Presseschau | 05.02.2010
Warum geht die Welt nun schon wieder unter? Weil ein Kreationist das Bundesverdienstkreuz erhalten hat, außerdem wurde einem Gewaltverbrecher in England die Haftstrafe erspart, weil er religiös ist – was in Kommentaren großer Zeitungen verteidigt wird. Während sich 1000 Rabbiner gegen Homosexuelle aussprechen, gibt es immerhin ein paar gute Nachrichten aus der Welt des wissenschaftlichen Fortschritts. Zum Beispiel helfen Antidepressiva bei Schlaganfällen.
Kreationist bekommt Bundesverdienstkreuz [2]
Jetzt kann es nicht mehr lange dauern, bis die Sterne vom Himmel fallen: Der evangelikale Kreationist Professor Dr. Reinhard Haupt hat das Bundesverdienstkreuz erhalten. Dies könnte man noch entschuldigen, wenn er es explizit und ausschließlich für sein Engagement an der Universität Jena bekommen hätte, also für alles, was er tat, wenn er mal gerade nicht missionierte. Was aber unfassbar, schändlich, unbegreiflich und skandalös ist, dass in der Vorschlagsbegründung seine Tätigkeiten im Ältestenkreis der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde Jena und als Leiter der Abteilung für Wirtschaft und Ethik in der kreationistischen Studiengemeinschaft Wort und Wissen als Gründe für die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes genannt werden.
Was ist so auszeichnungswürdig an religiösem Fundamentalismus?
Bundespräsident Horst Köhler wies vor kurzem darauf hin, dass die Bibel das wichtigste Buch wäre, das er kenne und von daher sollten Eltern ihren Kindern die Bibel vorlesen, weil dies ein „wertvoller Beitrag für die frühkindliche Erziehung“ sei (siehe Protestbrief [3] der Giordano Bruno Stiftung). Aber muss er gleich Leuten das Bundesverdienstkreuz verleihen, weil sie eine Mythensammlung wörtlich nehmen? Wäre auch ein beherztes Eintreten für den dogmatischen Marxismus das Bundesverdienstkreuz wert? Bekämen wir eine Auszeichnung vom Staat, wenn wir den Leuten nur engagiert genug einreden würden, dass die Erde eine Scheibe ist, die auf einer riesigen Schildkröte durch das Weltall fliegt?
Die Verbreitung von wissenschaftsfeindlichem Unfug ist kein Dienst an der Gesellschaft. Diese Begründung wertet das tatsächliche Engagement von Reinhard Haupt und anderen Preisträgern ab. Wenn man für jeden Quatsch das Bundesverdienstkreuz erhalten kann, wird es bald nur noch so viel wert sein wie der Friedensnobelpreis.
Der Focus hat sich mal wieder eine Ausrede einfallen lassen, warum er eine beinahe nackige Frauenbrust abbildet. Es geht um die Frage, warum es zwei davon gibt pro Frau. Antwort: „Die Zitzenzahl entspricht der durchschnittlichen Zahl der Jungtiere mal zwei.“ Und Frauen haben normalerweise nur ein Kind pro Geburt (selten Zwillinge).
Bonobos haben Teilen gelernt [5]
„Teilen“ soll ja ein Wert sein, aber es kommt wohl darauf an, was man teilt und mit wem (man könnte auch Atomwaffen mit Ahmadinedschad teilen). Bonobos jedenfalls teilen Futter mit ihren Artgenossen und zwar auch dann, wenn es ihnen selbst nichts bringt. In einem Versuch in einem Naturschutzgebiet öffneten sie eine Gittertür, um Artgenossen am Mahl teilhaben zu lassen. Junge Schimpansen tun dies auch noch, ältere nicht mehr. Bonobos bleiben offenbar „forever young“.
