Presseschau | 11.07.2010
Und das ist ein Grund mehr, sich im kühlen Nass der neuesten Forschung zu tümmeln. Heute trifft Richard Dawkins auf Stephen Hawking und die Wissenschaft kollidiert mit New Age.
Neben den gewöhnlichen „Science-News“ haben wir erneut provokative Schätze vom Meeresboden der Forschung ans Tageslicht geholt: Die Deutschen wollen nichts mehr wissen von Glaube und Kirche und der Kinderwunsch ist eine Wahnvorstellung, weil Kinder unglücklich machen (Entschuldigung an dieser Stelle an Familienministerin Schröder).
Woher kennen wir das Erdalter? [2]
Man macht sich ja gerne lustig über Menschen, die glauben, dass die Erde erst ein paar tausend Jahre alt ist. Aber wer kennt wirklich unsere Gründe, das Gegenteil anzunehmen? In dieser Arbeit vom Geologen Robert Hazen werden sie zusammengefasst: Eis- und Sedimentschichten, die Entstehung und die Erosion von Bergen, die Bewegungen der tektonischen Platten, radiometrische Untersuchungen und die Jahresringe von Bäumen sind nur ein Auszug der Belege für das Erdalter, das übrigens rund 4,6 Milliarden Jahre beträgt.
Katze ahmt Affenschreie nach [3]
Die Langschwanzkatze wurde dabei beobachtet, wie sie die Schreie von Tamarin-Äffchen nachahmte, um sie anzulocken und anzugreifen. Regenwaldbewohner behaupten, dieses Mimikry-Verhalten auch beim Jaguar, Puma und beim Ozelot beobachtet zu haben. Wahrscheinlich wird der Trick bei den Katzen kulturell weitergegeben.
Richard Dawkins spricht mit Stephen Hawking
Der britische „Channel 4“ hat aktuell eine neue Dokumentation namens „The Genius of Britain [4]“ am Laufen, in der es um die größten britischen Wissenschaftler und ihre Entdeckungen geht. Unter den Moderatoren befinden sich keine geringeren als David Attenborough, James Dyson, Stephen Hawking und Richard Dawkins. Im folgenden Clip diskutieren Hawking und Dawkins über Evolution und Religion:
Wir sind die komischsten Leute der Welt [5]
Nein, nicht wir, das Darwin-Team, obgleich wir auch sehr komisch sind. Die Rede ist von Menschen in westlichen Gesellschaften allgemein. In einer Metastudie haben der Anthropologe Joe Henrich und die Psychologen Steven Heine und Ara Norenzayan die Datenbanken von komparativen Studien der Sozial- und Verhaltenswissenschaften ausgewertet. Was harmlos klingt, beweist tatsächlich, dass viele Verallgemeinerungen von Wissenschaftlern über die angebliche „menschliche Natur“ in den letzten Jahrzehnten falsch gewesen sind. Das Problem: Die meisten Untersuchungen wurden an Individuen in westlichen Gesellschaften vorgenommen und gerade die sind „besonders ungewöhnlich im Vergleich mit der restlichen Spezies“, wie es in der Studie heißt. Wir sind in der Tat so ungewöhnlich, dass die Forscher unsere Gesellschaften auf den Namen „WEIRD“ („seltsam“) getauft haben: Westlich, gebildet, industrialisiert, reich und demokratisch.
„Die Erkenntnisse legen nahe, dass Mitglieder von WEIRD-Gesellschaften, inklusive junger Kinder, unter den am wenigsten repräsentativen Populationen sind, die man finden könnte, um Aussagen über den Menschen zu verallgemeinern. […] Ingesamt weisen diese empirischen Muster darauf hin, dass wir weniger ungezwungen sein sollten, wenn wir Fragen über die menschliche Natur auf Basis dieses äußerst dünnen und eher ungewöhnlichen Teiles der Menschheit machen wollen.“
Rezession macht abergläubisch [6]
Es ist nun ein weiterer Beleg für die Theorie aufgetaucht, dass persönliche Anspannung den Aberglauben verstärkt: Nummernschilder aus Hong Kong mit „Unglückszahlen“ verkaufen sich heutzutage schlechter als solche mit „Glückszahlen“. Im Kantonesischen reimt sich die Zahl „acht“ mit dem Wort für „Wohlstand“, darum verkaufen sich Nummernschilder mit einer acht um 63,5% besser als vor der Rezession. „Vier“ klingt wie das Wort für „Tod“, darum verkaufen sich Nummernschilder mit einer „vier“ um 11% schlechter.
