Presseschau | 17.09.2009
Neue Arten in Kolumbien entdeckt [2]
In Kolumbien wollen noch viele Arten entdeckt werden, bevor sie aussterben. Forschern sind nun zum Beispiel Frösche mit durchsichtiger Haut über den Weg gehüpft, unter der man ihre Organe sehen kann. Das Weißlippige Halsband-Nabelschwein ist auch neu im Team bekannter Arten. Nahe Verwandte von uns wurden ebenso entdeckt: Vier bislang unbekannte Affenarten.
Ist das egoistische Gen herausgefordert? [3]
Laut diesem Zeit-Artikel ist das egoistische Gen „herausgefordert wie selten zuvor“. Warum? Weil David Sloan und Edward Wilson immernoch an die Gruppenselektion glauben, wie schon vor 30 Jahren. Was ist daran jetzt neu oder herausfordernd?
Ein neuer „Langhals“ wurde von Paläonthologen ausfindig gemacht.
Überfischung gefährdet Orcas [5]
Der sogenannte „Killerwal“ hat in freier Wildbahn noch nie einen Menschen angegriffen und in Gefangenschaft noch nie mit Absicht (es gab zwei Unfälle). Seinen Namen hat er sich aufgrund seiner Jagd auf andere Delfine und Fische verdient, die Menschen für grausam halten.
Leider haben sich Orcas auf ganz bestimmte Beutetiere spezialisiert, die der Mensch alle wegfischt (womit er sich auch selbst Konkurrenz macht). In den 1950ern startete die USA sogar auf Bitten Islands einen großflächigen Bombenangriff auf die Orcas in isländischen Gewässern, um sie auszurotten. Die örtlichen Fischer beschwerten sich darüber, dass die Orcas ihnen die Fische wegfressen (aus Orca-Sicht ist es wohl andersrum). „Bomb Willy“ statt „Free Willy“.
Warum gibt es fleischfressende Pflanzen? [6]
Diese Frage haben sich Forscher lange gestellt, weil die Energie, die fleischfressende Pflanzen in ihre Fallen stecken, sehr hoch ist. Doch auf lange Zeit rentiert sich der Aufwand in nährstoffarmen Regionen, wie man nun herausfand.
Ein kleiner Raubsaurier, der mit dem großen Tyrannosaurus Rex verwandt war, wurde nun entdeckt. Der „Raptorex kriegsteini“ lebte 60 Millionen Jahre vor seinem großen Bruder.
Affentheater [8]
Kai Kupferschmidt macht mit beim großen Medienkritik-Festival und ruft Journalisten zur Ordnung, hier am Beispiel von „Ida“.
Ausbreitungsgeschwindigkeit von Mutationen berechenbar [9]
Physiker mischen in der Biologie mit und liefern ein Modell, mit dem sich die Ausbreitungsrate von Mutationen berechnen lässt. Diese hängt ab von zwei Faktoren: Bevölkerungsdichte und Ausmaß des Vorteils einer Mutation.
Evolution zur Staatsreligion? [10]
In der Theologie gibt es gerade den Trend, der Religion allgemein oder einer bestimmten Religion speziell einen evolutionären Vorteil zuzusprechen und sie damit zu rechtfertigen. Ein paar atheistische Evolutionsbiologen wie David Sloan Wilson machen auch freudig mit.
Diesmal bemüht ein Kirchenhistoriker die Evolution, um anhand der Ausbreitung des Christentums im römischen Reich zu belegen, wie „fit“ und superklasse das Christentum sei. Zunächst einmal lässt sich dazu sagen, dass „Fitness“ an sich weder gut noch schlecht ist. Überbevölkerung würden wir auch nicht positiv bewerten. Fitness meint einfach die Erzeugung fruchtbarer Nachkommen. Eine Idee jedoch, wie das Christentum, kann keine „fruchtbaren Nachkommen“ erzeugen. Lebewesen erzeugen Nachkommen.
