Evomagazin im Interview | 26.07.2011
Colin Goldner ist klinischer Psychologe und Autor zahlreicher Bücher und Fachbeiträge. Seine Veröffentlichungen umfassen das 642-Seiten-Standardwerk „Die Psychoszene“ (2000) und den von ihm herausgegebenen Sammelband „Der Wille zum Schicksal: Die Heilslehre des Bert Hellinger“ (2003); weithin bekanntgeworden ist er aber durch seine Studie „Dalai Lama: Fall eines Gottkönigs“ (1999/Neuauflage 2008), die er auf Vortragsreisen im In- und Ausland vorgestellt hat. Seit ein paar Jahren publiziert er zunehmend zu tierrechtlichen Themen.
Evomagazin: Du setzt dich ja bereits seit vielen Jahren ganz intensiv für die Rechte von Tieren ein. Was hat dich denn eigentlich zu dem Thema gebracht?
Colin Goldner: Ich habe meine ersten sechs Lebensjahre auf einem Bauernhof in Niederbayern zugebracht. Mein Onkel hatte dort eine Schweinemast samt eigenem Schlachthaus, in dem täglich vor Morgengrauen geschlachtet wurde. Als Jüngster auf dem Hof war ich dafür zuständig, das in einem großen Bottich aufgefangene Blut der abgestochenen Schweine zu rühren, so dass es nicht stockte, bevor es geschluckert wurde - so hieß das Einfüllen des Blutes in die ausgewaschenen Därme -, um Blutwurst daraus zu machen. So etwas prägt für’s Leben: ich habe heute noch den Geruch des dampfenden Blutes in der Nase. Wenn ich den Berichten meiner Eltern trauen darf, soll ich mich in der 1. oder 2. Klasse geweigert haben, an einem Schulausflug in den Münchner Tierpark Hellabrunn teilzunehmen. Da ich trotzdem mitfahren musste, soll ich vor dem Affenhaus einen Tobsuchtsanfall bekommen haben. Ich kann mich zwar nicht mehr daran erinnern, aber vom Gefühl her stimmt’s: mir tat es immer schon in der Seele weh, eingesperrte oder misshandelte Tiere zu sehen. Deshalb konnte ich auch nie Fleisch essen, ohne dass mir schlecht wurde. Aktiver Tierrechtler bin ich seit Anfang der 1990er, seit ich mitansehen musste, wie auf dem berühmten Tempelberg von Swayambunath, nahe der nepalischen Hauptstadt Kathmandu, ein buddhistischer Mönch einen kleinen Affen zu Tode trat. Es war dies zugleich der Anstoß für meine Studie über den Dalai Lama und den tibetischen Buddhismus.
Evomagazin: Seit kurzem bist du für den Relaunch des Great Ape Projects zuständig. Den wenigsten Menschen in Deutschland dürfte dieses Projekt jedoch ein Begriff sein, kannst du für unsere Leser kurz zusammenfassen, um was es geht?
Colin Goldner: Das Great Ape Project, initiiert 1993 von den Philosophen Paola Cavalieri und Peter Singer, beinhaltet die Forderung, die Großen Menschenaffen - Schimpansen, Gorillas, Orang Utans und Bonobos - aufgrund ihrer großen genetischen Ähnlichkeit mit dem Menschen und ihren ähnlich komplexen kognitiven, affektiven und sozialen Fähigkeiten bestimmte Grundrechte zuzuerkennen, die bislang dem Menschen vorbehalten sind: Das Grundrecht auf Leben, auf individuelle Freiheit und auf körperliche wie psychische Unversehrtheit, wodurch praktisch alle Fälle erfasst sind, die Menschenaffen in Bezug auf Menschen betreffen können: Jagd, Wildfang, Zirkus, Zoo, Tierversuche. Es solle den Großen Menschenaffen der gleiche moralische und gesetzlich zu schützende - das heißt: auch einklagbare - Status zukommen, der allen Menschen zukommt. Singer und Cavalieri, dazu eine Reihe hochrenommierter Wissenschaftler einschließlich Jane Goodall oder Richard Dawkins, wiesen überzeugend nach, dass die tradierte Ungleichbehandlung von Menschen und Menschenaffen im Lichte wissenschaftlicher Erkenntnis nicht länger haltbar und damit moralisch zu verwerfen ist.
Evomagazin: Grundrechte für Affen, das dürfte bei vielen Menschen auf Widerspruch stoßen. Insbesondere wohl auch bei Religionsvertretern. Wie kann man Menschen begegnen, die sich darauf berufen, dass Gott die Menschen über die Tiere gestellt hätte?
