Psychologie | 25.11.2010
Menschen kommen auf die seltsamsten Ideen und bleiben oft ein Leben lang dabei. Der Psychologe Jason Long erklärt in The Christian Delusion, welche psychologischen Faktoren den Glauben beeinflussen. Wer an der Unvernunft des Menschen vollends verzweifeln möchte, dem sei die folgende Zusammenfassung seines Beitrags empfohlen.
„Es ist nichts weniger als eine unverständliche Tragödie, dass irgendjemand in diesem Zeitalter der Vernunft ein Buch schreiben müsste, in dem eine Sammlung von lächerlichen Fantasien aus einer Ära des ungezügelten Aberglaubens widerlegt wird.“ Immerhin versteht man nach Lektüre von Jason Longs Ausführungen ein bisschen besser, wie es zu dieser Tragödie kommen konnte.
Warum der Mensch nicht rational ist
1. Menschen werden mit der Zeit immer überzeugter von ihren Entscheidungen, selbst bei einem vollständigen Mangel an Belegen, die ihre Entscheidungen stützen könnten.
2. Ein individueller Christ ist sich neun Mal so sicher, durch die Anwendung von Vernunft zu seinem religiösen Glauben gelangt zu sein, als er dies irgendeinem anderen Christen zutraut. Man kann davon ausgehen, dass auch Atheisten der Illusion unterliegen, sie wären alle große Philosophen, obwohl die meisten einfach in einem ungläubigen Umfeld aufgewachsen sind.
3. Menschen lassen sich eher durch ein paar starke Argumente überzeugen, als durch starke Argumente in Kombination mit schwachen. Im zweiten Fall trauen sie sich zu, eines oder mehrere der schwachen Argumente vielleicht widerlegen zu können und daraus schließen sie, dass sie auch die starken Argumente widerlegen könnten. "Weniger ist oft mehr".
4. Argumente, die von Angesicht zu Angesicht vorgetragen werden, erzielen eine größere Wirkung als Argumente, die über Massenmedien verbreitet werden. Christliche Missionare sind Atheisten darum einen weiteren Schritt voraus, die sich weitgehend damit begnügen, Bücher zu schreiben und Dokus zu drehen.
5. Menschen lassen sich viel eher durch eine sympathische Quelle überzeugen, unabhängig von der Qualität ihrer Argumente. Der Unterschied zwischen der Wirkung von einer sympathischen zu einer unsympathischen Quelle entspricht dem Unterschied zwischen einer Expertenmeinung und einer Laienaussage. Wenigstens kann man es sich insofern ersparen, ein Experte zu werden, weil man nur höflich lächeln muss.
6. Der religiöse Glaube hängt stark mit der eigenen Identität zusammen. Das macht Gläubige widerstandsfähiger gegen Argumente, insbesondere von Leuten, von denen ihnen ihr Bischof gesagt hat, dass sie unglaubwürdig wären – Atheisten. Ebenso glauben Atheisten eher den Bischöfen nicht, selbst wenn sie in einigen Punkten dasselbe sagen, wie die Atheisten.
7. Menschen sind interessierter daran, eine Position zu verstehen, wenn sie glauben, dass sie später mit jemandem über das Thema diskutieren müssen. Es gibt praktisch keinen Druck auf Gläubige, ihre Haltungen in einer Diskussion mit einem Atheisten zu verteidigen. Wer im Osten aufgewachsen ist, wird ebenso kaum Druck verspüren, seinen Atheismus zu rechtfertigen.
8. Menschen kaufen ungewöhnliche Gegenstände eher, wenn sie mehr kosten. Sie kaufen eher Produkte mit Gutscheinen, selbst wenn sich insgesamt kein Preisvorteil daraus ergibt. Sie antworten eher auf Anfragen, wenn inhaltslose Gründe für sie angegeben werden. Sie stimmen eher mit absurden Anliegen überein, wenn ihnen noch absurdere vorausgehen. Sie glauben, dass andere Menschen intelligent und überzeugend wären, wenn sie attraktiv sind.
