
Presseschau | 04.07.2010
Noch viel zu lernen Darwin-Team hat! Die neue Presseschau befasst sich schwerpunktmäßig mit dem Thema „Bildung“: Britische Wissenschaftler fordern Evolution in der Grundschule, Dawkins will eine skeptische Privatschule gründen, das bayerische Kultusministerium bekommt Nachhilfe von Evangelikalen und ethnische Diversität ist schlecht fürs Lernen.
Außerdem: Was weiß unser neuer Bundespräsident? Weiß er etwas? Weiß er nichts? Finden Sie es heraus!
Wissenschaftler für Evolution in der Grundschule [2]
26 Wissenschaftler, darunter drei Nobelpreisträger, haben dem britischen Kultusminister Michael Grove einen Brief geschickt. Darin fordern sie die Einführung der Evolutionsbiologie in die Lehrpläne der Grundschulen, um zunehmender kreationistischer Indoktrination vorzubeugen. In dem Brief heißt es: „Evolution ist die wichtigste Idee, die den biologischen Wissenschaften zugrundeliegt. Sie ist ein Schlüsselkonzept, in das Kinder in einer frühen Phase eingeführt werden sollten.“ Die Aktion geht von der British Humanist Association [3] aus, den vollständigen Brief findet man hier [4]. Das Kultusministerium sagte, dass es den Brief ernstnehmen und detailliert darauf eingehen werde.
Dawkins will skeptische Privatschule gründen [5]
Englische Privatschulen weisen immer wieder darauf hin, dass sie bessere Resultate abliefern als staatliche Schulen. Wie in Deutschland liegt dies ausschließlich daran, dass die Schülerpopulation homogener ist und weniger „Problemkinder“ aus Migrantenfamilien diese meist christlichen Privatschulen besuchen. Zudem kommt es immer wieder zu Skandalen rund um islamische Privatschulen, von denen einige Antisemitismus und Dschihad lehren. Kritisiert wird zudem die Aufspaltung der Gesellschaft durch eine Einteilung der Bürger in verschiedene Konfessionen von Kindesbeinen an.
Wie in Deutschland mussten säkular-humanistische Organisationen einsehen, dass die Regierung trotz allem auf die Förderung von Privatschulen aus öffentlichen Mitteln besteht. Wie der Humanistische Verband in Deutschland aus diesem Grunde nun humanistische Schulen gründet, möchte Richard Dawkins in England eine skeptische Privatschule gründen, obgleich es noch keine konkreten Pläne für diese gibt. Dawkins über sein Schulkonzept: „Ich würde niemals Kinder zum Atheismus indoktrinieren wollen, ebensowenig wie zur Religion. Stattdessen sollte man Kinder lehren, nach den Belegen zu fragen, skeptisch, kritisch und aufgeschlossen zu sein.“
Über 20 000 Euro für Schimpansengemälde [6]
Für drei abstrakte Gemälde des Schimpansen „Congo“ hat ein Kunstliebhaber in London 14.400 Pfund (21.515 Euro) gezahlt. Das ist mehr, als für die Werke von Warhol und Renoir gezahlt wurde. Haben Affen eine Kultur? Sogar Pablo Picasso soll ein Werk von Congo bei sich zuhause aufgehängt haben.
1957 fertigte der Schimpanse die Bilder als Dreijähriger an. Zunächst wurden seine Werke nicht als Kunst akzeptiert. Offenbar gilt auch für Affen, dass sich die künstlerische Anerkennung oftmals erst einstellt, nachdem der Künstler schon verstorben ist.
Gottes Werk und Bayerns Beitrag [7]
Statt kritisches Denken gilt in Bayern Ehrfurcht vor Gott. So heißt es in Artikel 131, Absatz 2 der Verfassung des Bundeslandes: „Oberste Bildungsziele sind Ehrfurcht vor Gott, Achtung vor religiöser Überzeugung und vor der Würde des Menschen [...]“.
Der Grundsatz „Bundesrecht bricht Landesrecht“ macht dieses Verbot von Religionskritik in der Schule null und nichtig. Das interessiert Evangelikale natürlich nicht, also haben sie sich beim bayerischen Kultusministerium über einen Auszug aus dem Buch „The Age of American Unreason“ von der säkularen Humanistin Susan Jacoby beschwert, die in dem aktuellen Englischbuch „Context 21“ des Cornelsen-Verlages auftaucht.
