
Presseschau | 12.02.2010
Nach dem Darwin-Jahr nun ein Darwin-Tag? Genau: Heute ist Darwins Geburtstag und der heißt international „Darwin-Tag“. Der perfekte Moment für "Evolutionskritik", dachten sich findige Philosophen und Kreationisten. Und dafür gibt es Konter. Außerdem tauchen wir erneut in die Welten der Psychologie und Religionsforschung ein.
Darwin hat Geburtstag. Er ist heute 201 Jahre alt geworden. Die „International Darwin Day Foundation“ findet, das ist einen internationalen Feiertag wert. Hätten wir nicht schon den Evolutionstag, würden wir uns dem vielleicht anschließen (wobei: könnte mal jemand den Evolutionstag zum offiziellen Feiertag erklären? Es wird allmählich Zeit! Danke).
Kreationist brennt Kindern Kreuze in Oberarm [3]
In Mount Vernon, einer streng religiösen Stadt im US-Bundesstaat Ohio, hat ein Wissenschaftslehrer der Mittelschule einigen seiner Schüler mit einer Tesla-Spule ein Kreuz in den Oberarm gebrannt. Ein Arzt stellte Verbrennungen zweiten Grades bei den Kindern fest.
Die Eltern eines betroffenen Schülers namens Zach Dennis sind den Tätigkeiten des Lehrers auf den Grund gegangen. Es stellte sich heraus, dass er Intelligent-Design-Materialien im Unterricht verbreitete und den Kindern erzählte, sie könnten der Wissenschaft nicht trauen. Außerdem hängte er evangelikale Propagandaposter im Klassenzimmer auf. Andere Lehrer wussten davon und hielten ihre Kinder von dem Kreationisten John Freshwater und seinen Stunden fern. Sie befürchteten jedoch Ärger mit den Eltern, sollten sie gegen Freshwater protestieren und behielten ihre Bedenken für sich.
Die Befürchtungen waren berechtigt, denn als Freshwater entlassen wurde, schloss er sich der rechtsradikalen Gruppierung „Minutemen“ an und startete zusammen mit seiner Gemeinde, dem Trinity Worship Center, eine Kampagne gegen die Familie Dennis. Freshwater zufolge wurde er lediglich darum entlassen, weil eine Bibel auf seinem Pult gelegen habe – eine bloße Erfindung, die jedoch von den meisten Einwohnern Mount Vernons akzeptiert wurde. Die Familie Dennis erhielt Anrufe, Briefe, Bibeln, die Leute gingen ihnen aus dem Weg und sogar in den Kirchen wurde laut Zachs Mutter gegen sie gepredigt. Schließlich wurde es der Familie zu viel und sie verließ die Stadt.
Wenigstens hat man Freshwater nicht auch noch einen staatlichen Verdienstorden verliehen, wie man das hierzulande mit Kreationisten handhabt [4].
Zollitsch versus Junker/Paul [5]
Im „Atlantis“-Tauchermagazin 1/2010 beantworten Dr. Robert Zollitsch, Vorsitzender der katholischen Bischofskonferenz, auf der einen Seite und Dr. Sabine Paul sowie Dr. Thomas Junker von der Giordano Bruno Stiftung auf der anderen Seite, die Frage, ob wir einen Gott brauchen und wofür.
Laut Zollitsch gehe es dem Glauben um die Frage, wie man in den Himmel komme und nicht, wie sich dieser bewege. Evolution und Schöpfung wären kompatibel, wobei Kreationisten die Evolution „aus einer falsch verstanden Glaubensbegründung“ heraus verwerfen würden und sogenannte „Evolutionisten“ sich anmaßten, „anhand wissenschaftlicher Erkenntnisse über die Entstehung der Arten“ die Frage noch Gott beantworten zu können.
Junker und Paul betonen, dass Darwins natürliche Selektion eine natürliche Erklärung für die Existenz und Eigenschaften von Lebewesen darstelle und somit im Widerspruch zu einem Schöpfergott stehe. Trotzdem würden die großen Kirchen keinen Widerspruch zu ihrem Glauben erkennen, vielmehr formierten sich die Widerstände heute gegen die evolutionäre Erklärung der geistigen Kräfte des Menschen.
US-Präriehunde gebrauchen komplexe Sprache [6]
Präriehunde können laut Professor Con Slobodchikoff, der die Tiere und ihre Sprache lange Zeit untersuchte, die Art eines Angreifers, seine Lage und sogar seine Farbe mit ihren Lauten anderen Präriehunden mitteilen. Sie kennen sogar mehrere Wörter.
