Mythologie | 16.01.2009
„Enûma Eliš“ – so lautet der Name des babylonischen Schöpfungsmythos. Vielleicht hat der Leser den Namen schon einmal gehört, auch Teile [2] des Mythos sind in unseren Weiten gemeinhin bekannt. Allerdings nicht von babylonischen Tontafeln, sondern aus dem alttestamentarischen Buch Genesis.
Die Keimzelle des Universums
Das Enûma Eliš [3] (hier eine Zusammenfassung [4]) beginnt mit einer poetischen Beschreibung des Nichts:
Als die hohen Himmel noch keinen Namen trugen
Und die Erde darunter noch nicht benannt war
Und der urzeitliche Apsu, der sie geboren hatte
Und Chaos, Tiamat, die Mutter der beiden,
Ihre Wasser waren vermischt
Und kein Feld war geformt, kein Quellmoor war zu sehen,
Als von den Göttern noch keiner zum Leben gebracht war
[....]
Der Gott Apsu ist uns bereits von den Sumerern bekannt. Für sie repräsentiert er das unterirdische Urmeer. Für die Babylonier stellt er ein anfängliches Süßwassermeer dar, während Tiamat (für die Griechen später die Großmutter der Meeresgöttin Thetis, Mutter des trojanischen Helden Achilles) ein Salzwassermeer bezeichnet. Sie haben einen Sohn: „Mummu“. Er ist der Nebel, der dort aufsteigt, wo sich die beiden Wasser vermischen. Diese drei Gottheiten bilden eine Ursubstanz, die alle Zutaten für das noch unerschaffene Universum in sich tragen. Die beiden Meere und der Nebel schweben in leerem Raum.
Schließlich zeugen Apsu und Tiamat ein Geschwisterpaar namens Anschar und Kischar. Die beiden zeugen einen Sohn, den Himmelsgott Anu. Jener zeugt wiederum ein Wesen nach seinem Ebenbild. Dessen Name ist „Ea“, vormals bekannt als der sumerische Gott „Enki“.
Enkis Rückkehr
Enkis Popularität ist nicht mit den Sumerern untergegangen, sondern sie wächst noch weiter. Er steigt sogar in der Götterhierarchie auf und wird anfänglich zu Babylons Zeus ernannt. Kein anderer Gott kann es mit der Weisheit und Stärke Enkis aufnehmen, nicht einmal seine Eltern. Wie bei den Sumerern ist er erneut der Gott des unterirdischen Süßwassermeeres (nicht zu verwechseln mit seinem Vater Apsu, dem Ur-Süßwassermeer, das für die Babylonier schon vor dem Universum existiert hat). Diesmal ist er nicht nur ein großer Magier, sondern er ist zum Gott der Magie aufgestiegen.
Schon bald kommt es zum ersten großen Konflikt: Die jungen Götter feiern die ganze Zeit über Parties, sie singen und machen zu viel Lärm. Das stört ihre Eltern und Großeltern Apsu und Tiamat. Sie rufen die Kinder zur Ordnung, doch diese wollen nicht hören. Apsu entschließt sich zu einer drastischen Maßnahme: Er will zusammen mit seinem Sohn und Wesir Mummu versuchen, seine Nachfahren zu vernichten. Das gefällt Tiamat gar nicht. Voller Qualen schreit sie: „Warum sollten wir das zerstören, was wir erschaffen haben?“, eine Frage, die sich Apsus Nachfolger, der biblische Gott Yahwe, niemals stellen wird.
Die jungen Götter hören von Apsus Entscheidung und rennen panisch hin und her. Sie wissen keinen Rat und ergeben sich schließlich betrübt ihrem Schicksal. Doch Apsu hat jemanden vergessen. Einen Gott, der Parties mag und der für sein Recht kämpfen wird, Parties zu feiern: Enki. Er erzeugt ein magisches Schutzschild über den jungen Göttern und belegt Apsu mit einem Fluch, der ihn schlafen lässt. Enki entfernt Apsus göttliche Krone und sein übernatürliches Glimmen und legt sie sich selbst an. Wie Zeus später seinen Vater Kronos bezwingen und die Titanen einsperren wird, so tötet Enki seinen Vater Apsu und sperrt dessen Wesir Mummu ein. Auf der Leiche seines Vaters errichtet Enki eine Residenz, wo er zukünftig mit seiner Frau in Reichtum und Wohlstand leben wird.
Und Marduk ward geboren
Enki und seine Frau Damkina zeugen einen Sohn: Marduk. Enki freut sich sehr über die Geburt seines Sohnes und mit Hilfe seiner magischen Kräfte macht er ihn „doppelt gleich“ mit den anderen Göttern, also mächtiger als sie.