Leben wir noch im „Neuen Zeitalter“? [7]
New Age ist nach wie vor populär, wie Robert Price in seinem aktuellen Buch Top Secret: The Truth Behind Today’s Pop Mysticisms aufzeigt. Er argumentiert, dass diese Art von Mystizismus uns einen Grund gebe, an uns selbst zu glauben. Zugleich weist er aber darauf hin, dass New Age essenziell eine Mystifikation von Alltagspsychologie, von Sündenbock-Mentalität und von Pseudomedizin ist.
New Age ist kommerziell und sehr individualistisch, wodurch diese Esoterik-Strömung besser zu unserer modernen Gesellschaft passt als die alten Religionen. Interessant ist Prices Vergleich von magischem Denken mit dem Bestellen einer Pizza: „Du willst eine Pizza. Du visualisierst die Pizza. Du wählst die Nummer. Du flüsterst ‚Pepperoni‘ und die Pizza materialisiert sich vor deiner Haustür.“ In der Tat, wir leben in einer scheinbar magischen Zeit. Den Produktionsprozess von Pizzen sehen wir nicht, also kommt es uns fast so vor, als könnten wir sie herbeizaubern. Ein perfekter Nährboden für New Age.
Let's face it
Als hypersoziale Säugetiere neigen wir dazu, überall das Wirken von Agenten zu erkennen und Gesichter zu sehen. Dieser Werbespot von American Express demonstriert diese Neigung sehr anschaulich:
Das Buch über die Natur des Aberglaubens vom Psychologen Bruce Hood, das wir im Evo-Magazin in weiser, prophetenhafter, orakelnder Vorraussicht bereits besprochen haben [9] (man opfere uns zum Dank eine kühle Limonade), erscheint auf Deutsch! Der programmatische Originaltitel „SuperSense“ hatte etwas für sich, klang aber vielleicht zu wertend, denn so „super“ ist unser „Sinn“ für das Übernatürliche auch wieder nicht. Den Germanen wird das Werk nun als „übernatürlich? natürlich!“ in Kleinbuchstaben verkauft. Man beachte auch unser kleines Interview mit Bruce Hood [10].
Wollen Leute, die das PEOPLE-Magazin lesen, Brustimplantate? [11]
Die kurze Antwort lautet „ja“. Und gewiss gibt es eine Studie darüber. Die Verehrung von Prominenten korreliert laut einer aktuellen Untersuchung stark mit dem Verlangen der Leserinnen nach Schönheitsoperationen.
Kinder machen unglücklich [12]
Praktisch alle soziologischen, ökonomischen und psychologischen Studien, die den Einfluss von Kindern auf das Glück der Eltern untersuchen, kommen zu dem Ergebnis, dass Kinder unglücklich machen. Eltern sind depressiver als Nicht-Eltern, egal, was ihre persönlichen Umstände sind, ob sie verheiratet sind oder Singles. Die meisten Studien zeigen, dass Mütter am unglücklichsten sind und dass Eltern desto unglücklicher werden, je mehr Kinder sie bekommen. Was unter Psychologen und Soziologen mehr oder weniger Konsens ist, stößt regulär auf Unglauben, wenn die Erkenntnis die Universitäten verlässt: „Ich habe noch niemals jemanden getroffen, der sich nicht mit mir darüber gestritten hätte“, sagte der Psychologe Daniel Gilbert von Harvard.
Gilbert ist der Meinung, dass Eltern unter einer Wahnvorstellung leiden, wenn sie meinen, dass Kinder glücklich machen. Die gesellschaftliche Erwartungshaltung schreibt vor, dass man Kinder haben und glücklich mit ihnen sein soll, idealistisch betrachtet sind Kinder gut für das Fortbestehen der Menschheit und für die Jugendlichkeit der Gesellschaft. Eltern glauben dies einfach und werden dann enttäuscht, ohne sich öffentlich vom Kinderwahn zu distanzieren.
Das „UCLA’s Center on Everyday Lives of Families“ hat 800 Stunden mit Aufnahmen von 32 Familien aus der Mittelschicht gesammelt, in denen beide Elternteile arbeiten und die mindestens zwei Kinder haben. Der Zweck der Studie war es keineswegs, die Glücklosigkeit von Familien aufzuzeigen. Einer der beteiligten Forscher gelangte trotzdem zu der folgenden Bewertung des Videomaterials: „Das ist die reinste Form der Geburtenkontrolle, die jemals entwickelt worden ist. Jemals.“
Jennifer Senior vom New York Magazine geht davon aus, dass dies nicht immer so gewesen ist. Früher dienten Kinder als zusätzliche Arbeitskräfte auf dem Bauernhof oder später im Familienunternehmen, heute gilt die Kindheit als geschützte Zeit. Obendrein müssen Kinder aufwändig geformt und erzogen werden. Die Soziologin Viviana Zelizer von der Princeton-Universität bezeichnete das aktuelle Bild von Kindern als „ökonomisch wertlos, aber emotional unbezahlbar.“ In den USA haben verheiratete Frauen heute weniger Freizeit als 1975 (5,4 Stunden pro Woche); 71% sagen, es verlangt ihnen nach mehr Zeit für sich selbst (wie 57% der verheirateten Väter). Aber 85% aller Eltern glauben immer noch, sie würden nicht genug Zeit mit ihren Kindern verbringen.