Unser kläglich Brot gib uns heute [6]
99,5% unseres Daseins als Homo Sapiens verbrachten wir als Jäger und Sammler. Dieser Lebensstil hat unsere Ernährung geprägt, doch heute essen wir oftmals die falschen Dinge. So Prof. Sabine Paul in ihrem Vortrag über evolutionäre Ernährung. Wir müssten mehr Eiweiß und weniger Fett und Kohlenhydrate zu uns nehmen. In der Praxis heißt das vor allem: Mehr Fleisch und Gemüse, weniger Zucker und Getreide. Leider empfiehlt die „Deutsche Gesellschaft für Ernährung“ (DGE) das glatte Gegenteil, weil sie keiner wissenschaftlichen Kontrolle unterzogen wird.
Darwin lebt! [7]
Wie das unscharfe Bild einer Handykamera eindeutig beweist, haben Elvis und Charles Darwin etwas gemeinsam: Sie leben noch! Darwin hat es offenbar nach Baltimore, USA verschlagen.
Die Evolution des Hack & Slay [8]
Beim Videospielgenre Hack & Slay geht es darum, durch die Gegend zu laufen und böse Monster zu erschlagen. Dieses simple Spielprinzip ist offenbar einer Evolution mit Tendenz in Richtung höherer Komplexität unterworfen. Rekapitulieren Videospiele die natürliche Evolution? Freunde der Memetik dürfte der Beitrag interessieren (und Leute, die gerne virtuell auf Monster einhauen).
Untersuchung der Physik abgeschlossen [9]
Physiker haben alles über Physik herausgefunden, was es zu wissen gibt. Sie stellen das Studium der Physik ein und überlassen den Mathematikern den Rest. Die Physiker feiern die Lösung aller physikalischen Probleme und die Entdeckung aller Geheimnisse der physikalischen Welt am nächsten Freitag in PJs Pub. Vielleicht bekommen Biologen nun ihre Fördergelder? (Satire).
Internetsucht existiert nicht [10]
Der Psychologe Vaughan Bell bestreitet die Existenz einer „Internetsucht“. Man könne nicht nach einem Kommunikationsmedium süchtig sein, schließlich spreche auch niemand von einer Sprach- oder Radiowellensucht. Eine Verhaltenssucht könne nur durch ein Verhalten ausgelöst werden, nicht durch ein Medium. Gewiss gebe es Menschen, die darunter leiden, dass sie zu viel Zeit im Internet verbringen, aber das heißt nicht, dass das Internet oder bestimmte Tätigkeiten darin (wie Onlinespiele) eine Sucht auslösen würden.
Die empirischen Belege zeigten vielmehr, dass extrovertierte Menschen das Internet für eine Ausweitung ihrer sozialen Vernetzung nutzten, während introvertierte Menschen sich mit Hilfe des Internets weiter abschotteten. Das Internet selbst löse aber diese Verhaltenstendenzen nicht aus, sondern könne allenfalls bei ihrer Auslebung behilflich sein und sie möglicherweise verstärken. Nachweisbar süchtig machten allerdings Online- (und sonstige) Glücksspiele, bei denen um Geld gezockt wird, also Poker und dergleichen.
Der Hauptgrund, warum Menschen Online-Computerspiele machen, besteht laut einer Studie dagegen in den Erfolgen, in der Freiheit und in der sozialen Verbundenheit, welche die Spiele ermöglichen. Also dann: Auf zu einer Runde World of WarCraft.
Antidepressivum gegen Schlaganfall [11]
Gegen Depressionen scheinen Antidepressiva nicht viel zu helfen [12], nun hat sich jedoch gezeigt, dass sie dafür bei der Regeneration der geistigen Fähigkeiten nach einem Schlaganfall behilflich sind. Das Antidepressivum Escitalopram erhöhte bei Patienten die Konzentration von Serotonin im Gehirn und änderte außerdem die Hirnstruktur, sodass die mit dem Mittel Behandelten einen größeren Teil ihrer Denk-, Lern- und Erinnerungsfähigkeiten wieder erlangten als die Kontrollgruppen, die mit Psychoanalyse oder einem Placebo behandelt wurden.
