Psychologie | 09.03.2010
Der Psychologe Bruce Hood geht in seinem Buch „SuperSense“ („Übersinn“) der Frage auf die Spur, warum der Glaube an das Übernatürliche trotz Aufklärung noch immer nicht verschwunden ist. Sein Ergebnis: Die Neigung zum Aberglauben ist ein Teil unserer Natur.
Glaube/Aberglaube ist auch 250 Jahre nach dem Zeitalter der Aufklärung noch weit verbreitet. In Deutschland [2] glaubt in den alten Bundesländern rund ein Drittel der Bevölkerung an Glücksbringer, Sternzeichen, Wunderheiler und Wahrsager. In den neuen Bundesländern tun das weniger Menschen (ungefähr 20%), aber der Glaube ist noch immer vorhanden. Gleich viele Briten wie US-Amerikaner glauben an Geisterhäuser (40%), Astrologie (24%), Kommunikation mit den Toten (27%) und die Möglichkeit von Hexen (13%). In den letzten 15 Jahren haben sich diese Zahlen kaum verändert. Warum? Weil der SuperSense, die Wahrnehmung einer Sphäre des Übernatürlichem, zu unserer Veranlagung gehört. So argumentiert jedenfalls der Psychologe Bruce Hood.
Um herauszufinden, wo die Quelle des Aberglaubens liegt, hat sich Bruce Hood mit dem Glauben von Kindern befasst, weil diese von der Kultur noch relativ unbeeinflusst sind. Unabhängig davon, ob Kinder in einem fundamentalistischen Elternhaus aufwuchsen oder nicht, gaben sie in einer Studie der Entwicklungspsychologin Margaret Evans im Alter von acht bis zehn Jahren an, dass Gott die Tiere erschaffen habe. Erst im Alter von zehn bis zwölf Jahren zeigten einige Kinder eine Kenntnis der Evolution – natürlich nur diejenigen, die aus nicht-fundamentalistischen Elternhäusern stammten.
Nach zahlreichen Studien dieser Art gelangten Psychologen zu der Schlussfolgerung, dass Menschen intuitive Kreationisten sind. Wir glauben von Natur aus:
Es gibt in der Welt keine zufälligen Ereignisse oder Muster.
Dinge werden absichtlich verursacht.
Komplexität kann nicht spontan zustandekommen, sondern muss das Produkt eines Plans von jemandem sein, Dinge zu einem Zweck zu erschaffen.
Nicht nur eine Neigung zum Kreationismus steckt in unserer Natur, sondern auch zum:
Dualismus: Körper und Geist sind getrennt
Essenzialismus: Es gibt unsichtbare Essenzen, die bestimmen, was ein Ding ist
Vitalismus: Es gibt Lebensenergien, die Dinge lebendig machen
Holismus: Alles ist durch Kräfte miteinander verbunden
Bruce Hood bringt zahlreiche Belege hierfür. Und es ist auch kein Wunder: Diese Intuitionen sind von evolutionärem Vorteil – weil durchaus etwas Wahres in ihnen steckt. Zum Beispiel legt DNA Identität und Einzigartigkeit fest (Essenzialismus), alle Lebewesen verfügen über den Krebs-Zyklus [3], der Energie produziert (Vitalismus). Ökologie und Evolutionstheorie zeigen auf, inwiefern alles Leben miteinander verbunden ist (Holismus). Und unser Geist ist die Steuerzentrale unseres restlichen Körpers (Dualismus).
Die Evolution brachte also grobe Mechanismen hervor, mit denen wir uns in der Welt zurechtfinden können, bevor wir Erfahrungen sammeln. Genau diese Mechanismen können jedoch zu falschen Annahmen über die Welt führen.
Aufgrund des Dualismus neigen wir zu der Annahme, dass unser Geist den Tod unseres biologischen Körpers überleben könnte. In einer Studie von 2004 gaben Kinder zum Beispiel an, dass der Geist einer Maus, die von einem Alligator gefressen wurde, noch immer da sei. Zwar könne die Maus nicht mehr herumkriechen und nichts mehr essen, aber sie habe immer noch Erinnerungen und Wünsche.
Der Holismus begünstigt den Glauben an Astrologie. Wenn alles durch Kräfte miteinander verbunden ist, warum nicht auch die Sterne mit unserem Schicksal? Oder der Mond mit unserem Tagesrhythmus? Oder das Wohlbefinden der „Natur“ mit unserem Wohlbefinden?
