Veranstaltungsbericht | 26.06.2010
Im Rahmen einer Vorlesungsreihe über die Grenzen zwischen Mensch und Tier hielt Volker Sommer in Würzburg einen Vortrag.
Die Veranstaltungsreihe wird begleitet von einem Oberseminar des Literaturwissenschaftlers Roland Borgards. Entsprechend waren überwiegend Literaturstudenten, aber auch mehrere Professoren aus dem geisteswissenschaftlichen Bereich anwesend.
Zuerst verdunkelt Volker Sommer den Hörsaal und beantwortet die Frage, ob es ihm denn egal sei, dass ihn sein Publikum nicht sehen kann, mit einem knappen „Ja“. Der Vortrag lebt nämlich von seiner audiovisuellen Präsentation, von vielen Fotos und Videos. Diese zeigen Menschenaffen und demonstrieren deren Ähnlichkeit mit dem Homo sapiens.
Verschwimmen der Grenzen
Zunächst fasst Volker Sommer kurz die Ideengeschichte seines Themas zusammen. Descartes ging davon aus, dass Tiere Maschinen ohne Seele sind, während er dem Menschen eine Seele zusprach. Kant betonte den exklusiven Rationalismus des Menschen, sein Denken und seine Einsicht. Die frühe Darwinsche Theorie sah den Menschen zwar als Evolutionsprodukt, räumte ihm aber trotzdem noch eine Sonderstellung ein. Die moderne Evolutionäre Anthropologie dagegen geht von einem Gradualismus, statt von einem Essenzialismus aus: Menschen werden vertierlicht (zoomorphisiert) und Tiere werden vermenschlicht (anthromorphisiert). Schließlich betont Sommer, dass auch die „Software“, der Geist von Tier und Mensch, ein Produkt der Evolution ist.
Mit dem Begriff „Panthropologie“ verdeutlicht Sommer, dass nichtmenschliche Tiere ebenfalls eine Kultur haben, die zu untersuchen sei. Ein Beispiel ist die Praxis von Menschenaffen, Blätter mit einer rauen Oberfläche zu essen, was bei ihnen Darmkrämpfe auslöst und dazu führt, dass die Affen Darmparasiten ausscheiden. Dies sei eine Art von „Selbstmedikation“. Kultur ist soziales Lernen und somit ein Verhalten, das man bei Bonobos, Gorillas und Schimpansen beobachten kann.
Ein weiteres Beispiel wird in mehreren Videos demonstriert: Ein junger Affe beobachtet seine Mutter bei der Benutzung von Werkzeug und ahmt diese Handlung nach. Das Werkzeug ist ein von den Affen speziell bearbeiteter Ast, den Schimpansen zum Termitenangeln gebrauchen. Da sich die Äste in einer gewissen Entfernung von ihrem Bestimmungsort befinden – nahe der Termiten sind sie schnell aufgebraucht – kann man davon ausgehen, dass Schimpansen in die Zukunft planen, wenn sie die Äste herbeiholen und zum Termitenangeln bearbeiten. Sie haben auch eine Vorstellung von Dingen außerhalb des Sichtbaren, also zum Beispiel von den versteckten Termiten. Zudem verfügen sie über Geduld, die sie für das Termitenangeln benötigen.
Kultur der Affen
Unter Menschenaffen gibt es diverse kulturelle Unterschiede. Beispielsweise hängen ihre Rufe von der Region ab, in der sie leben. Schimpansen benutzen zum Angeln von Treiberameisen zwei unterschiedliche Stöcke: Einen zum Ausgraben der Ameisen und einen anderen, um sie herauszuholen und zu essen.
Nun gibt es zwei unterschiedliche Techniken, wie die Ameisen gegessen werden: Entweder mit der Zunge direkt vom Stock oder sie werden erst mit der Hand abgestrichen und dann aus der Hand gegessen. Welche Methode bevorzugt wird, ist eine Frage des Kulturraums, in welchem die Tiere leben. Auch von diesem hängt es ab, ob Schimpansen Termiten oder Ameisen essen. Auch wenn beide Nahrungsquellen verfügbar sind, beschränken sich die allermeisten Schimpansengruppen auf nur eine davon. Dabei handelt es sich wahrscheinlich um Nahrungstabus zur sozialen Abgrenzung, wie wir sie auch bei Menschen beobachten (Europäer essen keine Hunde, Chinesen schon, etc.). Später erwähnt Sommer, dass die Religion besonders gut zur sozialen Abgrenzung geeignet sei, weil ihre Rituale schwer zu kopieren wären.