Männer fühlen sich weniger schuldig als Frauen [13]
Wahrscheinlich aufgrund unterschiedlicher Erziehung fühlen sich Frauen schneller und häufiger schuldig als Männer. Von ihnen wird mehr Einfühlungsvermögen erwartet und umso schuldiger fühlen sie sich, wenn sich andere schlecht fühlen. Zwischen 40 und 50 Jahren nähern sich Männer den Frauen in Punkto Schuldgefühle jedoch an.
Forscher beobachten Informationsaustausch im Gehirn [14]
Mit Hilfe der Kryoelektronen-Tomografie haben Forscher erstmals 3D-Aufnahmen von Nervenzellen gemacht. Dabei wurde entdeckt, dass Informationen (Transmittermoleküle) in Umschläge, sogenannte Vesikel, eingepackt werden.
Gesichtsausdrücke helfen beim Verstehen [15]
Liest man einen Schauerroman und macht dabei ein erschrockenes Gesicht, versteht man den Inhalt schneller. Zu den Emotionen passende Gesichtsausdrücke helfen bei der Kommunikation und bei der Informationsverarbeitung.
Seele raus, Meditationsunterricht rein? [16]
In diesem Interview fordert der Philosoph Thomas Metzinger die betroffenen Geisteswissenschaftler auf, nicht mehr zu schmollen und die Erkenntnisse der Neurowissenschaften zu akzeptieren. Zu diesen gehört, dass es keine übernatürliche Seele gibt und das Ich eine Konstruktion des Gehirns ist. Er schlägt außerdem neue Schulfächer vor wie „Meditationsunterricht“ und „Medienhygiene“. Über den religiösen Glauben sagt er:
„Glauben ist nicht das Gegenteil von Wissenschaft, sondern das Gegenteil von Spiritualität und intellektueller Redlichkeit. Viele Leute meinen, wir verlieren unsere Würde durch die Hirnforschung. Ich glaube, seine Würde verliert man eher, wenn man sich etwas in die Tasche lügt oder sich vorsätzlich eine Wahnvorstellung aufbaut, etwas, das man glauben möchte, damit man vorübergehend schöne Gefühle hat.“
Keine Haftstrafe wegen Religion [17]
In Punkto Religionsforschung war diese Woche nicht viel los, darum gibt es ersatzweise eine Runde Religionskritik:
Die Frau von Ex-Premierminister Tony Blair, Cherie Blair, arbeitet momentan als Richterin. Sie hat einem streng religiösen Muslim namens Shamso Miah laut dem Telegraph eine Haftstrafe erspart, weil er ein „religiöser Mensch“ sei. Miah hat einem Mann den Kiefer gebrochen, nachdem er sich mit ihm in einer Warteschlange der Llyods Bank gestritten hatte. Dem Telegraph zufolge sagte Blair zu Miah im Inner London Crown Court:
„Ich werde dieses Urteil für zwei Jahre aufheben, weil Sie eine religiöse Person sind und vorher nicht in Schwierigkeiten waren.“
Über den tätlichen Angriff sagte sie: „Sie sind ein religiöser Mensch und Sie wissen, dass dies kein akzeptables Verhalten ist.“
Der Telegraph und die Times veröffentlichten Beiträge [18], welche diese Entscheidung von Cherie Blair verteidigen. In dem Times-Beitrag wird auf die Moral von Gläubigen hingewiesen, die sie offenbar schon laut Definition haben sollen. Dann weisen wir einfach mal auf das 16-jährige Mädchen hin, das vor rund einem Monat in der Türkei lebendig begraben wurde [19], weil es mit Jungs gesprochen hatte. Gläubige sind so moralisch, da bleibt einem glatt die Luft weg.
