Presseschau | 30.01.2010
Was hat die Wissenschaft zu James Camerons Sci-Fi-Streifen „Avatar“ zu sagen? Spoiler: Sie ist „not amused“. Außerdem geht es um das Gute und das Böse im Menschen, um Dinosaurier und um die Frage, ob Sie Hitlers Anzug tragen würden, wenn ich Ihnen 1000 Euro dafür gebe? Am Ende tauschen wir Lebensjahre gegen kurzes Glück ein und sprechen über unsere Gefühle. Willkommen bei der Presseschau: Interessant, provozierend und stets gut gelaunt.
Bienen erkennen menschliche Gesichter [2]
Wenn man Bienen mit Süßigkeiten dafür belohnt, lassen sie sich darauf trainieren, menschliche Gesichter von anderen Objekten und voneinander zu unterscheiden. Das ist auch insofern bemerkenswert, als wir mehrere Gehirnbereiche dafür benötigen, was Bienen mit einem stecknadelgroßen Gehirn zustande bringen.
Die Art und Weise, wie wir mit mit Tönen unsere Gefühle ausdrücken, wird von Menschen kulturübergreifend verstanden. Dies kommt zur universellen Mimik und Gestik noch hinzu.
Avatar aus Sicht der Wissenschaft [4]
James Camerons Sci-Fi-Streifen „Avatar“ wurde von dem Genetiker Thomas Heams auf seine evolutionsbiologische Korrektheit [5] überprüft. Vor allem die Tatsache, dass die Evolution ungerichtet verläuft, ist bei Cameron und der breiten Öffentlichkeit noch nicht angekommen. Aber es gibt mehr daran auszusetzen, zum Beispiel eine größere Anzahl von krassen Logikfehlern [4]. Für mich am Gravierensten ist jedoch die pantheistisch-romantische Naturverklärung, laut der alle Lebewesen beseelt wären und zusammen einen intelligenten, höchst empfindsamen Superorganismus ergeben würden (wie im Gaia-Mythos von der beseelten Erde). An einer Stelle wird im Film erwähnt, dass dies auch für die Erde gegolten habe, bis die bösen Menschen ihren tollen Lebensbaum kaputt gemacht hätten.
Auch die Tatsache, dass die Wissenschaftler in dem Film völlig unfähig sind und erst ein Soldat in der Lage ist, mit den Na'vi zu kommunizieren, gehört neben der Propagierung vormoderner Lebensweisen und Fortschrittsfeindlichkeit zu den Hauptkritikpunkten, die keine Begeisterung für Avatar bei mir haben aufkommen lassen. Dann lieber die allzu deutlichen Vorlagen „Pocahontas“, „FernGully“ und „Der mit dem Wolf tanzt“. Man fragt sich zudem, was an der Botschaft vom Umwelt- und Eingeborenenschutz zu unserer Zeit so weltbewegend sein sollte, angesichts dessen, dass wir Umwelt und Eingeborene noch nie so sehr geschützt haben wie heute. Vor 150 Jahren wäre das eine spannende Botschaft gewesen.
Ähnlich wie damals beim Erscheinen von Goethes „Die Leiden des jungen Werther“ gibt es wieder ein paar Pupertierende, die sich am liebsten umbringen [6] würden, um in einer Welt wie die von Pandora zu leben zu können. Ich würde mich lieber umbringen, als mich in dieses Schlumpfhausen verfrachten zu lassen.
Der Psychologe Peter Stromberg hat einen Blick auf die Zuschauer von Avatar [7] geworfen. In der Vorstellung, die er besuchte, waren sie äußerst fettleibig. Er wies auf die Ironie hin, dass dicke Leute sich einen Film mit perfekt durchtrainierten Waldmenschen ansehen, während sie Popcorn in sich hinein essen. Filme sind quasi Träume im geschützten Raum. Sie ermöglichen das Ausleben von Fantasien ohne die damit verbundenen Gefahren und den Aufwand. Andererseits: Wenn man dafür auf den Bäumen leben muss, um so gut auszusehen, begnüge ich mich auch lieber mit Popcorn und einem bequemen Kinosessel.
Natürlich kann man den Film auch einfach als Effektschau und bloße Unterhaltung ansehen, ohne groß über Botschaft und Inhalt zu reflektieren. Daran gibt es sicher nichts auszusetzen.
Empfehlenswertes Lese-Lehrbuch über Evolution [8]
„Evolution: Ein Lese-Lehrbuch“ findet bei vielen Rezensenten großen Anklang. Offenbar ist es flott und leicht verständlich geschrieben, ohne an wissenschaftlicher Präzision zu sparen. Zudem gibt es viele schöne Bilder.