Vitalismus kann zu dem Aberglauben führen, eine übernatürliche Lebenskraft unterscheide Leben von Nichtleben, zum Beispiel eine Seele. „Als vitalistisch […] werden Theorien bezeichnet, die den Ursprung und die Phänomene des Lebens auf spezielle Kräfte oder Prinzipien zurückführen, die sich von den chemischen und physikalischen Kräften unterscheiden“. So lautet eine umfassendere Definition des Vitalismus nach Thomas Junker (Geschichte der Biologie, S. 54). In der Biologie gilt der Vitalismus jedoch als obsolet: „Je genauer man die physiologischen Prozesse analysierte, umso klarer wurde, dass sie sich auf chemischen Reaktionen zwischen speziellen Molekülen zurückführen lassen“ (S. 57).
Mit Hilfe des Essenzialismus können wir schnell und effektiv Beutetiere von Raubtieren, Personen von Gegenständen und allgemein unterschiedliche Dinge voneinander unterscheiden. Kein Wunder also, dass der Essenzialismus adaptiv ist und somit zum Überleben beiträgt. Leider ist auch dieser Mechanismus zu grobschlächtig.
Der Essenzialismus ist für zahlreiche Formen des Aberglaubens grundlegend, darunter der Glaube an ein metaphysisches Böses, das von Personen und Objekten Besitz ergreifen könne. Der Essenzialismus bietet auch der Homöopathie eine Nährwiese, da diese von der Heilung durch Ähnlichkeit der Stoffe (ihrer Essenzen) ausgeht. Die Idee von „koscherem“ Essen oder solches, was für Muslime „halal“ ist, rührt wahrscheinlich daher, wie eindeutig Tiere einer bestimmten Gruppe zugeordnet werden konnten. Zum Beispiel sind laut Levitikus Haie „unrein“, was daran liegt, dass sie zwar im Meer herumschwimmen, aber irgendwie nicht wie die anderen Fische aussehen. Haie haben nicht die „Essenz“ von Fischen.
In seinem aktuellen Buch „The Greatest Show on Earth“ sieht Richard Dawkins den Essenzialismus als einen der Gründe an, warum Menschen mit der Evolution Probleme haben: Sie glauben, dass sich die Arten essenziell, durch eine unsichtbare Eigenschaft, voneinander unterscheiden würden. Dass sich die Arten schrittweise aus anderen Arten entwickelt haben, widerspricht unserer intuitiven Überzeugung. Aufgrund des Essenzialismus haben viele Leute auch ein Problem mit Gentechnik, vor allem mit Klonen und mit Gen-Food. Die Forscher zerstören mit der Gentechnik die „Essenz“ der Lebewesen. Daher kommt auch der Glaube an die „Zellerinnerung“, die Menschen davon abhält, Spendeorgane, vor allem Spendeherzen, von Mördern anzunehmen. Sie glauben, eine „Essenz“ des Mörders könne so auf sie übergehen.
Bruce Hood führte selbst zu diesem Thema Experimente durch. Zum Beispiel fragte er seine Studenten, ob sie den Pullover von dem Massenmörder Fred West anziehen würden. Die meisten Studenten lehnten das spontan ab.
Die Neigung zum Aberglauben ist von Person zu Person genetisch bedingt unterschiedlich, trotzdem teilen wir alle die oben genannten Anlagen in einer mehr oder weniger starken Ausprägung. Man könnte den Aberglauben als Fehlfunktion dieser Anlagen ansehen, aber das wäre zu optimistisch, denn diese Fehlfunktionen kommen zu häufig vor. Nein, wir sind wohl tatsächlich von Natur aus abergläubisch, auch Atheisten, auch die größten Skeptiker.
Psychologen sind sich einig, dass es zwei Betriebssysteme für das Denken in unseren Gehirnen gibt: Das evolutionär alte intuitive, natürliche, automatische, heuristische oder implizite System (die Bezeichnungen sind synonym), das in Kindern operiert, bevor sie das Schulalter erreichen. Und das evolutionär neue konzeptuell-logische, analytisch-rationale, explizite System, welches logisch-rationales Problemlösen ermöglicht. Unter Stress funktionieren wir im intuitiven Modus. Das rationale System ist langsam und ineffizient. Und doch besitzen wir es, im Gegensatz zu den meisten anderen Tierarten.
Die Frage ist nun, ob und wann wir es benutzen sollten.