Beim evangelikalen Nachrichtenmagazin idea erfährt man dazu [8]: „Ein führender Mitarbeiter der Weltweiten Evangelischen Allianz, Prof. Thomas Schirrmacher, warf Jacoby vor, „hochkomplexe Zusammenhänge in einem stark religiösen Land wie den USA auf einfache Stereotypen zu reduzieren“.
Schirrmachers Kritik bezieht sich auf die Zusammenhänge zwischen christlichem Fundamentalismus und mangelnder Bildung, die Jacoby anspricht. Die umstrittene Passage, nachzulesen auf der Cornelsen-Website [9], lautet: „Ungefähr 45% derjenigen, deren Bildung nicht über Highschool-Niveau hinausgeht, glaubt an die wörtliche Wahrheit der Bibel, während nur 29% mit einiger College-Ausbildung und 19% derjenigen, die das College abgeschlossen haben, diesem Glauben alter Zeiten anhängen.“
Dies sind unumstrittene, statistische Tatsachen. Jacoby differenziert außerdem zwischen christlichem Fundamentalismus und Evangelikalismus, so erfährt man im selben Auszug: „Der Hauptunterschied zwischen Fundamentalisten und Evangelikalen, obwohl sie eine Glauben teilen, der auf einer intimen, persönlichen Beziehung zwischen Gott und dem Menschen beruht, besteht darin, dass nicht alle Evangelikalen die Bibel als wörtlich wahr empfinden, aber alle Fundamentalisten dies tun.“
Das bayerische Kultusministerium hat den Auszug aus Jacobys Buch trotzdem nicht akzeptiert, allerdings erst nach Kritik von evangelikaler Seite. Zuvor hatten sie das neue Englischbuch abgesegnet. „Context 21“ soll nun ohne den Abschnitt in Bayern erscheinen. Das Ministerium bestätigt die evangelikale Kritik und spricht von einer „einseitige[n] Interpretation“ des religiösen Lebens in den USA und einer „einseitige[n] Darstellung von Verhaltensmustern“, die angeblich in dem Abschnitt erkennbar wären, ohne dass die Gegenseite hinreichend dargestellt werde. Zugleich behauptet das Ministerium, auf Religion auch nicht besonders sensibel zu reagieren und der „historisch-kritischen Methode“ verpflichtet zu sein.
De facto haben die Evangelikalen einen Sieg davontragen können. Die Kritik trifft eindeutig nicht auf die umstrittene Passage zu und den Evangelikalen hat es nur nicht gepasst, dass überhaupt Kritik an ihnen geübt wird. Dies ist nicht das erste Mal, dass staatliche Stellen dem Druck religiöser Fanatiker nachgeben. Als Schülerzeitungsautor Hannes Grosch 2008 kritisch über das Großevangelisierungsevent „Christival“ berichtet hatte [10], bekam er Todesdrohungen von aufgebrachten Evangelikalen. Sogar Thomas Krüger, Direktor der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb), gab dem evangelikalen Druck nach und ließ eine „Wiedergutmachungsausgabe“ der Schülerzeitung „Q-Rage“ veröffentlichen. Offenbar sind staatliche Stellen in Deutschland bereit, alles zu tun, was religiöse Fanatiker von ihnen verlangen. Das bayerische Kultusministerium hat diesen Eindruck noch einmal bestätigt.
Zu Tode gelangweilt [11]
Annie Britton und Martin Shipley vom International Center for Health and Society des University College in London haben die Auswirkungen von Langeweile untersucht. Ergebnis: Wer sich am Arbeitsplatz oft und beständig langweilt, der lebt insgesamt ungesünder und stirbt früher. Das Problem sind vor allem niedrigbezahlte Jobs mit sich stetig wiederholenden Tätigkeiten. Mit dem Bildungsniveau steigt die Qualität der Berufe und damit auch Gesundheitsbewusstsein und Lebenserwartung. Es lohnt sich also, immer brav die Hausaufgaben zu machen.