Aber woran liegt das? Kinder bekommen ist schließlich der biologische Sinn des Lebens; wie ist es da möglich, dass Kinder unglücklich machen? Die Psychologen W. Keith Campbell und Jean Twenge, die eine Metaanalyse von 97 Kinder-und-Ehe-Zufriedenheitsstudien angefertigt haben, kommen zu dem Ergebnis: „Sie werden später in ihrem Leben Eltern. Es gibt einen Verlust an Freiheit, einen Verlust an Autonomie. Es ist vollkommen anders, als direkt das Elternhaus zu verlassen, um ein Baby zu bekommen. Heute weißt du, was du aufgibst.“ Moderne Eltern warten lange, um Kinder zu bekommen und die Belohnung entspricht nicht den hohen Erwartungen. Außerdem machen sie sich viel Stress mit der Psychologie der Kindererziehung und glauben immerzu, sie würden schlechter abschneiden als andere Eltern.
Aber halt! Schon wieder sieht die Lage anders aus in den skandinavischen Ländern. Hans-Peter Kohler, ein Soziologieprofessor an der Universität von Pennsylvania, hat die Glücklichkeit von Eltern in Dänemark untersucht und festgestellt, dass Kinder die Dänen glücklicher machen als keine Kinder. Seinen Ergebnissen zufolge gibt es in Ländern mit stärkeren Wohlfahrtssystemen mehr Kinder – und glücklichere Eltern. Das ist kein Wunder, denn in Dänemark gibt es ein Jahr bezahlten Mutterschaftsurlaub, vom Staat finanzierte Krippenplätze, kostenfreie Bildung und Gesundheitsfürsorge. Das bedeutet weniger Stress für die Eltern. Ein weiteres Argument für Kinder ist der Sinn, den sie einem Leben geben können und die Freude, die man, sobald die Kinder aus dem Haus sind, in der Rückschau über seine Elternzeit hat – die dann viel rosiger aussieht, als während der Elternzeit.
Daniel Gilbert hat jedoch ein Gegenargument parat: „Wenn du innehältst und darüber nachdenkst, was Kinder für dich bedeuten, dann fühlen sie sich natürlich gut an“, sagt er. „Das Problem ist, dass du 95% der Zeit nicht darüber nachdenkst, was sie für dich bedeuten. Du denkst darüber nach, dass du sie zu den Klavierstunden bringen musst. Also musst du dir klarmachen, welche Art von Glücklichkeit du öfter konsumierst. Möchtest du diejenige maximieren, die du fast die ganze Zeit über erlebst, oder jene, die du selten hast?“
Fazit
Zumindest in westlich geprägten Ländern jenseits Skandinaviens ist Kinder bekommen eine Wahnidee, da Kinder unglücklich machen. Wer trotzdem welche davon haben möchte, sollte sie möglichst bald in die Welt setzen, um nicht zu früh von dem schönen Leben ohne Kinder zu erfahren, oder er muss sich darum bemühen, sich weniger um die Kinder zu kümmern, als es die gesellschaftliche Erwartungshaltung erfordert, und mehr um sich selbst und seine Ehe. Denn Kinder gefährden obendrein die Beziehung. Sollte der Staat irgendein Interesse an seiner Selbsterhaltung haben, muss er das skandinavische Fürsorgesystem nachahmen.
Deutsche wollen nichts wissen vom Glauben [13]
Laut dem dritten Trendmonitor „Religiöse Kommunikation“, der vom Institut für Demoskopie in Allensbach und von Sinus Sociovision in Heidelberg im Auftrag der katholischen Mediendienstleistungsgesellschaft (mdg) erstellt wurde, können die Deutschen mit Religion im herkömmlichen Sinne nichts mehr anfangen.