Jetzt wo das Darwin-Jahr vorbei ist, wird wieder fröhlich auf der Evolutionsbiologie herumgehackt. Diesmal haben die beiden Kognitionsforscher Jerry Fodor und Massimo Piattelli-Palmarini ein Buch mit dem Titel „Was Darwin falsch verstand“ veröffentlicht, in dem sie philosophische Argumente gegen den Mechanismus der natürlichen Selektion anführen.
Die Biologen Jerry Coyne und Philip Kitcher nehmen sich Fodors Argumente zur Brust. Laut Fodor würden Biologen die natürliche Selektion als wichtigen Mechanismus aufgeben, was einfach falsch ist. Fodor zufolge müsse außerdem eine Person, vielleicht „Mutter Natur“, der Logik zufolge Adaptionen bei Lebewesen selektieren, sonst wisse man nicht, ob ein Eisbär wegen seiner weißen Farbe selektiert wurde, oder weil er an seine Umwelt gut angepasst ist. Aber das ist lediglich ein sprachliches Missverständnis, mit dem sich Darwin schon herumgeschlagen hat. Es gibt keine Person, die wie ein Züchter selektieren würde, sondern die natürliche Selektion ist ein automatisch ablaufender Prozess. Man braucht keinen „Selektierer“, wie ein automatischer Dosenöffner auch keinen personellen Dosenöffner nötig hat, eben weil er automatisch Dosen öffnet.
Als Alternative zur natürlichen Selektion nennt Fodor „Evo-Devo“, also die Entwicklungsbiologie. Doch ist Evo-Devo keine Alternative zur Selektion, sondern eine Möglichkeit zu erklären, wie Gene mechanistisch Adaptionen hervorbringen. Evo-Devo ist kompatibel mit der natürlichen Selektion.
Auch sieht Fodor Nebenprodukte als Alternative zur natürlichen Selektion an. Doch sind Nebenprodukte wie die rote Farbe unseres Blutes eben das: Neben-Produkte von Adaptionen (in diesem Fall Hämoglobin, das zufälligerweise Licht so absorbiert, dass es uns Rot erscheint, ohne dass die rote Farbe adaptiv wäre). Die Antworten auf Fodor [8] und Piattelli-Palmarini lohnen eine Lektüre, weil bekannte Philosophen und Wissenschaftler wie Daniel Dennett, Steven Rose und Simon Blackburn ihnen Paroli bieten.
Vom Nutzen der Evolutionsbiologie für die Medizin [9]
Die natürliche Selektion hat unsere Körper so geformt, dass sie möglichst optimal für die Weitergabe von Genen geeignet sind, doch auf Gesundheit sind wir nicht direkt angelegt. Vielmehr sind wir ein Mosaik aus Kompromissen. In einer neuen Studie meinen US-Wissenschaftler, dass Autismus, Autoimmunerkrankungen und Krebs an Reproduktionsorganen möglicherweise Resultate von Fehlanpassungen sind.
Der Einsatz von Hygiene und Antibiotika hat zudem Vor- und Nachteile, so werden auch symbiotische Parasiten und Bakterien in Mitleidenschaft gezogen, was die Entstehung von Allergien, Asthma und Autoimmunkrankheiten fördert. Vielleicht haben Geisteskrankheiten wie Schizophrenie und Autoismus genetische Ursachen, etwa Imprinting-Defekte in Genen, weil väterliche und mütterliche genetische Interessen ins Ungleichgewicht geraten sind. All dem könnte man auf den Grund gehen, wenn Evolutionsbiologen und Mediziner in Projekten zusammenarbeiten würden.
In diesem Vortrag erklärte Volker Sommer, warum die Übergänge zwischen den Lebewesen fließend sind. Schimpansen und Bonobos sollten wir unter die Hominini (Plural von „Hominid“, ja echt) einordnen. Außerdem gebühren den Menschenaffen auch entsprechende Rechte.
Abgeflacht: Eine Parodie von „Expelled“ [11]
Uns war schon immer klar: Die Erde ist flach. Aber jetzt kommen diese „Wissenschaftler“ an und behaupten, das stimme gar nicht. Obwohl dann jeder von der Erde runterfallen würde! Ein witziges Parodievideo gegen den Kreationistenstreifen „Expelled“.
Mythos Multitasking [12]
Ähnlich wie die meist uneffektive Teamarbeit ist auch das sogenannte „Multitasking“, das gleichzeitige Bearbeiten mehrerer Aufgaben, ein echter Quark. Neue Untersuchungen zeigen, dass besonders eifrige Multitasker tatsächlich an Konzentrationsschwäche leiden. Sie arbeiten darum an verschiedenen Aufgaben gleichzeitig (schnell abwechselnd), weil sie sich nicht lange auf eine Sache konzentrieren können. Ergo: Ab in den Müll mit Multitasking. Macht eine Sache, aber macht sie richtig – so sollte das Credo von Arbeitgebern lauten.
