Presseschau | 19.09.2010
Zur Abwechslung taucht die alterwürdige Presseschau mit bunten Neuigkeiten und Videos aus Wissenschaft und Forschung aus der Versenkung auf. Es kommt auch Sex darin vor und ein erotischer Paarungstanz von Seedrachen. Für die Provokationswütigen, die ohne den täglichen Kick nicht auskommen, gibt es ein Update zur Intelligenzforschung und schändliche Blasphemie.
So etwas wie Sex existiert nicht [2]
Meint jedenfalls Jacques Lacan, Psychoanalytiker und einst Frankreichs führender Pseudo-Intellektueller. Für die meisten Psychoanalytiker dürfte das mit dem nichtexistenten Sex auch zutreffen, antwortet Pascal Boyer in seiner hier verlinkten Demolierung des Postmodernismus lakonisch.
„Wahnsinn ist kulturell definiert“, klärt uns derweil Ophelia Deroy auf, wen interessieren schon die Erkenntnisse der Neurowissenschaften? Es mag jemand noch so sehr einen Hirnschaden haben und sich für Napoleon halten, ob man das als wahnsinnig ansieht, hängt ganz von der Kultur ab. In Kalifornien ist das vielleicht normal.
Neben dem Postmodernismus, worunter die relativistische Philosophie unserer Zeit zusammengefasst wird, nimmt sich Boyer auch die Psychoanalyse vor, die mal wieder ganz vorne mit dabei ist, wenn es um akademischen Okkultismus geht. Die Sache mit dem Unterbewusstsein klingt anfangs interessant, bis man herausfindet, dass die Herren Seelenklempner eigentlich nur die alte christliche Idee aufkochen, wir wären durch die Ursünde befleckt und trügen darum einen kleinen Teufel in uns, der uns zu bösen Taten verleitet (er sitzt manchmal auf unserer linken Schulter).
Unmoralischer Moralforscher? [3]
Der Verhaltensforscher Marc Hauser ist in die Kritik geraten, weil er in einer Studie behauptete, seine Beobachtungen hätten ergeben, dass sich Tamarine (gehören zu den Neuweltaffen) selbst im Spiegel erkennen könnten. Die Videos der Affen, auf denen Hausers Behauptung beruht, zeigen jedoch nichts dergleichen. Außerdem konnte der Versuch nicht reproduziert werden. Nach einer Untersuchung hat die Harvard-Universität ein Fehlverhalten seitens Hauser in acht Fällen nachgewiesen [4], die drei seiner Arbeiten betreffen. Das wird den Ruf der Soziobiologie wohl nicht aufbessern können.
Das Unternehmen „Charlie's Playhouse“ stellt Kinderspielzeug her, das die Evolution verständlich machen soll. Es gibt Spielmatten, Poster, T-Shirts und alles mögliche. Das Besondere: Es gibt weltweit kein einziges anderes Unternehmen, das Kinderspielzeug herstellt, das über die Evolution unterrichten will. Selbst die zahlreichen Dino-Spielsachen nehmen offenbar keinen Bezug auf die Evolution.
Der SPIEGEL zitiert den Intelligenzforscher Richard Nisbett damit, dass Sarrazins Aussage, laut der Intelligenz zu 50-80% vererbt sei, veraltet wäre. Der aktuelle Stand sehe 50% als Maximalwert. Stimmt zwar nicht, aber auf der „Achse des Guten“ gibt es eine witzige Satire, die Gunnar Heinsohn aus dieser Aufdeckung des großen Intelligenz-Skandals (es sind vielleicht 30% weniger als Sarrazins Maximalwert!) gesponnen hat. Ein Ausschnitt:
„Setzt Nisbett sich durch, dürfen alle 50-Prozent-Vererber in Parteien, Parlamenten und Banken bleiben. Als schönes Nebenprodukt gewinnt Deutschland gleich für die ganze Welt eine neue Definition des Rassismus. Alles bis 50 Prozent bleibt legal. Doch wer nicht ausdrücklich und immer wieder beteuert, dass er nie und nimmer auch nur ein einziges Prozent über 50 in Erwägung ziehen werde, wird der Antifa zum Fraß vorgeworfen.“
Dawkins und Attenborough im Gespräch [7]
Im Gespräch zwischen Naturfilmer David Attenborough und Richard Dawkins geht es um allerlei verschiedene Themen. Eines der spannendsten ist Dawkins neues Kinderbuch. Der Arbeitstitel lautet „Die Magie der Realität“.