Ein weiterer kultureller Unterschied ist die Art und Weise, wie Schimpansen ihre Partnerinnen zum Sex einladen. Dies funktioniert in einer Kultur durch das Klopfen auf Holz, in einer anderen durch das langsame Abreißen von Blättern. Volker Sommer betont, dass es kein objektives Kriterium zur Unterscheidung von Tier und Mensch gebe. Diese Aussage demonstriert er anhand eines Videos von Forscherkollegen, die ohne Hilfsmittel nach Ameisen graben. Bei Affen ist es so, dass die Weibchen die Männchen anfeuern, sich die Ameisen zu holen, denn da die Ameisen zwicken, benötigen die Männchen dafür eine zusätzliche Motivation. Ebenso sehen wir, wie eine Anthropologin ihren Kollegen anfeuert, die Ameisen auszugraben. Volker Sommer geht davon aus, dass es sich um sexuelle Zuchtwahl handelt: Die Männchen demonstrieren ihre Stärke, um den Affendamen / Anthropologinnen zu gefallen.
Homo paniscus
Am Ende spricht sich Volker Sommer für eine Gattungserweiterung aus. Er betont die minimalen genetischen Unterschiede zwischen Menschen und Schimpansen, die zu 99,6% identische Gene haben. Frauen und Männer unterscheiden sich dagegen in vier Prozent ihrer Gene. (Anm.: Allerdings dürften die Unterschiede zwischen Schimpansen und Menschen trotzdem größer sein als die Unterschiede zwischen Männern und Frauen, insofern könnte man Bedenken anmelden an dieser Argumentation.)
Laut Sommer wäre es angemessen, statt von „Pan“ eher von „Homo“ zu sprechen, also den Schimpansen in Homo troglodytes und Bonobos in Homo paniscus umzubenennen. Konsequenterweise müsse man Menschenaffen basale Rechte zusprechen, wofür sich das „Great Ape Project“ einsetzt. Wie man die „Gemeinschaft der Gleichen“ historisch um farbige Menschen erweitert hat, so müsse man sie nun um Menschenaffen erweitern. Ihnen sollten Rechte auf Leben und Heimat zugestanden werden, außerdem solle man die Folter von Menschenaffen verbieten.
Seine Erkenntnisse über Menschenaffen haben für Volker Sommer Auswirkungen auf seine Weltanschauung gehabt, die er „Evolutionärer Humanismus“ nennt. Affen verfügen über ein Bewusstsein, über einen freien Willen (im selben Sinne, wie der Mensch, also vielleicht auch nicht), sie haben keine Seele und es gibt kein Leben nach dem Tod. Stattdessen seien wir alle „seelenlose Automaten“. Am Ende zeigt Sommer ein Bild mit einer Kollektion seiner philosophischen Positionen (Monismus, Materialismus, etc.).
Die konservativen Geisteswissenschaftler?
Volker Sommer ging davon aus, dass sein Vortrag mit Abneigung bei den Geisteswissenschaftlern aufgenommen werden würde, aber dem war nicht so. Einer der Professoren stimmte der Grundaussage, den graduellen Übergängen zwischen Menschen und Tieren und der entsprechenden Erweiterung der Rechte, explizit zu und auch ansonsten schien es kaum grundlegende Probleme damit unter den Zuhörern gegeben zu haben.
Das ist auch kein Wunder, schließlich ist das Thema der Vorlesungsreihe „Liminale Anthropologien“, also die Grenze zwischen Mensch und Tier, und niemand musste erschüttert sein, dass diese Grenze im Verlaufe einer solchen Veranstaltung eher relativiert wird als felsenfest bestätigt. Zudem ist die Meinung von vielen Naturwissenschaftlern, dass Geisteswissenschaftler an solchen Dingen wie der Seele, einer scharfen Grenze zwischen Mensch und Tier und der realen Existenz von Ideen festhielten (Sommer erwähnte, er sei Nominalist), meiner Erfahrung nach eher falsch.
Gewiss werden vorzugsweise die Klischee-Geisteswissenschaftler wie Richard David Precht in Talkshows eingeladen, aber die sind so wenig repräsentativ wie Dr. Emmett Brown aus „Zurück in die Zukunft“ für echte Naturwissenschaftler. Was den Atheismus angeht, den Volker Sommer mehrmals betonte, so sind die Geisteswissenschaften mehreren Studien [2] zufolge der effektivste Atheismusgenerator, den es überhaupt gibt. Gerade das Wissen über die Ideengeschichte und über die unterschiedlichen Vorstellungen, die es gegeben hat und die es in verschiedenen Kulturen noch gibt, verdeutlichen die Relativität der eigenen Position. Dagegen scheinen Naturwissenschaften die Weltanschauung nicht sonderlich zu verändern (vielmehr sind Naturwissenschaftler schon vor Beginn ihres Studiums häufig Atheisten). Sommer hätte nicht davon ausgehen brauchen, dass wir irgendwelchen Aberglauben verteidigen würden.
