
Bildung | 16.08.2010
...aber nicht dort, wo es um faktisches Wissen geht. In diesem Beitrag spricht Richard Dawkins über den Unterschied zwischen kultureller Tradition und Tatsachenbehauptungen.
Mein oftmals wiederholtes (für einige vielleicht zu oft) Argument über die Absurdität – in der Tat die Bösartigkeit – Kinder automatisch mit der Religion ihrer Eltern zu etikettieren („Würden Sie von einem ‚postmodernistischen Kind‘ oder einem ‚gramscianisch-marxistischen Kind‘ sprechen?) erfüllt normalerweise seinen Zweck. Die Leute verstehen die Aussage beinahe jedes Mal sofort (obwohl es eine andere Frage ist, ob ihre zukünftige Wahrnehmung bis zu dem Grade geschärft wurde, dass sie wirklich zusammenzucken, wie ich es tue, wann immer ich ‚katholisches Kind‘ oder ‚muslimisches Kind‘ höre). Aber ich treffe immer wieder auf ein Gegenargument und es klingt scheinbar plausibel. Hier möchte ich darauf eingehen.
Wer diesen Einwand erhebt, von dem ich rede, der führt oftmals den speziellen Fall des Judentums an, aber die Aussage kann mit größerer Allgemeingültigkeit vorgebracht werden. Es ist albern und falsch, sagen sie, Eltern zu entmutigen, ihre kulturellen Traditionen an ihre Kinder weiterzugeben. Sprache, Akzent, die Art der Kleidung, Ernährung, Speiserituale, Redewendungen, poetische Anspielungen, Spiele, nonverbale Zeichen oder Grüße wie Kopfschütteln oder Nicken oder soziales Küssen, diese sind alle kulturell weitergegeben. Die Menschheit wäre ärmer, wenn wir sie verlieren würden und wenn wir die lokalen Unterschiede zwischen ihnen verlieren würden. Religion, so wird behauptet, ist nur ein weiterer Eintrag auf der Liste.
Ich akzeptiere vieles davon und erfreue mich an den bunten, vielfältigen Traditionen der Weltkultur. Aber Religion ist nicht nur ein weiterer Eintrag auf der Liste. Sie ist etwas völlig anderes. Aus folgendem Grund:
Religion macht Wahrheitsaussagen über die reale Welt. Dies unterscheidet sie von anderen Traditionen, die weitergegeben werden, wie etwa Spiele, die Art der Kleidung oder die Kochkunst. Wenn ein „jüdisches Kind“ mit einer Jarmulke auf seinem Kopf und Schläfenlocken etikettiert wird, dann scheint mir das als solches kein Problem zu sein; nicht unheilvoller als eine kulturell weitergegebene Präferenz für Krocket oder Baseball, oder die Angewohnheit, einen Schottenrock oder einen Sporran anstelle von Hosen zu tragen. Ein Problem besteht dann, wenn von dem „jüdischen Kind“ aufgrund seines Judeseins verlangt wird, einen Glauben an eine faktische Aussage teilen zu müssen; eine faktische Aussage, etwa über das Alter der Welt, deren Wahrheit von Belegen abhängt und die nicht kulturell bestimmt werden kann. Solche glaubensbasierten Überzeugungen über die Realität stehen allzu oft tatsächlich im Widerspruch zu den Belegen und unterminieren somit wahre Bildung.
Menschen unterscheiden sich in vielerlei Hinsicht durch die Traditionen, welche über Generationen weitergereicht werden, und diese sind oftmals bewundernswert und respektabel. Doch gibt es einen qualitativen Unterschied zwischen einer kulturellen Tradition und faktischen Belegen und wir sollten uns nicht verpflichtet fühlen, die Weitergabe von Überzeugungen über die Realität zu respektieren oder zu ermutigen, von denen wir wissen, dass sie falsch sind, nur weil sie einen Teil einer Tradition, selbst einer uralten Tradition, ausmachen. Wenn man es so ausdrückt, kann ich mir kaum vorstellen, wie eine Person mit gutem Willen und Intelligenz ernsthaft anderer Meinung sein könnte. Doch weil es normalerweise nicht so ausgedrückt wird, gibt es viele Menschen, sogar nichtreligiöse Menschen, die man dazu gebracht hat, die Seite der Religion, die mit der „kulturellen Tradition“ zusammenhängt, mit der Seite zu verwechseln, die mit der „Tatsachenbehauptung“ zu tun hat, und die darauf hereingefallen sind, beiden Seiten den Respekt entgegenzubringen, der nur einer zusteht.
Richard Dawkins, RDFRS [2]
„The Thinking Atheist“ über christliche Kindeserziehung
Links:
[1] http://www.darwin-jahr.de/sites/darwin-jahr.de/files/story/node-462-809.jpg
[2] http://richarddawkins.net/articles/486830-tradition-has-its-place-but-not-where-factual-knowledge-is-concerned