Leider können philosophisch gesinnte Zeitgenossen auch nicht ganz glücklich über die Ergebnisse sein, denn sie offenbaren widersprüchliche und uninformierte Haltungen in der Bevölkerung. Zum Beispiel plädieren 70% der Katholiken, fünf Prozent mehr als 1979, für religiöse Werteerziehung, während zugleich zwei Drittel der Katholiken nicht mehr wissen wollen, was Gott oder die Kirche von ihnen erwarten. Stattdessen wollen sie ihre eigenen Anforderungen an sich selbst erfüllen, die aber nicht religiös sind.
Aber was ist „religiöse Werteerziehung“, wenn nicht die Erziehung zur Befolgung göttlicher, also kirchlicher Gebote? Noch merkwürdiger ist die Tatsache, dass die Weitergabe des Glaubens in den Familien weitgehend ausfällt, wie Rüdiger Schulz vom Institut für Demoskopie in Allensbach feststellt. Die Katholiken sind also für religiöse Werteerziehung, aber ohne Gott und Kirche, und sie möchten diese religiöse Werteerziehung nicht selbst durchführen. Vielleicht ist „religiöse Werteerziehung“ für Katholiken etwas, das einfach gut klingt und das sie darum befürworten, ohne dass es sie näher interessieren würde, was das ist?
86% der Deutschen sind mit dem sozialen Einsatz der Kirchen einverstanden. Offenbar wissen sie nicht, dass dieser zu über 90% von Staat und Beitragszahlern finanziert wird, die Kirchen also fast gar nichts mit „ihrem“ sozialen Engagement zu tun haben. Beliebt sind die Kirchen für ihr Engagement für den „Frieden“, obwohl die Kirchen vom Staat für die Militärseelsorge bezahlt werden und sie in Afghanistan Soldatengottesdienste abhalten, während sie in der Öffentlichkeit den Frieden predigen. Aber „Frieden“ klingt ja immer gut.
Die katholischen Kirchenmitglieder interessieren sich kaum für ihre eigene Kirche. 37 Prozent sind der Kirche „kritisch verbunden“, für 32 Prozent bedeutet die Kirche nicht viel, und sechs Prozent brauchen gar keine Religion. Immerhin hat die katholische Kirche noch 37% eng verbundene Mitglieder, die Protestanten dagegen haben nur 12% dieser Spezies. Die Kirche verliert „in allen Bereichen“, so Schulz.
Wozu ist die Kirche noch gut? Für 68% der Deutschen sind das Rituale wie Taufe und Hochzeit. 50% sind aus Familientradition dabei. 35% mögen Gottesdienste. Die Eucharistie (Kekswerdung Jesu) ist den Deutschen mit 22% Zustimmung wichtiger als Vorbilder in den Kirchen und Gespräche über den Glauben mit elf Prozent. Die Deutschen essen also lieber Kekse, als sich mit dem Glauben zu befassen.
Der Trend geht in Richtung religiöse Indifferenz. Leider ist religiöse Indifferenz, im Gegensatz zum säkularen Humanismus, keine bewusst reflektierte Position. Im Grunde muss es nur wirtschaftlich schlechter laufen und die Deutschen werden wieder gläubiger. Wer indifferent ist, der ist auch offen für jeden Unsinn. Wenigstens haben die Kirchen keine privilegierte Position mehr, um zu bestimmen, wie dieser Unsinn in Zukunft auszusehen hat.
AM
Links:
[1] http://www.darwin-jahr.de/sites/darwin-jahr.de/files/story/node-448-768.jpg
[2] http://springerlink.com/content/uh78u254754ntm17/fulltext.html
[3] http://whyevolutionistrue.wordpress.com/2010/07/11/deceptive-predatory-cats-imitate-monkey-calls/
[4] http://rlstv.com/?s=genius+of+britain
[5] http://www.cognitionandculture.net/index.php?option=com_content&view=article&id=667:the-weirdest-people-in-the-world&catid=3:publications&Itemid=3
[6] http://brucemhood.wordpress.com/2010/07/07/lucky-number-plates-rise-in-value/
[7] http://www.butterfliesandwheels.org/2010/the-secret-of-new-age-thinking/
[8] http://www.springer.com/spektrum+akademischer+verlag/spektrum-sachb%C3%BCcher/book/978-3-8274-2543-0
[9] http://www.darwin-jahr.de/../../../../../../../../evo-magazin/wir-sind-alle-aberglaeubisch
[10] http://www.darwin-jahr.de/../../../../../../../../evo-magazin/wissenschaft-ist-ohne-konkurrenz
[11] http://www.bakadesuyo.com/does-reading-people-magazine-make-you-want-br
[12] http://nymag.com/news/features/67024/index.html
[13] http://www.merkur.de/2010_24_Menschen_stellen.42875.0.html?&no_cache=1