Um die Verführungen des Essenzialismus zu illustrieren, habe ich ein paar „Feldversuche“ mit einem skeptischen Publikum durchgeführt. Gut 90% der Leser sind in die Falle getappt. Mit dem eigenen Aberglauben konfrontiert, kritisierte man nun den Versuchsaufbau (obwohl es natürlich kein richtiger Versuch, sondern nur eine Illustration war). Einige traten sogar dem Versuch oder mir persönlich mit einer bemerkenswerten Feindschaftlichkeit entgegen.
In einer von drei Aufgabenstellungen fragte ich meine Leser, ob sie Hitlers Anzug tragen würden. Das ist keine Verfälschung von Hoods Aufgabe, sondern das Original des Psychologen Paul Rozin. Rozin stellte fest, dass stets einer von vier Gründen angegeben wird, warum die Leute Hitlers Anzug nicht tragen möchten:
Wir möchten nicht dabei ertappt werden, etwas zu tun, was die Mehrheit verweigern würde.
Jeder Gegenstand, der mit einem Mörder assoziiert wird, ist negativ und darum erweckt das Tragen des Anzugs Assoziationen mit dem Tötungsakt.
Wir glauben, dass die Kleidung physisch kontaminiert ist.
Wir glauben, dass die Kleidung spirituell (durch eine übernatürliche Substanz) kontaminiert ist.
Bruce Hood macht auf ein Problem mit dem ersten Punkt aufmerksam. Zwar ist es rational vertretbar, auf soziale Konformität zu achten, aber es stellt sich die Frage, warum die Mehrheit überhaupt das Tragen von Hitlers Anzug verweigern würde? Mit dem Aussprechen seines Namens scheint es ja kein großes Problem zu geben, doch etwas beunruhigt die Leute, wenn es darum geht, seinen Anzug zu tragen.
Nun kommen wir zu Punkt zwei: Ein Anzug hat mit dem Tötungsakt nichts zu tun, abgesehen davon, dass Hitler persönlich nie jemanden getötet hat, soweit wir wissen (er gab „nur“ die Befehle dazu). Die Tatwaffe könnte Assoziationen mit einem Mord wecken, aber ein Anzug oder ein Pullover? Gewiss: Der jeweilige Psychologe hat seine Testpersonen darüber informiert, dass es sich um das Kleidungsstück eines Mörders handelte. De facto ist es aber nur ein Kleidungsstück, wie es viele andere Leute auch tragen, und nichts sonst. Dass ein Mörder es getragen hat, verändert die Beschaffenheit des Kleidungsstücks in keiner Weise. Die Assoziation befindet sich lediglich in unseren Köpfen – aber warum? Die meisten Menschen würden lieber einen Pullover tragen, der vorher in Hundekot gelegen war und gewaschen wurde, als einen, der von einem Mörder getragen wurde und ebenfalls gewaschen wurde. Zudem findet man nie Unterwäsche in Gebrauchtwarenläden, egal, ob man sie ebensogut waschen könnte wie Hosen. Warum?
In einer Studie brachte man die Testpersonen dazu, sich vorzustellen, dass sie jemanden betrügen würden. Sie fühlten nun das Bedürfnis, ihre Hände zu waschen. Rational ist das nicht. Die Testpersonen verspürten eine Kontamination durch ihren Betrug. Auch der Exorzismus-Ritus bedient sich beim Essenzialismus: Etwas Böses (Dämon) wird mit etwas Gutem (geweihtes Wasser, Gebete) ausgetrieben. In der Realität gibt es jedoch weder den Dämon, noch verändert das Wasser durch seine „Verzauberung“ die Beschaffenheit.
Hitlers Anzug und Fred Wests Pullover sind natürlich nicht durch Körperkontakt physisch kontaminiert worden – Hitler und West waren ja nicht giftig. Es bleibt am Ende nur die spirituelle Kontamination übrig. Und an die glauben atheistische Psychologiestudenten genauso wie teufelsaustreibende Priester.
Die folgenden beiden Fragen an meine Leser zielten darauf ab, ob sie zwei identische Objekte austauschen würden. Insofern sich in diesen Objekten keine übernatürlichen Essenzen befinden, die sie voneinander unterscheidet, wäre es irrational, dies nicht zu tun.
Die erste Frage lautete, ob die Leser ihren Ehering gegen eine identische Kopie des Eheringes eintauschen würden. Ein Leser wies darauf hin, dass der eine Ring doch bei seiner Heirat dabei gewesen sei und der andere nicht. Das stimmt, ist aber gleichgültig, weil sich die Beschaffenheit des Rings nicht durch seine Anwesenheit bei einem Ritus verändert. Assoziieren kann man die Heirat auch mit einem identisch aussehenden Ring, der nicht „dabei“ war – es sei denn, seine Essenz hindert einen daran. Bei dem Ring waren trotztem viele dazu bereit, ihn auszutauschen, vor allem gegen einen kleinen Geldbetrag.
