
Philosophie | 24.12.2009
Zu Weihnachten gibt es von uns ein "Spaß-Thema", das wir uns trotzdem ernsthaft ansehen möchten. Die Aussage des Filmklassikers Jurassic Park lautet, dass wir nicht in die natürliche Ordnung eingreifen sollten, weil uns "die Natur" sonst dafür bestrafen würde. Erschaffen wir Dinosaurier, steht uns eine Katastrophe bevor, warnt Steven Spielberg. Doch ist das wirklich so?
Jurassic Park ist, wie Spielbergs E.T., im Grunde ein "Morality Tale", also eine Geschichte, die uns von einer religiös-moralischen Aussage überzeugen möchte. In beiden Filmen kommt die Wissenschaft sehr schlecht weg. In Jurassic Park führt sie zur Erschaffung von Urzeit-Monstern und in E.T. wollen böse Wissenschaftler den kleinen Außerirdischen mit dem leuchtenden Finger untersuchen, anstatt ihn sofort bedingungslos lieb zu haben und zu knuddeln. Sehen wir uns die Argumente aus Jurassic Park gegen die Erschaffung von Dinosauriern einmal näher an:
1. "Das Leben findet immer einen Weg"
So der Chef-Moralist und Mathematiker Ian Malcolm. In gewisser Weise stimmt das auch. Selbst in der unmittelbaren Umgebung von Unterwasservulkanen oder in den kältesten Gebieten des Nordpols existiert Leben. Aber wenn man es so handhabt wie im Film und nur weibliche Dinos erschafft, kann man es vergessen, dass sie "einen Weg finden" würden, um sich doch fortzupflanzen. Im Film wird argumentiert, dass man "von einigen westafrikanischen Fröschen" weiß, dass sie sich asexuell reproduzieren. Für die genetische Erschaffung von Dinos wurde im Film Frosch-DNA gebraucht, um die genetischen Lücken des Codes zu schließen. Darum sollen die Film-Dinos in der Lage sein, sich ohne Partner fortzupflanzen. Allerdings dürfte es in einem solchen Fall gar keine männlichen und weiblichen Dinos geben.
Ein Genetiker müsste bei Wirbeltieren lediglich ein einziges Gen, nämlich "Foxl2" ausschalten, um aus Weibchen Männchen zu machen – aber ohne Genetiker würde das ein paar tausend Jahre dauern. Und die haben unsere Dinos nicht, weil sie sich nicht fortpflanzen können.
2. Wir müssen die Natur respektieren
Malcolm beklagt einen "Mangel an Respekt" vor der Natur. Aber wir müssen die Natur nicht respektieren. Die Natur respektiert uns ebensowenig, siehe Krankheitserreger und Naturkatastrophen. Überhaupt ist dies eine äußerst vage Aussage. Sind Landwirtschaft und moderne Medizin nicht bereits Zeichen eines mangelnden "Respekts" gegenüber der Natur? Außerdem sind wir selbst ein Teil der Natur und alles was wir tun, spielt sich notwendig innerhalb der gültigen Naturgesetze ab. Es gibt keinen grundlegenden Unterschied zwischen unserem Bau eines Damms und dem Dammbau eines Biebers.

3. Kondore sind ok, Dinos nicht
Kondore soll man erschaffen dürfen, weil sie (beinahe) durch kleine Naturkatastrophen und menschliche Eingriffe ausgerottet wurden, aber Dinos nicht, weil sie durch eine große Naturkatastrophe ausgerottet wurden. Der Film schließt mit einem romantischen Bild von fliegenden Kondoren. Der Filmcharakter Ian Malcolm sagt über die Dinosaurier: "Die Natur selektiere sie zum Aussterben". Das ist ein ganz altes Missverständnis der Evolution, mit dem sich schon Darwin herumschlagen musste. Die Natur ist keine Person, es steckt kein Plan hinter dem Massenaussterben der Dinos. Das war eine zufällige Verkettung von Umständen. Es ist einfach passiert und hätte ebenso nicht geschehen können. Die Natur wäre keineswegs beleidigt, wenn die Dinos doch nicht augestorben wären. Es wäre ihr egal, wie alles andere auch. Es gibt keinen grundlegenden Unterschied zwischen dem (potenziellen) Aussterben von Kondoren und dem Aussterben von Dinosauriern.