9. Menschen bleiben eher bei ihren Entscheidungen, weil Konsistenz sozial belohnt und Inkonsistenz bestraft wird. Egal, wie falsch die Entscheidungen aus rationaler Sicht gewesen sind.
10. Menschen halten stärker an ihren Entscheidungen fest, wenn andere ihre Freiheit bedrohen, ihre Ideen auszudrücken.
11. Menschen mit geringem Selbstvertrauen akzeptieren mit höherer Wahrscheinlichkeit Botschaften, die ihre anfängliche Meinung stützen, und sie werden mit geringerer Wahrscheinlichkeit von ihren Ansichten abgebracht.
12. Michael Shermer drückt es so aus: "Schlaue Menschen glauben seltsame Dinge, weil sie geschickt darin sind, Ideen zu verteidigen, zu denen sie aus nicht-schlauen Gründen gelangt sind." Siehe Ideen wie den Marxismus oder den ethischen Relativismus, die normalen Menschen absurd vorkommen, die jedoch auf dem Campus beliebt sind, oder beliebt waren.
Unterschätze niemals die Macht der menschlichen Dummheit
Wo Atheisten mit ihren Zweifeln an Gottes Existenz näher an der Realität liegen mögen, irren sie sich möglicherweise bei politischen Fragen und glauben statt an Gott an die Überwindung des Kapitalismus durch den Kommunismus, oder dass alle Kulturen gleich gut wären, dass einheimische Fritten gesünder wären als amerikanische, oder an andere seltsame Dinge. Ebenso mögen Gläubige sich über ihre Religion irren, aber in anderen Bereichen richtig liegen, wo Atheisten unter Umständen komplett fantasieren.
Das einzige Heilmittel ist ein konsequenter Gebrauch des kritischen Denkens in allen Bereichen. Das einzige Heilmittel ist die Philosophie.
Je besser wir über unsere natürliche Funktionsweise Bescheid wissen, die eher wenig mit Vernunft zu tun hat, desto besser werden wir darin sein, Fehler zu vermeiden. Denn möglich ist die Anwendung von kritischem Denken natürlich schon – nur sehr schwierig.
Ein praktisches Beispiel ist der Anthropologe David Eller, der eine hervorragende Analyse des Christentums als Kultur verfasst hat (siehe unsere Zusammenfassung [2]), der aber zugleich ein radikaler ethischer Relativist ist. Er hält unsere Werte für bloße Erfindungen und er zweifelt an allen Ansätzen, wie man sie bewerten könnte. Trotz dieser philosophischen Eigentümlichkeit ist seine Erklärung, warum das Christentum nicht die Grundlage der Moral ist, eine ebenso hervorragende Analyse wie seine Darstellung des Christentums aus anthropologischer Sicht.
Darum sei dem ethischen Relativismus nächstes Mal ein ganzer Beitrag gewidmet, bei dem man einiges lernen kann über den Ursprung unserer Ethik. Man erfährt zudem etwas über den ethischen Relativismus und darüber, was geschieht, wenn jemand ernsthaft versucht, ihn konsequent anzuwenden.
AM
Literatur:
Verschiedene Autoren: The Christian Delusion [3]
Long, Jason: Biblical Nonsense [4]
Long, Jason: The Religious Condition [5]
Links:
[1] http://www.darwin-jahr.de/sites/darwin-jahr.de/files/story/node-502-910.jpg
[2] http://www.darwin-jahr.de/../../../../../../../evo-magazin/christentum-als-kultur
[3] http://www.amazon.de/Christian-Delusion-Why-Faith-Fails/dp/1616141689/
[4] http://www.amazon.de/Biblical-Nonsense-Review-Doubting-Christians/dp/0595341829/ref=sr_1_1?ie=UTF8&s=books-intl-de&qid=1290698141&sr=1-1
[5] http://www.amazon.de/Religious-Condition-Answering-Explaining-Christian/dp/1440106487/ref=sr_1_3?ie=UTF8&s=books-intl-de&qid=1290698141&sr=1-3