Kosmologie | 18.08.2010
Am 7. September 2010 erscheint das neue Buch von Stephen Hawking [2]: Der große Entwurf [3]. Darin beschreibt der berühmteste gegenwärtige Kosmologe seine Sicht der Welt. Auf die Frage nach Gott geht er nur kurz ein. Der Philosoph Rüdiger Vaas [4], der mit Hawking schon mehrfach gesprochen hat, widmet in seinem aktuellen Buch Hawkings neues Universum – Wie es zum Urknall kam [5] dem Thema dagegen ein ganzes Kapitel. Hier ein Auszug.
Von Rüdiger Vaas
"Die meisten Menschen sind zu der Überzeugung gelangt, Gott habe dem Universum gestattet, sich nach einer Reihe von Gesetzen zu entwickeln, und er enthalte sich jedes Eingriffs, um diese Gesetze nicht außer Kraft zu setzen. Gott sei aber immer noch nötig gewesen, um das Uhrwerk aufzuziehen und über den Anfang zu entscheiden. Solange das Universum einen Anfang hat, können wir annehmen, dass es auch einen Schöpfer gibt", schrieb Hawking in seiner Kurzen Geschichte der Zeit [6]. "Doch wenn das Universum wirklich völlig in sich selbst abgeschlossen ist, wenn es wirklich keine Grenze und keinen Rand hat, dann hätte es auch weder einen Anfang noch ein Ende: Es würde einfach sein. Wo wäre dann noch Raum für einen Schöpfer?"
Diese Frage sorgte für viele Diskussionen und Aufgeregtheiten. Theologen weigern sich selbstverständlich, Gott auf eine "Anfangsbedingung" des Universums zu reduzieren, und die meisten Gläubigen sind davon überzeugt, dass Gott auch mit der Welt in Wechselwirkung steht – etwa Gebete erhört oder Wunder bewirkt. Wie das physikalisch vor sich gehen soll, bleibt zwar ein Rätsel (oder Wunder), aber mit diversen metaphysischen Annahmen oder Thesen lässt sich so etwas immer irgendwie begründen oder auf die unergründlichen Ratschlüsse Gottes abwälzen. Insofern kann die Physik Gott nicht aus dem Universum vertreiben. Auch nicht mit Hawkings Modell.
Gott als Erhalter der Welt?
"Die Frage, ob Gott das Universum erschaffen hat, steht in keiner direkten Beziehung zu der Frage, ob das Universum einen Rand hat, auch wenn das viele Menschen glauben. In Wirklichkeit hat das eine wenig mit dem anderen zu tun", widerspricht beispielsweise Hawkings früherer Mitarbeiter Don Page [7], ein gläubiger Christ, seinem ehemaligen Dissertationsgutachter. Auch George Ellis [8], der Co-Autor von Hawkings erstem Buch, ist ein gläubiger Christ, ein Quäker, aber er hält sich mit kosmotheologischen Spekulationen sehr zurück.
Und wie Page betrachten viele Theologen Gott sowieso nicht bloß als Schöpfer, sondern auch als Erhalter der Welt. In diesem Sinn hätte er nicht nur den Urknall gezündet oder aus dem Nichts geschaffen ("creatio ex nihilo") oder dem Quantenvakuum, sondern er würde gleichsam die Welt ständig neu schaffen ("creatio continua") beziehungsweise in ihrer Existenz bewahren. Etwa so, als hielte er sie in einer imaginären Hand, weil sie sonst ins Nichts fiele. Dieser Welterhalt könnte zum Beispiel dadurch erfolgen, dass die Naturgesetze gültig bleiben oder dass die materielle Realität in Wirklichkeit nur ein Gedanke (oder Traum?) eines (Gottes?) Bewusstseins ist.
Ein solcher Glaube – oder frommer Wunsch – kann physikalisch nicht widerlegt, aber sehr wohl philosophisch kritisiert werden. Und eigentlich tut Hawking genau das, indem er argumentiert, dass Gott in der modernen Kosmologie nicht mehr denknotwendig ist.
Das sahen viele Physiker, darunter Isaac Newton, früher durchaus anders. Und noch immer interpretieren manche Kosmologen (etwa Frank Tipler [9] von der Tulane University in New Orleans) und theologisch orientierte Philosophen (beispielsweise William Lane Craig [10] von der Talbot School of Theology im kalifornischen La Mirada) die Urknall-Singularität als eine Erklärungslücke, die gleichsam durch Gott gestopft werden muss.
