Debatte | 08.07.2009
Ausgangspunkt war der Newsweek-Artikel [2] von Sharon Begley, der diesen Forschungsbereich sehr kritisch behandelt und den ich letzte Woche zusammengefasst [3] habe. Überwiegend begegnen Biologen dem Artikel kritisch, Ausnahmen sind Michael Balter [4] und Jerry Coyne [5]. Beide glauben, die Evolutionäre Psychologie vertrete einen genetischen Determinismus (unser Verhalten werde vollkommen von unseren Genen bestimmt). Im Evolutionary Psychology Journal gibt es eine Kritik [6] an Jerry Coynes Sicht der Dinge. Evolutionäre Psychologen werfen ihm vor, dass er ihr Fachgebiet falsch verstanden hat.
Missverständnisse
Zum Beispiel: Evolutionäre Psychologen glauben nicht, dass das menschliche Verhalten unflexibel und genetisch fixiert ist, sondern die Evolutionstheorien machen „spezifische Vorhersagen über kontextabhängige Antworten auf Umweltbedingungen“. Sie gehen auch nicht davon aus, dass die Umwelt in der Menschheitsgeschichte immer gleich geblieben ist, sondern dass einzelne Anpassungen Ergebnisse sind von dem Selektionsdruck unter den Umweltbedigungen einer bestimmten Zeit. Sie weisen aber auch darauf hin, dass EP spekulativere Ausgangshypothesen hat (von denen sich einige, in den Medien weit verbreitete, als falsch herausgestellt haben), weil es keine fossilen Zeugnisse des Verhaltens gibt. Diese Hypothesen können nichtsdestoweniger empirisch überprüft werden und letztlich sind es die Evolutionären Psychologen selbst, die sie widerlegen, wenn sie nicht haltbar sind.
Sloan Wilson auf dem Mittelstreifen
Der einflussreiche Evolutionsbiologe David Sloan Wilson nimmt eine mittlere Position [7] ein: „Begleys Artikel erzielt ein paar billige Treffer, führt aber auch ein paar faire Kritikpunkte an der Evolutionären Psychologie an, die anerkannt werden müssen.“ Seine Hauptanliegen:
1) Führt die Begriffe wieder auf ihre Bedeutung zurück! Wilson bemerkt, dass Soziobiologie und Evolutionäre Psychologie oft mit bestimmten Denkschulen assoziiert werden, obwohl sie nur die Unterbereiche der Evolutionsbiologie darstellen sollten, die sich entweder mit dem Sozialverhalten oder mit der Psychologie aus evolutionärer Perspektive befassen. (Anm: Leider hatte ich das auch so gehandhabt und die spekulativen bis albernen Thesen aus dem Bereich unter „EP“ eingeordnet und die wissenschaftlichen Theorien unter „Soziobiologie“, daher die Parteiname gegen die EP in der letzten Presseschau, die unter Sloan Wilsons Definition nicht gültig ist).
2) Eine einflussreiche Strömung der EP, die auf einer Arbeit von John Tooby und Leda Cosmides basiert, macht eine Reihe von Fehlern. Zum Beispiel beachten sie nur Adaptionen, die in der Geschichte des Homo Sapiens aufgekommen sind, ohne Adaptionen zu beachten, die unsere tierischen Vorfahren entwickelt haben und die dann an uns weitergegeben wurden. Tooby und Cosmides betonen die gemeinsame menschliche Natur, oder vielmehr männliche und weibliche Naturen, ohne genügend die adaptiven genetischen Variationen zu beachten, die sich in beiden Geschlechtern finden. Außerdem beachten sie die Kultur nicht, die ein offener Evolutionsprozess ist, der Menschen an ihre jeweilige Umwelt anpassen kann.
3) Sloan Wilson wirft Begley neben Einzelfehlern und Polemik vor, aus der Tatsachenbeschreibung des menschlichen Verhaltens durch die EP ein Soll abgeleitet, also den naturalistischen Fehlschluss begangen zu haben.
Schließlich betont Sloan Wilson, dass die Evolutionstheorie als Ansatz zur Erforschung der menschlichen Psychologie und des menschlichen Verhaltens kein Trend ist, sondern dass sie bleiben wird.
Die Hawking-Perspektive
Der Physiker Stephen Hawking (Eine kurze Geschichte der Zeit) findet derweil, dass der Mensch in eine neue Stufe der Evolution [8] eingetreten ist. Die Menge an kultureller Information, die wir hervorgebracht haben und die wir immer neu hervorbringen, ist erheblich größer als die Information in der DNS, die sich in den letzten zehntausend Jahren nur wenig verändert hat. „Ich denke, es ist legitim, eine breitere Perspektive einzunehmen und extern übermittelte Information, wie auch die DNS, in die [Erklärung der] Evolution der menschlichen Spezies aufzunehmen“, sagte er.
Hawking bedauerte, dass unser Gehirn nur nach darwinistischen Prinzipien entstanden ist und die Menge an kultureller Information gar nicht mehr bewältigen kann. Im folgenden greift er transhumanistische Ideen auf und befürwortet die Verbesserung der menschlichen Natur mit Hilfe der Technologie, die wir sowohl für die genetische Verbesserung unserer Intelligenz, wie für unsere Instinkte anwenden sollten, bis wir schließlich als intelligente Maschinen von der biologischen Evolution zu einer Evolution auf Basis mechanischer und elektronischer Komponenten übergehen.
AM
Links:
[1] http://www.darwin-jahr.de/sites/darwin-jahr.de/files/story/node-298-935.jpg
[2] http://www.newsweek.com/id/202789
[3] http://www.darwin-jahr.de/../../../../../../../../evo-magazin/zerstoererische-anpasser-allversoehnerei-und-irrtuemer-evolutionaeren-psychologie?page=0,3
[4] http://blogs.sciencemag.org/origins/2009/06/evolutionary-psychology-takes.html
[5] http://whyevolutionistrue.wordpress.com/2009/07/08/more-failures-to-find-human-behavior-genes/
[6] http://www.epjournal.net/filestore/ep07288294.pdf
[7] http://www.huffingtonpost.com/david-sloan-wilson/evolutionary-psychology-a_b_220545.html?view=print
[8] http://www.dailygalaxy.com/my_weblog/2009/07/stephen-hawking-the-planet-has-entered-a-new-phase-of-evolution.html