Colin Goldner: Mit derselben Haltung, in der man Menschen begegnet, die Männer für gottgewollt höherwertig halten als Frauen, oder Hellhäutige für wertvoller als Dunkelhäutige. Tatsächlich erklärt der aktuell gültige Weltkatechismus der Katholischen Kirche, federführend herausgegeben im Jahre 1993 durch den seinerzeitigen Kurienkardinal Ratzinger: “Gott hat die Tiere unter die Herrschaft des Menschen gestellt, den er nach seinem Bilde geschaffen hat”, es sei insofern das "Gewaltverhältnis zwischen Mensch und Tier grundsätzlich unaufhebbar." Macht- und Gewaltverhältnisse sind allerdings keine gottgegebenen Konstanten, vielmehr sind sie, wie die schrittweise Überwindung von Rassismus und Sexismus zeigt, veränderbar. In der Tat würden Grundrechte für Menschenaffen die vorgeblich „gottgewollte Ordnung“ komplett aus den Angeln heben: der Mensch wäre nicht länger „Krone der Schöpfung“. Die Behauptung, durch Aufwertung des Tieres würde der Mensch abgewertet werden, ist gleichwohl Unsinn. Wurde der Mann durch die Gleichstellung der Frau abgewertet?
Evomagazin: Um das Great Ape Project ist es ja nach einigen Anfangserfolgen ruhig geworden. Erst die Preisverleihung der Giordano Bruno Stiftung hat das Thema wieder etwas mehr in die Öffentlichkeit gebracht. Gibt es denn schon konkrete Ideen, wie man das Projekt voranbringen kann?
Colin Goldner: In der Tat ist es ziemlich ruhig geworden um das Great Ape Project, das vor 18 Jahren hochambitioniert und engagiert auf den Weg gebracht worden war. Das von Singer und Cavalieri seinerzeit herausgebrachte Buch „Equality Beyond Humanity“ - in der deutschen Ausgabe trug es den Titel: Menschenrechte für die Großen Menschenaffen“ - wurde international zum Bestseller, aus dem im Jahre 1999 auch ein erster greifbarer Erfolg erwuchs: Neuseeland verbot per Gesetz sämtliche Experimente an Menschenaffen. Ein paar Jahre später, 2007, gab es einen weiteren kleinen Erfolg: die Inselgruppe der Balearen als autonome Region Spaniens beschloß, bestimmte Grundrechte für Menschenaffen einzuführen. Eine Forderung des spanischen Parlaments, entsprechende Schritte auf nationaler wie internationaler Ebene einzuleiten, verstaubt allerdings, mithin auf Druck der katholischen Kirche, in einer Schublade der Regierung Zapatero.
Der spanische Abgeordnete Francisco Garrido sagte hierzu: „Für unsere Forderungen werden wir kritisiert wie einst die Suffragetten, als sie das Wahlrecht für Frauen wollten, oder die Gegner der Sklaverei, die das Ende der Leibeigenschaft forderten. Das ist eine Konstante in der Geschichte“. uch anderweitig kam das Projekt praktisch zum Erliegen. Erst mit der Verleihung des Ethikpreises der Giordano Bruno-Stiftung an Paola Cavalieri und Peter Singer Anfang Juni 2011 in der Deutschen Nationalbibliothek Frankfurt am Main – in Anerkennung ihres jahrzehntelangen tierrechtlichen Engagements und insbesondere für ihre Initiierung des Great Ape Project - kam wieder Leben in die Sache. Auf Initiative der Giordano Bruno Stiftung und mit ausdrücklicher Unterstützung von Cavalieri und Singer soll das Great Ape Project von da aus weitergeführt werden, wo es vor ein paar Jahren zum Stillstand kam. Ich selbst habe mich bereiterklärt, das Projekt nach Kräften voranzutreiben, das aus meiner Sicht das zentrale Projekt tierethisch motivierten Handelns darstellt: die Dekonstruktion der sakrosankten Grenzziehung zwischen Mensch und Tier. Ganz abgesehen davon, dass eine globale Festschreibung von Grundrechten für die Großen Affen vielleicht deren letzte Überlebenschance als Art darstellt, und selbstredend für jedes einzelne ihrer Individuen ganz reale Befreiung bedeuten würde. Einem Neustart des Projektes dürften heute weitaus größere Chancen beschieden sein, als Anfang der 1990er: alleine schon deshalb, weil tierrechtliches Bewusstsein weltweit sehr viel weiter fortgeschritten ist, als noch vor 20 Jahren; und zum anderen, weil über das Internet ganz neue Möglichkeiten der Vernetzung und damit der Ausübung politischen Drucks bestehen. Das Great Ape Project könnte als Klammer dienen, die gegenwärtig in eine Unzahl kleiner und zudem heillos untereinander zerstrittener