Presseschau | 27.03.2010
Die amerikanische National Academy of Sciences hat die Preisverleihung für die religiöse Templeton-Stiftung in ihren Räumen veranstaltet. Mehr noch: Der Präsident der NAS hat selbst den Kandidaten für den Preis nominiert. Außerdem: Es wurde ein neuer Hominid entdeckt, Gleichheit ist Glück, Heiraten macht fett, Moral ist mehr als ein Bauchgefühl und Kreationismus ist cool.
In Südsibirien wurde der Fingerknochen einer alten Leiche entdeckt. Nach einer genetischen Analyse steht fest: Es handelt sich um eine bislang unbekannte Art von Hominid, der vor 30 000 bis 48 000 Jahren in der Denisova-Höhle im Altai-Gebirge lebte. Bislang ging man davon aus, dass zu jener Zeit nur zwei Arten von Hominiden existierten, nämlich Homo sapiens und der Neandertaler. Wie es aussieht, müssten die Denisova-Homininen vor einer Million Jahre einen gemeinsamen Vorfahren mit den modernen Menschen und den Neandertalern gehabt haben. Mehr Details über den Denisova-Homininen sind noch nicht bekannt.
In der Welt christlicher Fundamentalisten haben Menschen und Dinosaurier zur selben Zeit gelebt wie bei den „Feuersteins“. Man kann sich vorstellen, wie Kinder auf kleinen Triceratops geritten sind, ähnlich dem Szenario im Buch „Dino Park“. Oder wie Urmenschen Dinosaurier züchteten und sie in Kriegen einsetzten wie im Computerspiel „ParaWorld“. Auch gibt es in der Welt christlicher Fundamentalisten echte Engel, die einem helfen, wenn man sie anbetet und Magie und Wunder. Das können Naturalisten alles nicht bieten. Sieht schlecht für uns aus.
Nur wenige der Informationen, die wir wahrnehmen, werden uns auch bewusst. Eine besonders eindrucksvolle Veranschaulichung dieser Tatsache ist der Farbwechsel-Kartentrick [4] von Richard Wiseman. Sehen Sie sich das Video selbst einmal an. Ich habe gar keine Farbänderungen wahrgenommen, weil ich mich vollständig auf Wiseman konzentrierte (allerdings ist die Video-Qualität auch ziemlich schlecht). Es muss Ihnen also nicht peinlich sein, wenn es Ihnen ebenso ergeht – das ist ganz normal. In der Tat ist es wahrscheinlich, dass etwas mit Ihnen nicht stimmt, wenn sie alle Farbwechsel wahrgenommen haben.
Es gibt eine Verzögerung von 300 Millisekunden zwischen unserer Wahrnehmung und unserer Bewusstwerdung des Wahrgenommenen. Die Informationen, die uns bewusst werden, aktivieren ein größeres Netzwerk von Nervenzellen, während die unbewussten dies nicht tun.
Nach Auswertung der Daten von über 17 000 griechischen Frauen und Männern steht fest: Wer heiratet, hat ein zwei (Männer) bis dreimal (Frauen) so hohes Risiko, fettleibig zu werden. Man wird vom Jäger und Verführer zum Sesshaften, wie es bei Telepolis heißt. Die Partner bewegen sich weniger, sitzen öfter gemeinsam vor dem Fernseher und essen mehr. Aber ob das nun schlecht sein muss, ist weniger klar, als die Gesundheitsbehörde meint.
Kinder helfen aus der Krise [6]
Nicht Heiraten, sondern Kinder führen Frauen aus sozial benachteiligten Stadtteilen aus der Krise, so das Ergebnis einer Langzeitstudie des Kriminologen Derek A. Kreager. Nach der Geburt ihrer Kinder zeigten die Frauen weniger delinquentes Verhalten und konsumierten weniger Drogen. Allerdings namen an der Studie nur 500 Frauen aus einem armen Stadtteil in Denver teil, darum sind weitere Studien nötig, um das Ergebnis auf Übertragbarkeit zu prüfen.