4. Eine Vergewaltigung der Natur
Die Erschaffung von Dinos soll "eine Vergewaltigung der Natur" sein, sagt Chaostheoretiker Ian Malcolm. Man fragt sich spätestens an dieser Stelle, warum ausgerechnet ein Chaostheoretiker (Komplexitätsforscher) eine konservative Moralphilosophie vertreten sollte? Gerade er sollte wissen, dass die Natur kein Interesse an uns hat und an dem, was wir tun. Auch in der aktuellen Klimadiskussion werden Argumente vorgebracht, laut denen wir uns irgendwie mit "der Natur" oder mit "dem Klima" angelegt haben sollen, die sich nun rächen würden [2]. Das ist falsch, vielmehr ist der menschengemachte Klimawandel lediglich ein weiteres Beispiel für die natürliche Kausalität. Wenn zu viel CO2 in die Atmosphäre gelangt, kommt es zu einer Klimaerwärmung. Wer zu viel Alkohol trinkt, muss sich irgendwann übergeben. Ursache und Folge.
5. Dinos brechen aus und fressen uns
Die Chaostheorie soll irgendwie beweisen, dass Dinosaurier aus unvorhersehbaren Gründen ausbrechen könnten, um die Besucher des Parks aufzufressen. Würde man den gesamten Park automatisieren und ihn in die Hand eines einzigen, geldgierigen Computerspezialisten geben, dann könnte das auch gut passieren. Doch hat der Glaube an die Automatisierung, die man auch in der aktuellen Sicherheitsdebatte antreffen kann (automatische Gesichtserfassung an Flughäfen, biometrische Ausweise), nichts mit Wissenschaft und kritischem Denken zu tun. Im Gegenteil ist das ein sehr primitiver Technologieglaube.
Es sind wissenschaftliche Untersuchungen, die zeigen, dass Systeme mit automatischer Gesichtserfassung eine hohe Fehlerquote aufweisen und dass biometrische Ausweise ebenso gefälscht werden können wie normale Ausweise. Die Herrschaft über eine ganze Insel in den Händen eines einzigen Hackers – das ist nur die Extremform einer irrationalen Technologiegläubigkeit. Viel mehr Sicherheitsvorkehrungen und viel mehr menschliches Personal wären nötig, um Jurassic Park zu kontrollieren. Aber dann gäbe es auch keine derartigen Probleme. Selbst wenn ein Dinosaurier ausbrechen könnte, wäre er sehr schnell betäubt und zurück im Käfig.
Die Chaostheorie besagt, jedenfalls in der populären Auslegung, dass kleine Ursachen große, unvorhersehbare Folgen haben können. Das heißt aber nicht, dass so etwas auch ständig überall eintreten müsste. Man kann durchaus die Wahrscheinlichkeit für Unfälle signifikant reduzieren. Sonst wären Autoscheinwerfer überflüssig.

Die echten Fragen, die man sich stellen sollte, wenn man Dinosaurier erschaffen möchte – angenommen, das wäre möglich – lauteten anders:
1. Welche Auswirkungen hätten Dinos auf unsere Ökosysteme?
Würden sie ein gigantisches Artensterben auslösen und die uns bekannten Arten ersetzen?
Insbesondere große Dinosaurierarten könnte man leicht einsperren und isolieren. Die kämen nicht in Kontakt mit unseren Ökosystemen, abgesehen von dem isolierten Ort natürlich, eine Insel vielleicht, wo man sie unterbringt. Nehmen wir an, kleine Arten, vielleicht auch Flugsaurier und schwimmfähige Dinos, könnten entkommen. Sicherlich würden sie ein paar einheimischen Arten Konkurrenz machen und sie im Extremfall zum Aussterben bringen. Das tun die heute lebenden Arten aber auch miteinander.