Ethnische Diversität an der Schule schlecht fürs Lernen [12]
Der empirische Soziologe Jaap Dronkers [13] aus dem liberalen Holland hat als Professor für Internationale Bildungsforschung an der Universität Maastricht eine politisch sehr inkorrekte Antrittsrede gehalten. Er geht darin auf die Auswirkungen der ethnischen Diversität auf das Lernen ein. Hier eine direkte Übersetzung einer Zusammenfassung seiner Rede aus der Pressemitteilung der Universität Maastricht:
„Fünfzehnjährige Schüler von Schulen mit einer hohen ethnischen Diversität schneiden schlechter ab als vergleichbare Schüler von Schulen mit homogenen Schülerpopulationen. Dies gilt nicht nur für die Immigrantenkinder, sondern auch für die Kinder des betroffenen Landes. Für die zweite Gruppe ist der negative Effekt am stärksten für Schulsysteme mit einer Hierarchie an Schultypen, wie die holländischen und die deutschen Systeme. Auch die Anzahl und Herkunft der Immigrantenschüler spielt eine wichtige Rolle. Ein größerer Anteil von Schülern aus islamischen Ländern an einer gegebenen Schule hat einen negativen Einfluss auf die Leistung aller Schüler an dieser Schule. Im Gegenzug hat ein hoher Anteil von Schülern aus Süd- und Ostasien einen positiven Effekt. Dies ist nur eine von Jaap Dronkers Schlussfolgerungen aus seiner empirischen Forschung mit internationalen PISA-Daten, die er in seiner Inaugurationsrede diskutiert.“
Wenigstens ist damit Intelligenzforschern widersprochen, die den Lernerfolg aus der durchschnittlichen, angeblich genetisch bedingten Intelligenz bestimmter Ethnien ableiten (deren Position hat Thilo Sarrazin kürzlich auf recht platte Weise zusammengefasst [14]). Wäre dies der Fall, dann hätte die bloße Präsenz von Schülern niederer Intelligenz keinen derart negativen Effekt auf Schüler mit hoher Intelligenz. Soziale Faktoren spielen also eine wichtige Rolle.
Ferner lässt sich feststellen, dass die hierarchischen Schulsysteme in Deutschland mit ihrer Unterteilung in Hauptschule, Realschule und Gymnasium das Problem noch verschärfen. Die aktuell beliebteste „Lösung“ besteht darin, Kinder auf Privatschulen zu schicken – und die sind in Deutschland überwiegend christlich. In diesen Privatschulen gibt es nämlich, aus offensichtlichen Gründen, signifikant weniger Muslime. Das ist aber keine Lösung, da muslimische Schüler nun auf die staatlichen Schulen verteilt werden und deren Bildungsniveau reduzieren, während deutschstämmige Schüler christlich indoktriniert werden, was zu einer weiteren Spaltung der Gesellschaft beiträgt. Da zudem Privatschulen mehr Geld kosten, werden vermögensschwache Familien ihre Kinder auf die schlechteren, also staatlichen Schulen schicken müssen. Hierdurch wird das Problem zementiert und verschärft. Der Staat darf nicht zulassen, dass staatliche Schulen von konfessionellen Privatschulen verdrängt werden. Sonst werden Kinder von Anfang an in christliche oder islamische Gruppen unterteilt. Man müsste stattdessen vielleicht überprüfen, ob eine Unterteilung der Schüler nach ihrem Leistungsniveau in bestimmte Klassen, aber unabhängig von Religion und Ethnie, das Problem lösen könnte. Oder man orientiert sich am Schulsystem von "Harry Potter". Mal sehen, ob die anderen Schüler es akzeptieren, wenn ihnen lernunwillige Muslime kostbare Hauspunkte kosten.
Anpasser, die angeben wollen [15]
So lautet die Antwort auf die Frage: Wer bemüht sich besonders um den Umweltschutz? Wie eine Studie von Vladas Griskevicius von der Universität Minnesota und seinen Kollegen zeigt, die im „Journal of Personality and Social Psychology“ veröffentlicht wurde, bevorzugen Menschen grüne Produkte – wenn sie teurer sind als luxuriöse Produkte und wenn man sie im öffentlichen Supermarkt kaufen kann. Es geht also wieder um die Signalisierung von Status: Ich kann es mir leisten, altruistisch zu handeln.
Diese egoistische Neigung zum Umweltschutz lässt sich ausnutzen: Das amerikanische Software-Unternehmen OPOWER misst den Stromverbrauch von den am Versuch beteiligten Kunden von 33 Energieversorgern. Seit zwei Jahren taucht eine zusätzliche Information auf ihrer Stromrechnung auf, nämlich jene, wie sie im Vergleich zu ihren Nachbarn abschneiden. Da jeder einen Smily für besondere Umweltfreundlichkeit haben wollte, wurde Energie gespart und so konnte der Stromverbrauch um 2,5% gesenkt werden.
Möchte ein Hotel seine Kunden dazu bringen, Handtücher wiederzuverwenden, empfiehlt sich Erkenntnissen des Sozialpsychologen Noah Goldstein zufolge jene Formulierung: „Machen Sie es wie die Mehrheit der anderen Gäste – schützen Sie die Umwelt“. Die anderen Formulierungen, „Helfen Sie, die Umwelt zu schützen“ und „Schützen Sie gemeinsam mit uns die Umwelt“ gingen an den Gästen einigermaßen vorbei. Aber wenn man sich vor den anderen profilieren kann, dann werden eifrig Handtücher wiederverwendet.

