
Presseschau | 18.06.2009
Die Schweinegrippe war doch nicht so schlimm, der gemeinsame Vorfahre von Dinosauriern und Vögeln wurde vielleicht gefunden, Quallen suchen die Meere heim, ein Bakterium wurde wiederbelebt und schwule Tiere sind häufiger als vermutet. Außerdem geht es um die platonischen Beziehungen von Pavianen, um den Appeasement-Streit und das Schlusswort bekommt Moralphilosoph Peter Singer. Das und mehr erwartet Sie in den Untiefen unserer Presseschau!
Beda Stadler gibt Entwarnung [2]
Die Schweinegrippe ist harmlos und nur in den ersten Tagen war die Aufregung gerechtfertigt, sagt der Immunologe Beda Stadler aus dem Darwin-Jahr-Komittee im Interview. Anfangs konnte man das nicht genau wissen, jetzt sollte man allerdings realisieren, dass selbst durch die normale Grippe mehr Menschen sterben als durch die Schweinegrippe.
Ist der Limusaurus ein Vorfahr der Vögel? [3]
Eine neue Art der Gattung Ceratosaurier mit dem Namen „Limusaurus inextracibilis“ wurde entdeckt. Sie könnte der „Missing Link“ zwischen Dinosauriern und Vögeln sein. In letzter Zeit sind Biologen skeptischer, ob sich Therapoden zu Vögeln entwickelt haben, aber es wäre möglich, dass Dinosaurier und Vögel einen gemeinsamen Vorfahren haben, womöglich dieser Limusaurus. Siehe auch den Spiegel zum Thema [4].
Schwämme als Multitasking-Experten [5]
Schwämme können Meere von hochgiftigen Substanzen säubern und gelten als Kanditat für ein Mittel gegen Krebs. Die Belege häufen sich, dass Schwämme doch nicht auf alle Zeit dazu verdammt sind, in Unterwasser-Restaurants zu arbeiten.
Der Neandertaler aus der Nordsee [6]
Ein 40 000 Jahre alter Knochen eines Neandertalers wurde vor der holländischen Küste in der Nordsee entdeckt. Auch dort trieben die Steinzeitmenschen ihr Unwesen.
Überreste einer 15 Millionen Jahre alten Pferdeart gefunden [7]
Es war über einen halben Meter groß und lief auf drei Zehen: Ein Pferd namens Anchiterium clarencei.
War die Sache mit der Überfischung am Ende doch keine gute Idee: Mehr Plankton, das für überdüngte Meeresgebiete typisch ist, und weniger Fische, die in überfischten Meeresgebieten (nicht) vorkommen, führen zu einer Überzahl an Quallen, die es sich nun zunehmend in den Meeren bequem machen. Und das Meer wird zur Gelantine.
Mit einem Zuckermolekül lässt sich die Immunabwehr von Termiten schwächen. Sie können dann von Pilzen aufgefressen werden, die zur biologischen Schädlingsbekämpfung eingesetzt werden.
Bakterium wieder zum Leben erweckt [10]
In einer drei Kilometer dicken Eisschicht in Grönland befand sich ein Bakterium, das sich die letzten 120 000 Jahre mit seinem Kälteschlaf befasste. Wissenschaftler haben es wieder zum Leben erweckt. Seine Fähigkeit, auch unter den extremsten Bedingungen zu überleben, ist insofern besonders interessant, weil sie Aufschlüsse über das Leben auf anderen Planeten geben könnte.
Über Kreationismus in Deutschland berichtet das Goethe-Institut, allerdings ohne Evolutionsbiologen zu Wort kommen zu lassen. Das Schlusswort bekommt sogar der Kreationist Siegfried Scherer spendiert, der sich darüber beschweren darf, dass bestimmte Evolutionsbiologen angeblich keine naturwissenschaftliche Kritik an der Theorie zuließen. Außerdem gibt es noch einen ebenso unkommentierten Absatz über den Genesis-Freizeitpark, der im deutschsprachigen Raum gebaut werden soll. Generalsekretär Berthold Meier vom Verband freier evangelischer Bekenntnisschulen, die in Deutschland den Schöpfungsmythos unterrichten, darf auch seine Position unwidersprochen kundtun. Ein merkwürdig unkritischer, wenn nicht sogar positiver Artikel über den Kreationismus.
Gentechnik zur Ausschaltung der sexuellen Reproduktion [12]
Wissenschaftler haben eine Möglichkeit gefunden, wie sie im Prinzip alle Pflanzen dazu bringen können, auf asexuelle Reproduktion umzusteigen. Man könnte stets die besten Exemplare klonen und wäre nicht mehr auf die Fortpflanzungs-Lotterie angewiesen, bei der Gene vermischt werden. Nachteil ist die höhere Anfälligkeit der Pflanzen für Schädlingsbefall, ein Problem, dass man von Monokulturen generell kennt und das sich hierdurch noch verschlimmern könnte.