Ein solcher "Lückenbüßer-Gott" hat zwar selbst bei den meisten Theologen längst abgedankt. Aber wer ihn als Schöpfer und Erhalter der Welt begreift, kann diese letztlich nicht radikal autonom denken. Doch genau das tut Stephen Hawking.
Keine Randstellung
Wenn die physikalische Beschreibung des Universums an einer Singularität enden würde, "könnte die Wissenschaft die Aussage machen, dass das Universum einen Anfang gehabt haben muss, sie könnte aber nicht vorhersagen, wie dieser Anfang ausgesehen hätte. Dazu müsste man den lieben Gott herbeibemühen", schreibt Hawking. "In imaginärer Zeit gäbe es keine Singularität, an der die wissenschaftlichen Gesetze ihre Gültigkeit verlören, das Universum hätte keinen Rand, an dem man sich auf Gott berufen müsste. Das Universum würde weder erschaffen noch zerstört. Es wäre einfach da."
Weil die leidige Urknall-Singularität mit dem Keine-Grenzen-Vorschlag von Hawking – und ebenso mit dem Quantentunnel-Modell von Alexander Vilenkin [11] – vermieden wird, ist die Frage, wie es zum Urknall kam, zu einem Gegenstand der physikalischen Kosmologie geworden. "Das Universum gibt es, weil die Allgemeine Relativitätstheorie und die Quantentheorie seine Existenz ermöglichen und erfordern", sagt Hawking. "Wenn ich Recht habe, ist das Universum in sich selbst gegründet und wird von den Naturgesetzen allein regiert."
In einem Interview [12] im israelischen Fernsehen zu seinem 65. Geburtstag 2007 bekräftigte Hawking diese These: "Ich denke, dass das Universum spontan aus dem Nichts entstand gemäß den Gesetzen der Physik." In gewisser Weise habe es weder Anfang noch Ende. "Die Grundannahme der Wissenschaft ist der wissenschaftliche Determinismus: Die Naturgesetze bestimmen die Entwicklung des Universums, wenn sein Zustand zu einem bestimmten Zeitpunkt gegeben ist. Diese Gesetze können von Gott erlassen worden sein oder nicht, aber er kann nicht eingreifen und die Gesetze brechen, sonst wären es keine Gesetze. Gott bliebe allenfalls die Freiheit, den Anfangszustand des Universums auszuwählen. Aber selbst hier könnten Gesetze herrschen. Dann hätte Gott überhaupt keine Freiheit."
Das gilt analog auch für Alex Vilenkins ex-nihilo-Modell. „Ursprünglich meinte ich sogar, die Theologen könnten das Szenario mögen, denn es geht ja um die Schöpfung aus dem Nichts“, schmunzelt Vilenkin, der nicht an einen Schöpfer glaubt. „Aber ich denke nicht, dass sie das tun, denn der Quantentunnel-Effekt ist entmystifizierend.“
Gottes Planlosigkeit
Im Gegensatz dazu wirkt eine Bemerkung von Stephen Hawking am Ende von Eine kurze Geschichte der Zeit, die er beinahe gestrichen hätte ("dann wären vielleicht nur halb so viele Exemplare verkauft worden"), geradezu mystifizierend: "Wenn wir die Antwort auf diese Frage fänden", schrieb er und meinte die Frage, warum es das Universum gibt, "wäre das der endgültige Triumph der menschlichen Vernunft – denn dann würden wir Gottes Plan kennen."
Hatte Hawking damit nur einen publikumswirksamen Effekt im Sinn oder wollte er gleichsam doch ein Hintertürchen für Gott offen halten?
Zunächst muss man festhalten, dass die offizielle deutsche Übersetzung des Satzes "If we find the answer to that, it would be the ultimate triumph of human reason – for then we should know the mind of God" problematisch ist; man sollte besser vom "Geist Gottes" sprechen.
Gäbe es einen "Plan", würde das bedeuten, dass eine Absicht dahinter steckt und somit jemand, der diese Absicht hat. "Geist" ist dagegen ein dehnbarer Begriff und kann sogar ganz abstrakt eine rationale – oder rational beschreibbare – Struktur meinen, was auch für die Naturgesetze gelten mag.
Und so hatte Hawking hier den Begriff "Gott" auch verwendet, wie er später in einem Interview sagte – nicht in der Bedeutung eines personalen Schöpfers, sondern "in einem unpersönlichen Sinn, so wie es Einstein für die Naturgesetze tat".
