
Philosophie | 18.03.2010
Der Wissenschaftsphilosoph Michael Ruse hat es endlich fertig gebracht, was bislang noch keinem allversöhnlichen Kuschelatheisten vor ihm gelungen ist: Er hat einen antireligiösen Artikel [2] im Stil der fiesen Neoatheisten à la Dawkins geschrieben, der alles übertrifft, was bislang da gewesen ist – und in dem er sich scharf von eben diesen Neuen Atheisten abgrenzt. Es ist, als wohnten zwei Seelen in seiner Brust – und sie mögen sich nicht.
Außerdem hält er Moral und Philosophie für Illusionen.
Gott ist Quatsch
Ruse stellt gleich am Anfang eiskalt fest: „[...] nur, wenn wir den Tod Gottes anerkennen, sind wir in der Lage, das zu tun, was wir tun sollten, und uns gegenüber unseren Mitmenschen anständig zu verhalten und vielleicht den Planeten zu retten, den wir alle teilen. Wir können all den Blödsinn aufgeben über angeblich minderwertige Frauen und Schwule, über befruchtete Eizellen, die Menschen sein sollen und über die Ausbeutung und Zerstörung der Erde.“
Komisch nur, dass diese Worte von einem Philosophen stammen, dessen neuestes Buch [3] (erscheint Ende März 2010) den folgenden Titel trägt: „Wissenschaft und Spiritualität: Dem Glauben im Zeitalter der Wissenschaft Platz machen“. Vielleicht meint er ja eine säkulare Form von Spiritualität? Dieser Gedanke drängt sich zwar auf, aber so ist es nicht! Laut der Kurzbeschreibung auf dem Buchrücken sei unter anderem die christliche Religion dazu da, um Fragen nach der „Bedeutung des Universums“ zu beantworten und nach der „Rolle des Menschen darin“. Ruse folgt der aktuellen Theologenmode, indem er „die beiden Extreme“ der Kreationisten auf der einen Seite und der Neuen Atheisten auf der anderen Seite ablehnt.
Moral ist Quatsch
Die Gesamtaussage seines aktuellen Artikels ist jedoch noch viel extremer und vor allem pessimistischer, als alles, womit die Neuen Atheisten bislang angekommen sind. Laut Ruse ist Moral „so sehr eine natürliche menschliche Adaption wie unsere Ohren oder Nasen oder Zähne oder Penise oder Vaginas. Sie funktioniert und hat darüber hinaus keine Bedeutung.“ Philosophie sei ebenso zwecklos wie Religion, da wir letztlich schlicht von unserer „genbasierten Psychologie“ gesteuert würden.
Laut Ruse ist Moral einfach nur instinktives Verhalten. Dabei erzeugen unsere Gehirne die Illusion, als hätten wir irgendwelche religiösen oder philosophischen Gründe, so zu handeln, wie wir es tun, obwohl das gar nicht so sei. Moral wäre demnach eine nützliche Illusion: Wir handeln nur altruistisch, weil wir uns meist fälschlicherweise einbilden, dass es uns einen persönlichen Vorteil bescheren würde.
Michael Ruse sagt, die „[...] genbasierte Psychologie ist eifrig damit beschäftigt, dich glauben zu machen, dass du moralisch sein solltest.“ Ferner: „Es ist bedeutungslos, wie eindeutig philosophische Reflektion aufzeigt, dass deine Überzeugungen und dein Verhalten kein rationales Fundament haben; deine Psychologie wird dafür sorgen, dass du weiterhin auf normale, glückliche Weise lebst.“
Und dies findet Ruse ausdrücklich gut: „Gott ist tot. Moral hat kein Fundament. Lang lebe die Moral.“
Philosophie ist Quatsch
Vielleicht hatte Ruse nur einen schlechten Tag. Schließlich widerspricht er sich selbst, wenn er meint, dass wir den Gottesglauben aus ethischen Gründen aufgeben müssten und es zugleich egal sei, was wir glauben, da wir komplett von unseren moralischen Instinkten gesteuert würden. Religion wäre laut dem instinktiven Fatalismus à la Ruse schließlich nur ein illusionärer Überbau über der tatsächlich herrschenden Biologie.