Der Philosoph Daniel Dennett plädierte in einem Vortrag [20] bei der Atheist Alliance International 2009 dafür, dem Status Quo entgegenzutreten, laut dem man Religion nicht kritisieren dürfe wie andere gesellschaftliche Bereiche, etwa Politik oder Kunst. Er erklärte auch, wie Theologen ihrem Glauben eine geheimnisvolle Aura verleihen. Nun sieht man, wohin das führen kann, wenn sogar Richter und einflussreiche Journalisten in der westlichen Welt meinen, Religion wäre Grund genug, einen Kriminellen nicht zu verurteilen.
1000 Rabbis gegen Homosexuelle [21]
Rabbi Yehuda Levin, Sprecher der Rabbinical Alliance of America, hat Homosexuelle im US-Militär und Homosexualität allgemein als „spirituelle Ursache von Erdbeben“ identifiziert. Da der Großteil der Juden säkular ist, gelangen jüdische Fundamentalisten in der öffentlichen Wahrnehmung etwas in den Hintergrund (und auch zurecht, schließlich ist das Problem bei Muslimen und Christen viel ausgeprägter), aber die gibt es auch und immerhin 1000 davon befinden sich noch unter dem Niveau des evangelikalen Fernsehpredigers Pat Robertson, der einen angeblichen Teufelspakt für das Erdbeben in Haiti verantwortlich machte, siehe Richard Dawkins Beitrag zum Thema [22].
Erdbeben werden durch das Aneinanderreiben von Kontinentalplatten erzeugt. Schwule haben nichts damit zu tun. Allenfalls Elton John geht auf ihr Konto.
AM
Links:
[1] http://www.darwin-jahr.de/sites/darwin-jahr.de/files/story/node-388-657.jpg
[2] http://www.thueringen.de/de/tsk/aktuell/veranstaltungen/44872/index.html
[3] http://giordano-bruno-stiftung.de/koehler09.pdf
[4] http://www.focus.de/gesundheit/news/anatomie-die-natur-der-zwei-brueste_aid_477337.html
[5] http://cordis.europa.eu/fetch?CALLER=DE_NEWS_FP7&ACTION=D&DOC=1&CAT=NEWS&QUERY=01269ab67f03:1ccc:0a8b2139&RCN=31722
[6] http://hpd.de/node/8761
[7] http://whyevolutionistrue.wordpress.com/2010/01/31/darwin-in-baltimore/
[8] http://www.gamepro.de/specials/action-adventure/special_die_evolution_des_hack_slay/1964408/special_die_evolution_des_hack_slay.html
[9] http://www.theonion.com/content/news_briefs/worlds_physicists_complete
[10] http://www.mindhacks.com/blog/2007/08/why_there_is_no_such.html
[11] http://www.wissenschaft.de/wissenschaft/news/309631.html
[12] http://www.wissenschaft.de/wissenschaft/news/309304.html
[13] http://www.wissenschaft.de/wissenschaft/news/309530.html
[14] http://www.wissenschaft.de/wissenschaft/news/309742.html
[15] http://www.scienceticker.info/2010/02/01/gesichtsmuskeln-helfen-verstehen/
[16] http://www.aerztezeitung.de/politik_gesellschaft/article/581875/wuerde-verliert-etwas-tasche-luegt.html
[17] http://www.telegraph.co.uk/news/newstopics/religion/7154277/Cherie-Blair-spared-violent-criminal-from-prison-because-he-was-religious.html
[18] http://richarddawkins.net/articles/5045
[19] http://www.telegraph.co.uk/news/worldnews/europe/turkey/7161701/Teenage-girl-buried-alive-in-Turkey-for-talking-to-boys.html
[20] http://www.youtube.com/watch?v=D_9w8JougLQ
[21] http://unreasonablefaith.com/2010/02/04/1000-rabbis-warn-homosexuality-in-the-military-may-cause-further-natural-disasters/
[22] http://www.darwin-jahr.de/../../../../../../../../evo-magazin/haiti-und-heuchelei-christlichen-theologie