Presseschau | 03.04.2010
In den apokalyptischen / utopischen Zeiten, die uns bevorstehen, wird die Wissenschaft die gesamte Welt erhellt und alle Dämonen bezwungen haben! Jedenfalls haben wir uns das zu Neujahr vorgenommen. Auch diese Woche ringt die Forschung finstere Schatten nieder. Es geht es um ein Psychopathen-Museum (wo diese Presseschau entsteht), um die Übervorteilung blonder Frauen, die Mysterien des Naturalismus, um den Templeton-Krieg und als Bonus gibt es bei uns die dunkelsten Geheimnisse des kirchlichen Missbrauchsskandals zu erfahren, die wir ganz tief unten ausgegraben haben.
Die erstaunliche Welt der Kleinen [2]
Taubeträufelte Insekten klingen nach etwas, das man nicht unbedingt gesehen haben muss. Doch wer sich die Fotos des polnischen Fotografen Mirosław Świętek einmal zur Gemüte führt, wird schnellstens eines Besseren belehrt: Einen faszinierenderen Blick auf den Mikrokosmos der Tierwelt hat es kaum je gegeben.
Und wann kommt es wieder zurück, fragt man sich am Sonntagmorgen? Der Neurologe Colin Blakemore sagt, unser großes Gehirn resultiere aus einer einzigen, neutralen Mutation im Gehirn der „mitochondrialen Eva“. Alles davon ist aber sehr unwahrscheinlich, wie der Biologe Jerry Coyne erklärt. Schließlich muss der Schädel mit dem Gehirn gewachsen sein, was nicht beides durch ein einzelnes Gen codiert werden kann. Andernfalls würde das Gehirn sich quasi selbst erdrücken. Es ist auch nicht plausibel, dass diese Mutation neutral gewesen sein soll. Es kann vorkommen, dass eine Mutation einfach „toleriert“ wird, da sie weder von hinreichendem Vorteil, noch von hinreichendem Nachteil ist in Punkto Fitness. Aber man müsste schon erklären können, wie sich diese Mutation überall ausgebreitet hat, anstelle einfach „mitgeschleift“ zu werden. Schließlich ist die mitochondriale Eva eben nicht, wie die biblische Eva, die Vorfahrin von allen Menschen. Lediglich unsere Mitochondrien, eines der Zellorganellen, geht auf eine Frau zurück, die vor rund 200 000 Jahren gelebt hat. Unser Gehirn war also mit hoher Wahrscheinlichkeit adaptiv.
Die alte Leier [4]
Die Leier ahmt die Geräusche in ihrer Umwelt nach, um Weibchen damit anzulocken. Wenn in ihrer Umwelt eine Kettensäge ertönt, dann ahmt sie auch dieses Geräusch bemerkenswert orginalgetreu nach. Hören Sie selbst:
Ein Mensch ohne visuelles Vorstellungsvermögen [5]
Stellen Sie sich vor, Ihr bildliches Vorstellungsvermögen wäre ausgelöscht: Sie können sich kein Bild mehr machen von Ihrer Hochzeit, von Ihrem ersten Kuss, von Ihrer gesamten Kindheit, von Ihrem bisherigen Leben. Gewiss könnten Sie sich kaum noch in der Welt zurechtfinden. Würde man meinen. Aber tatsächlich funktioniert unser visuelles Vorstellungsvermögen parallel zu unserem physikalischen Vorstellungsvermögen. Ein Patient mit dem Namenskürzel „MX“ hat die Gehirnregion verloren, die bewusste Bilder erzeugt. Doch wurden die entsprechenden Aufgaben einfach von einer anderen Hirnregion übernommen und das sehr kurz nach seiner Operation. MX konnte nach wie vor Zahlen bildlich beschreiben, Wegmarken in seiner Heimat, die Gesichter berühmter Menschen. Allerdings konnte er keine ihm unbekannten Landschaften in seinem Geist erzeugen. Die Fantasie von MX war für immer verschwunden.
An den Feiertagen haben viele so ihre Zweifel. In diesem Artikel geht es pünktlich zu Ostern um die Auferstehung und warum wir zum Glauben an ein Leben nach dem Tod neigen, obwohl es das gar nicht gibt.
