandard.at/1256745623942/Lesefaehigkeit-Der-Briefkasten-in-unserem-Gehirn
[8] http://www.wienerzeitung.at/DesktopDefault.aspx?TabId=3937&alias=wzo&cob=452685
[9] http://www.zeit.de/wissen/2009-11/glaube-gott-wissenschaft
[10] http://www.tagblatt.ch/magazin/wissen/tb-wi/-Gott-bleibt-eine-Option-;art124,1423347
[11] http://www.wissenschaft-online.de/artikel/1015230
[12] http://www.wissenschaft-online.de/artikel/1015459
[13] http://bazonline.ch/kultur/buecher/Warum-wir-meinen-dass-es-uns-gibt/story/21812416
[14] http://www.sueddeutsche.de/e5v38q/3155028/Gene-auf-dem-Sprung.html
[15] http://www.guardian.co.uk/science/gallery/2009/nov/20/darwin-photography-wildlife
[16] http://www.theness.com/neurologicablog/?p=1253