Interview | 29.09.2010
"Islamische Kreationisten haben keine Widerstände zu überwinden"
In diesem Interview mit dem Evo-Magazin erläutert der Biologe Prof. Dr. Armin Geus, wie weit die Ablehnung der Evolution in der islamischen Welt verbreitet ist und warum es der islamische Kreationismus leicht hat, sich auch im Westen auszubreiten.
Evo-Magazin: Herr Geus, nachdem Sie einen Sammelband mit dem Titel „Gegen die feige Neutralität“ herausgegeben haben, befassen Sie sich in „Allahs Schöpfung“ mit dem islamischen Kreationismus. Ist die Evolution in der islamischen Welt ein so großes Thema wie in den USA?
Armin Geus: Nein, das ist es nicht. In den USA haben die bibeltreuen Christen den Darwinismus von Anbeginn, das heißt sofort nach Erscheinen des Werkes von Charles Darwin über die Entstehung der Arten im Jahre 1859, bekämpft. Inzwischen werden die Angriffe von den gut organisierten Anhängern des "Intelligent Design" unvermindert fortgeführt. Der islamische Kreationismus hingegen entstand als Bewegung gegen das Vordringen des politischen Materialismus erst im letzten Drittel des vergangenen Jahrhunderts.
Evo-Magazin: Gibt es eine Kooperation zwischen christlichen und islamischen Kreationisten?
Armin Geus: Die Kooperation zwischen christlichen und islamischen Kreationisten entwickelt sich derzeit in atemberaubenden Tempo. Mark Ryland, Vizepräsident des sogenannten Discovery Institute in Seattle, die Zentrale des "Intelligent Design", pflegt enge Beziehungen zu muslimischen Aktivisten in vielen Ländern, insbesondere aber zu türkischen Sunniten. Mustafa Akyol, ein Angehöriger der türkischen Kirchenbehörde (DITIB), die übrigens mehr Mitarbeiter beschäftigt als das Pentagon, war dort zweitweise als offizieller Verbindungsmann regelrecht akkreditiert. Mark Ryland setzte sich überigens auch persönlich dafür ein, dass der Wiener Kardinal P. Christoph Schönborn O. P., ein enger Vertrauter Papst Benedikt XVI., in einem Aufsatz der New York Times vom 7. Juli 2005 behaupten konnte, dass die Geistseele des Menschen gotterschaffen sei.
Hierzulande betreibt die Deutsche Islam-Konferenz (DIK) die Gleichstellung muslimischer Verbände mit christlichen Konfessionen; Länder und Kommunen sollen Religionsunterricht an deutschen Schulen einführen sowie Lehrstühle für islamische Theologie errichten. Die von solchen Lehrern vertretene Doktrin, dass die Evolutionstheorie mit dem Koran grundsätzlich unvereinbar ist, wird somit geradezu fahrlässig gefördert.
Evo-Magazin: Wie unterscheidet sich der islamische vom christlichen Kreationismus?
Armin Geus: Der Unterschied ist theologisch begründet. Im Gegensatz zum biblischen Schöpfungsbericht ist die Erschaffung der belebten wie der unbelebten Welt kein abgeschlossenes Werk, sondern ein bis in die Gegenwart fortdauerndes Geschehen. Der unbedingte Wille Allahs erschafft die Welt und den Menschen in jedem Augenblick neu. Folglich ist auch die Embryonalentwicklung kein naturgeschichtlicher Prozess, sondern Ausdruck der schöpferischen Macht Gottes. Für gläubige Muslime gibt es also weder Phylogenie, noch Ontogenie.
Evo-Magazin: Wie sieht es aus mit dem Widerstand gegen Kreationismus und Fundamentalismus in der islamischen Welt?
Armin Geus: Offener Widerstand hieße an der Verbalinspiration des Koran zweifeln. Die wenigen gut ausgebildeten Biologen, die in der Forschung tätig sind und die Evolution als Tatsache akzeptieren, würden sich öffentlich nicht dazu bekennen, im Gegenteil, sie lassen sich im Ernstfall bereitwillig instrumentalisieren. Beispielsweise bestätigte der angesehene türkische Botaniker Adem Tatlie in einem ministeriell bestellten Gutachten, die Evolutionslehre sei nicht nur grundfalsch, sondern wegen ihrer Nähe zum Marxismus auch eine Gefahr für Staat und Gesellschaft.
