Veranstaltungsbericht | 24.07.2010
Am 18. Juli 2010 hat der Philosoph Edgar Dahl in Nürnberg einen Vortrag [2] gehalten über die Frage, ob die technologische Verbesserung menschlicher Fähigkeiten die Menschenwürde verletzen würde. Insbesondere ging es um die „Happy Pills“, um Pillen zur Steigerung der Glücklichkeit.
Gegen Menschenwürde
Zunächst einmal ging Edgar Dahl auf den Begriff der „Menschenwürde“ ein, den er für einen inhaltslosen Lückenfüller hält (siehe dazu seinen Beitrag „Die Würde des Menschen ist antastbar [3]“ auf SPIEGELOnline). Der Begriff wird sowohl von Freunden, als auch von Gegnern der Sterbehilfe gebraucht und sowohl die Sterbehilfe als auch deren Unterlassung sollen angeblich der Menschenwürde widersprechen.
Die „Menschenwürde“ dient als Totschlagargument und somit als Diskussionsbremse. Widerspricht eine Handlung der Menschenwürde, darf man nicht mehr über sie diskutieren. Außerdem sei der Begriff redundant, also überflüssig, weil er durch einen Bezug auf die konkreteren Menschenrechte ersetzt werden könne, wo er Substanz hat. Was die „Würde“ angeht, würde Dahl eher von einer „persönlichen Würde“ sprechen, für die ein Selbstbewusstsein und ein Selbstbild notwendig seien, wie sie auch Menschenaffen aufzeigten.
Was ist „Enhancement“?
Beim „Enhancement“ geht es um die Verbesserung menschlicher Eigenschaften, zum Beispiel Sinne, Intelligenz, oder auch Emotionen, in Form von genetischem Enhancement, technologischen Hilfmitteln oder Medikamenten.
Ein Beispiel für genetisches Enhancement wäre die Immunisierung gegen den Aids-Virus. Man weiß von einigen Tieren, dass sie gegen Aids immun sind und man könnte die entsprechenden Gene isolieren, synthetisieren und in den ungeborenen Menschen einbauen. Ebenso könnte man die menschliche Haut auf eine Weise verändern, dass sie gegen Hautkrebs unempfindlich würde. Ein Extrembeispiel wäre die genetisch herbeigeführte Unsterblichkeit, wobei Dahl fragt, wer das eigentlich möchte, wenn die Menschen schon an einem regnerischen Sonntagabend nichts mit sich anzufangen wüssten. Andererseits wäre die Unsterblichkeit vielleicht etwas für sehr kreative Menschen wie Leonardo DaVinci.
Neben dem Enhancement gibt es auch noch das „Diminishment“, über das aber kaum debattiert wäre, obwohl es philosophisch interessanter sei. Man trifft es zum Beispiel in Huxleys „Schöne Neue Welt“ an, wo Menschen für bestimmte niedere Tätigkeiten geschaffen werden, für die sie besonders gut geeignet sind und die sie glücklich und zufrieden ausführen. Ferner denke man an eine Kreuzung von Mensch und Affe, die man dem Papst zuschicken könne, um ihn von der Evolution zu überzeugen.
Happy Pills
Die Verbesserung durch Intelligenz könnte man eines Tages mittels „Smart Pills“ bewerkstelligen. Kritik daran wären Wettbewerbsvorteile für jene, die sich Smart Pills leisten können und steigende Anforderungen, wodurch am Ende alle schlechter dastehen könnten. Ähnlich sieht die Kritik an den „Happy Pills“ aus: Der Staat könnte sie als „Opium für das Volk“ missbrauchen und die Menschen ruhigstellen, wieder gäbe es vielleicht Wettbewerbsvorteile und Glück wäre umsonst und ohne Aufwand zu erzielen, was die Produktivität gefährde.
Edgar Dahl zweifelt jedoch an solchen dystopischen Szenarien. Er hält es für wahrscheinlich, dass „Happy Pills“ eher die Rolle von Alkhohol einnehmen würden. Schließlich gibt es keine Wirkung ohne Nebenwirkung und alleine darum könne man sich nicht ständig diese Pillen einwerfen. „Happy Pills“ würden manche Leute dauerhaft unausstehlich machen, die jetzt schon unausstehlich sind, sobald sie ihre Party-Stimmung erreichen. Ferner sei Glücklichkeit in manchen Situationen gesellschaftlich unerwünscht, etwa beim Tod des Ehemanns.