„Es geht eher allgemeiner um Wissenschaft. Jedes Kapitel beginnt mit Mythen. Im Kapitel über die Sonne stehen ein aztekischer, ein alter ägyptischer und ein Mythos der Aborigines. Das Buch heißt The Magic Of Reality und eines der Probleme, mit denen ich konfrontiert bin, ist die Unterscheidung zwischen der Verwendung des Wortes "magisch" im Sinne eines Zaubertricks und der Magie des Universums, des Lebens auf der Erde, wo das Wort eher eine poetische Verwendung findet.“
Attenborough findet den Titel unpassend, da nicht wirklich „Magie“ gemeint ist. Dawkins hat sich daraufhin beschwert, Attenborough würde seinen Titel „dissen“. Das war ein lustiger Streit, aber er wurde leider rausgekürzt. Hier gibts das Original und die Audiodatei [8]. Außerdem Dawkins Kritik [9] an dem Gesprächsleiter und der Bildredaktion.
Nicht jedes Verhalten ist adaptiv [10]
Jerry Coyne hat inzwischen die Nase voll von der ewig wiederkehrenden, angeblich wissenschaftlichen Behauptung, die Religiosität sei eine Adaption, eine vererbte Anpassung an Umweltbedingungen. Er stellt einen ungewöhnlichen Vergleich auf, um zu erklären, warum dies nicht so sein muss:
„Ein Verhalten, das weit verbreitet oder universal ist, muss nicht evolviert sein, oder direkt selektiert worden sein. Nehmen wir ein geläufiges: Masturbation. Sicherlich ist die Selbstbefriedigung so weit verbreitet wie der Glaube und spirituelle Erlebnisse, aber ich bezweifle stark, dass wir ein evolviertes „Wichs-Modul“ haben, welches dieses spezielle Verhalten gebietet. Masturbation könnte sogar eine Fehlanpassung sein, da sie deine sexuellen Impulse auf nicht-reproduktive Weise erstickt. Tatsächlich ist Masturbation beinahe mit Sicherheit ein Nebenprodukt der Evolution: Wir haben ein neurologisch-basiertes sexuelles Vergnügen und Orgasmen, die uns zur Reproduktion antreiben, wir haben ein evolviertes Gehirn, das uns zu lernen hilft und voilà, wir lernen, dass wir Orgasmen ohne einen Partner haben können.“
C'est l'amour
Seedrachen tanzen bis tief in die Nacht hinein, ganz ohne Champagner, Musik und Vollmond man Himmel.
Hau dich aufs Ohr [11]
Aber nicht zu fest, sonst könnte dein Trommelfell platzen. Eigentlich geht es hier um den Schlaf und nach aktuellem Forschungsstand ist viel Schlaf und viel im Bett liegen eine sehr gute Sache. Sieben Stunden sollte man täglich schlafen und das Wochenende ist perfekt geeignet zum zusätzlichen Ausschlafen. Wer zu wenig schläft, ist tagsüber dümmer, schlurft nur uninspiriert herum und bekommt irgendwann einen Herzinfarkt. Gut, dass es die Wissenschaft gibt, sonst wüssten wir das gar nicht.
Geld oder Liebe [12]
Wenn Männer finanziell auf ihre Frau angewiesen sind, werden sie im Schnitt fünfmal häufiger untreu, zeigt jedenfalls eine Befragung amerikanischer junger Erwachsener auf. Ist eine Frau dagegen finanziell von ihrem Mann abhängig, ist sie statistisch weniger untreu. Die Studienersteller spekulieren, das hänge mit kulturell konstruierten Rollenmodellen zusammen, aber eigentlich haben sie auch keine Ahnung. Derweil freuen sich Konservative, dass ihre Beziehungsführung für die gegenseitige Treue ergiebiger zu sein scheint.
Besserer Kindergarten, höheres Einkommen [13]
Laut einer neuen Studie verdienen Kinder, die von kompetenten und engagierten Kindergärtnern profitieren, später mehr Gehalt. Auch nach dem Ausschluss anderer Faktoren scheint die Kindergartenerziehung einen gewissen Einfluss auf den späteren Berufserfolg zu haben.
