Rezension | 04.10.2009
Der Katalog zur gleichnamigen Ausstellung zeigt auf, wie die Evolutionstheorie in der bildenden Kunst verarbeitet wurde. Die Abbildungen der Kunstwerke werden begleitet von erläuternden Texten, die sie kunstgeschichtlich einordnen und auf ihren Sinn eingehen.
Kunst und Evolution
Und diese erläuternden Texte sind notwendig. Zwar kann man auch ohne sie von der Schönheit der Landschaftsgemälde von Frederic Edwin Church ergriffen sein, doch erst, wenn man Churchs inneren Kampf mit der Evolutionstheorie kennt, versteht man, worum es eigentlich geht. Frederic Edwin Church war nämlich Kreationist. Der begeisterte Amateur-Naturforscher sträubte sich bis zum Ende gegen die Evolutionstheorie. Sein beeindruckendes Gemälde „Syria by the Sea“ von 1873 zeigt ein goldenes Licht, das antike Säulen erleuchtet. Für Church repräsentierten diese Säulen die ewigen Wahrheiten der heiligen Schrift, die trotzig die Jahrtausende überdauern.
Bei Martin Johnson Heade war das anders. Seine Beschäftigung mit der Evolutionstheorie brachte ihn dazu, die Wildheit des Überlebens- und Paarungskampfes mit der der Schönheit der Natur zu vereinen, etwa wenn bunte Blumen aus dem grün-braunen Dschungel hervorbrechen.
Heiliger mit Fisch, Haeckel und seine ewige Liebe
Arnold Böcklin verleitete die Evolutionstheorie dazu, klassische Darstellungen, die sich an Motiven der Antike orientierten, in Tier-Mensch-Hybride zu verwandeln. Darunter seine „Venus Anadyomene“ von 1872, die statt auf einer Muschel auf einem großen Seemonster steht, mit Algen statt Seide eingehüllt. Sehr pointiert ist sein Werk „Der heilige Antonius“ von 1892, das die Begegnung des Antonius mit einem Hai am Strand zeigt, der ihn zusammen mit anderen Fischen skeptisch anglotzt. „Beschweren ist sinnlos, wir haben einen gemeinsamen Vorfahren“, scheint der Hai sagen zu wollen.
Ernst Haeckel spielt in diesem Katalog auch eine Rolle, nämlich als Künstler. Der plötzliche Tod seiner ersten Frau Anna Sethe trifft ihn so hart, dass er sie später in der Zeichnung einer Qualle wiedererkennt, die er „Desmonema annasethe“ nennt. Als Haeckel schon länger als 30 Jahre mit seiner zweiten Frau verheiratet ist, schreibt er folgenden Begleittext für seine farbenfrohe Zeichnung der Qualle: „Der Speziesname dieser prachtvollen Discomeduse – einer der schönsten und interessantesten aller Medusen – verewigt die Erinnerung an Anna Sethe, die hochbegabte feinsinnige Frau (geb. 1835, gest. 1864), welcher der Verfasser dieses Tafelwerkes die glücklichsten Jahre seines Lebens verdankt.“
Affen als Menschen, Nazis als Tiere
Die Gemälde von Gabriel von Max sind heute noch erschreckend, jedenfalls erschreckten sie alle recht schön, denen ich sie gezeigt habe. Von Max zeichnete Affen bei menschlichen Betätigungen, zum Beispiel beim Theaterbesuch, am Klavier, beim Atelierbesuch, als Kunstrichter und (das gruselte die Leute am meisten) mit einem menschlichen Kleinkind in den Händen im Gemälde „Anthropologischer Unterricht“ von 1900. In dem Gemälde erklärt ein Affenvater seinem Kind dessen Verwandtschaft mit dem Menschen-Mädchen.
Aufschlussreich ist, dass die Künstler zu Darwins Lebzeiten unsere Vorfahren in weitaus freundlicherem Licht erscheinen ließen, als dies später der Fall sein sollte. Auf den Gemälden von Xénophon Hellouin erkennt man Steinzeitmenschen bei komplexen sozialen Tätigkeiten, wobei sie uns doch sehr ähneln. „Deux mères“ von Léon Maxime Faivre zeigt eine Urmenschen-Mutter, die ihre Kinder beschützt.
Im Nationalsozialismus spielte die künstlerische Bearbeitung der Evolution auch eine Rolle, und zwar als Waffe gegen die Nazis. So zeigen die Collagen von John Heartfield Nazis als Mischwesen zwischen Tier und Mensch, was jeweils mit bissigen Kommentaren versehen ist. Auf der Collage „Stimme aus dem Sumpf“ sieht man zum Beispiel eine hässliche Kröte vor einem Hakenkreuz und darunter steht: „Dreitausend Jahre konsequenter Inzucht beweisen die Überlegenheit meiner Rasse!“ "Die Lehre des Wolfes" parodiert die Meinung der Nazis, dass die Bezeichnung aller Menschen als Menschen die Unterschiede zwischen den Rassen verwische.
Dies war nur eine knappe Vorschau auf das, was einem mit diesem Katalog erwartet.
Erläuternde Texte
Die Texte sind rundum wissenschaftlich fundiert und aufschlussreich, enttäuscht war ich nur und ausgerechnet von dem Beitrag der bekannten Affenforscherin Jane Goodall. Sie kommt nach ihren Erläuterungen über die künstlerische Bearbeitung von Tier-Mensch-Hybriden zu einem absonderlichen Fazit: „Der Gedanke vom Menschen als Tier war nie ein Problem für die allgemeine Öffentlichkeit gewesen, was die rege Unterhaltungsbranche des 19. Jahrhunderts denn auch beweist.“
Dabei übersieht sie gerade den zentralen Faktor, den die Evolutionstheorie in diese künstlerische Tradition gebracht hat: Die Menschen hatten kein Problem mit Darstellungen von Menschen als Tiere, gerade deshalb, weil sie „wussten“, dass Menschen keine Tiere sind. Aus dieser Perspektive konnten sie sich entspannt zurücklehnen und die Shows mit Affenmenschen und „Missing Links“ genießen. Goodall begründet den „Schrecken und Abscheu“, den die Menschen entwickelten, als ihnen endlich klar wurde, was das mit dem „Missing Link“ eigentlich bedeutet, mit der „Übelkeit induzierter Schwindelanfälle“ bei der Vermischung von Tier und Mensch und nicht mit einem „immanenten kulturellen Widerstand“. Den Menschen wurde also übel beim Gedanken an ihre Verwandtschaft mit Affen, aber im Grunde hatten sie kein Problem damit. Das klingt nun wirklich reichlich abstrus, erst recht, wenn man bedenkt, dass es diesen kulturellen Widerstand gerade von Seiten konservativer religiöser Kräfte sehr eindeutig gegeben hat.
Fazit
Aber egal, diese Kritik betrifft schließlich nur die Schlussfolgerung eines einzigen Beitrags. Empfohlen sei „Kunst und die Suche nach den Ursprüngen“ jedem Evolutionsfan, der in Erwägung zieht, auch der Kunst mal eine Chance zu geben, sowie jedem Kunstfan, der glaubt, dass er sich auch einmal mit der Evolutionstheorie befassen sollte.
AM
Links:
[1] http://www.darwin-jahr.de/sites/darwin-jahr.de/files/story/node-330-559.jpg