Christentum macht rassistisch [7]
Dass selbstbezeugte Religiosität mit rassistischen Vorurteilen zusammenhängt, ist bereits aus früheren Studien bekannt. In faszinierenden neuen Studien wurden Gruppen entweder mit Begriffen aus der christlichen Orthodoxie oder mit neutralen Begriffen unbewusst konfrontiert. Selbst nach der statistischen Überprüfung von bereits bestehender Religiosität und Spiritualität änderte sich das Ergebnis nicht: Unbewusst vermittelte christliche Begriffe erhöhen den Grad an rassistischen Vorurteilen gegenüber Afro-Amerikanern. Die Forscher befassen sich nun mit möglichen Mechanismen, um zu erklären, wie genau es dem Christentum gelingt, uns rassistischer zu machen.
An der Moral herumschrauben [8]
Forscher haben die Funktion der rechten temporoparietalen Verbindung in den Gehirnen ihrer Testpersonen gehemmt. Das Ergebnis: Sie beurteilten Handlungen mit bösen Absichten aber neutralen Folgen sehr viel nachsichtiger als im Normalzustand. Auch unsere Moral steckt in den Gehirnen, sollte das noch jemand bezweifelt haben.
Psychologisches Experiment: Änderungsblindheit
Da wir als Atheisten keine Moral haben, missbrauchen wir immer wieder unsere treuen Leser für wissenschaftliche Experimente. In diesem Fall müssen Sie sich lediglich ein Video ansehen und verblüfft sein über die Aufmerksamkeitssteuerung des Menschen:
Wissenschaftler entdecken Leichtgläubigkeits-Gen und -Hirnregion [9]
Wissenschaftler haben endlich die Hirnregion und das Gen entdeckt, das Menschen glauben lässt, es gäbe Hirnregionen und Gene für jede einzelne menschliche Eigenschaft. Die Hirnregion befindet sich links von derjenigen, die uns Milchshakes gut schmecken lässt und direkt unter der Hirnregion für die Band No Angels. Das Leichtgläubigkeits-Gen codiert unmittelbar anschließend ans Sonntags-ins-Kino-Gen.
Das FBI eröffnet in den USA ein Psychopathen-Museum, wo man sich die geistigen Erzeugnisse von Serienmördern ansehen kann, darunter Zeichnungen und Briefe. Das Museum ist nur für Fachpersonal geöffnet, da wir aber so grandios im Ausgraben der allerverborgensten Geheimnisse des Universums sind, haben wir einen Artikel mit Bildern vom Museum aus dem Fachmagazin Annals of Psychotherapy verlinkt (ist ein großes PDF, das Laden dauert).
Hörst du zu? Wir könnten dir hier alles Mögliche erzählen und du würdest es gar nicht bemerken. HALLO? Kippe aus! Wie mehrere Studien bestätigen, sind unaufmerksame Jugendliche signifikant von späterem Tabakkonsum gefährdet.
Blondchen werden verwöhnt [12]
Vielleicht dienen Blondinenwitze nur zum Ausgleich einer großen Ungerechtigkeit: Eine amerikanische Studie zeigt auf, dass blonde Frauen aufgrund ihrer Haarfarbe mehr Geld bekommen als Frauen mit anderer Haarfarbe.
Hannukah versus Weihnachten [13]
Ob Juden Hannukah feiern, hängt in den USA stark davon ab, ob sie Kinder haben und davon, wie viele Juden noch in ihrer Gemeinde leben. Sind nur wenige Juden am Wohnort vorhanden, dann fühlen sich jüdische Eltern dazu genötigt, mehr Geld für Hannukah auszugeben, weil sie direkt mit Weihnachten konkurrieren müssen.