Ist Moral nur ein Bauchgefühl? [7]
Laut einem aktuellen Trend in der Psychologie ist unsere Moral das Ergebnis von Instinkten, während Philosophie nur der wirkungslose Überbau ist, die kulturelle Legitimation. Der Psychologe Paul Bloom widerspricht jedoch. Er weist auf den ethischen Fortschritt hin, etwa in Hinblick auf unsere Behandlung von Minderheiten und Frauen. Dieser Fortschritt war nur möglich durch eine Debatte über Moral. Auch die Erweiterung des ethischen Horizontes soll für die Anhänger der Insinkt-Erklärung lediglich das Ergebnis sein von Kontakten mit anderen Menschen, die durch schnellere Transportmittel zugenommen haben. Aber die Kontakt-Hypothese kann die Ablehnung der Sklaverei, die Emanzipation von Frauen, Tierrechte, die Wertschätzung der Werte der Aufklärung (Toleranz, Menschenrechte, Selbstbestimmung, etc.) nicht erklären.
Paul Bloom weist auf die Bedeutung absichtlicher Überzeugung hin. So hatte der Roman „Onkel Toms Hütte“ einen größeren Einfluss auf die Beendigung der Sklaverei und Peter Singers „Animal Liberation“ rief die moderne Tierrechtsbewegung auf den Plan.
Die Anthropologin Kate Pickett und der Wirtschaftshistoriker Richard Wilkinson haben ein neues Buch mit dem Titel „Gleichheit ist Glück. Warum gerechte Gesellschaften für alle besser sind“ veröffentlicht. Darin zeigen sie auf, dass Gesellschaften mit geringeren Einkommensunterschieden in jeder Hinsicht besser sind. Dort gibt es weniger Kriminalität, die Menschen sind gesünder und glücklicher. Das wird den „Neoliberalen“ nicht gefallen. Man weiß auch, dass es in gesünderen Gesellschaften weniger Religion [9] gibt, was vielen weiteren Menschen nicht gefallen wird.
Merkwürdiges Loblied
Was Christen in Kirchen singen ist ohnehin komisch genug, aber dieses Video zeigt ein Preislied einer ganz neuen Kategorie der Absurdität. Der Trick: Die Untertitel gehören nicht zum Lied, der starke Eindruck, dies wäre anders, ist eine Illusion.
Der Templeton-Krieg [10]
Die Templeton-Stiftung bezahlt Wissenschaftlern sehr viel Geld dafür, „um die Wissenschaft für ihren eingebildeten Freund zu verraten“, wie es Richard Dawkins in seinem Protestschreiben [10] ausdrückt. Die National Academy of Sciences ist das US-amerikanische Pendant der britischen Royal Academy, also eine wissenschaftliche Organisation, die einen hohen Einfluss auf Gesellschaft und Politik hat. Die NAS hat nun ihre Räume der Templeton-Stiftung zur Verfügung gestellt, damit sie dort ihren Templeton-Preis für das Jahr 2010 verleihen konnte. Der Preis geht an Wissenschaftler, die behaupten, Religion und Wissenschaft wären vereinar. Templeton hat dies bereits bei der Royal Academy versucht, ist aber am Protest von Wissenschaftlern gescheitert. Diesmal war die Stiftung erfolgreich.
NAS-Präsident Ralph Cicerone hat den Gewinner des Preises sogar selbst nominiert, es handelt sich um Professor Francisco Ayala, ein Genetiker. Dieser warf Richard Dawkins als Reaktion auf seinen Protestbrief [11] „atheistischen Fundamentalismus“ vor. Ayala glaubt, dass Wissenschaft und Religion unterschiedliche Bereiche abdecken würden und dass sie sich nicht widersprechen würden, solange keine Disziplin ihre Grenzen überschreite („NOMA“).
Die Nominierung durch die NAS kam sehr überraschend. Erst jetzt gibt es darum Protest von Wissenschaftlern, wie etwa dem letztjährigen Nobelpreisträger Jack Szostak, der den Nobelpreis (der übrigens mit einem geringeren Preisgeld verbunden ist als der Templeton-Preis) für seine Erforschung der Telomerase gewonnen hat. In seinem Protestschreiben [12] bemerkt Szostak: „Wir sind keine religiöse Organisation – wir stellen Fragen und suchen die Antworten in den Belegen. In einem Land, das von Ignoranz und Aberglauben heimgesucht wird, sollte die NAS ein Leuchtturm des kohärenten rationalen Denkens und des skeptischen Hinterfragens sein. Wenn die Wissenschaft, wie es George Ellery Hale ausdrückte, unser Führer zur Wahrheit ist, dann ist Religion eindeutig inkompatibel mit Wissenschaft […]“.