Derweil läuft Tiamat, betrübt durch den Tod ihres Mannes, ziellos hin und her. Einige Götter, die von Kingu angeführt werden, überreden sie zur Rache. Tiamat heiratet Kingu und sie sammeln Anhänger für den kommenden Krieg gegen Enki und seinen göttlichen Fanclub. Erst kurz vor dem Angriff erfährt Enki von Tiamats finsteren Plänen. Er wendet sich an seinen Großvater Anschar, der ihm sagt, dass es keinen anderen Weg für ihn gibt, als sich Tiamats Armee zu stellen. Doch mehrere Angriffe schlagen fehl. Tiamat hat durch die Fehler ihres Ex-Mannes Apsu dazugelernt. Die Götter, die auf Enkis Seite stehen, treffen sich zu einer Generalversammlung. Sie entscheiden sich, Enkis Sohn Marduk zum „König des gesamten Universums“ zu erklären, eine Art Notfallplan, der ihm die Macht verleiht, Tiamats Armee mit den Fähigkeiten aller Götter zu bekämpfen.
Marduk reist, ausgestattet mit Feuer, Blitzen und Stürmen, zu Tiamat und fordert sie zu einem Duell heraus. Sie nimmt an und Marduk fängt sie in seinem Netz ein. Als sie ihren Mund öffnet, um ihn zu verschlingen, lässt Marduk einen Sturm auf sie los, der ihren Mund geöffnet hält. Dort hinein schießt er einen Pfeil, der ihr Herz trifft und sie tötet. Als ihre Anhänger das sehen, versuchen sie zu fliehen, doch keiner entkommt. Marduk sperrt sie ein.
Schöpfung im Alleingang
Nun zerteilt Marduk Tiamats Körper und erschafft das Universum, wie wir es kennen (das Vorherige ist so etwas wie eine Beta-Version gewesen. In der Alpha-Version hat es nur Apsu, Tiamat und Mummu gegeben). Aus einer Hälfte ihres Körpers formt er den Himmel und aus der anderen die Erde. Er weist Anu, Enki und Enlil (vormals sumerische Götter) ihre Herrschaftsbereiche zu. Im Himmel errichtet er Stationen für die Götter. Die Sterne erschafft er, um daran den Kalender zu orientieren, also das Jahr in Monate, Wochen und Tage zu unterteilen. Im Osten und Westen baut er Tore, durch welche die Sonne ein und ausfliegen kann.
Aus Tiamats ehemaligen Anhängern werden auf Marduks Befehl die Sklaven der Siegermächte. Ihnen wird die Arbeit allerdings bald zu schwer und sie beklagten sich bei Marduk. Dieser entscheidet sich, den Anführer der Rebellen, Kingu, zur Rechenschaft zu ziehen und die anderen Götter frei zu lassen. Das göttliche Gericht befindet Kingu für schuldig, Tiamat zur Rache und zum Krieg angestiftet zu haben. Enki tötet ihn zur Strafe und erschafft aus dem Blut Kingus die Menschen, die nun für die Götter arbeiten müssen – genau, wie es sich auch die Sumerer vorgestellt haben. Zuletzt teilt Marduk die Götter ein: Je 300 sollen in den Himmel kommen und 300 auf die Erde, wo sie bestimmte Aufgaben zu bewältigen haben.
Die Gemeinschaft der Götter (Anunnaki) bedankt sich bei Marduk durch die Errichtung der Stadt Babylon und seinen dortigen Tempel. Außerdem übertragen sie auf ihn ihre 50 Titel mit allen Eigenschaften und Fähigkeiten der Götter. Diese absolute Macht verwandelt Marduk in einen beinahe monotheistischen Gott.
Die ersten Schrecken des Monotheismus
Verantwortlich für das Enûma Eliš ist die babylonische Priesterklasse. Die unerhörte Macht, die sie auf Babylons Stadtgott Marduk übertragen, spiegelt ihren Herrschaftsanspruch auf die benachbarten Städte wider. Schließlich ist Marduk der Schöpfer des bekannten Universums und Enki hält sich bei der Erschaffung des Menschen an seine Anleitung. Zudem ist Babylon die Heimat der Götter und wird als höchstes Heiligtum zu Marduks Ehren von ihnen errichtet. Es kann insofern kein Zweifel bestehen, dass Babylon über die anderen Städte herrschen muss.
Wie das Leben so spielt, würde Marduk ausgerechnet den späteren Erfindern des radikalen Monotheismus, den wir heute kennen, das Leben schwer machen. Im Namen Gottes greifen die Babylonier die Israeliten an und zerstören ihren Tempel. Die Babylonier nehmen die verbliebenen Israeliten mit nach Babylon ins Exil [5]. Im Gegensatz zu der Geschichte, die uns die Bibel zum Thema erzählt, ergeht es den exilierten Israeliten in Babylon hervorragend
Das frohe Leben in Babylon
Sie sind beinahe gleichberechtigt mit der einheimischen Bevölkerung und sie dürfen sich sogar Sklaven halten. Man sollte aus diesem Grund besser aufhören, von der „Gefangenschaft“ in Babylon zu sprechen, denn Gefangene dürfen sich gewiss keine Sklaven halten. Nicht nur das: Die Israeliten können ihre kulturelle und religiöse Identität bewahren und sie dürfen ihre Kolonien selbst verwalten. Sie haben keinerlei Fronarbeit zu leisten und sind in Babylon freier, als sie es unter ihrem aufgezwungenen „Einen Gott“ je gewesen sind. Die „Gefangenschaft“ in Babylon ist die größte Blütezeit der jüdischen Theologie. Ohne die Fixierung auf den Tempel und seinen einsamen Bewohner stellen sich die Menschen religiöse Fragen und in dieser Situation entstehen die ersten Synagogen. Mitten in Babylon.