Die zweite Frage lautete, ob die Leser ihren Lebenspartner gegen eine identische Kopie eintauschen würden. Da war es endgültig vorbei mit aller Aufgeklärtheit. Selbstverständlich würde niemand (mit sehr wenigen Ausnahmen) seinen Lebenspartner gegen eine identische Kopie eintauschen, auch nicht für 1000 Euro. Aus rationaler Sicht ist das reiner Feenglaube. Ein identischer Partner, und darauf habe ich in der Aufgabenstellung explizit hingewiesen, hätte genau die selbe Persönlichkeit, die selben Erinnerungen, ein identisches Aussehen, etc. Es wäre die selbe Person, nur wäre sie zweimal vorhanden. Nun muss man sich eine davon aussuchen und man bekommt 1000 Euro, wenn man eine spezielle davon nimmt. Offensichtlich wäre die rationale Wahl der Partner, für den man das Geld bekommt. Aber das würde praktisch niemand tun – fast alle wollen das Original behalten. Dies ist nicht anders zu erklären als durch den Glauben an eine übernatürliche Essenz in diesem Lebenspartner. Und praktisch alle noch so radikalen Skeptiker glauben an diese herbeifantasierte Essenz.
Hier laufen unsere Intuitionen endgültig Amok und man muss ihn schon in die Gefriertruhe stecken, wenn man da noch einen kühlen Kopf bewahren möchte. Aber: Fühlt man sich denn besser, wenn man den „originalen“ Partner behält, obgleich das im Grunde keinen Sinn ergibt, so könnte man diese Wahl rational rechtfertigen. Wer möchte sich schon schlecht fühlen? Dass wir uns dabei schlecht fühlen würden, bestätigt jedoch lauthals die Theorie von Bruce Hood: Wir sind alle abergläubisch.
„Übernatürliches Denken ist einfach die Konsequenz unseres Scheiterns, die eigenen Intuitionen mit der tatsächlichen Beschaffenheit der Welt in Einklang zu bringen“, stellt Bruce Hood fest. Doch nun argumentiert er – obwohl er selbst ein (physikalistischer) Naturalist ist – , dass der Glaube an heilige Werte notwendig sei für den Zusammenhalt der Gesellschaft. Wenn etwas heilig ist, zum Beispiel menschliches Leben, dann schätzen wir dessen Wert höher ein als seinen objektiven Wert – was man nur durch übernatürliches Denken rechtfertigen könne.
Es bleibt leider unklar, inwiefern heilige Werte die Gesellschaft zusammenhalten und wie man den „objektiven Wert“ von irgendetwas ermitteln könnte.
Hood erwähnt mehrere Beispiele. So finden wir das Angebot des Charakters von Robert Redford, dem Ehemann von Demi Moore eine Million Dollar für eine Nacht mit ihr zu bezahlen, als „Ein Unmoralisches Angebot“ (daher der Filmtitel). Das mag wohl sein, aber es gibt auch rationale Gründe, das Angebot nicht anzunehmen. So könnte Demi Moore die Annahme des Angebots so verstehen – und das tut sie ja auch – dass ihrem Ehemann eine Million Dollar wichtiger wären als ihre Ehe. Gut, hier messen wir einer Ehe einen bestimmten Wert bei, aber was sollte der „objektive Wert“ einer Ehe sein, den man als Vergleich heranziehen könnte? Und wer sagt, dass der objektive Wert mit Geld zu bemessen wäre?
Teilweise ist es jedoch wahr, dass wir den Aberglauben einfach akzeptieren müssen. Schließlich müssten wir mit ihm andernfalls einen Teil unseres Gehirns, das intuitive System, überwinden. Und das ist eben nur eingeschränkt möglich, nämlich wann immer wir uns in Situationen befinden, die den Gebrauch des rationalen Systems ermöglichen und ihn nahelegen – was eben nicht so oft der Fall ist. Oftmals muss man Entscheidungen spontan treffen. Und selbst wenn nicht, ist es manchmal sinnvoll, den Aberglauben der Vernunft vorzuziehen. Einfach, weil man sich dann besser fühlt, ohne dass Schaden entstehen würde. Zumindest, wenn man weiß, was man da tut.