Vögel und Dinos entwickelten sich parallel [9]
Inzwischen ist klar, dass sich Vögel aus den Therapoden (zweibeinige Fleischfresser wie T-Rex und Velociraptor) entwickelt haben. Die beiden Entwicklungslinien existierten daraufhin über Millionen von Jahren parallel. Die Vögel haben sich also nicht erst nach dem Massenaussterben vor 65 Millionen Jahren entwickelt.
Dino hatte rot-braune Federn [10]
Der „Sinosauropteryx“, der dem bekannteren Velociraptor ähnelt, hatte rot-braune Federn, die ähnlich der Punk-Frisur „Mohawk“ aufrecht in einer Linie standen. Außerdem hatte er einen gestreiften Schwanz. In letzter Zeit mehren sich die Belege, dass Dinosaurier nicht die einfarbigen, reptilienhaften Echsen waren, wie man sie aus den meisten Filmen zum Thema kennt, sondern bunte Echsen mit Federn. Siehe auch: Jurassic Park wird bunt [11].
Schwäne lassen sich scheiden [12]
Schwäne leben eigentlich strikt monogam, bis einer der Partner stirbt. Nun wurde jedoch ein Paar beobachtet, das sich scheiden ließ. Beide Schwäne sind mit je einem neuen Partner vom Sommerurlaub in den Wildpark zurückgekehrt. Möglicherweise hat es mit der Fortpflanzung nicht geklappt.
Jäger und Sammler naschen lieber [13]
Anthropologen sind bislang davon ausgegangen, dass Jäger und Sammler am liebsten Fleisch essen, weil dieses einen hohen Nährwert hat und selten zu ergattern ist. Die Hadza in Tansania, die seit drei Millionen Jahren dort als Jäger und Sammler leben, bevorzugen allerdings Honig. Bei den Männern hat es Fleisch auf den zweiten Platz geschafft, bei Frauen erst auf den vierten Platz. Möglicherweise sind die Frauen auch darum Sammler, weil ihnen Beeren schlichtweg besser schmecken als das zu jagende Fleisch.
Blutzucker beeinflusst Entscheidungen [14]
Ein hoher Blutzucker begünstigt unsere Fähigkeiten zur Geduld und Vorausplanung: Testpersonen mit einem relativ hohen Blutzuckerspiegel entschieden sich für den längerfristigen, größeren Gewinn, während solche mit geringerem Blutzucker den schnellen Gewinn wählten. Dies hängt wahrscheinlich mit unserem Energiehaushalt zusammen. Bei niedriger Energie sind wir auf schnellen Ausgleich aus.
Würden Sie Hitlers Anzug anziehen? [15]
Ich habe meine Blogleser mal wieder als Versuchskaninchen für ein psychologisches Experiment missbraucht. Diesmal sollten sie die Frage beantworten, ob sie einen sauberen und gepflegten Anzug von Adolf Hitler – für andere nicht als solcher zu erkennen – bei einem Gespräch mit der Bundeskanzlerin tragen würden.
Es handelt sich um einen Test, mit dem magisches Denken festgestellt wird. Gibt es eine böse Substanz oder Eigenschaft, die von Adolf Hitler auf seinen Anzug übertragen wird? Wenn nicht, gibt es keinen rationalen Grund, den Anzug prinzipiell nicht zu tragen. Es handelt sich lediglich um Stoff. Ob er sich einmal an dem Körper eines Tyrannen befunden hat oder nicht, ändert gar nichts an der Beschaffenheit des Stoffes. Aber sehen wir uns die Problematik näher an:
Die Idee für das Experiment stammt ursprünglich von Paul Rozin von der Universität von Pennsylvania. Er fand heraus, dass es mindestens vier Gründe gibt, warum wir keine „bösen“ Gegenstände berühren möchten:
Wir möchten nicht bei einer Tätigkeit ertappt werden, welche die Mehrheit vermeiden würde.
Jeder Gegenstand, der mit einem Mörder assoziiert wird, ist negativ, also werden Assoziationen mit dem Tötungsakt erzeugt, wenn wir es tragen.
Wir glauben, dass die Kleidung physisch kontaminiert ist.
Wir glauben, dass die Kleidung spirituell (durch Geisterhaftes) kontaminiert ist.
