Presseschau | 25.04.2010
Wie wir im Filmklassiker „The Matrix“ erfahren haben, gibt es keinen Löffel, und für diese Presseschau gibt es kein Thema. Zu viele unterschiedliche Dinge sind zu vermelden: Die erste sauerstofffreie Lebensform wurde entdeckt, für Japaner ist Zähneputzen keine Option, die Psychiatrie ist eine Aufeinanderfolge von halbgaren Behauptungen und ein Gen, das uns zu Kriminellen macht, das gibt es nicht. Außerdem: Sollte man Richard Dawkins verhaften? Ist das Christentum ein Bollwerk gegen den Islam? Woher kommt der Islamismus? Und mehr...
Erste Sauerstofffreie Lebensform entdeckt! [2]
Bislang ging man davon aus, dass nur Bakterien ohne Sauerstoff leben können (Fische filtern Sauerstoff mit ihren Kiemen aus dem Wasser). Doch auf dem Grund des Mittelmeers wurden nun die ersten drei Arten der Gattung Loriciferaner entdeckt. Die Tiere sehen aus wie Quallen mit Schutzhüllen. Forscher haben ein Tier mit Eiern mitgenommen und die Eier haben sich in einer komplett sauerstofffreien Umgebung an Bord ihres Schiffes entwickelt. Damit wären die millimetergroßen Tiere die ersten bekannten Lebewesen überhaupt, abgesehen von Bakterien, die keinen Sauerstoff benötigen.
Kaum ein Tiefsee-Liebhaber dürfte noch niemals von Helmut Debelius gehört haben. Wie er zur Unterwasserfotografie gekommen ist und was danach alles geschah, fasst Herr Debelius in einem Interview mit dem CORAL-Magazin zusammen. Wussten Sie zum Beispiel, dass „Der Vater der Fische“ (CORAL) in den späten 1970ern als Elite-Bodyguard für deutsche Diplomaten arbeitete, um sie vor der Roten Armee Fraktion (RAF) zu beschützen? Vielleicht wäre „Der James Bond der Fische“ treffender.
Wenn Eltern ihre Jungen fressen [4]
...dann befinden wir uns in der Welt der griechischen Mythologie. Oder bei den Stichlingen. Diese Fische fressen ihre Jungen auf, wenn über 50% der Jungen in ihrer Obhut von fremden Männchen befruchtet wurden.
Wir wollen Ihnen keine Paarungsrituale empfehlen, Sie aber auf ein Buch aufmerksam machen, in dem die 77 ausgefallensten Arten der Fortpflanzung im Tierreich vorgestellt werden. Das Bonellia-Weibchen ist zum Beispiel ein Meter groß und pflanzt sich fort, indem es das millimetergroße Männchen einfach hinunterschluckt. Fledermäuse haben kopfüber Sex und bei Seepferdchen gebiert der Vater.
Ein Verkaufsstand, der viele verschiedene Sorten von Marmelade anbietet, zieht viele Kunden an – aber diese kaufen wenig. Werden dagegen nur wenige Sorten angeboten, kommen weniger Kunden, die aber mehr kaufen. So das Ergebnis eines bekannten psychologischen Experimentes von Sheena Iyengar. Sie hat nun ein Buch herausgebracht namens „Die Kunst der Wahl“, in dem sie sich näher mit Entscheidungen befasst. Darin erfährt man zum Beispiel, dass Japaner tägliche Rituale wie Zähneputzen nicht als Entscheidungen verstehen, Amerikaner dagegen schon.