Ratzinger ist der perfekte Papst [14]
Dieser Meinung ist nicht nur unser Benedetto selbst, sondern auch der Antichrist, der notorische Richard Dawkins. Der Religionskritiker nimmt Bezug auf die Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche und schreibt:
„Dieses vormalige Oberhaupt der Inquisition sollte in dem Moment verhaftet werden, sobald er es wagt, außerhalb seines Westentaschen-Lehensgutes, des Vatikans, Land zu betreten. Und es sollte in einem angemessenen zivilen – nicht kirchlichen – Gericht gegen ihn verhandelt werden. Das ist es, was geschehen sollte. Leider wissen wir alle, dass unsere glaubensberauschten Regierungen zu feige sein werden, das zu tun.“
Aber Dawkins ist noch lange nicht fertig. Er verneint die Frage, ob Benedikt XVI. seinen lustigen Hut [15] an den Nagel hängen sollte mit folgender Begründung:
„Wie das Kardinalskollegium erkannt haben muss, als es ihn gewählt hat, ist er perfekt – ideal – qualifiziert, die römisch-katholische Kirche anzuführen. Ein schielender alter Schurke in einer Kutte, der Jahrzehnte hinter verschlossenen Türen konspirierte, um die Position zu erreichen, in der er sich nun befindet; ein Mann, der sich für unfehlbar hält und der sich auch so beträgt; ein Mann, dessen Predigt wissenschaftlicher Falschheiten verantwortlich ist für den Tod unzähliger AIDS-Opfer in Afrika; ein Mann, dessen erster Instinkt, wenn seine Priester mit heruntergelassenen Hosen erwischt werden, darin liegt, den Skandal zu vertuschen und den jungen Opfern das Maul zu stopfen; kurz gesagt, genau der richtige Mann für den Job. Er sollte außerdem nicht kündigen, weil er in der optimalen Lage ist, um den Niedergang der bösartigen, korrupten Organisation zu beschleunigen, zu dessen Charakter er wie angegossen passt und von der er der absolute und historisch angemessene Monarch ist.“
„Nein, Papst Ratzinger sollte nicht kündigen. Er sollte die gesamte verdorbene Einrichtung weiterhin anführen – die ganze profitgierige, Frauen-fürchtende, Schuld-fressende, Wahrheits-verachtende, Kinder-vergewaltigende Institution – während sie im Weihrauchgestank und einem Regen von Touristen-kitschigen heiligen Herzen und grotesk gekrönten Jungfrauen über ihm zusammenbricht.“
Homosexuelle schuld an Missbrauchsfällen [16]
Der eifrige Kirchenverteidiger Bill Donohue hat sich eine neue Verteidigung für den massenhaften Kindesmissbrauch in katholischen Einrichtungen einfallen lassen. Er argumentiert, dass die meisten der 200 taubstummen (wie praktisch...) Jungen, die ein Priester in Wisconsin vergewaltigt haben soll, bereits die pupertäre Phase überschritten hätten. Darum sei Homosexualität das Problem und nicht Pädophilie. Natürlich sind Homosexuelle nicht dasselbe wie Vergewaltiger und das eigentliche Problem scheint doch in aufgezwungenem Sex zu bestehen, ob er nun vor der Pupertät oder danach stattfindet. Warum sollte Vergewaltigung ab einem bestimmten Alter plötzlich akzeptabel sein? Wobei die Vergewaltigung von wehrlosen Kindern gewiss doppelt so perfide ist und die Vergewaltigung von taubstummen wehrlosen Kindern dreimal so perfide.
US-Bischöfe setzen pädophile Priester wieder ein [17]
Und noch eine Nachricht über die Missbrauchsfälle, die an den anderen Medien vorbeigegangen ist. Falls sich jemand fragt, was die Kirche nach dem Skandal in Deutschland mit pädophilen Priestern machen könnte, muss nur in die USA sehen: Dort setzen Bischöfe diese Priester heimlich wieder ein – sogar in die Jugendarbeit! Anne Barrett Doyle, die für die Organisation BishopAccountability.Org [18] tätig ist, sagte dazu: „Ich glaube, dass sie davon ausgehen, dass die Krise in der öffentlichen Wahrnehmung vorrüber ist. Darum haben sie einige Zuversicht, dass sie nun diese Priester wieder einsetzen können und nur sehr wenige Gegenreaktionen dafür bekommen werden.“ Ewige Verdammnis ist wohl gerade im Trend unter US-Bischöfen.
Stiftung des Bösen [19]
Wäre die Templeton-Stiftung einfach nur eine religiöse Interessengruppierung, schön und gut. Aber sie bedient sich zweifelhafter Methoden, um ihr finsteres Ziel zu erreichen. In einem aktuellen Artikel in Science blickt Yudhijit Bhattacharjee auf die Geschichte der Stiftung zurück. Früher unterstützte sie offen christliche Fundamentalisten wie Billy Graham und Intelligent-Design-Advokaten wie William Dembski. Leider ist ihr das ruftechnisch nicht gut bekommen, darum schleimt sie sich nun bei respektableren Wissenschaftlern ein. Molekularbiologe Matthew Gibson, der Geld von Templeton annahm, gab nun zu, dies aus Geldnot getan zu haben: „Damals hätte niemand das gefördert, was wir erforscht haben“. Aber Wissenschaftler dürsten stets nach Forschungsgeldern, nur ist das für die meisten nicht Grund genug, ihre Seele an den Teufel zu verschachern.