Bibelschmuggel und Wunschdenken
Eine andere Art von Gott hat in Hawkings Weltbild keinen Platz. Das heißt freilich nicht, dass er per se religionsfeindlich ist, auch wenn sein Atheismus mit ein Grund gewesen sein mag, dass seine Ehe mit der gläubigen Jane Hawking zerbrach. Im Gegenteil, Hawking hatte im Kalten Krieg in seinem Rollstuhl angeblich Bibeln nach Russland geschmuggelt, um dort Baptisten zu unterstützen. Und er half der jüdisch-orthodoxen L'Chaim-Gesellschaft, sich in Cambridge zu etablieren, auch wenn er den religiösen Lehren sehr reserviert gegenübersteht.
"Es ist gut möglich, dass Gott auf eine Weise handelt, die nicht mit wissenschaftlichen Gesetzen beschrieben werden kann", räumt er ein. "Aber in diesem Fall bleibt nur persönlicher Glauben übrig." Doch das ist wohl einfach bloß Wunschdenken.
Für die Annahme eines fürsorglichen Schöpfers sieht Hawking jedenfalls keinen Grund: "Wir sind so unbedeutende Kreaturen auf einem kleinen Planeten eines sehr durchschnittlichen Sterns in den Außenbezirken von einer Galaxie unter 100 Milliarden anderen im beobachtbaren All. Daher ist es schwer, an einen Gott zu glauben, der sich um uns kümmert oder auch nur unsere Existenz bemerkt."
Der Wissenschaftsphilosoph Rüdiger Vaas [4], gbs-Beirat und im Komitee [13] dieser Website, ist Astronomie-Redakteur beim Monatsmagazin bild der wissenschaft [14] und Verfasser zahlreicher Publikationen zur modernen Kosmologie.
In seinen beiden Büchern
• Hawkings neues Universum – Wie es zum Urknall kam. Raum, Zeit und Ewigkeit (erschienen als Hardcover im Kosmos-Verlag [15], Stuttgart 2010, 5. aktualisierte Auflage, und als Taschenbuch im Piper-Verlag [16], München 2010) sowie
• Tunnel durch Raum und Zeit – Von Einstein zu Hawking. Schwarze Löcher, Zeitreisen und Überlichtgeschwindigkeit (erschienen im Kosmos-Verlag [17], Stuttgart 2010, komplett überarbeitete und wesentlich erweiterte 3. Auflage)
hat er Leben und Werk von Stephen Hawking, aber auch die Hintergründe, Probleme und Konsequenzen ausführlich und allgemeinverständlich beschrieben.
Links:
[1] http://www.darwin-jahr.de/sites/darwin-jahr.de/files/story/node-464-811.jpg
[2] http://www.hawking.org.uk/
[3] http://www.rowohlt.de/buch/Leonard_Mlodinow_Der_grosse_Entwurf.1810881.html
[4] http://de.wikipedia.org/wiki/R%C3%BCdiger_Vaas
[5] http://www.denkladen.de/advanced_search_result.php?XTCsid=659a3561673c197d36f2382073ca615a&keywords=Vaas
[6] http://www.rowohlt.de/buch/Stephen_Hawking_Eine_kurze_Geschichte_der_Zeit.2110.html
[7] http://www.phys.ualberta.ca/personnel/profile/?query=Page,Don
[8] http://www.mth.uct.ac.za/~ellis/
[9] http://129.81.170.14/~tipler/
[10] http://www.reasonablefaith.org/site/PageServer
[11] http://www.amazon.de/Kosmische-Doppelg%C3%A4nger-unz%C3%A4hlige-Universen-entstehen/dp/3540739173/ref=sr_1_2?s=books&ie=UTF8&qid=1282074574&sr=1-2
[12] http://www.youtube.com/watch?v=mUaiPw6xuPE
[13] http://www.darwin-jahr.de/../../impressum
[14] http://www.bdw.de/
[15] http://www.denkladen.de/product_info.php/info/p1097_Vaas--Hawkings-neues-Universum.html/XTCsid/659a3561673c197d36f2382073ca615a
[16] http://www.denkladen.de/product_info.php/info/p1475_Vaas--Hawkings-neues-Universum--kt.html/XTCsid/659a3561673c197d36f2382073ca615a
[17] http://www.amazon.de/gp/product/344012293X/ref=pd_lpo_k2_dp_sr_1?pf_rd_p=471061493&pf_rd_s=lpo-top-stripe&pf_rd_t=201&pf_rd_i=3440093603&pf_rd_m=A3JWKAKR8XB7XF&pf_rd_r=092JEFP1GZCEFZF75ZZT