Vom Irrenhaus zum Mainstream [7]
So könne man laut dem Psychologen Vaughan Bell [8] die Geschichte der Psychiatrie zusammenfassen. Der Soziologe Andrew Scull ist Experte für die Psychiatrie und ihre Geschichte. Im oben verlinkten Lancet-Beitrag kommt er zu vernichtenden Ergebnissen: „Das US National Institute of Mental Health erklärte die 1990er zum ‚Jahrzehnt des Gehirns‘. Ein simplistischer biologischer Reduktionismus wurde immer mehr Herr im psychiatrischen Haus. Patienten und ihre Familien wurden dazu gebracht, Geisteskrankheiten mit fehlerhafter Gehirn-Biochemie zu erklären, mit Dopamin-Defekten oder einem Mangel an Serotonin. Es war ein so extrem irreführendes und unwissenschaftliches Bio-Geschwafel wie das Psychogeschwafel [Psychoanalyse], das es ersetzte, aber als eine Marketing-Kopie war es unbezahlbar. […] In bemerkenswerten Ausmaßen wird die Psychiatrie heute von Drogengeld [der Pharmaindustrie] beherrscht.“
Unser Tipp: Besser nicht verrückt werden.
Eine ganze Weile lang war das sogenannte „MAOA“-Gen in der Diskussion, wenn es darum ging, antisoziales Verhalten zu erklären. Die Wahrheit ist erheblich komplexer. Die Funktion des „Kriegergens“ ist eigentlich sehr wünschenswert: MAOA codiert ein Protein, das abgenutzte Signalmoleküle im Gehirn abbaut, darunter Serotonin, Noradrenalin und Dopamin. Wenn das Gen seinen Job nicht gut macht, kommt es zu unnormalen Verhaltensweisen und Launen. Die Variante MAOA-L ist zum Beispiel nur geringfügig aktiv und produziert entsprechend wenige Müllsammler-Proteine. Die Genvariante MAOA-H dagegen ist aktiver (hat jedoch etwas mit betrügerischem Verhalten zu tun).
Nun werden wir Sie zuerst verwirren und dann aufklären, damit Sie ordentlich was lernen und ganz erstaunt sind: Das MAOA-L-Gen hat etwas mit Gewalt und Aggression zu tun und wurde darum von der Journalistin Ann Gibbons im Jahre 2004 zum „Kriegergen“ erklärt. Kevin Beaver von der Florida State Universität fand heraus, dass Jungen mit dem Gen häufiger kriminellen Banden beitreten und diejenigen, die Banden beitreten, wenden viermal so häufig Gewalt an. Avshalom Caspi und Terrie Moffitt der Duke Universität haben die Entwicklung von 442 Männern aus Neuseeland beobachtet. Das Drittel mit der MAOA-L-Variante entwickelte mit höherer Wahrscheinlichkeit antisoziale Störungen und gewalttätiges Verhalten.
Und hier die erste Überraschung: Ein Drittel aller weißen Männer haben das MAOA-L-Gen und die meisten von ihnen haben mit Kriminalität und antisozialem Verhalten nichts zu tun. Überraschung zwei: Die Männer mit dem Gen aus der Studie der Duke Universität wurden nur dann später gewalttätig oder anitsozial, wenn sie als Kinder schlecht behandelt oder missbraucht worden sind. Die Information, dass Männer mit MAOA-L-Gen häufiger Banden beitreten, besagt auch nicht so viel, wenn man bedenkt, dass die allermeisten Männer überhaupt keinen Banden beitreten. Gene mögen ein bestimmtes Verhalten wahrscheinlicher machen, aber wie wir uns tatsächlich verhalten, hängt von der Situation ab, in der wir uns befinden.