Allerdings ist das sehr unplausibel. Es gibt keinen Grund, warum unser Körper derart viel Energie in höhere Gehirnfunktionen wie Bewusstsein und Selbstreflektion stecken sollte, wenn das Zeug nur der Hervorbringung von Illusionen dienen würde. Wenn es eine universelle Regel in der Natur gibt, dann lautet sie „Energie sparen“. Atome sparen Energie, biologische Körper sparen Energie, alles ist auf ein Minimum an Energieverschwendung ausgerichtet. Warum sollten sich Menschen etwas über einen höheren Nutzen der Moral vormachen müssen, wenn sie gar kein Bewusstsein bräuchten? Und dies wäre im Modell von Ruse erheblich naheliegender. Wir könnten einfach auf den Altruismus programmiert sein, ohne in der Lage sein zu müssen, uns bewusst über diesen Illusionen zu machen.
Moral und Philosophie doch kein Quatsch
Es ist also viel wahrscheinlicher, dass unsere Fähigkeit zur bewussten Reflektion selbst einen Überlebensvorteil hatte – und hat –, da sie uns eine hohe Flexibilität ermöglicht. Wir können unsere Moral schnell an unterschiedliche Umweltbedingungen anpassen. Ohne unmittelbare Bedrohung kann man sich zum Beispiel den Luxus des Pazifismus leisten und sobald man von Islamisten beschossen wird, mutiert man spontan zum Kriegstreiber. Bei Nahrungsknappheit müssen diejenigen zuerst dran glauben, die zu krank oder alt sind zur Nahrungssuche und bei Nahrungsüberfluss werden extra Krankenhäuser und Altersheime für sie errichtet.
Moral und Philosophie können auch im Widerspruch zu unseren natürlichen Bedürfnissen stehen. So zum Beispiel die katholische Sexualmoral mit ihrem Verbot von Sex außerhalb der ehelichen Fortpflanzung, den Verboten von Masturbation, Homosexualität, Pornographie, etc. Die natürliche Selektion baut Lebewesen recht unprofessionell und mit vielerlei Kompromissen zusammen, also kann es vorkommen, dass Menschen so verwirrt sind über ihre eigenen Bedürfnisse, dass sie der katholischen Sexualmoral etwas abgewinnen können. Jedoch ist es ebenso möglich, Moral und Philosophie in den Dienst des Glücks leidensfähiger Lebewesen zu stellen, wie es der säkulare Humanismus tut. Wir möchten von Natur aus ein glückliches Leben führen und mit Hilfe der bewussten Reflektion gelangt man zu Antworten auf die Frage, wie das für möglichst viele Individuen realisiert werden kann. Also gibt es keinen Grund für instinktiven Fatalismus à la Ruse, obgleich unsere Instinkte gewiss einen großen Einfluss auf unser Verhalten haben.
Das Tourettesyndrom der Kuschelatheisten
„Gott ist tot. Die Neuen Atheisten halten das für eine bedeutsame Entdeckung. Damit, wie mit fast allem anderen, liegen sie komplett daneben“, erklärt Ruse am Ende seines Artikels. Diese Aussage würde innerhalb des Ruse'schen Fatalismus durchaus Sinn ergeben, nicht jedoch angesichts seiner (offenbar ernstgemeinten) Erklärung am Anfang des Artikels, laut der wir ohne Gottesglaube besser dran wären.
Diese merkwürdige Abgrenzung von Leuten, mit denen Ruse in Punkto Gottesfrage übereinstimmt, erklärt der Biologe Jerry Coyne wie folgt:
„Das neuerliche Verhalten von Ruse hat beinahe ein Tourette-artiges Element. Egal, welches Thema er diskutiert: Er fühlt sich nach unvorhersehbaren Intervallen und zu unangemessen Zeitpunkten dazu genötigt, ‚Neue Atheisten sind SCHLECHT!!!!‘ zu rufen. Ich fange an zu glauben, dass seine Abneigung gegenüber Harris, Hitchens und Dawkins aus einer tiefsitzenden Eifersucht auf ihren literarischen Erfolg resultiert. Diese Theorie wird durch die erste Aussage von Ruse in diesem Video [4] gestützt.“
Das entspricht in der Tat auch meiner Erfahrung: Der Kuschelatheismus ist ein einziges Eifersuchtsdrama.
Quelle: Der Artikel von Ruse im Guardian [2]
AM
Links:
[1] http://www.darwin-jahr.de/sites/darwin-jahr.de/files/story/node-408-690.jpg
[2] http://www.guardian.co.uk/commentisfree/belief/2010/mar/15/morality-evolution-philosophy
[3] http://www.cambridge.org/catalogue/catalogue.asp?isbn=9780521755948
[4] http://whyevolutionistrue.wordpress.com/2010/02/25/ruse-the-trouble-with-richard-dawkins/