Presseschau | 19.02.2010
In welchen Forschungsbereichen lassen sich Evolutionsmechanismen aufspüren? War die Entstehung des Lebens wirklich so unwahrscheinlich? Sind unsere Bewegungen vorhersagbar? Neben Fragen gibt es auch neue Antworten: Rot ist die erotische Farbe schlechthin, Forscher basteln an einer 3D-Karte des Gehirns und das Hirn schläft von innen nach außen ein. Aber bestimmt nicht bei der Lektüre der neuen Presseschau!
Kann Evolution überall sein? [2]
Systemanalytiker, Soziologen, Mathematiker und viele andere Akademiker befassen sich mit der Frage, ob in ihren Gebieten evolutionäre Prozesse eine Rolle spielen. Gerade mit evolutionären Alghorithmen lässt sich dabei viel anstellen, aber der Mathematiker Martin Grötschel sieht eher bewusstes Nachdenken als Quelle des Fortschritts in der Mathematik als unbewusste Mechanismen. Es gibt einen Trend, alles evolutionär zu betrachten, aber im wörtlichen Sinne „überall“ scheint das kein fruchtbarer Ansatz zu sein. Es wird sich nun zeigen müssen, wo Chancen und Grenzen liegen.
Lieberknecht auf Althaus' Spuren [3]
Thüringens Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU) hat dem Kreationisten Reinhard Haupt das Bundesverdienstkreuz überreicht (wir berichteten [4]), auch explizit für sein Engagement beim deutschen Kreationistenverein "Wort und Wissen". Ihr Vorgänger im Amte, Dieter Althaus (CDU) hat sich bereits dadurch ausgezeichnet, den damaligen Vorsitzenden von "Wort und Wissen", Siegfried Scherer, in die Staatskanzlei einzuladen, um mit ihm gemeinsam über "verschiedene Theorien zur Entstehung des Lebens" zu sinnieren.
Eigentlich sind Kreationisten in Deutschland eine kleine Minderheit, die nicht viel zu melden hätte, wenn ihnen Politiker von den Christdemokraten nicht immer wieder zu Einfluss und Anerkennung verhelfen und sich und das von ihnen regierte Bundesland damit lächerlich machen würden. Aber genau das geschieht leider. Der Biologe Uwe Hoßfeld ist dann auch „eher unglücklich, dass bei der Auszeichnung von Professor Haupt dessen Engagement bei einer wissenschaftsfeindlichen Institution, die behauptet, die Erde sei 10 000 Jahre alt, eine solche Rolle spielt.“
In der Zeitung „Freies Wort“ kommt auch Professor Ulrich Kutschera zu Wort und betont, da „Wort und Wissen“ ein „anti-naturwissenschaftliches Weltbild“ vertrete, dürfe dieses „durch eine so hohe Ehrung nicht noch belohnt werden“. Er weist darauf hin, dass das logisch-rationale Denken die wichtigste Ressource in Deutschland sei.
Die 50 verrücktesten Tiere der Welt [5]
Wer schon einmal die Zwergspringmaus, eine Mischung aus Maus und Känguruh, gesehen hat, der weiß, welche bunten Blüten die Evolution treiben kann. Zuckersüß ist derweil das fingergroße Zwergseidenäffchen, bizarr der Blobfisch, erotisch (na ja) der Rotlippen-Fledermausfisch. Diese Sammlung an Fotos der 50 absurdesten Schöpfungen der Evolution sei wärmstens empfohlen. Gott würde gar nicht auf solche Ideen kommen. Alleine das lebende Wattebäuschchen, den Angora-Hasen, muss man einfach gesehen haben!
Außerirdischer Artenreichtum [6]
Auf dem „Murchison“ genannten Meteoriten wurden organische Verbindungen entdeckt, die darauf schließen lassen, dass es vor 4,65 Milliarden Jahren viele Millionen verschiedener organischer Substanzen existiert haben, was die Entstehung von Leben auf der Erde erheblich wahrscheinlicher aussehen lässt.
In einer Untersuchung der Mobilität von 50 000 Handynutzern ist es Forschen gelungen, ihre Bewegungen in 93% der Fälle vorherzusagen. Und dies unabhängig davon, ob die Nutzer viel umherreisten oder sich in der Nähe ihrer Heimatstadt aufhielten. Wohin uns der Wind weht, das kann uns ein chinesisches Forscherteam nun mit hoher Wahrscheinlichkeit vorhersagen, auch dann, wenn wir es selbst noch nicht wissen. Jedenfalls statistisch. Diese Erkenntnisse können für die Planung von Fluchtwegen relevant sein.
Forscher werkeln an einem 3D-Atlas des Gehirns. Schicht für Schicht wird hierfür das Gehirn abgescant. In fünf Jahren wird die Karte fertig sein, aber eine Vorabversion kann man sich hier kostenlos herunterladen [9].