Der Wissenschaftsjournalist Ed Yong hat vier Lektionen aus der MAOA-Debatte gezogen:
Ein griffiger Name ist zwangsweise irreführend
Natur und Umwelt sind untrennbar miteinander verbunden
Gib Acht, keine Klischees zu verstärken (in den Medien wurde fälschlicherweise berichtet, dass Maoris häufiger das Kriegergen tragen)
Gene diktieren kein Verhalten
In Italien kam einmal mehr die „Meine Gene sind schuld“-Verteidigung bei einem Gerichtsprozess zum Zug. Ein algerischer Immigrant namens Abdelmalek Bayout ermordete einen Mann namens Walter Perez, weil der sich über Abdelmalek lustig gemacht hatte. Seine Verteidiger argumentierten, dass er so handeln musste, weil er das MAOA-L-Gen besaß. Er bekam tatsächlich ein Jahr weniger Haft. Das Problem ist, dass man daraus auch den anderen Schluss ziehen könnte: Da Abdelmalek das MAOA-L-Gen besitzt, könnte er schließlich häufiger Verbrechen begehen und müsste darum länger eingesperrt werden. Es wäre sinnvoller, die gesamte Familiengeschichte einzubeziehen, die Informationen über Gene, sowie Umwelt und soziale Faktoren beinhaltet. Um Schuld oder Unschuld zu bestimmen, dazu taugen Informationen über genetische Anlagen sowieso nicht.
Dawkins: Christentum als Schutz vor Islam? [10]
Unser großer Anführer, Oberatheist Richard Dawkins, den wir niemals kritisieren würden – der hat etwas wirklich Fragwürdiges gesagt: „Es gibt meines Wissens keine Christen, die Gebäude in die Luft sprengen. Ich kenne auch keine christlichen Selbstmordattentäter. Mir ist keine große christliche Konfession bekannt, die glaubt, dass der Abfall vom Glauben mit dem Tode bestraft werden sollte. Ich habe gemischte Gefühle über den Rückgang des Christentums, insofern das Christentum ein Bollwerk gegen etwas Schlimmeres sein könnte.“
Warum sollte der säkulare Humanismus kein Bollwerk gegen die menschenrechtsfeindlichen Elemente des Islam sein können? Dawkins scheint das nicht zu glauben und wirft damit ein schlechtes Licht auf seine eigene Weltanschauung. Es kommt hinzu, dass das Christentum lediglich in westlich orientierten Ländern gezähmt wurde. In Zentralafrika werden heute noch Hexen verbrannt. Überhaupt herrscht ein mittelalterliches, barbarisches Christentum in der Dritten Welt vor. Die freie Welt mit ihren liberalen Werten ist das Bollwerk gegen den Islamismus, und nicht eine andere religiöse Ideologie, die in bestimmten Ausprägungen weniger schlimm ist.
Warum gibt es den Islamismus? [11]
An der Armut liegt es nicht, darüber ist sich die Forschung inzwischen einig. Die Religion des Islam kann ebensowenig die unmittelbare Ursache der Politideologie sein, weil der Terrorismus nach Art der al-Qaeda in der islamischen Geschichte ein neues Phänomen ist. Woher also kommen die Gotteskrieger? Der französische Islamexperte Olivier Roy bietet folgende Erklärung an: „Der Modus Operandi und die Organisationsform von al-Kaida, das zentrale Feindbild des amerikanischen Imperialismus wie auch die auf junge, im Westen ausgebildete Muslime und auf Konvertiten ausgerichtete Rekrutierungspraxis – all das verweist darauf, dass al-Kaida nicht einfach Ausdruck eines traditionellen, ja nicht einmal eines fundamentalistischen Islam ist; sondern vielmehr eine neue Auffassung des Islam im Kleid westlicher, revolutionärer Ideologien.“ Ein sehr aufschlussreiches Interview.
Richard Dawkins für Vertuschung atheistischer Verbrechen verhaften? [12]
Kirchenfunktionäre und eifrige Katholiken schießen gerade mit allem um sich und hoffen, dass irgendwas davon sein Ziel treffen wird – das Ziel, von den Missbrauchsfällen abzulenken oder sie jemand anderem in die Schuhe zu schieben. Der irische Journalist Roy Fitzgerald hat nun sarkastisch vorgeschlagen, statt den Papst lieber Richard Dawkins zu verhaften, weil er die Verbrechen „atheistischer Regime“ nicht erwähnt.