Da Psychopharmaka der Psychotherapie bei der Behandlung von psychischen Krankheiten überlegen sind, könnten auch „Happy Pills“ in diesem Gebiet gewinnbringend eingesetzt werden. Ein Argument gegen die Wettbewerbsvorteile von Dauerglücklichen ist die Tatsache, dass im Beruf eher Kompetenz zählt als bloße Glücklichkeit. Zudem lässt sich ein glücklicher Mensch leichter ausnutzen und geht eher unnötig riskante Risiken und Geschäfte ein. Man weiß etwa von Menschen mit einer bipolaren Störung, die extrem altruistisch sind, dass sie im Leben scheitern. Zuletzt seien unangenehme Gefühle für das Verhalten notwendig, zum Beispiel Eifersucht für den Kampf um Partner.
Letzten Endes leben wir in einer freien, pluralistischen Gesellschaft, wo wir tun können, was wir wollen, solange wir die Rechte anderer respektieren. Der „Krieg gegen Drogen“ in den USA hat sich als ineffektiv und sogar schädlich herausgestellt, weshalb das Verbot von „Happy Pills“ nicht empfehlenswert erscheine.
Diskussion
In der Diskussion wird die Frage aufgeworfen, ob die Stimmung nach Konsum der „Happy Pills“ noch als die eigene Stimmung erlebt werde. Dieses Problem, so Dahl, gebe es mit anderen Drogen aber auch, etwa mit Antidepressiva. Zudem lässt sich dieser Einwand ebenso auf Viagra anwenden: Erleben Frauen den Sex mit einem Viagra-gestärkten Mann als authentischen Sex, oder als Sex mit einer Pille?
Einer der Anwesenden betont die gesellschaftlichen Vorteile von Enhancement, so würde etwa die technologische Entwicklung schneller ablaufen, wenn die Menschen intelligenter wären. Jemand weißt darauf hin, dass aber auch Kriminelle intelligenter würden, was mit Empathiepillen für deren Therapie und mit der Intelligenzsteigerung der Strafverfolgungsbehörden gekontert wird. Insgesamt sei ein Schritt nach vorne zu erwarten, meint ein Diskussionsteilnehmer. Befürchtet wird von jemandem, dass Unternehmen mit Enhancement Arbeitssklaven heranzüchten könnten, die 12 Stunden täglich fröhlich vor sich hin schuften. Darauf könnte man jedoch antworten, dass Unternehmen bereits heute die Arbeitszeiten erhöhen und ihren Mitarbeitern Drogen verabreichen könnten, dies aber nicht getan wird, weil es eben verboten ist. Warum sollten derartige Verbote gelockert werden, nur weil neue Drogen auf den Markt kommen?
Edgar Dahl bestärkt seine liberale Haltung mit dem Hinweis, dass die „Menschenwürde“ gegen die Enhancement angeblich verstoße, nur in Deutschland überhaupt ein Begriff sei. Keine andere Demokratie hat einen mit „Menschenwürde“ vergleichbaren Begriff in ihrer Verfassung verankert. Zudem überschätzen wir Glück und die Anzahl der Situationen, in denen wir uns künstlich in einen glücklichen Zustand versetzten möchten.
Man befürchtete auch von Schönheitoperationen, dass sie jeder anwenden würde, aber letztlich hat sich gezeigt, dass Schönheitoperationen weit von einer universellen Anwendung entfernt sind. Der befürchtete gesellschaftliche Druck habe sich nicht eingestellt. Zudem müsse man an das Verbot von Pornos und Marihuana denken, das in beiden Fällen das Gegenteil des gewünschen Effekts zur Folge hatte: In Deutschland konsumieren zum Beispiel 10% der Menschen Marihuana, in Holland dagegen, wo die Droge legal ist, nur 5%.
Das amerikanische Magazin „Free Inquiry“ hat dem Enhancement ein Titelthema gewidmet [4] in der Ausgabe 29/5. Besonders herausfordernd ist Mark Walkers „The Case for Happy People Pills“. Walkers weist darauf hin, dass es Menschen gibt, die aufgrund ihrer genetischen Veranlagung dauerhaft sehr glücklich sind und die damit gut zurecht kommen. Die Kritik an „Happy Pills“-Konsumenten müsste konsequenterweise auch für diese Menschen gelten. Will man diesen Menschen wirklich ihre eigene Natur als "unnatürlich" vorhalten?
Fotos von Mädchen, "Happy Balls" und Puppe: morguefile.com [5]
Fotos der Veranstaltung: AM
AM
Links:
[1] http://www.darwin-jahr.de/sites/darwin-jahr.de/files/story/node-454-782.jpg
[2] http://www.hvd-bayern.de/index.php?q=node/4
[3] http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,685376,00.html
[4] http://www.secularhumanism.org/index.php?section=library&page=index_29
[5] http://www.morguefile.com/