Organisationen, Gruppen und Grüppchen der Tierrechts- und Tierbefreiungsszene auf den gemeinsamen Nenner des Antispeziesismus zu vereinen: der Forderung nach Zuerkennung einklagbarer Grundrechte an nicht-menschliche Lebewesen; pragmatischerweise in einem ersten Schritt an die Großen Menschenaffen, bei denen es sehr viel offensichtlicher ist als bei anderen nicht-menschlichen Tieren, dass sie über personales Bewusstsein verfügen, was ihre Aufnahme in die Gemeinschaft der Gleichen, der bislang nur Angehörige der Spezies Homo sapiens zugehören, zur ethisch verpflichtenden Notwendigkeit macht, will man die Idee von Recht und Gerechtigkeit aufrecht erhalten. Naturwissenschaftlich ist es bekanntlich völlig unhaltbar, überhaupt zwischen Mensch und Menschenaffe zu unterscheiden: die Erbgutunterschiede etwa zwischen Mensch und Schimpanse bewegen sich je nach Meßmethode im minimalen Prozent- oder gar nur im Promillebereich. Grundrechte für Menschenaffen lassen sich, wie das Beispiel Neuseeland gezeigt hat, tatsächlich erkämpfen. Voraussetzung ist ein Bündeln der Kräfte, um entsprechenden politischen Druck entfalten zu können. Ich setze insofern auch auf die Unterstützung der Giordano Bruno-Stiftung, die mit der Zuerkennung des Ethikpreises an Paola Cavalieri und Peter Singer den hohen Stellenwert bekundet hat, den sie Tierrechten als integralem Bestandteil des von ihr vertretenen evolutionären Humanismus zumisst. Die Giordano Bruno-Stiftung verfügt aufgrund ihrer breitgefächerten personellen Aufstellung über große Wirkmacht in viele gesellschaftliche Bereiche hinein. Viele der Beiräte und Fördermitglieder haben bereits ihre Bereitschaft zu aktiver Mithilfe beim Relaunch des Great Ape Project bekundet; mit gbs-Beirat Volker Sommer, einem der weltweit führenden Primatologen, steht dem Projekt zudem ein ausgewiesener Fachmann zur Seite. Ich bin guter Hoffnung, dass wir langfristig etwas für unsere haarigen Verwandten in Bewegung setzen können.
Evomagazin: Gibt es denn schon konkrete Ideen, wie man das Projekt voranbringen kann?
Colin Goldner: Ja. Als erste Maßnahme wurde eine eigene Website erstellt (www.greatapeproject.de [2]), auf der über das Projekt informiert und über die ein Netzwerk an Mitstreiterinnen und Mitstreitern geknüpft werden kann. Namhafte Tierrechtsverbände wie die „Albert Schweitzer Stiftung“ oder der „Bundesverband Menschen für Tierrechte“ haben bereits ihre Unterstützung zugesagt. Es soll insofern auch Kontakt zu Personen und Organisationen aufgenommen werden, die bereits mit verwandten Zielen oder Projekten befasst sind: die „Stichting AAP“ in Holland etwa, oder „Monkey World“ im südenglischen Dorset; selbstredend auch mit dem in der Lüneburger Heide ansässigen Affenschutzzentrum „Affen in Not“. Darüberhinaus sind verschiedenste Aktionen und Publikationen geplant, über die ein möglichst breites öffentliches Interesse an den Zielen des Great Ape Project hergestellt werden soll; dazu gezielte Lobbyarbeit auf politischer Ebene. Nicht zuletzt soll an bereits bestehenden Plänen mitgewirkt werden, ein eigenes Schutzzentrum für Menschenaffen in Deutschland zu etablieren. Ganz konkret werde ich als nächstes eine Bestandsaufnahme der aktuellen Haltungsbedingungen von Primaten in Deutschland und im europäischen Ausland in Angriff nehmen. Ich werde reihum sämtliche Zoos und sonstigen Einrichtungen besuchen, in denen Schimpansen, Gorillas, Orang Utans oder Bonobos gehalten werden und die jeweiligen Haltungsbedingungen dokumentieren. Aus den gesammelten Beobachtungen soll eine Dringlichkeitsliste für zu ergreifende Sofortmaßnahmen erstellt werden. Ganz oben auf dieser Liste wird sicher der sogenannte „Schwabenpark Welzheim“ bei Stuttgart stehen, ein Freizeitpark mit Achterbahnen und sonstigen Fahr- und Amusementbetrieben, in dem in täglichen Shows dressierte Schimpansen in Indianerkostümen oder verkleidet mit Nachthemd und Tirolerhut vorgeführt werden. Ich werde den Tierschutzbeauftragten der neuen grün-roten Landesregierung in Baden-Württemberg nachdrücklich daran erinnern, dass der Kolationsvertrag eine „konsequente Umsetzung des Staatsziels Tierschutz“ vorsieht.