Aktuell gibt es zwei Ansätze, die sich angesichts der Faktenlage noch halten lassen: Religiosität als Nebenprodukt, welches dazu dient, durch Zivilisationskrankheiten ausgelöste persönliche Anspannung zu reduzieren und Religiosität als Adaption mit der speziellen Funktion eines Bewältigungsmechanismus, ebenfalls zum Ausgleich persönlicher Unsicherheit.
Dieser Kirchenhistoriker argumentiert jedoch: „Aufgrund der religiös motivierten Krankenpflege dürfte die Mortalität unter den Christen niedriger gewesen sein als bei den Nichtchristen“. Ja, und? Selbst wenn Christen vor 1500 Jahren die einzigen Menschen gewesen sind, die Kranke pflegten (völliger Quatsch!), dann ergäbe diese Argumentation nur Sinn, wenn man davon ausginge, dass das Christentum genetische Grundlagen hat, die sich evolutionär durchsetzten. Adaptionen setzen sich aber erst über einen erheblich längeren Zeitraum als läppische 1500 Jahre durch.
Außerdem impliziert dieses Argument, dass sich Gläubige von Atheisten und Andersgläubigen biologisch unterscheiden. Und zwar fundamental: Atheisten und Andersgläubige pflegen von Natur aus keine Kranken und sind völlig selbstsüchtig, darum setzen sie sich evolutionär nicht durch. Ich denke nicht, dass diesem Kirchenhistoriker klar ist, was er da für Thesen verbreitet (er macht einen liberalen Eindruck, also ist es ihm gewiss nicht klar). Diese Argumentation läuft nämlich darauf hinaus, dass Atheisten und andere Nicht-Christen einer minderwertigen Rasse angehören. Nicht nur darum würde ich Theologen empfehlen, ihre „Religion ist super wegen der Evolution“-Linie sofort einzustellen.
Das Argument, Religion biete ein soziales Netz und erhöhe deshalb die Fitness ihrer Anhänger, wird zwar auch von einigen Biologen vertreten, geht aber 1. von der zweifelhaften Gruppenselektion aus und 2. ignoriert sämtliche Studien zur Religiosität aus der Psychologie, die aufzeigen, dass Religiosität im Sinne des Glaubens an einen allguten, kontrollierenden Gott auf individualpsychologischer Ebene ein Bewältigungsmechanismus ist, um die persönliche Sicherheit wiederherzustellen (siehe meine Artikel zum Thema [11]). Wenn Religiosität adaptiv ist, dann gilt das nicht für bestimmte Religionen im Gegensatz zu anderen (Ideen werden nicht genetisch vererbt!). Wenn also Christen mehr Kinder haben sollten als die Anhänger bestimmter anderer Religionen, dann liegt das an Glaubensinhalten, wie etwa jenem, dass Kindermachen ein Befehl Gottes sei. Die Shaker zum Beispiel sind „ausgestorben“, weil sie ihren (kulturellen) Glaubensinhalten zufolge kinderlos leben sollten.
