
Gastbeitrag | 10.06.2010
In ihrem Buch "(Un)intelligent Design" argumentieren der Philosoph Walter Weiss und der Biologe Karl Edlinger, "dass Evolution weder geplant, noch „designed“ und schon gar nicht zielgerichtet ist". Im folgenden Auszug wird die Perspektive noch breiter, denn es geht um den Weg vom Mythos zur Aufklärung:
Mythos
Mythische Erzählungen wollen erzählen und drücken etwas aus: die Sehnsucht der Menschen nach ewigem Leben („Paradies“) oder zumindest sehr, sehr langem (siehe Noah), nach Gesundheit und Reichtum (durch gottesfürchtige Lebensführung), nach Mühelosigkeit (Schlaraffenland) und Unverwundbarkeit (Siegfried-Sage; Achillesferse usw.).
Die alten Erzählungen (Sagen, Mythen) entstanden zu einer Zeit, als die Menschen (mit Ausnahme der Priester) nicht lesen und schreiben konnten und alles mündlich tradiert – und damit subjektiv ausgeschmückt – wurde. Um den Erzählungen Nachdruck zu verleihen, wurden die Helden zu Halbgöttern, Gottessöhnen oder Erlösern („Messias“), zu von Gott Auserwählten (wie alle Patriarchen und Propheten) oder sogar mit ihm Sprechenden: z. B. die Gespräche des Moses mit Gott auf dem Berg Sinai. (Exodus 19, 3–25; 20, 1–26; 21, 1–37; 22, 1–30; 23, 1–33; 24, 1–2; 9–18) Die altägyptische Politik gründete auf der Staatsräson, der zufolge der Pharao der „Sohn der Sonne“ war.
Solche Auserwählten anzuzweifeln, kam einem Sakrileg gleich: Wer durfte sich anmaßen, gegen Gottes Ratschluß (oder seinen „Sohn“) aufzubegehren? Durfte man schon nicht an der irdischen Macht zweifeln – wer hätte es gewagt, an der Macht Gottes zu zweifeln? Da irdische Machthaber sterblich waren (man konnte sie umbringen!), verstanden es diese, ihre Macht als nicht von „dieser“ Welt stammend auszugeben – sie wäre ihnen „zugeteilt“ worden aus der „Anderwelt“, die sich – per definitionem – dem Zugriff (also auch dem Dolche des Attentäters) entzog.
Dieses geniale Konzept funktioniert bis heute. Wer am tradierten Gottesbegriff zweifelt, ist entweder ein Heide oder Häretiker, ein Gotteslästerer oder Ketzer – und wer es im Islam wagt, gegen den Propheten Mohammed (ca. 571–632) öffentlich Beleidigendes oder Herabwürdigendes zu verkünden (wie es der indisch-britische Schriftsteller Salman Rushdie, geb. 1947, in seinem Buch Die Satanischen Verse angeblich getan hat), erhält die „Fatwa“: Jeder Rechtgläubige darf ihn ungestraft töten. Dieses Todesurteil wurde im Februar 1989 vom iranischen Revolutionsführer Ajatollah Khomeini (1900–1989) über Rushdie verhängt. Er hat es bis heute überlebt, verbrachte aber rund 15 Jahre im Untergrund unter strengster Polizeibewachung.
Früher hieß ein derartiges Urteil bei uns „vogelfrei sein“ ...
Aufklärung
In der Berufung auf das „Jenseits“ liegt die Wurzel der klassischen Wissenschaftsfeindlichkeit der Kirche. Die Wiederherstellung des Machtanspruchs ist auch das verdeckte Ziel der von Rom schon unter Papst Johannes Paul II. (1920–2005; Papst ab 1978) ausgerufenen „Re-Evangelisierung“ Europas. Hier liegt auch der Grund, warum die Mär vom Urknall von der Kurie als Erklärungsmodell der Weltentstehung nicht bekämpft wird.
Ursprünglich galten wissenschaftliche Erkenntnisse als gegen die Allmacht Gottes gerichtet (siehe Giordano Bruno und Galileo Galilei). Die Re-Evangelisierung des säkularen Europa (fortgeführt von Papst Benedikt XVI.; geb. 1927, Papst seit 2005) soll in einer „Abklärung“ münden, also die Vorherrschaft des rationalen Denkens in Europa brechen und die Menschen von ihrem modernen Allmachtswahn („Anything goes“) wieder herunterholen.
Ob das aufgehen kann, ist eine delikate Frage. Niemand kann künstlich naiv sein: Wenn man nicht mehr an das Christkind glaubt, verliert Weihnachten seinen Reiz – erhält aber andere Dimensionen. Wenn durch eine Reihe von bestens abgesicherten Theorien klargeworden ist, daß die Welt nicht mechanistisch abläuft und auch nicht abhängig ist vom Willen oder der Willkür eines Gottes – dann kann man einen solchen Aufgeklärten nicht mehr abklären und quasi ins Paradies zurückholen. Mit unserer Vertreibung daraus sind wir mündig und eigenverantwortlich geworden – mit dem Essen vom Baum der Erkenntnis (Gen 3, 1–7 ) haben wir ebendiese erhalten und können nun einmal unterscheiden zwischen Gut und Böse.
Der Engel mit dem Flammenschwert, der von Gott vor dem Eingang ins Paradies aufgestellt wurde (Gen 3, 24) und seither den Menschen die Rückkehr zum „Baum des Lebens“1 verweigert, ist ein wunderbares Bild für dieses Mündig-Gewordensein des Menschen. Wer einmal die Mühen der Ebene durchmessen hat (Im Schweiße deines Angesichts wirst du dein Brot verzehren ... Gen 3, 19), der kann sich nicht mehr zurücklehnen und warten, daß der „himmlische Vater“ für einen sorgt.
Walter Weiss
Links:
[1] http://www.darwin-jahr.de/sites/darwin-jahr.de/files/story/node-436-740.jpg
[2] http://www.vabene.at/