Evomagazin: In jüngster Zeit haben einige Zoos ihre Primatenhaltung verbessert. So wurde etwa in Frankfurt ein neues 10 000 Quadratmeter großes Affenhaus mit tropischer Atmosphäre geschaffen. Wie sind solche Projekte deiner Meinung nach zu bewerten.
Colin Goldner: In knapp 30 der mehr als 800 Zoos und Tierparks in Deutschland werden gegenwärtig etwa 250 Große Menschenaffen zur Schau gestellt. Während sich einige der wissenschaftlich geführten Zoos – München, Leipzig oder auch Frankfurt vorneweg – um Haltungsbedingungen bemühen, die wenigstens dem bundesministeriellen Säugetiergutachten von 1996 entsprechen, das Mindestanforderungen an die Haltung von Wildtieren in Zoos formuliert, erfüllt die Primatenhaltung in anderen Zoos, in Stralsund etwa, in Wuppertal oder im niederbayerischen Straubing, noch nicht einmal diese grundlegenden Standards. Und selbst die Minimalanforderungen des Tierschutzgesetzes werden mancherorts unterschritten. Gleichwohl die Haltung von Menschenaffen in reisenden Unternehmen nach den Zirkusleitlinien von 2003 nicht mehr zulässig ist, kann etwa besagter „Schwabenpark“ als nicht-reisendes Unternehmen sich diesem Verbot elegant entziehen. Seit Mai 2010 sind in den Staaten der EU medizinische Versuche an Menschenaffen nur noch ausnahmshalber erlaubt, in deutschen Labors werden insofern, offiziell zumindest, keine Primaten mehr gehalten. Zur Frage nach den Zoos modernerer Prägung, die wissenschaftlichen Leitlinien entsprechend geführt werden: Mir ist natürlich bewusst, dass es schlechtere und bessere Zoos gibt. Zu letzteren zählt unbestritten der Zoo in Frankfurt, der 2008 sein neues Affenhaus eröffnet hat. Dieses Haus mit Tropenatmosphäre ist gewiss besser als das alte mit seinen Gitterkäfigen aus den späten 1950er Jahren, auch wenn die publikumswirksame Angabe von 10.000 Quadratmetern Grundfläche reine Augenwischerei ist. Tatsächlich umfassen die voneinander getrennten Innenanlagen, in denen sich die Tiere die meiste Zeit aufhalten, für die derzeit 7 Gorillas exakt 466qm, für die 7 Orang Utans 253qm und für die 12 Bonobos 254qm; hinzu kommen die nur gelegentlich und nur im Sommer nutzbaren Außenanlagen: 3360qm für die Gorillas, 587qm für die Orang Utans und 1030qm für die Bonobos. In der Summe macht das gerade einmal 973qm für die Innenanlagen und weniger als 5500qm für die Außenanlagen. Und das für 26 Menschenaffen. Um auf 10.000qm zu kommen, wurden die Versorgungsgänge sowie die Gehwege und Aussichtsplattformen für die Besucher einfach miteinberechnet. Aber egal wie groß die jeweiligen Anlagen auch sein mögen: als Tierrechtler trete ich für eine grundsätzliche Abschaffung des Zurschaustellens von Tieren ein. Auch wenn die Bonobos, Gorillas und Orang Utans des Frankfurter Zoos seit 2008 in vergleichsweise akzeptablen Verhältnissen leben. - gar in vorbildlichen, zieht man die Haltungsbedingungen in Stralsund, Wuppertal, geschweige denn: in osteuropäischen Zoos als Vergleich heran -, haben Menschenaffen in Zoos prinzipiell nichts verloren; andere Tiere auch nicht. Die Zuerkennung von Grundrechten an Menschenaffen, die das Ende von Zoo-, Zirkus- und Laborhaltung bedeuten würde, sehe ich - mit Singer und Cavalieri - als einen ersten Schritt hin zu einem dringend notwendigen Paradigmenwechsel: Menschenaffen stellen den Dreh- und Angelpunkt dar des Verhältnisses Mensch-Natur, sie definieren wie nichts und niemand sonst die sakrosankte Grenzlinie zwischen Mensch und Tier: sind sie festgeschrieben „auf der anderen Seite“, sind das alle anderen Tiere mit ihnen. Würde die Grenze zu den Affen hin durchlässig, könnte das ein „Türöffner“ sein, der letztlich allen Tieren zugute käme. Im besten Fall könnte dies - in Analogie zur Abschaffung der Sklaverei - zu besagtem Paradigmenwechsel führen, zu einem radikalen Wandel des gesellschaftlichen Konsenses über das bisherige Verhältnis Mensch-Tier.
Evomagazin: Vielen Dank Colin für das Interview
Links:
[1] http://www.darwin-jahr.de/sites/darwin-jahr.de/files/story/node-558-1001.jpg
[2] http://www.greatapeproject.de