Die Behauptung, das Christentum wäre der römischen Kultur erheblich überlegen gewesen, ist derweil absurd. Das Christentum war überhaupt erst verantwortlich [12] für den Verfall des römischen Reiches und für eine gigantische Kulturvernichtung, welche fast die gesamte antike Kultur zerstörte und sie beinahe aus den Geschichtsbüchern fegte. Das Christentum ist nicht wegen der biologischen Überlegenheit seiner Anhänger zur Staatsreligion evolviert (was für ein Argument!), sondern weil es von dem fanatischen Kaiser Theodosius dazu erklärt wurde. Dazu ein Zitat aus dem oben verlinkten Artikel von dem Historiker Rolf Bergmeier:
„In einer unheildrohenden Alliance greifen Kaiser und Kirche zu allen erdenklichen Mitteln, um heidnische und häretische Bücher, Bilder, Statuen und Gebräuche in den Kynegion zu verbannen, jenem Ort "wohin die Leiber der Hingerichteten geworfen wurden". Es gelte, so der machtbewußte Mailänder Bischof Ambrosius, "die gottschänderischen Verirrungen abzuschaffen, die Tempel zu schließen, die Götzenbilder zu vernichten". Mit dieser gezielten, breit angelegten Zerstörung soll die Tradition der polytheistischen Kulte unterbrochen, die bekämpfte Konkurrenz einzelgestellt, die sie tragende Kultur zerstört und somit mehr Raum für die grundlegend neue Heilsbotschaft geschaffen werden. Es ist ein Vernichtungsfeldzug.“
Englische Presse
Kein Zutritt für Darwin in US-Kinos [13]
„Creation“, der neue Film über Charles Darwin, wird in amerikanischen Kinos nicht laufen. Grund: Amerikanische Filmverleiher halten ihn für „zu kontrovers“. Lieber nicht mit den Kreationisten anlegen, werden sie sich wohl eher denken, denn die sind auch Kunden...
Vitaminpillen meist nutzlos [14]
Vitaminpillen bringen allenfalls etwas für bestimmte Gruppen wie Schwangere und über 65-jährige. Für Normalsterbliche sind sie wirkungslos, oder sogar schädlich.
Bienen wehen Ameisen davon [15]
Bienen vertreiben Ameisen, die zu nahe an ihrem Nest sind, indem sie sie mit ihren Flügeln davonwehen.
Tiefe Stimmen erschrecken Mädchen [16]
Junge Mädchen fürchten sich, wenn sie tiefe Männerstimmen hören wie die von Barry White (für erste Dates ungeeignet). Werden sie älter, finden sie die Stimmen attraktiver.
In dieser eigentümlichen Doku von BBC schneiden Forscher eine Giraffe auf und sehen sich an, wie sich ihre Einzelteile evolutionär entwickelt haben. Vorsicht: Hoher Splatter-Faktor.
Dawkins über „The Greatest Show on Earth“ [18]
In dieser Diskussionsrunde dreht sich alles um Richard Dawkins neues Buch über die Evolution und um die Theorie allgemein. Das Buch ist bereits ein Bestseller [19].
Nun hat sich auf die Humboldt-Stiftung mit dem Verhältnis von Religion und Wissenschaft befasst. Ergebnis: Die Überschriften der Einzelartikel suggerieren, dass Glaube und Wissenschaft vereinbar sind: „Forschung und Glaube sind kein Widerspruch in sich“, „Forschung – eine Frage des Glaubens“, „Über den fehlerhaften Glauben an Objektivität“ und „Was du glaubst, ist wahr, sogar wenn du es nicht beweisen kannst?“.
Liest man die Texte selbst, gelangt man allerdings zum gegenteiligen Ergebnis, wann immer sie nicht – wie „Forschung und Glaube sind kein Widerspruch in sich“ – von Theologen geschrieben wurden. Echte Wissenschaftler sind eben tendenziell der Meinung, dass Glaube und Wissenschaft unvereinbar sind.
Zum Beispiel Georg Scholl, Autor von „Forschung – eine Frage des Glaubens“. Er erklärt, warum Wissenschaftler nicht an Wunder glauben und warum für sie letzten Endes Belege zählen und nicht der Glaube. Gleichzeitig berichtet er über einige Ansätze in der aktuellen Religionsforschung und stellt fest: „Seit Darwin und dem Siegeszug der Wissenschaft hat der Anspruch auf absolute Wahrheiten von Seiten religiöser Dogmatik stets abgenommen. Irgendwann werden die Leute fragen, ob es überhaupt einen Gott gibt, wenn alles ohne ihn erklärt werden kann.“
In dem Artikel „Über den fehlerhaften Glauben an Objektivität“ geht es nicht um die Naturwissenschaften, sondern um Objektivität in der Literaturwissenschaft. Selbst dort widerspreche ich dem Autor deutlich. Wenn er meint, Literaturwissenschaft wäre beinahe rein subjektiv, ist das sein Problem, mit der Realität hat das nichts zu tun. Wenn jemand beispielsweise behauptet, es gehe Bert Brecht um Kunst zum Selbstzweck (l'art pour l'art), wird er in praktisch keiner Universität eine gute Wertung für sich verbuchen, weil sich diese These nicht belegen lässt. Und zwar objektiv.