Die IQ-Karte [14]
Die IQ-Völkerkarte ist das politisch inkorrekteste, weltbild-umwerfenste Ding überhaupt. Sie wurde vom amerikanischen Genetiker Jason Malloy [14]angefertigt. Die vertikalen Spalten zeigen jeweils die Anzahl der Studien und die Länder, für welche die Studien angefertigt wurden. Die Studien sind kulturbereinigte Intelligenztests (erfordern kein spezifisches Vorwissen), deren Gesamtergebnis in der letzten vertikalen Spalte zusammengefasst wird. Es handelt sich um die Angabe des durschschnittlichen IQs, wie er von den Tests für die in den horizontalen Spalten an erster Stelle genannten Völker gemessen wurde. Die Karte fasst die Ergebnisse von Richard Lynns Buch "Race Differences in Intelligence" zusammen.
Bei Völkern mit einem Durchschnitts-IQ unter 70 Punkten gehen Intelligenzforscher keineswegs von einer geistigen Behinderung aus, sondern sie vergleichen die Intelligenz der betroffenen Ethnien mit der von Kindern. Intelligenz erfordert viel Energie und unter bestimmten Umweltbedingungen zahlt sich Intelligenz nicht so sehr aus wie andere Fähigkeiten. Völker sind genau an ihre Umweltbedingungen angepasst und wie es aussieht, gehört die Intelligenz zu den Faktoren, die sich evolutionär am schnellsten verändern können. Und kulturell sowieso. Hier Wertungen zu bemühen, ist einigermaßen sinnlos. Wer mit den Buschmännern in der Kalahari leben möchte, dem ist mit guten Reflexen und Jagdfähigkeiten besser gedient als mit Mathematik und Literaturklassikern.
Traurig, aber wahr: Laut einem Überblick über die deutsche Wissenschaftsblogger-Szene [15] von dem Biologen Ingo Bading wagt sich niemand außer dem Evo-Magazin und einem rechtskatholischen Blog [16] (dessen Beiträge zum Thema erstaunlicht gut sind; ist echt wahr) an die Intelligenzforschung heran. Es gibt noch einige Artikel in den großen Zeitungen zum Thema, aber die stammen überwiegend von Forschern, die sich so vorsichtig ausdrücken, dass keine Aussage mehr übrigbleibt. Die wenigen löblichen Ausnahmen sind in der Bibliografie von Die Unterdrückung der Intelligenzforschung [17] verlinkt.
Immerhin wissen wir nun, wer den Sieg davonträgt, wenn sich Wissenschaft und Political Correctness gegenüberstehen.
Der Ungläubigen-Wahn [18]
Der Philosoph und Althistoriker Richard Carrier ist einigermaßen genervt. Er hat einen Beitrag in dem (hervorragenden) Sammelband „The Christian Delusion [19]“ veröffentlicht. In dem Band widerlegen Experten verschiedener Fachgebiete von Bibelforschung bis Psychologie das Christentum. Im Gegensatz zu Richard Dawkins haben sich einige auch mit moderner Theologie befasst, sind teils selbst Ex-Theologen, und sie zeigen auf, welch grandioser Unsinn moderne Theologie ist. Gläubige müssten Dawkins dankbar sein, dass er seinen Lesern die geistigen Verwirrungen moderner Theologen erspart hat.
Genervt ist Carrier wegen einer versuchten Widerlegung der Argumente des Buches seitens christlicher Apologeten. Die Gegenargumente nimmt er detailliert auseinander und zeigt an diesem Beispiel auf, wie Philosophie funktioniert. Zuvor schreibt er eine Einleitung, die frustrierten Ungläubigen nicht vorenthalten werden soll:
„Seit wir Der Christenwahn: Warum Glaube scheitert veröffentlicht haben, warten wir auf wahnhafte und irrationale Angriffe. Einer von diesen macht gerade die Runde, nämlich das anstrengend lange Treatment der christlichen Spinner von Triablogue, die es amüsanterweise Der Ungläubigenwahn genannt haben (ich sage 'amüsanterweise', weil die 'Ich weiß, dass du bist, was ich sein soll'-Taktik nur das Klischee verfestigt, laut dem viele Christen emotional zurückgebliebene Kinder sind – die außerdem keine Ironie verstehen).
[…]
Ihre gesamte Sammlung von Antworten ist ein gutes Beispiel für wahnhafte Konstrukte. Sie beruht auf einem wahnhaften Unvermögen, Aussagen im selben Text zu lesen, die ihnen widersprechen, wahnhaft Aussagen im Text falsch zu lesen und dann das gesamte Buch zu widerlegen, indem Dinge widerlegt werden, die niemals gesagt wurden, und wahnhaft zu glauben, dass logisch falsche Argumente rational solide wären.