Die Israeliten werden also von der benachbarten Hochkultur Babylons freundlich aufgenommen. Und das, obwohl sie gerade einen Krieg gegen sie verloren haben. Diesbezüglich existieren Spielregeln: Wird zu jener Zeit ein Volk besiegt, gibt es stets seine Götter auf und verehrt stattdessen die überlegenen Gottheiten der Siegermacht. Die meisten Israeliten tun das auch. Ohnehin verehren sie bereits vor der Zerstörung des ersten Tempels einen weiteren Gott neben Jahwe, nämlich seine Ehefrau, eine Muttergöttin.
Es gibt nur wenige Kulturen, die keine Muttergöttin verehren. Zum Beispiel ist der Gott der römischen Katholiken theoretisch ein einziger Gott. Allerdings besteht er aus drei Teilen, Gott Vater, Gott Sohn und der heilige Geist. Neben diesen drei Teilen gibt es noch weitere Götter oder Halbgötter im Katholizismus, die Heiligen und die Nachfolgerin von Jahwes Ehefrau: Die Jungfrau Maria.
Im Prinzip ist nun alles in Butter für die Israeliten. Ihr Tempel ist zerstört und mit ihm die Macht der Priesterklasse und sie sind nun assimiliert in eine Hochkultur, die sie ohnehin schon neidisch beäugt haben. Angesichts der Tatsache, dass auch die Babylonier Semiten sind, gibt es keine großen Unterschiede zwischen Israeliten und Babyloniern, die Konflikte auslösen könnten. Man muss also welche erfinden.
Die Rache der frustrierten Priesterklasse
Diese Aufgabe übernehmen die großen Verlierer des Krieges: Die israelitischen Priester oder zumindest jene von ihnen, die nicht bereit sind, sich den neuen Gegebenheiten anzupassen. Sie sind so besessen von Jahwe, dass sie es nicht ertragen können, mit ihm als ihren Gott den Krieg verloren zu haben. Es muss dafür eine Erklärung geben! Und die ist schnell gefunden: Ihr Volk hat nämlich Götzen verehrt! Sie haben sich nicht an die Gebote Jahwes (ihre eigenen) gehalten! Mit anderen Worten: Die Israeliten haben den Krieg gegen die Babylonier angeblich nur verlieren können, weil sie nicht fanatisch genug gewesen sind. Genau diese Erklärung verbreitet die Priesterklasse nun mit Hilfe von so genannten „Propheten“. Das sind Menschen, die angeblich mit Gott gesprochen haben und eine Mission für ihn ausführen. Propheten und Priester versprechen den Israeliten den Himmel auf Erden als Gegenleistung für ihren erneuten Gehorsam, während sie kulturelle und religiöse Reinheit propagieren und gegen die fremden Einflüsse durch die Babylonier hetzen.
Eben diese Priester stellen im babylonischen Exil den Pentateuch zusammen, die ersten fünf Bücher der Bibel, Juden bekannt als Tora. Und sieht man sich die hasserfüllten Vernichtungsgeschichten (z.B. Sodom und Gomorrha) darin an und die grausamen Gesetze wie die Steinigung ungehorsamer Kinder, die Gutheißung von Sklavenhaltung und Krieg gegen Andersgläubige, der Aufruf zur Aneignung der Frauen und Mädchen besiegter Völker, so wird deutlich, welche Geisteshaltung dahinter steckt und nun wissen wir auch, woher sie kommt. Es sollte sich als verhängnisvoll erweisen, dass ausgerechnet eine intolerante, herrschsüchtige Minderheit der Israeliten die wichtigsten Bücher des Alten Testaments verfasst hat.
Ausblick
In zwei Wochen befassen wir uns mit den ägyptischen Schöpfungsmythen. Darin taucht erstmals Jesus Christus auf. In Ägypten hört er allerdings noch auf den Namen „Horus“.
AM
Links:
[1] http://www.darwin-jahr.de/sites/darwin-jahr.de/files/story/node-167-196.jpg
[2] http://www.meta-religion.com/World_Religions/Ancient_religions/Mesopotamia/genesis_and_enuma_elish_creation.htm
[3] http://www.sacred-texts.com/ane/enuma.htm
[4] http://books.google.com.kh/books?id=ge3AT4SewpgC&dq=heidel+alexander+babylonian+genesis&pg=PP1&ots=0Ww_aokgVb&sig=LOJgKz9ThCzI7pTHQLorgxVCgWg&prev=http://www.google.com.kh/search?q=Heidel%2C+Alexander+Babylonian+Genesis&ie=utf-8&oe=utf-8&aq=t&rls=org.mozilla:en-US:official&client=firefox-a&sa=X&oi=print&ct=title&cad=one-book-with-thumbnail#PPA12,M1
[5] http://de.wikipedia.org/wiki/Babylonische_Gefangenschaft
[6] http://www.pbs.org/wgbh/nova/bible/