Im Falle von Hitlers Anzug gibt es ein paar Probleme für alle, die meinen, ihn aus guten Gründen nicht tragen zu wollen: Man kann ihn äußerlich nicht Hitler zuordnen und es gibt keine direkte Verbindung zwischen dem Anzug und Hitlers Verbrechen. Der Anzug war schließlich keine Tatwaffe. Eine physische oder spirituelle Kontamination ist aus wissenschaftlicher Sicht Humbug, also entfallen die Punkte 2-4. Da obendrein in der Fragestellung festgelegt ist, dass man bei dieser Tätigkeit nicht ertappt werden kann, entfällt auch Punkt 1. Ergo gibt es keinen rationalen Grund, das Tragen von Hitlers Anzug zu einem Treffen mit der Kanzlerin abzulehnen (einige Kommentatoren bemerkten, dass sie es darum nicht tun würden, weil sie Angela Merkel nicht treffen möchten). Stellt sich nur noch die Frage, welchen positiven Grund man haben sollte, diesen Anzug auch wirklich zu tragen. Ich habe also meinen Lesern 1000 Euro angeboten, wenn sie Hitlers Anzug tragen, aber viele meinten, dies wäre recht wenig.
Obwohl die Leser meines Skeptiker-Blogs diese Frage sehr viel häufiger rational beantworteten als der Bevölkerungsdurchschnitt, so ruht doch die Neigung zum Aberglauben auch in Skeptikern. Allerdings schreibt der Psychologe Bruce Hood in seinem Buch „SuperSense“, dass Aberglauben auch Vorteile haben könne, zum Beispiel hat Geld eigentlich nicht den Wert, dem wir ihm beimessen. Trotzdem wäre es katastrophal, wenn wir plötzlich nicht mehr an den Wert von Geld glauben würden.
Tausche Lebensjahre gegen kurzes Glück [16]
Die Hälfte aller Top-Athleten würde eine Droge nehmen, die ihnen eine Goldmedaille garantiert, auch wenn sie sie in fünf Jahren töten würde. Auch „normale“ Menschen gehen unverhältnismäßig hohe Risiken ein, vom Rauchen über Alkohol bis hin zu Motorradfahren und Ski ist die Gefahrenquote sehr hoch. Das Problem besteht darin, dass wir sicheres Glück gegen potenzielle Gefahr abwägen und davon ausgehen, dass wir von der mit hoher Sicherheit drohenden Gefahr verschont bleiben werden.
Sind echte Altruisten umgekehrte Psychopathen? [17]
Echte Altruisten sind Menschen, die sich zu ihrem eigenen Schaden für andere einsetzen. Im Extremfall opfern sie ihr Leben für Fremde auf, wie es Passagiere der Titanic und Feuerwehrmänner bei dem Anschlägen vom 11.9. getan haben. Im Gegensatz zu den Familien von islamistischen Märtyrern bekamen ihre Familien dafür keine Entschädigungen und wenn doch, konnten die Altruisten nicht mit diesen rechnen. Echte Altruisten nennen wir gemeinhin „Helden“.
Die Psychologin Andreas Kuszewski weist darauf hin, dass echte Altruisten gewisse Charaktereigenschaften mit Psychopathen teilen: Sie neigen dazu, die Regeln zu brechen, zu Impulsivität und sie verspüren ein Verlangen nach Neuem. Entscheidend sind aber die Unterschiede: Psychopathen verspüren kein Mitgefühl und brechen Regeln, um sich an anderen Menschen zu bereichern. Im Extremfall begehen sie zu ihrem eigenen Schaden Verbrechen – Saddam Hussein ist dafür ein gutes Beispiel. Altruisten dagegen brechen Regeln, wenn es nötig ist, um anderen Menschen zu helfen. Zum Beispiel verweigerten einige Feuerwehrmänner den Befehl, das brennende WTC zu verlassen und suchten weiter nach Überlebenden, wofür sie mit ihrem Tod bezahlen mussten. Sie helfen also zu ihrem eigenen Schaden anderen Menschen.
In der Soziobiologie ist es ein wenig umstritten, ob es tatsächlich echte Psychopathen (die zu ihrem eigenen Schaden Verbrechen begehen) und echte Altruisten (die zu ihrem eigenen Schaden fremden Menschen helfen) gibt. Richard Dawkins bezweifelt das nicht und erklärt den Altruismus mit einer „Fehlzündung“ egoistischer Gene: Als wir noch in Kleingruppen lebten, hätten wir mit altruistischen Taten unseren genetischen Verwandten geholfen. Seit kurzem leben wir in großen Metropolen, wo wir Fremden helfen, weil unsere Biologie (noch?) nicht auf dieses Leben eingestellt ist.