Besonders anstößige Kapitel, wie die Selektionstheorie und die Abstammung des Menschen von tierischen Vorfahren, wurden daraufhin aus den Lehrbüchern gestrichen, Schöpfungsbericht und Lamarckismus sollten als Alternativen behandelt werden. Die islamistische Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) des Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan reagierte auf eine Intervention der Türkischen Akademie der Wissenschaften (TÜBITAK) gegen die kreationistischen Umtriebe Harun Yahas, des Wortführers der Bewegung, mit einer Konferenz zu den Themen Wissenschaft, Evolution und Bildung, die im Mai 2006 an der Yildiz Universität in Istanbul stattfand. Hier wurden die Teilnehmer auf die Verbreitung korankonformer Ansichten eingeschworen.
Evo-Magazin: Welchen Einfluss haben islamische Kreationisten im Westen?
Armin Geus: Der eben genannte Harun Yahya, als Adnan Oktar in Ankara 1956 geboren, gehört sicher zu den einflussreichsten Propagandisten des islamischen Kreationismus. Er verfasste historische Beiträge über Glanz und Größe des Osmanischen Reiches, schrieb Kinderbücher und verkündete das Erscheinen des Mahdi sowie den Tag des Gerichts. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 veröffentlichte er ein Pamphlet, in dem er dreist behauptet, Katastrophen wie diese seien eine notwendige Folge des darwinistischen Kampfes ums Dasein und hätten nichts mit dem Islam zu tun. Ohne Darwin gäbe es keine Konflikte, schrieb er, und wer sich unter Berufung auf eine der drei monotheistischen Religionen an Terrorakten beteiligt, sei weder Muslim, Christ oder Jude, sondern Sozialdarwinist.
Den vorläufigen Höhepunkt seiner Publikationstätigkeit erreichte er mit dem 2007 erschienenen "Atlas der Schöpfung", ein über sechs Kilogramm schwerer, aufwendig ausgestatteter und reichhaltig bebildeter Foliant, den die eigens zu diesem Zweck gegründete Science Research Foundation (SRF) finanzierte. Der Band wurde kostenlos an einschlägige Forschungseinrichtungen, Universitätsbibliotheken und Museen verschickt. Inzwischen ist er in sechzehn Sprachen übersetzt. In der Bundesrepublik werden die Bücher Harun Yahyas von der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG) in Köln vertrieben.
Evo-Magazin: Konnten islamische Kreationisten Erfolge gegen die Unterrichtung der Evolution verbuchen, wie es den christlichen Kreationisten in den USA gelungen ist?
Armin Geus: Islamische Kreationisten haben keine Widerstände zu überwinden; sie moderieren nur, was die Wächter des Glaubens erwarten.
Evo-Magazin: Wie viele islamische Kreationisten gibt es eigentlich? Und lässt sich die bewusste und organisierte Ablehnung der Evolution in den USA angesichts des geringeren Bildungsniveaus in der islamischen Welt mit dem islamischen Kreationismus vergleichen?
Armin Geus: Eigentlich ist jeder gläubige Muslim auch Kreationist, ob er sich dessen bewusst ist oder nicht. Im Arabischen gibt es bezeichnenderweise kein Wort für Wissenschaft. "Ilm" bedeutet soviel wie "Wissen", und wer Wissen hat, ist ein "Alim", im Plural "Ulema". So heißen aber auch die Korangelehrten, sie sind diejenigen, die das Wissen dem Koran entnehmen.
Evo-Magazin: Möchten Sie ansonsten noch etwas anmerken?
Armin Geus: Ja gerne, ich möchte noch erwähnen, dass die Redaktion der BIUZ [2], d. h. der Biologie in unserer Zeit, immerhin das amtliche Organ des Verbandes Biologie, Biowissenschaften und Biomedizin, ein unmittelbar nach Erscheinen zugesandtes Rezensionsexemplar meines Essays über Allahs Schöpfung dem Verlag mit der Begründung zurückgeschickt hat, der Text enthalte politische Thesen, die in der BIUZ nicht besprochen werden können. Ein Kommentar dieses Verhaltens ist überflüssig.
Die Fragen stellte Andreas Müller
Den Essay "Allahs Schöpfung oder die Evolution des Lebens" von Armin Geus kann man direkt bei der Basilisken-Presse bestellen [3].
Links:
[1] http://www.darwin-jahr.de/sites/darwin-jahr.de/files/story/node-479-862.jpg
[2] http://www.vbio.de/der_vbio/biologie_in_unserer_zeit___verbandsorgan_des_vbio/index_ger.html
[3] http://www.darwin-jahr.de/evo-magazin/allahs-schoepfung-oder-evolution-lebens