Und all dies in einem Versuch, die Schlussfolgerungen des Buches zu vermeiden: Dass sie an einer Wahnvorstellung leiden, eben weil sie sich weigern, den Outsider-Glaubenstest [20] zu machen, da sie seine Ergebnisse fürchten und in der Konsequenz geben sie die nachgewiesenen Ungereimtheiten ihres Glaubenssystems nicht zu, indem sie ein noch elaborierteres System von Ungereimtheiten aufbauen, das den oberflächlichen Eindruck erweckt, richtig zu sein. Das ist die einzige Möglichkeit, den Glauben an das Christentum aufrechtzuerhalten, eben weil das Christentum als Wahn eingestuft werden muss.“
Ja, Religionskritik kann frustrierend sein.
Hawking findet Gott nutzlos [21]
Stephen Hawking hat immer wieder religiöse Metaphern in seinen Büchern verwendet, so auch im Titel seines neuen Buches: „Der große Entwurf“ (The Grand Design). Nachdem ihm Richard Dawkins erklärt hat, dass viele Leute die Metaphern nicht kapieren und fälschlicherweise annehmen, Hawking würde an einen persönlichen Gott glauben, hat Hawking nun klargestellt, dass wir den Ursprung des Universums ohne Gott erklären können und dass er selbst natürlich nicht an Gott glaubt.
Sean Carroll erklärt Hawking
Man weiß ja nie, worüber Hawking schon wieder redet mit seinen komischen Metaphern. Darum hat es der Kosmologe Sean Carroll auf sich genommen, zu erklären, inwiefern Gott für Hawking überflüssig ist:
Welche Religion soll ich mir aussuchen?
Endlich lässt sich auch diese tiefgründige Frage mit Hilfe einer simplen Grafik beantworten:
Und zum Abschluss: Die provokative Werbeanzeige für Eiscreme, die nichts mit Wissenschaft zu tun hat und die aus unerfindlichen Gründen trotzdem auf der nächsten Seite auftaucht (siehe nächste Seite):
Endlich gibt es auch Eiscreme, die unbefleckt empfangen wurde. Darauf hat die Welt gewartet.
AM
Links:
[1] http://www.darwin-jahr.de/sites/darwin-jahr.de/files/story/node-476-857.gif
[2] http://www.cognitionandculture.net/Pascal-s-blog/no-such-thing-as-sexual-intercourse-the-key-to-academic-success.html
[3] http://www.heise.de/tp/r4/artikel/33/33188/1.html
[4] http://www.scienceblogs.de/evolvimus/2010/08/wissenschaftsbetrug-zum-fall-marc-hauser.php
[5] http://www.charliesplayhouse.com/
[6] http://www.achgut.com/dadgdx/index.php/dadgd/article/gabriel_und_die_gene/
[7] http://www.freitag.de/wissen/1036-sexuelle-zuchtwahl-wird-unterschaetzt
[8] http://www.guardian.co.uk/science/2010/sep/11/science-david-attenborough-richard-dawkins
[9] http://richarddawkins.net/articles/515979-conversation-with-david-attenborough-a-missed-opportunity
[10] http://whyevolutionistrue.wordpress.com/2010/09/05/did-evolution-give-us-god/
[11] http://www.heise.de/tp/r4/artikel/33/33067/1.html
[12] http://www.wissenschaft.de/wissenschaft/news/311771
[13] http://www.heise.de/tp/r4/artikel/33/33070/1.html
[14] http://www.gnxp.com/blog/2006/02/world-of-difference-richard-lynn-maps.php
[15] http://studgenpol.blogspot.com/2010/09/die-wissenschaftsblog-szene-und-thil.html
[16] http://www.sezession.de/18900/haben-voelker-eine-genetische-identitaet-praezisierung-zu-sarrazins-aeusserung.html
[17] http://www.darwin-jahr.de/evo-magazin/unterdrueckung-intelligenzforschung?page=0,6
[18] http://richardcarrier.blogspot.com/2010/09/infidel-delusion.html
[19] http://sites.google.com/site/thechristiandelusion/
[20] http://debunkingchristianity.blogspot.com/2006/02/outsider-test.html
[21] http://www.wissenrockt.de/2010/09/02/das-universum-hat-keinen-schopfer/