Evomagazin im Interview mit Helge Nyncke | 21.07.2011
Helge Nyncke ist studierter Diplom-Designer, Illustrator und Autor. Er hat unzählige Schul-, Sach- und Bilderbücher, Spiele und Trickfilme für Kinder illustriert, geschrieben oder erfunden, aber auch kritische Essays, Drehbücher, kabarettistische und freie Texte für Erwachsene verfasst. Daneben hat er auch noch Zeit gefunden, Kunstobjekte zu entwerfen oder Kinderkrankenhäuser zu verschönern. Größere Bekanntheit erlangte er als Zeichner des "Ferkelbuches" Im Interview mit dem Evomagazin berichtet er von seiner Tätigkeit und seinem Interesse an der Evolution.
Evomagazin: Als Illustrator hast du ja schon mehrere Bücher für Kinder gemacht, die sich mit dem Thema Evolution beschäftigen. Wie geht man da heran, dass solche Zeichnungen auch kindgerecht rüberkommen?
Helge Nyncke: Ach ja, die armen kleinen Kinder, denen man immer noch mundgerechte Häppchen zurecht schneidet, auch wenn sie schon längst kräftige Zähne und Freude am Zubeißen haben! Im Ernst, diese Frage stellt sich vielleicht noch bis zum Ende des Vorschulalters, in einer Phase, wo die Entwicklung der frühkindlichen Wahrnehmung tatsächlich klar erkennbare Stufen durchläuft, denen sich Illustrationen für diese Altersstufen dann in gewissem Rahmen auch anpassen sollten. Aber wenn das Thema Evolution angesagt ist, sind Kinder wahrnehmungstechnisch längst "erwachsen" und oftmals fitter und aufmerksamer als die Erwachsenen selbst. Es schadet aber sicher nichts, die Welt möglichst klar und unverschlüsselt darzustellen und keine allzu ambitionierten künstlerisch-stilistischen Selbstverwirklichungsversuche in diesem Medium ausfechten zu wollen. Meiner Erfahrung nach kommt das bei Kindern besser an, als angestrengte Kindertümelei.
Evomagazin: Kinder scheinen Dinosaurier über alles zu lieben, kannst Du dir erklären, warum das so ist und wie waren da die Erfahrungen mit deinen Kindern?
Helge Nyncke: Fast alle Kinder durchleben diese Faszinationsphase, meine eigenen vier natürlich auch, wobei da ein deutlicher Unterschied in der Geschlechterverteilung zu beobachten ist, den ich auch bei Veranstaltungen in Schulen immer wieder registriere: das spezielle Dino-Thema ist ganz klar eine Jungen-Domäne, Mädchen kennen sich dafür allgemein sehr gut oder sogar besser mit Tieren aus, ein paar Dinos dann gerne inklusive. Ich denke, Kinder nehmen Tiere noch sehr stark personalisiert wahr, d.h. sie dienen auf einer bestimmten Handlungsebene als tierische Stellvertreter menschlicher Umgangsweisen (ganz deutlich bei Kuscheltieren), und dabei interessieren Mädchen sich eher für die dynamisch-soziale Seite, die mehr von den noch lebenden und beobachtbaren Tieren gespiegelt wird, während die Jungen sich eher auf die faktisch-materielle Seite schlagen, bei der dann natürlich auch und gerade beeindruckende Extreme in Größe, Kraft und Schnelligkeit interessant werden, die ja bei den Dinos in Hülle und Fülle zu haben sind. Möglicherweise spielt unbewusst auch die für Kinder sehr wichtige Auseinandersetzung mit dem Tod eine Rolle bei der besonderen Faszination von Tieren, die ja alle ausgestorben, also tot sind.
Evomagazin: Bekanntermaßen sind von Dinosauriern ja nur noch Skelette erhalten, wie schafft man es diese dennoch realistisch darzustellen. Wieviel Freiheiten nimmt man sich als Künstler und wie stark berücksichtigt man aktuelle Forschungsergebnisse?