„Was du glaubst, ist wahr, selbst wenn du es nicht beweisen kannst“ ist schließlich keine Feststellung, sondern eine Frage, welche die Redaktion von „Humboldt Kosmos“ an Wissenschaftler gerichtet hat. Weder die befragten Natur-, noch die befragten Geisteswissenschaftler sind der Meinung, dass etwas wahr ist, selbst, wenn man es nicht beweisen kann (besser ausgedrückt: Wenn es keinerlei empirische Belege dafür gibt, dass es wahr ist, noch keine logischen Gründe, davon auszugehen). Im Gegenteil sind sie so perplex von der Frage, dass sie sie nicht einmal verstehen und stattdessen über Intuition sprechen, über den Glauben an empirische Daten oder von Wahrheit in der Ethik. Kein Mensch glaubt in der Forschung, dass der Glaube an ewige, religiöse Wahrheiten irgendeinen Wert hat. Diese Idee ist Wissenschaftlern so fremd, dass sie nicht einmal die Frage verstehen, ob sie das glauben.
Daraus könnte man folgern, dass diese ewigen Anbiederungen an die Religion, wie auch hier durch missverständliche Überschriften und Artikel von Nicht-Wissenschaftlern (Theologen), im Grunde keinerlei Daseinsberechtigung haben. Wissenschaft und Glaube sind nicht vereinbar und es ist Hochstapelei, Irreführung der Leser und Verrat an der wissenschaftlichen Methode, wenn wissenschaftliche Zeitschriften wie „Nature“ und „Humboldt Cosmos“ etwas anderes suggerieren.
AM
Links:
[1] http://www.darwin-jahr.de/sites/darwin-jahr.de/files/story/node-322-937.jpg
[2] http://www.tagesspiegel.de/magazin/wissen/nature-news/Amphibien-Kolumbien-Arten-Natur;art15656,2721971
[3] http://www.zeit.de/wissen/2009-9/evolution-altruismus?page=1
[4] http://weltderwunder.de.msn.com/history-gallery.aspx?cp-documentid=149746846
[5] http://www.focus.de/wissen/wissenschaft/natur/orcas-waehlerische-killer_aid_436080.html
[6] http://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/0,1518,649212,00.html
[7] http://www.wissenschaft-online.de/artikel/1007848&_z=798888
[8] http://www.tagesspiegel.de/medien-news/Wissenschaftsjournalismus-Affenfossil-Ida;art15532,2899070
[9] http://www.weltderphysik.de/de/4245.php?ni=1581
[10] http://www.wienerzeitung.at/DesktopDefault.aspx?TabID=3946&Alias=wzo&cob=438755
[11] http://feuerbringer.com/2009/08/01/der-religions-code-ist-geknackt/
[12] http://hpd.de/node/7530
[13] http://www.telegraph.co.uk/news/worldnews/northamerica/usa/6173399/Charles-Darwin-film-too-controversial-for-religious-America.html
[14] http://www.guardian.co.uk/science/blog/2009/sep/10/optimum-vitamin-dose-supplements
[15] http://news.bbc.co.uk/earth/hi/earth_news/newsid_8245000/8245091.stm
[16] http://news.bbc.co.uk/2/hi/uk_news/scotland/edinburgh_and_east/8256417.stm
[17] http://richarddawkins.net/article,4294,n,n
[18] http://richarddawkins.net/article,4301,n,n
[19] http://en.wikipedia.org/wiki/The_Greatest_Show_on_Earth:_The_Evidence_for_Evolution
[20] http://www.humboldt-foundation.de/web/2774.html