Ein Student störte sich am „Reduktionismus“, den Sommer vertritt, aber das liegt sehr wahrscheinlich daran, dass wir Geisteswissenschaftler die vage Vorstellung im Kopf haben, wie viele unterschiedliche Dinge es überall gibt, welche man eben nicht „reduzieren“ sollte auf irgendwas zu Einfaches. Das ist jedoch ein Missverständnis und wer sich ernsthaft damit auseinandergesetzt hat, was „Reduktionismus“ tatsächlich bedeutet, der dürfte seine Position diesbezüglich ändern. Allerdings räumte Sommer am Ende ein, dass auch Naturwissenschaftler seiner Erfahrung nach auf ihre Weise naiv seien, nämlich rein positivistisch vorgehen, und sich nicht genügend mit Philosophie befassen.
Immerhin stieß das Thema auf Interesse und die Studenten waren ermuntert, sich näher damit zu befassen. Das „Children of Evolution“-Video der Giordano Bruno Stiftung, das Sommer am Ende des Vortrags zeigte, kam gut an und Sommers Bücher wurden zahlreich gekauft.
Tierethik
Leider waren die Ausführungen von Sommer über Tierethik in der anschließenden Diskussion nicht durchgehend überzeugend. Er sagte zum Beispiel, dass die Grenze für Tierrechte völlig willkürlich sei, alle Werte wären verhandelbar und es könnte gebensogut eine Lobby für Ameisenrechte geben wie für Schimpansenrechte. Er trete nur darum für die Rechte von Menschenaffen ein, weil ihm das besonders am Herzen liege.
Ein Student fragte, ob wir auch Affen der menschlichen Gesetzgebung unterwerfen müssten, sie zum Beispiel für Vergehen einsperren sollten. Volker Sommer ließ die Frage relativ offen und meinte, das wäre diskussionswürdig.
Affenkulturen haben allerdings ihre eigene "Gesetzgebung", möchte man anmerken, und kümmern sich um ihre eigenen Angelegenheiten. „Menschenrechte für Menschenaffen“ ist eine Forderung, die sich ausschließlich auf die Interaktion zwischen Menschen und Affen bezieht. Mit anderen Worten: Es geht nur darum, was wir tun sollen, wenn wir auf Affen treffen. Es geht nicht darum, was Affen unter sich tun sollen.
Natürlich gibt es sehr gute Gründe, Ameisen keine Rechte zuzusprechen und Menschenaffen eher schon (obgleich zum Beispiel Norbert Hoerster, ebenfalls GBS-Beiratsmitglied, Tierrechte ablehnt und stattdessen für einen eingeschränkten Tierschutz argumentiert). Peter Singer, der Initiator des Great Ape Project, zieht das Kriterium der Leidensfähigkeit zu Rate: Menschenaffen sind Personen und als solche in hohem Grade leidensfähig. Ameisen sind eher mit simplen Maschinen vergleichbar.
Rezeption
Nach der Veranstaltung habe ich mich unter den anderen Studenten ein bisschen umgehört, wie ihnen der Vortrag gefallen hat. Inhaltlich hatten sie damit kein sonderliches Problem, aber sie waren etwas perplex wegen dem „predigerhaften Vortragsstil“. Volker Sommer hat viel mit Rhetorik gearbeitet und er hat seine persönliche Weltanschauung mehrmals betont, was für akademische Vorträge ungewöhnlich ist. Die Studenten schoben das auf Volkers Lehrtätigkeit in den USA, wobei er aber gar nicht dort tätig ist, sondern am University College in London. Ich würde den populären Stil eher darin begründet sehen, dass es eben kein akademischer Vortrag war, sondern ein Vortrag, den Volker Sommer vor unterschiedlichstem Publikum hält und der insofern überall halbwegs passen muss.
Aber man könnte in der Tat kritisch anmerken, dass der Zusammenhang des Themas mit Sommers philosophischen Positionen etwa zu lose war. Er hätte genauer erklären müssen, was Atheismus und Materialismus, etc. mit den Menschenaffen zu tun haben und zudem, was einige seiner Positionen (wie Nominalismus) überhaupt bedeuten. So hängt das etwas in der Luft und einige Studenten gewannen den Eindruck, man wolle sie „missionieren“.
Auch die Frontalwerbung für die Giordano Bruno Stiftung war vielleicht etwas zu aufdringlich, so sehr man sich generell darüber freut. Aber die eigentliche Botschaft ist auf jeden Fall rübergekommen und Sommer konnte großes Interesse für Tierethik auslösen, was sicherlich wichtiger ist als die Kritikpunkte im Detail.
AM
Links:
[1] http://www.darwin-jahr.de/sites/darwin-jahr.de/files/story/node-445-757.jpg
[2] http://epiphenom.fieldofscience.com/2010/05/studying-science-doesnt-make-you.html?utm_source=feedburner&utm_medium=feed&utm_campaign=Feed:+BhaScienceGroup+%28Epiphenom%29