Rot macht Frauen attraktiver [10]
Die Farbe rot macht Frauen für Männer attraktiver und sexuell begehrenswerter. Die Farbe verändert aber nicht die Wahrnehmung von Frauen untereinander, noch die Beurteilung des Charakters und der Intelligenz der Frauen durch Männer. Die Entdeckung dieser „erotischen“ Farbe dürfte Modedesigner dennoch interessieren.
Ein Nasenspray gegen Autismus? [11]
Das Hormon „Oxytocin“ verbessert die sozialen Fähigkeiten von Menschen. Wer an Autismus leidet, hat Probleme, soziale Signale zu lesen. Diese Fähigkeit konnte mit einem Oxytocin-Nasenspray bei Versuchspersonen kurzfristig erhöht werden. Vielleich würde eine tägliche Dosis Oxytocin Autisten helfen, besser mit anderen Menschen zurechtzukommen.
Das Hirn schläft von innen nach außen ein [12]
Der Thalamus, der evolutionär älteste Teil des Gehirns, schläft entgegen bisheriger Annahmen zuerst ein, die Großhirnrinde bleibt länger aktiv. Dies könnte hypnagoge Halluzinationen beim Einschlafen erklären (sie sind Ursache der Halluzinationen angeblicher UFO-Entführungsopfer).
Die psychiatrischen Erkrankungen der Zukunft [13]
Das neue „DSM V“, das Standardwerk zur Diagnose psychiatrischer Erkrankungen, wird gerade von der American Psychiatric Association entworfen. Neu ist zum Beispiel ein Skalensystem für Symptome, so kann man in Zukunft zu 60% depressiv sein statt einfach „depressiv“. Neu eingeführt wird ein Risiko-einer-Psychose-Syndrom, was die Erkrankung bezeichnet, irgendwann vielleicht einmal psychisch erkranken zu können. Die „Hypersexualitätsstörung“ betrifft derweil Menschen, die sich zu viel mit Sex befassen. Das DSM V dürfte für einige Kontroversen sorgen.
Religionsforscher Tom Rees im Interview. Es geht um die gesellschaftlichen Ursachen von Religiosität (Einkommensungerechtigkeit, Kriminalität, etc.).
Moral, Glaube und so'n Zeug [15]
Eine recht willkürliche Ansammlung von Informationen über die evolutionäre Entstehung und die wissenschaftliche Erforschung von Moral gibt es bei Spiegel Online zu lesen. Dass Moral nicht viel mit Religion zu tun hat (zum Beispiel beantworten religiöse und nicht-religiöse Versuchspersonen moralische Dilemmata genau gleich) und dass Glaube eine mögliche Nebenfunktion, vielleicht sogar Fehlfunktion, von einigen psychischen Programmen sein könnte, passt Theologen natürlich gar nicht.
Der Münchner Theologe Friedrich Wilhelm Graf warnt Religionsforscher nun „vor den 'dunklen Wassern', auf denen sie mit ihren 'windschnittigen Wissenschaftsyachten' herumschippern“. Sonst finden sie am Ende noch mehr heraus, was Herrn Graf nicht passt. Man wünscht sich die guten alten Zeiten von originellen und witzigen Apologeten wie Alexander Pope und Jonathan Swift zurück.
Das ist doch zumindest ganz nett und Swifts „Argument gegen das Verbot des Christentums [16]“ ist heute noch amüsant, selbst wenn man mit keinem Wort davon übereinstimmt. Und was bekommen wir stattdessen? „Windschnittige Wissenschaftsyachten“. Vielleicht könnte man ein paar Dogmatik-Seminare durch Seminare in gutem Stil ersetzen?
AM
Links:
[1] http://www.darwin-jahr.de/sites/darwin-jahr.de/files/story/node-395-667.jpg
[2] http://www.heise.de/tp/r4/artikel/32/32055/1.html
[3] http://www.neues-deutschland.de/artikel/165116.lieberknecht-auf-althaus-spuren.html
[4] http://www.darwin-jahr.de/../../../../../../../../evo-magazin/welt-abgrund
[5] http://www.jamesgunn.com/2009/07/02/evolution-fucked-your-shit-up-the-worlds-50-freakiest-animals/
[6] http://www.wissenschaft.de/wissenschaft/news/309948
[7] http://www.wissenschaft.de/wissenschaft/news/310029
[8] http://www.spiegel.de/wissenschaft/medizin/0,1518,673235,00.html
[9] http://www.fz-juelich.de/inm/inm-1/spm_anatomy_toolbox
[10] http://www.mindhacks.com/blog/2010/02/seeing_red_feeling_.html
[11] http://ow.ly/18alQ
[12] http://www.heise.de/tp/blogs/3/147098
[13] http://www.heise.de/tp/r4/artikel/32/32099/1.html
[14] http://bhascience.blogspot.com/2010/02/reasonable-doubts-podcast-religion-and.html
[15] http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,677896,00.html
[16] http://ebooks.adelaide.edu.au/s/swift/jonathan/s97ab/