Nach anfänglich starker Skepsis – schließlich verweisen diese psychologischen Befunde die Aufklärung in deutliche Schranken – hat mich Bruce Hood überzeugen können. Die Belege sind inzwischen hinreichend und sprechen eine deutliche Sprache. Wir müssen den Sinn und die Grenzen der Bekämpfung des Aberglaubens überdenken, denn wir sind von Natur aus eine abergläubische Spezies.
Selbst nach exzessiver Anwendung des rationalen Systems werden wir einige Verhaltensweisen (z.B. Tausch „heiliger“ Gegenstände oder Personen gegen identische Kopien) niemals gänzlich loswerden. Auch wenn wir dies rational überwinden könnten, würden wir uns noch immer schlecht dabei fühlen, unsere Partner gegen Kopien einzutauschen. Und teilweise ist das vielleicht auch gut so. Es ist notwendig, den eigenen Aberglauben zu akzeptieren und dort zu bekämpfen, wo er Schaden anrichtet. Zur Akzeptanz gehört allerdings zunächst das Wissen um die eigene Anfälligkeit für übernatürliches Denken. Und hierfür empfiehlt sich die Lektüre von Bruce Hoods „SuperSense“ für alle, die der englischen Sprache mächtig sind.
Die meisten Menschen teilen irgendeine Art von Aberglauben. Bei Atheisten ist das eben nicht Gott, sondern Telepathie, Geister, Wahrsager, Homöopathie, oder etwas anderes. Im Anhang von „SuperSense“ finden sich einige Tests für Aberglauben. Beunruhigend: Laut diesen Tests bin ich überhaupt nicht abergläubisch. Und in „Gott, Gene und Gehirn“ von Rüdiger Vaas und Michael Blume gibt es einen Spiritualitäts-Test, laut dem ich so spirituell bin wie eine Betonwand. Darüber hätte ich mich vor einer Weile noch gefreut, aber nach einer Debatte mit Michael Schmidt-Salomon, in der er mich mit dem Androiden „Data“ aus Star Trek vor Einsetzung des Emotions-Chips verglich [4] – fand ich das Ergebnis weniger erfreulich. Was, wenn er recht hat?
Auch der Religionswissenschaftler Michael Blume ist verwundert und versucht meine Existenz in einem Essay [5]zu erklären. Darin ergreift er Partei für die „balancierte Selektion“, laut der die adaptive Religiosität in der Regel einen Selektionsvorteil darstelle, doch könnten atheistische Extremisten in seltenen Umweltbedingungen einen Vorteil haben (siehe meine Antwort [6]).
Die alternative Nebenprodukt-Theorie der Religiosität setzt sich jedoch gerade durch und hier reiht sich auch die Erklärung von Bruce Hood ein: Der SuperSense und darunter die Religiosität entstehen unter bestimmten Umweltbedingungen (wann immer die persönliche Unsicherheit groß ist und unser rationales System umgangen wird) auf Grundlage des intuitiven Erkenntnissystems. Und dies war (und ist zum Teil noch) von evolutionärem Vorteil: Besser man sieht einen Löwen zu viel, als einen zu wenig.
Also bin ich vielleicht doch keine emotionslose Maschine, sondern verfüge lediglich über genügend Sicherheit und Gelassenheit, um mein rationales System auf alles Mögliche anwenden zu können, zudem über eine geringe natürliche Veranlagung zum Aberglauben. Andere Menschen neigen stärker zum Aberglauben und werden dafür nicht mit Androiden verwechselt. Es hat alles Vor- und Nachteile. Trotzdem muss man aus erkenntnistheoretischer Sicht anerkennen, dass Aberglauben eben Aberglauben ist und wenig mit der objektiven Realität, wie sie die Wissenschaften näherungsweise beschreiben, gemein hat.
Für die SuperSense-Heimgesuchten empfiehlt sich von daher ein Beruhigungstee und ein ausgedehntes Schaumbad, falls sie an der Beschaffenheit der Realität interessiert sind und Aberglauben vermeiden möchten.
AM
Links:
[1] http://www.darwin-jahr.de/sites/darwin-jahr.de/files/story/node-400-681.jpg
[2] http://fowid.de/fileadmin/datenarchiv/Glaube_an_Paranormale_%20Phaenomene,%201991,1998.pdf
[3] http://de.wikipedia.org/wiki/Citratzyklus
[4] http://hpd.de/node/8638?page=0,2
[5] http://www.blume-religionswissenschaft.de/pdf/WarumnochAtheistenBlume2009.pdf
[6] http://feuerbringer.com/2009/10/24/warum-gibt-es-noch-glaubige/