Warum es schwule Pinguine gibt [13]
Sechs der zwanzig Pinguine im Bremerhavener Zoo sind schwul. Ein männliches Pinguin-Paar hat sogar ein verwaistes Ei ausgebrütet und den Nachwuchs aufgezogen. Homosexuelle Partnerschaften sind in der Natur häufig, sie wurden bei Säugetieren, Vögeln, Reptilien, Amphibien, Insekten, Weichtieren und Fadenwürmern schon eindeutig nachgewiesen. Homosexualität hat mehrere Funktionen, die von den jeweiligen Bedingungen abhängen, so diene sie als „alternative Reproduktionstaktik, als kooperative Brutstrategie, zur Festigung sozialer Bindungen oder zur Vermittlung bei gleichgeschlechtlichen Konflikten.“ Mehr zum Thema erfährt man hier [14].
Muskelmänner: Mehr Sex, aber schwaches Immunsystem [15]
Männer mit mehr Muskelmasse haben im Durchschnitt auch mehr Sex, so lautet das Ergebnis einer neuen Studie. Dafür haben sie allerdings auch ein schlechteres Immunsystem und sind somit krankheitsanfälliger.
Weibliche Paviane schätzen platonische Beziehungen [16]
Pavianmütter gehen rein platonische Beziehungen, also solche ohne Sex, mit Männchen ein. Die Hälfte dieser Männchen sind die Väter der Kinder, was bedeutet, dass Pavianväter ihre Kinder von fremden Kindern unterscheiden können, wozu menschliche Väter nicht in der Lage sind. Die andere Hälfte der Männchen besteht aus nicht einmal potenziellen Vätern, die keinen Sex mit dem Weibchen hatten. Möglicherweise signalisieren sie anderen, paarungsbereiten Weibchen durch dieses Verhalten ihre sozialen Qualitäten.
Erst schlauer, dann dümmer [17]
Menschen in den westlichen Industrienationen wurden über die Jahrzehnte immer schlauer, doch nun werden sie wieder dümmer. Laut einer Studie [18] von John Harvey und Richard Lynn liegt dies daran, dass der Flynn-Effekt (bessere Ernährung befördert die „normale“ Entwicklung der angeborenen Intelligenz) nun in die andere Richtung wirkt und dass dumme Menschen mehr Kinder haben, wie es in der Filmsatire „Idiocracy“ dargestellt wird. Lynn und Harvey erhoffen sich eine Trendumkehrung durch Biotechnologie, also durch künstliche Intelligenzsteigerung.
Man ist sich inzwischen weitgehend einig, dass das Leben aus RNA, aus Ribonukleinsäure, entstanden ist. RNA ist DNA mit nur einem Strang und mit minimalen Unterschieden in den Basen (Uracil stand Thymin). Sie spielt in unserem Körper eine große Rolle beim Ablesen des DNA-Codes und bei der Entwicklung von Aminosäuren (Eiweiß). Dr. Gerry Joyce hat nun zwei RNA-Moleküle entwickelt, die sich replizieren und sich an neue Umweltbedingungen anpassen können. Zudem wurde eine Möglichkeit für die natürliche Synthese (Verschmelzung) von Nukleotiden (Zellkernen) gefunden.
Der dritte Fortschritt auf dem Gebiet ist eine Lösung für das Problem der „Ur-Synde“, wie Forscher es nennen. Es geht dabei um links- und rechtsdrehende Moleküle. In Lebewesen sind alle Aminosäuren linksdrehend und alle Zucker und Nukleotide rechtsdrehend. In der unbelebten Natur kommen sie in gleicher Menge vor, wobei die linksdrehenden Moleküle die rechtsdrehenden davon abhalten, sich zu RNA oder DNA zu verbinden. Nun haben Forscher gezeigt, wie sich die beiden Formen durch Einfrieren und Verschmelzen zu nur einer Form verbinden können. Die Wissenschaftler vermuten, dass sie nur noch ein paar Jahre benötigen, um das Rätsel der Entstehung des Lebens zu lösen.
Wir sind definitiv nicht allein im Universum [20]
Das findet jedenfalls der Astronom Frank Drake. Er hält es für möglich, dass uns außerirdische Zivilisationen nicht hinreichend überlegen sind, sodass wir sie bislang nicht entdecken konnten. Ein außerirdisches Signal zu empfangen, wäre leider nicht unbedingt so toll, befürchtet Drake: „Mein schlimmster Alptraum besteht darin, dass wir ein Signal entdecken und es eine Werbung für einen religiösen Kult ist.“
Der Appeasement-Streit weitet sich aus [21]
Was in den USA als „Didaktik-Streit“ begonnen hat, als Streit unter Wissenschaftlern um die Frage, wie man religiösen Menschen die Evolutionstheorie näherbringen könnte, hat sich inzwischen zu einer grundsätzlichen Auseinandersetzung um die Frage entwickelt, ob Religion und Wissenschaft vereinbar sind und welche Haltung Wissenschaftler sinnvollerweise zu dieser Frage vertreten sollten.