Helge Nyncke: Das Schöne dabei ist ja, dass die Forschung oftmals so zerstritten und ständig im Wandel ist, dass einem Künstler fast Tür und Tor offen stehen für eigene Variationen. Natürlich sollte man dabei auf dem Teppich bleiben, sich mit allgemeinen Gesetzmäßigkeiten bei der Entwicklung von Lebewesen gut auskennen und nicht das Spinnen anfangen - karierte Dinofelle oder giraffenschlanke Brachiosaurier wären sicher lustig, aber extrem unrealistisch. Aber eigentlich bekommt man gerade durch jahrelange intensive Beschäftigung mit evolutionären Zusammenhängen irgendwann ein alles durchdringendes Gespür dafür, was richtig und was falsch ist, einfach weil alle Lebewesen eine tiefe Verwandtschaft miteinander aufweisen, die sich immer wieder in zahllosen Details offenbart. Wenn man das einmal erst richtig verstanden hat, ergibt sich die konkrete illustrative Gestaltung dieser Wesen meistens fast von selbst.
Evomagazin: In dem Buch Susi Neunmalklug, dass du zusammen mit Michael Schmidt-Salomon gemacht hast, geht es ja sehr zentral, um die Unvereinbarkeit der christlichen Religion und der Evolutionstheorie. Kannst du dir erklären, warum das heute immer noch ein Thema ist?
Helge Nyncke: Ich würde eher sagen, es ist nicht immer noch, sondern leider wieder ein Thema, denn als ich noch zur Schule ging, hätte sich jeder, der sich mit der christlichen Rolle rückwärts gegen die Evolutionslehre gestellt hätte, einfach nur lächerlich gemacht. Heute ist so eine Position wieder salonfähig und wird ja sogar von christlichen Politikern offen vertreten. Auf einmal ist es todschick, wenn Comedians, Schauspieler oder Fußballer sich öffentlich als "gläubige Christen" outen, ohne dass ich von einem dieser neuen Fundamentalisten je mehr Substanzielles, als eben dieses Outing gehört oder gelesen hätte. Es ist für die einen eine billige Masche, irgendwie aufzufallen, ohne dafür Drogen nehmen oder sich zu Tode saufen zu müssen, und für die anderen ist es eine dankend angenommene Beifallsbekundung zu einem Religionsgesamtpaket, von dessen wahrem Inhalt die allermeisten Bekennenden keine blasse Ahnung haben. Test gefällig? Man bitte einfach mal einen überzeugten Christen, der einem die zehn Gebote als Grundlage unserer Gesellschaftsordnung verkaufen will, wenigstens einige, vor allem die ersten drei zu nennen. Garantiert Fehlanzeige, nichts als hohle Phrasen und Allgemeinplätze (habe ich vielfach und ohne Ausnahme so erfahren).
Evomagazin: Ist es dir eigentlich schon einmal passiert, dass du wegen der „Verbreitung der Evolutionstheorie“ von religiösen Menschen kritisiert worden bist?
Helge Nyncke: So viel Umgang habe ich nicht mit streng religiösen Menschen. Wenn überhaupt, dann gibt es immer mal wieder Auseinandersetzungen über das Ferkelbuch, das ja offenbar auch weit bis in religiöse Kreise hinein überhaupt wahrgenommen wurde, was bei Susi Neunmalklug sicher weit weniger der Fall ist. Außerdem wenden sich verbissene Kritiker immer lieber an Verlag oder Autor, als an den Illustrator. Irgendwie läuft diese Funktion wohl eher unter "ferner liefen".
Evomagazin: Neben der biologischen Evolution gibt es ja auch noch die kulturelle Evolution. Genau wie bei der biologischen ist dieser Prozess jedoch kein zielgerichteter hin zu einer höheren Entwicklung. Ein schönes Beispiel hierfür ist ja, dass die Malerei im Mittelalter sehr viel weniger exakt war, als die der Künstler in der Antike. Hast du eine Erklärung dafür, wie solch ein Rückschritt möglich war?