Auch der Nobelpreisträger in Chemie, Harold Kroto, kritisierte die Preisverleihung [13] in einem Brief an Cicerone: „Ich bin, wie einige andere Wissenschaftler, sehr beunruhigt über die Templeton-Stiftung und die Verbindung der NAS mit ihr“.
Der Biologe P.Z. Myers vergleicht die Preisverleihung [14] mit einer Akzeptanz der Astrologie durch die NAS: „Stellen Sie sich eine wohlhabende Astrologieorganisation vor, die einen Preis ins Leben ruft und mit diesem einen schönen Batzen Geld an den Wissenschaftler überreicht, der am besten die Wahrheit der Astrologie bestätigt hat; alles als Teil einer Kampagne, um der Behauptung ein bisschen Glaubwürdigkeit zu verleihen, dass die Lage der Sterne zum Zeitpunkt Ihrer Geburt Ihr Schicksal beeinflusst hat. Astrologen möchten gewiss so tun, als ob sie wissenschaftlich vorgingen, also ist es genau die Art von Sache, die sie am liebsten tun würden; ihr einziges Problem besteht darin, dass sie echte Wissenschaftler auslachen würden und dass sie gewiss keine Unterstützung durch irgendeine große Wissenschaftsorganisation bekämen.“
„Also warum unterstützt die National Academy of Sciences eine Organisation, die behauptet, Wissenschaft und Aberglauben zu vereinbaren?“
Die Bibel ist schlimmer als der Koran [15]
So das Ergebnis des Religionshistorikers Philip Jenkins. Er weist darauf hin, dass Gewalt und Krieg im Koran überwiegend zur Verteidigung eingesetzt werden, während die Bibel immer wieder Völkermorde propagiert. Dass Christen im Westen die Inhalte ihres Buches weitgehend vergessen haben, nennt Jenkins eine „heilige Amnesie“.
Haben die Weltreligionen komplexe Gesellschaften hervorgebracht? [16]
Weltreligionen könnten einen indirekten Anteil an der Erzeugung komplexer Gesellschaften gehabt haben. Es gibt mehrere Studien, die angeblich zeigen, dass Religion kooperativer macht, die aber tatsächlich zeigen, dass bestimmte Situationen, nicht der Glauben an das Übernatürliche, Kooperativität begünstigt. So ähnlich ist es mit dem Einfluss von Religionen auf Zivilisationen: Sie tragen dann zu diesen bei, wenn sie kooperatives Verhalten propagieren. Hetzen Religionen gegen Minderheiten, Frauen und so weiter, dann ist das der Entwicklung von Zivilisationen abträglich. Das kulturell antrainierte pro-soziale Verhalten ist also der Kern der Sache, nicht der Glauben an absurdes Zeug.
Christopher Hitchens und Bill Maher über Missbrauchsfälle
Gleich zwei Neo-Atheisten sprechen über die Missbrauchsfälle der katholischen Kirche:
AM
Links:
[1] http://www.darwin-jahr.de/sites/darwin-jahr.de/files/story/node-411-695.jpg
[2] http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,685333,00.html
[3] http://unreasonablefaith.com/2010/03/21/creationism-is-cooler/
[4] http://www.quirkology.com/USA/Video_ColourChangingTrick.shtml
[5] http://www.heise.de/tp/blogs/3/147293
[6] http://www.heise.de/tp/blogs/3/147323
[7] http://www.nature.com/nature/journal/v464/n7288/full/464490a.html
[8] http://hpd.de/node/9143
[9] http://hpd.de/node/7469?page=0,2
[10] http://richarddawkins.net/articles/5304
[11] http://www.timesonline.co.uk/tol/news/science/politics/article7076580.ece
[12] http://whyevolutionistrue.wordpress.com/2010/03/25/nobel-laureate-protests-the-nastempleton-connection/
[13] http://www.guardian.co.uk/science/2010/mar/25/priest-ayala-wins-templeton-award
[14] http://scienceblogs.com/pharyngula/2010/03/how_much_support_is_the_nas_wi.php
[15] http://www.npr.org/templates/story/story.php?storyId=124494788
[16] http://epiphenom.fieldofscience.com/2010/03/did-world-religions-help-bring-about.html?utm_source=feedburner&utm_medium=feed&utm_campaign=Feed:+BhaScienceGroup+%28Epiphenom%29