P.Z. Myers antwortete: „Ich wusste gar nicht, dass Adolf Hitler ein Mitglied der Richard-Dawkins-Stiftung war! Man lernt doch jeden Tag etwas Neues. Aber, wissen Sie, er hat recht. Wenn die RDF-Mitarbeiter einen Kinderpornoring betreiben würden und Dawkins würde seufzen: ‚Oh, das wird den Ruf meiner Stiftung zerstören, ich muss unbedingt diese Verbrechen verbergen‘, dann ja, ich würde zustimmen: Verhaftet Richard Dawkins!“
Aber natürlich ist das nicht der Fall. Und wie Jerry Coyne anmerkte: „Atheistische Utopien sehen nicht aus wie das Dritte Reich. Wie wäre es mit Schweden oder Dänemark?“
Derweil hat Richard Dawkins seine Beteiligung an Christopher Hitchens Aktion, den Papst in England verhaften zu lassen, verteidigt [13]: „Wenn er unschuldig ist, gebt ihm die Möglichkeit, es vor Gericht zu beweisen. Wenn er schuldig ist, soll ihm Gerechtigkeit widerfahren. Genau wie bei allen anderen Menschen.“
In der Online-Ausgabe der Süddeutschen findet sich ein Beitrag über das Wissenschaftsverständnis von Papst Benedikt XVI. Ihm zufolge sei die Evolution auf das Ziel des „Menschen in der Auferstehung“ ausgerichtet, außerdem sei der Mensch und die Moral durch göttlichen Antrieb enstanden. Angeblich sei die Materie „rational“ und darum von Gott erschaffen. Der Autor des Artikels, Markus C. Schulte von Drach, findet das Evolutionsverständnis des Papstes sogar noch unwissenschaftlicher als Intelligent Design:
„Und der Papst geht selbstverständlich von einem intelligenten Designer und einem Schöpfungsplan aus. Aber die katholische Kirche lehnt den Anspruch der Anhänger des Intelligent Design ab, diesen Schöpfungsplan mit naturwissenschaftlichen Methoden in perfekten Bauplänen der Lebewesen nachweisen zu können.
So entzieht sich die katholische Kirche der Herausforderung, die genau dadurch entsteht und erweckt den Eindruck, den seriösen Naturwissenschaftlern näher zu stehen - während doch das Gegenteil der Fall ist.“
Laut dem Papst ist es zudem erforderlich für Katholiken, an Adam und die Ursünde zu glauben – da Jesus schließlich gestorben sei, um eben jene von den Menschen zu nehmen. Evolutionbiologen glauben übrigens nicht, dass wir von Adam und Eva abstammen.
AM
Links:
[1] http://www.darwin-jahr.de/sites/darwin-jahr.de/files/story/node-421-711.jpg
[2] http://news.bbc.co.uk/2/hi/science/nature/8609246.stm
[3] http://www.coralmagazine-us.com/content/coral-interview-helmut-debelius
[4] http://diepresse.com/home/science/559959/index.do
[5] http://www.chbeck.de/29872
[6] http://www.mindhacks.com/blog/2010/04/decisions_decisions.html
[7] http://www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140673610605326/fulltext?rss=yes
[8] http://www.mindhacks.com/blog/2010/04/from_madhouse_to_mai.html
[9] http://www.newscientist.com/article/mg20627557.300-dangerous-dna-the-truth-about-the-warrior-gene.html?full=true
[10] http://www.timesonline.co.uk/tol/comment/faith/article7085129.ece
[11] http://www.nzz.ch/nachrichten/kultur/aktuell/wie_hast_dus_mit_der_religion_europa_1.5493885.html
[12] http://richarddawkins.net/articles/5459
[13] http://www.guardian.co.uk/commentisfree/belief/2010/apr/13/pope-prosecution-dawkins
[14] http://www.sueddeutsche.de/wissen/765/508904/text/