Was glaubt der Bundespräsident? [16]
Das weiß keiner so genau, am wenigsten Christian Wulff. Seit sechs Jahren flirtet er mit dem „Arbeitskreis Christlicher Publizisten“ (ACP) vom rechten Rand, er sitzt im Kuratorium von „Pro Christ“, wo Schwulenhass und Kreationismus verbreitet sind. Auf der anderen Seite ist der Katholik geschieden und er hat eine Protestantin geheiratet. Zwar ernannte er eine Muslimin namens Aygül Özkan zur Ministerin für Soziales, Frauen, Familie, Gesundheit und Integration in Niedersachsen, aber sobald sie das Abhängen der Schulkreuze forderte, wie es das Bundesverfassungsgericht vorsieht, wurde sie von Wulff zurückgepfiffen.
In seinen Vorträgen spricht Christian Wulff sehr viel über Religion und er hat sogar die gespenstergläubigen Anthroposophen häufiger erwähnt als die 56% der Deuschen, die sich als säkulare Humanisten verstehen. Er fordert auf zur Rückbesinnung auf christliche Werte, doch wenn er versucht zu erklären, was das ist, gerät er auf einmal in pantheistische Schwärmerei. David Nauer vom Tages-Anzeiger drückt es milde aus: „Christian Wulff ist kein Intellektueller“. Gewiss nicht.
Daniel Dennett über Religion [17]
In einem Interview mit dem „Tagesspiegel“ hat sich Daniel Dennett über den Glauben geäußert. Er glaubt, dass der Karikaturenstreit eine „Machtergreifung der radikalen Muslime“ war. Dennett: „Ich glaube, jede Zeitung, jedes Magazin, jede Nachrichtensendung hätte sofort diese Bilder zeigen sollen.“ Die Frage, warum so viele Menschen religiös sind, beantwortet er wie folgt: „Aus sehr ähnlichen Gründen, wie die, warum es so viele WM-Fans gibt. An vielen Orten der Welt ist Religion eine Möglichkeit, sozial zusammenzukommen.“ Auch über die Kuschelatheisten hat Dennett etwas zu sagen: „Diese Position ist manchmal sehr herablassend. Nach dem Motto: Ich bin aufgeklärt und benötige keine Religion, aber das ist nun einmal eine Art heiliger Mythos und wir müssen ihn erhalten, um die Massen mit Moral zu versorgen.“
AM
Links:
[1] http://www.darwin-jahr.de/sites/darwin-jahr.de/files/story/node-447-767.jpg
[2] http://www.telegraph.co.uk/education/educationnews/7838020/Richard-Dawkins-among-academics-calling-for-compulsory-evolution-teaching-at-primary-school.html
[3] http://www.humanism.org.uk/home
[4] http://www.humanism.org.uk/_uploads/documents/1LettertoGoveonEvolutioninCurriculumFINAL.pdf
[5] http://richarddawkins.net/articles/483402-updated-richard-dawkins-atheist-free-school-articles
[6] http://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/0,1518,361378,00.html
[7] http://www.spiegel.de/schulspiegel/wissen/0,1518,703688,00.html
[8] http://www.idea.de/nachrichten/detailartikel/artikel/cornelsen-verlag-muss-anti-evangelikale-passagen-in-schulbuch-streichen-1.html
[9] http://www.cornelsen.de/livebook?livebook_id=1.c.1850453.de
[10] http://www.wissenrockt.de/2010/03/24/hannes-grosch-viele-werte-sind-einfach-menschlich/
[11] http://www.tagesspiegel.de/weltspiegel/zu-tode-gelangweilt/1860734.html
[12] http://www.maastrichtuniversity.nl/web/Main/Sitewide/PressRelease/EthnicDiversityAtSchoolHasANegativeEffectOnLearning.htm
[13] http://www.eui.eu/Personal/Dronkers/
[14] http://www.wissenrockt.de/2010/06/26/macht-islam-dumm/
[15] http://www.zeit.de/wissen/umwelt/2010-06/umwelt-psychologie-status?page=1
[16] http://www.wissenrockt.de/2010/07/01/dem-menschen-ein-wulff/
[17] http://www.tagesspiegel.de/wissen/es-koennte-einen-boesen-gott-geben/1866374.html