Der Evolutionsbiologe Jerry Coyne, der die Debatte angestoßen hat, streitet sich momentan mit dem einflussreichen theistischen Evolutionisten (Gläubige, welche die Evolutionstheorie anerkennen), Kenneth Miller. Er wirft ihm vor [22], seine Standpunkte falsch dargestellt zu haben, um ihn in ein falsches Licht zu rücken.
Der Philosoph Michael Ruse, der zwar nicht an Gott glaubt, aber Kreationisten immer wieder verteidigt, hat den Biologen P.Z. Myers zu einer recht wütenden Stellungnahme provoziert. Auf die Unterstellung von Ruse, die Neuen Atheisten (die lautesten Nicht-Appeaser der Debatte), würden sich nicht für die Psyche und das emotionale Befinden der Kreationisten interessieren, antwortete er [21] unter anderem wie folgt:
„Ich habe Mitleid mit ihnen, weil sie die Schönheit der Realität zu Gunsten der Schrecklichkeit irgendeines engstirnigen, theokratischen Bullshits aus der Bronzezeit verpassen.
Aber es gibt auch solche, für die ich überhaupt kein Mitleid empfinde.
Ich habe gar kein Mitgefühl mit intelligenten Menschen, die vor einem grandiosen Monument der Lügen stehen, einer Einrichtung, die antiwissenschaftlich ist, antirational und letztlich anti-human, einem Ort, wo Kinder aktiv fehlgebildet werden, ein Gebäude, das einer beständigen intellektuellen Bosheit gewidmet ist, und sich dazu entschließen, sich darüber zu beschweren, wie diese garstigen Atheisten alles ruinieren.
Diese Leute können sich einfach verpissen.“
Ein kleiner Einblick in einen typisch amerikanischen Diskurs. Das Thema selbst ist allerdings wichtig und man fragt sich, warum es in Deutschland kaum eine Rolle spielt. Die amerikanische Appeasement-Debatte hat inzwischen jedenfalls größere Ausmaße angenommen, darum werde ich bei Gelegenheit einen längeren Artikel speziell über dieses Thema schreiben.
Interview mit Peter Singer [23]
In diesem Video spricht Richard Dawkins mit dem Moralphilosophen Peter Singer. Darf man Tiere essen? Ist Sterbehilfe legitim? Ist es ethisch vertretbar, einen Menschen zu essen, der von einem Auto überfahren wurde? Tipp: Das Sehvergnügen lässt sich durch den Konsum eines Beruhigungstees steigern.
AM
Links:
[1] http://www.darwin-jahr.de/sites/darwin-jahr.de/files/story/node-285-459.jpg
[2] http://www.blick.ch/news/schweiz/immunologe-stadler-pandemie-alarm-ein-absoluter-bloedsinn-121480
[3] http://derstandard.at/fs/1244460869106/Der-Tod-im-Schlamm
[4] http://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/0,1518,631252,00.html
[5] http://www.fnp.de/fnp/themen/wissenschaft/rmn01.c.6077449.de.htm
[6] http://www.zeit.de/online/2009/25/neandertaler-nordsee
[7] http://derstandard.at/fs/1244460506133/Panamakanal-Grabungen-Ueberreste-einer-15-Millionen-Jahre-alten-Pferdeart-gefunden
[8] http://www.n-tv.de/wissen/weltall/Die-Quallen-kommen-article365828.html
[9] http://www.n-tv.de/wissen/weltall/Neue-Termitenbekaempfung-article366059.html
[10] http://www.wissenschaft.de/wissenschaft/news/304369.html
[11] http://www.goethe.de/ges/phi/thm/deb/de4495579.htm
[12] http://www.heise.de/tp/r4/artikel/30/30518/1.html
[13] http://www.welt.de/die-welt/article3939869/Warum-es-schwule-Pinguine-gibt.html
[14] http://www.heise.de/tp/r4/artikel/30/30541/1.html
[15] http://www.queer.de/detail.php?article_id=10602
[16] http://pressetext.at/news/090617033/weibliche-paviane-schaetzen-platonische-beziehungen/
[17] http://www.zeit.de/2009/26/Stimmts-Intelligenz
[18] http://www.sciencedirect.com/science?_ob=ArticleURL&_udi=B6W4M-4NKJ1FW-3&_user=10&_coverDate=04/27/2007&_rdoc=30&_fmt=summary&_orig=browse&_srch=doc-info%28#toc#6546#9999#999999999#99999#FLA#display#Articles%29&_cdi=6546&_sort=d&_docanchor=&_ct=42&_acct=C000050221&_version=1&_urlVersion=0&_userid=10&md5=d09c97995c713d22e60fa39c54ea4f34
[19] http://www.nytimes.com/2009/06/16/science/16orig.html?pagewanted=2&_r=3
[20] http://www.spiegel.de/international/world/0,1518,629411,00.html
[21] http://scienceblogs.com/pharyngula/2009/06/a_little_sympathy_for_the_snoo.php
[22] http://whyevolutionistrue.wordpress.com/2009/06/17/science-vs-theism-a-debate-with-kenneth-miller-part-ii-out-of-context/
[23] http://www.youtube.com/watch?v=GYYNY2oKVWU