Helge Nyncke: Ich würde das nicht als Rückschritt werten, eher als eine Perspektiven-Änderung. Mit Ölfarbe eine idealisierte Landschaft zu pinseln ist nicht per se "besser" als einen kunstvollen Brokatmantel eines Bischofs zu malen. Auch ein klassischer griechischer Idealkörper in Marmor ist nicht unbedingt "wertvoller" als ein hölzerner Gekreuzigter. Es sind andere Themen und andere Darstellungsweisen. Allein die Abkehr von der naturalistischen zu einer Bedeutungsperspektive, in der z.B. Menschen in der Größe nach ihrem jeweiligen gesellschaftlichen Rang unterschiedlich dargestellt wurden, kann man durchaus auch als eine erste Stufe zur künstlerischen Abstraktion sehen. Und die Exaktheit der handwerklichen Ausführung sagt ebenfalls nichts aus über den Wert, sonst wäre das "Geklecker" eines Jackson Pollock oder das "Wischiwaschi" eines William Turner auch nichts als Müll. Auch hier würde ich also die evolutionäre Perspektive empfehlen und nicht nach dem vermeintlich höheren oder niederen Wert fragen, sondern nach den der Veränderung innewohnenden Dynamiken und logischen Entwicklungen, die eben ein stetiges Auf und Ab widerspiegeln, Pendelbewegungen und gegenseitige Beeinflussungen, die alle miteinander in Zusammenhang stehen.
Evomagazin: Jeder Mensch hat ja auch sowas wie seine persönliche Evolution. Bei dir hat sich ja auch einiges geändert und du gehst neue Wege. Berichte unseren Lesern doch, was dich aktuell so umtreibt.
Helge Nyncke: Wenn ich bei diesem Spannungsbild bleiben will, könnte ich sagen: dass eine Extrem des zur Perfektion neigenden künstlerischen Egos, das nach immer reizvolleren und lohnenderen Aufgaben süchtig ist, verblasst bei mir zur Zeit etwas hinter einer Pendelbewegung hin zu mehr sozialer Interaktion und Gemeinschaftsengagement. Momentan widme ich sehr viel Zeit der ganz konkreten aktiven pädagogischen Basisarbeit mit Kindern in einem internationalen Hort, nachdem ich zuvor bereits verschiedene Medienprojekte und körper- und bewegungsorientierte Workshops für Jugendliche betreut habe (siehe selbstaendige-vertretung.de). Die große Kunst der Illustration wie die Arbeit als vornehmlich satirischer Autor ruht größten Teils aufgrund außerordentlich schleppender Rückmeldungen seitens angefragter Verlage zu Projekten, die bereits seit langem voller Ungeduld in der Warteschleife stehen. Jedes Engagement in dieser freiberuflichen Richtung steht und fällt letztlich eben auch mit der Bereitschaft seitens der Vermittlermedien oder -Veranstalter, es weiter zu tragen, zu veröffentlichen, zu bewerben und mittels Lesungen oder Diskussionen zu fördern. Leider sieht es damit nicht sehr gut aus, was meiner Kreativität zwar grundsätzlich keinen Abbruch tut (siehe helge-liest-helge.de), wohl aber den Möglichkeiten, davon auch zu leben. Für mich bedeutet dies eben eine zumindest zeitweilig erzwungene Umorientierung zu weniger spektakulärem Broterwerb, was auch mal ganz erfrischend und Horizont erweiternd sein kann (und wir wissen ja, auch in der persönlichen Evolution gibt es streng genommen kein gut und kein schlecht, sondern nur ein anders und ein neu). Für die Medien- und Verlagslandschaft aber sehe ich schon eine gewisse Gefahr der Verödung hoffnungsvoller Ansätze, wenn diese nicht ausreichend gepflegt und weiter entwickelt werden. Wo wichtige Themen angestoßen werden wie mit dem Ferkel- oder dem Evolutionsbuch, müssen diese Setzlinge unbedingt intensiv weiter aufgepäppelt werden, sonst drohen sie vom Unkraut des Mainstreams wieder in kürzester Zeit vollständig überwuchert zu werden. Und das wär´s dann gewesen - eine schöne Anekdote, ein interessanter, aber leider wieder ausgestorbener Zweig der Evolution. Aber die Hoffnung stirbt zuletzt und ich denke schon, dass auf absehbare Zeit wieder ein echter Nyncke das Licht der Buchwelt erblicken und hoffentlich zu weiteren heiteren oder auch ernsthaften Diskussionen Anlass geben wird.
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