Der Philosoph Dan Dennett vergleicht Debatten, die Templeton zwischen religiösen Personen und Wissenschaftlern organisiert, mit Debatten zwischen ID-Advokaten und Evolutionsbiologen: „Sie erzeugen den Eindruck, als wären Wissenschaftler und Theologen akademische Zimmergenossen, was sie nicht sind.“ Der Evolutionsbiologe Jerry Coyne meinte, dass Wissenschaft und Religion nichts zueinander zu sagen hätten, außer: „Es gibt keine Belege für religiöse Lehren“.
Die Mysterien des Naturalismus [20]
Der Philosoph Richard Carrier befasst sich in zwei ausführlichen Blogbeiträgen mit der Kritik am Naturalismus, genauer am reduktionistischen Physikalismus, dessen prominentester Fürsprecher er ist. Er argumentiert interessanterweise auch, dass Karma tatsächlich existiert, nämlich in Form von sozialer Gegenseitigkeit und natürlichem Konsequenzialismus. Außerdem zeigt er, wie man ausnahmslos alles auf Physik reduzieren kann: Zahlen, den Geist und potenzielle Gegenstände. Hier geht es zu Teil 2 [21]. In seinem empfehlenswerten Buch Sense and Goodness without God nimmt er sich außerdem subjektive Eindrücke wie „Rötlichkeit“ (Qualia) vor und reduziert auch diese auf subatomare Partikel in ihren jeweiligen Anordnungen. Der reduktionistische Physikalismus ist die Minimal-Version des Naturalismus, was bedeutet, dass sie mit der geringsten Anzahl von Ad-Hoc-Annahmen auskommt. Wer meint, wir bräuchten mehr, wie etwa Carriers Kontrahent „The Teapot Atheist“, der sollte dies eindeutig empirisch belegen können. Ansonsten wird er noch Opfer von Occams Rasierklinge.
AM
Links:
[1] http://www.darwin-jahr.de/sites/darwin-jahr.de/files/story/node-413-697.jpg
[2] http://whyevolutionistrue.wordpress.com/2010/04/01/the-weird-world-of-the-small/
[3] http://whyevolutionistrue.wordpress.com/2010/03/28/british-biologist-tells-fanciful-tales-about-brain-evolution/
[4] http://www.youtube.com/watch?v=mSB71jNq-yQ
[5] http://discovermagazine.com/2010/mar/23-the-brain-look-deep-into-mind.s-eye/
[6] http://www.freitag.de/wochenthema/1013-auferstehung-urgeschichte-gehirn-kritik-phoenix-wissenschaft-religionskritik
[7] http://spp.sagepub.com/cgi/content/abstract/1/2/119?rss=1
[8] http://www.heise.de/tp/r4/artikel/32/32356/1.html
[9] http://blogs.discovermagazine.com/notrocketscience/2010/04/01/scientists-discover-gene-and-part-of-brain-that-make-people-gullible/
[10] http://www.annalsofpsychotherapy.com/pdf/Winter2009.pdf
[11] http://www.bakadesuyo.com/who-becomes-a-smoker
[12] http://www.bakadesuyo.com/do-blondes-have-more-fun
[13] http://www.bakadesuyo.com/is-hanukkah-responsive-to-christmas
[14] http://newsweek.washingtonpost.com/onfaith/panelists/richard_dawkins/2010/03/ratzinger_is_the_perfect_pope.html
[15] http://www.spiegel.de/img/0,1020,1148864,00.jpg
[16] http://scienceblogs.com/pharyngula/2010/04/bill_donohue_is_an_evil_little.php?utm_source=feedburner&utm_medium=feed&utm_campaign=Feed:+scienceblogs/pharyngula+%28Pharyngula%29
[17] http://www.npr.org/templates/story/story.php?storyId=125420225&sc=fb&cc=fp
[18] http://www.bishopaccountability.org/
[19] http://whyevolutionistrue.wordpress.com/2010/03/31/templeton-claws-its-way-to-respectability/
[20] http://richardcarrier.blogspot.com/2010/03/defining-naturalism.html
[21] http://richardcarrier.blogspot.com/2010/03/defining-naturalism-ii.html