Der Psychologe Rolf Degen hat mir zum Thema folgendes geschrieben: „Selbst wenn wir nur "gut" handeln würden, weil uns das "gut" fühlen lässt, wäre das schon echter Altruismus: Es würde nämlich bedeuten, dass die Evolution unser Nervensystem so eingerichtet hat, dass wir Glückszustände empfinden, wenn wir ANDEREN etwas Gutes tun, ohne einen persönlichen materiellen Nutzen daraus zu schöpfen - etwas, was es nach der Theorie [laut der wir alles aus egoistischen Motivationen tun] gar nicht geben dürfte.“
In gewisser Hinsicht sind Altruisten wohl das Spiegelbild von Psychopathen. Wenn jemand nach realweltlichen Entsprechungen der metaphysischen Konzepte von Gut und Böse sucht, wird er sie hier am ehesten finden.
Stephen Hawking, Carl Sagan und Arthur Clarke über Religion [18]
Drei Giganten des Skeptizismus debattieren über Gott. Hawking und Sagan einigen sich auf „Einsteins Gott”, der identisch ist mit den Naturgesetzen. Arhur Clarke meint, wir brauchen „Gott” eigentlich gar nicht.
Warum existiert die Religion noch? [19]
Wer hätte das gedacht? Den trendigen Disziplinen der Evolutionären Psychologie und Hirnforschung zum Trotz ist es die gute, alte Soziologie, welche uns die wichtigsten Einblicke in das Phänomen der Religion verliehen hat. Ein hoher Level an Religiosität in einer Gesellschaft hängt nämlich eng zusammen mit hoher Einkommensungerechtigkeit und sozialem Stress. In diesem Artikel geht Tom Rees, einer der Wissenschaftler, welche die Zusammenhänge in umfangreichen Studien erkannt haben, auf die neuen Erkenntnisse ein. Mehr zum Thema gibt es in der bild der wissenschaft [20] vom Januar und in meiner Artikelreihe zur Religionsforschung [21]. Eine brandneue, bislang nur als Arbeitspapier verfügbare Studie (siehe meinen Beitrag dazu [22]) zeigt nun endlich einen kausalen Zusammenhang auf. Offenbar ist die Religion kausal verantwortlich für höheres Misstrauen zwischen den Menschen.
AM
Links:
[1] http://www.darwin-jahr.de/sites/darwin-jahr.de/files/story/node-385-651.jpg
[2] http://hpd.de/node/8699
[3] http://www.focus.de/gesundheit/ratgeber/psychologie/news/psychologie-weltsprache-der-gefuehle_aid_474177.html
[4] http://www.fuenf-filmfreunde.de/2009/12/30/18-dinge-die-ich-durch-avatar-gelernt-habe/
[5] http://www.scienceblogs.de/primaklima/2009/12/ist-james-cameron-eigentlich-darwinist.php
[6] http://www.moviepilot.de/news/avatar-treibt-zuschauer-in-den-selbstmord-105052
[7] http://www.psychologytoday.com/blog/sex-drugs-and-boredom/201001/the-avatar-audience
[8] http://hpd.de/node/8684
[9] http://www.wissenschaft.de/wissenschaft/news/309588.html
[10] http://news.bbc.co.uk/2/hi/science/nature/8481448.stm
[11] http://www.welt.de/die-welt/wissen/article6023519/Der-Jurassic-Park-wird-bunt.html
[12] http://news.bbc.co.uk/2/hi/uk_news/england/gloucestershire/8477351.stm
[13] http://www.epjournal.net/Press_releases/index.html?module=Articles;action=Article.publicShow;ID=257;.html
[14] http://www.netdoktor.de/News/Psychologie-Blutzucker-beei-1132176.html
[15] http://feuerbringer.com/2010/01/28/wurdet-ihr-hitlers-anzug-anziehen/
[16] http://www.psychologytoday.com/blog/sacramento-street-psychiatry/201001/would-you-trade-years-life-happiness
[17] http://www.psychologytoday.com/blog/little-altruism/201001/altruism-heroics-and-extreme-altrusim
[18] http://www.youtube.com/watch?v=dS1mdbDmE8g
[19] http://newhumanist.org.uk/2220/who-needs-god
[20] http://www.darwin-jahr.de/../../../../../../../../evo-magazin/warum-menschen-glauben
[21] http://hpd.de/node/7435
[22] http://feuerbringer.com/2010/01/11/religion-macht-gesellschaft-kaputt/