Klingt nach Esoterik, ist es in diesem Fall aber nicht. Mediziner und Buchautor Herbert Renz-Polster bezieht Erkenntnisse der Soziobiologie in die Kindeserziehung mit ein. Ein aufschlussreiches Interview.
Initiationsriten sind oft nur eine Möglichkeit, Frischlinge straflos zu quälen. Es gibt sie in allen Kulturen, aber nicht überall nehmen sie die Form von Folter an.
Hilfsbereitschaft ist ansteckend [15]
Wer dabei zusieht, wie Menschen anderen Menschen helfen, fühlt sich gut und ist motiviert, dies auch zu tun.
Was Frauen launisch macht [16]
20-30% der Frauen besitzen ein Gen namens BDNF. Dieses ist offenbar für ihre Stimmungsschwankungen während der Periode (Menstruationszyklus) verantwortlich. Sind am Ende gar nicht die Männer schuld.
Gegen zu breite Verleumdungsklagen [17]
Ein Thema, das Wissenschaft allgemein betrifft, ist der Prozess um den Alternativmedizin-Kritiker Simon Singh in England. Der wurde von Chiropraktikern verklagt, weil er diese Methode der Heilung durch Wirbelsäulenverknotung als „bogus“ (Unfug) bezeichnete. Die britische Gesetzgebung rund um Verleumdung wird von Esoterikern und anderen Irrationalisten stark ausgenutzt, um unliebsamen Kritikern den Mund zu verbieten. Der Astronom Florian Freistetter erklärt, worum es geht, außerdem kann man eine Petition gegen die Verleumdungsgesetze unterschreiben.
Spiritualität sitzt im Gehirn [18]
Wie wird man eins mit seiner Umwelt? Das optimale Transzendenz-Rezept ist eine Schädigung der Großhirnrinde im hinteren Scheittellappen. Patienten mit diesem Problem fühlten sich viel spiritueller als der Durchschnitt. Wer eins mit dem All sein möchte, muss sich also nur an der richtigen Stelle auf den Kopf hauen (tun Sie das bitte bloß nicht!).
Religionsforscher Tom Rees hat folgenden Kommentar [19] dazu im Angebot: „Patienten, deren Gehirntumore sich in diesem Bereich befanden, berichteten auch vor der Operation schon, dass sie religiöser wären. Wenn also jemand, den Sie kennen, auf einmal anfängt, in die Kirche zu gehen, dann möchten sie ihn vielleicht an Ihren freundlichen Neurologen vor Ort verweisen!"
AM
Links:
[1] http://www.darwin-jahr.de/sites/darwin-jahr.de/files/story/node-392-664.jpg
[2] http://www.darwinday.org/about/
[3] http://www.guardian.co.uk/world/2010/feb/10/brand-cross-christian-science-teacher
[4] http://www.darwin-jahr.de/../../../../../../../../evo-magazin/welt-abgrund
[5] http://www.atlantis-magazin.de/
[6] http://hpd.de/node/8771
[7] http://science.orf.at/stories/1638243/
[8] http://www.lrb.co.uk/v29/n20/jerry-fodor/why-pigs-dont-have-wings
[9] http://www.heise.de/tp/r4/artikel/31/31872/1.html
[10] http://hpd.de/node/8815
[11] http://unreasonablefaith.com/2010/02/10/flattened-a-parody-of-expelled/
[12] http://www.handelsblatt.com/technologie/forschung/hirnforschung-mythos-multitasking;2528164
[13] http://www.taz.de/1/zukunft/wissen/artikel/1/baut-euch-einen-stamm-auf/
[14] http://www.focus.de/wissen/wissenschaft/psychologie/tid-17212/initiationsriten-die-gesetze-der-meute_aid_479223.html
[15] http://www.apotheken-umschau.de/Psychologie/Hilfsbereitschaft-ist-A100211ROBUQ129219.html
[16] http://www.wissenschaft.de/wissenschaft/news/309838.html
[17] http://www.scienceblogs.de/astrodicticum-simplex/2010/02/die-unsinnigen-verleumdungsklagen-in-grossbritannien-mussen-aufhoren.php?utm_source=feedburner&utm_medium=feed&utm_campaign=Feed:+ScienceBlogs/AstrodicticumSimplex+%28ScienceBlogs+/+Astrodicticum+Simplex%29
[18] http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,677540,00.html
[19] http://bhascience.blogspot.com/2010/02/brain-surgery-path-to-transcendence.html?utm_source=feedburner&utm_medium=feed&utm_campaign=Feed:+BhaScienceGroup+%28Epiphenom%29