Trotzdem: Sicher ist sicher. Es wäre ratsam, die Interaktionen zwischen unseren Ökosystemen und Dinosauriern unter strengen Laborbedingungen zu testen, bevor man eine niedrigere Sicherheitsstufe, wie etwa in einem Freizeitpark, riskiert. Ein grundsätzliches Argument gegen die Erschaffung von Dinos ist das aber nicht.
Damit verwandt ist die Frage, inwiefern Dinosaurier selbst in den Ökosystemen einer modernen isolierten Insel zurechtkommen würden. Vielleicht würden sie leiden und sterben? Soweit wir wissen, wären Dinosaurier aber durchaus unter den heutigen Umweltbedingungen lebensfähig. Man sollte auf jeden Fall erst eine kleine Anzahl Dinos erschaffen und dies testen. Dabei müsste man ebenfalls genauer herausfinden, was sie alles zum Leben benötigen.
2. Leiden Dinos auf dem Weg zu ihrer Erschaffung?
Wahrscheinlich wäre nicht gleich der erste Versuch, Dinos zu erschaffen, von Erfolg gekrönt. Man müsste viele lebensunfähige Embryos und solche, die bald sterben, in Kauf nehmen. Da Embryos aber nicht leidensfähig sind, ist das ziemlich egal. Sollte man allerdings bereits vorhersehen, dass ein Tier im fötalen oder späteren Zustand leiden und sterben würde, sollte man den Embryo gleich zerstören, um unnötiges Leid zu verhindern.
3. Fallen Dinosaurier unter die Tiergesetzgebung?
In Teil 2 der Filmreihe, Vergessene Welt: Jurassic Park, bemerkt John Hammonds Enkelsohn, der aktuelle Chef des Gentechnikunternehmens InGen, dass Dinosaurier keine Rechte hätten, weil sie nur existieren, da InGen sie erschaffen hat. Aber es ist klar, dass die Tierschutzgesetze auch für Dinosaurier gelten sollten. Schwieriger ist da schon die Frage, wie glücklich das Leben wäre, das Dinosaurier in einem Zoo führen würden. Hier setzt die Kritik ein, die alle Zoos betrifft. Es wäre zu überprüfen, ob die Tiere in Gefangenschaft häufiger krank werden und früher sterben. Sollte das so sein, müsste man vielleicht, wie am Ende von Teil 2, ein natürliches, isoliertes Dinosaurierbiotop aufbauen, wo die Tiere von Menschen ungestört leben können. Natürlich stellt sich die Frage, warum man sie dafür überhaupt erschaffen sollte, wenn sogar Forscher keinen Zugriff auf die Tiere hätten.
Fazit
Es gibt gute Gründe gegen die Erschaffung von Dinosauriern, aber die in den Jurassic-Park-Filmen vorgebrachten Gründe sind überwiegend kaum nachvollziehbar. Ob die Gegenargumente hinreichend sind, stelle ich hier zur Diskussion. Wer seine Meinung zu der Frage äußern möchte, kann das auf meinem Blog tun [3].
Empfehlung zum Thema: Der Beitrag "Lessons in Freedom [4]" von Tibor M. Machan.
AM
Links:
[1] http://www.darwin-jahr.de/sites/darwin-jahr.de/files/story/node-365-615.jpg
[2] http://www.faz.net/s/RubC17179D529AB4E2BBEDB095D7C41F468/Doc%7EEC6FE1092F1EA439384FF886C65FD06D6%7EATpl%7EEcommon%7EScontent.html
[3] http://feuerbringer.com/2009/12/24/sollten-wir-dinosaurier-erschaffen/
[4] http://www.weblogbahamas.com/blog_bahamas/2009/09/humans-intruding-on-nature.html