
Presseschau | 04.12.2009
Eingriffe des Menschen beeinflussen die Evolution von Tierarten. Männer sind handlungsbereiter als Frauen und der Peking-Mensch ist immer noch nicht wieder aufgetaucht. Tiere stehen auf Musik und das einfachste Bakterium wurde endlich komplett erforscht. Cambridge feiert das Darwin-Jahr und die Royal Society feiert ihr 350-jähriges Bestehen. Derweil sehen wir uns den theistischen Evolutionismus mal näher an.
Die Vogelart namens „Meisenknödel“ hat sich aufgrund der Fütterung durch den Menschen innerhalb weniger Jahrzehnte veränderte. Die von Menschen gefütterten Meisenknödel haben kürzere Flügel und schmalere Schnäbel entwickelt als ihre Artgenossen, die ihr Futter selbst suchen müssen. Es wird vermutet, dass sie sich in den nächsten Jahren in zwei verschiedene Arten aufspalten. Evolution in diesem Eiltempo ist sehr ungewöhnlich und hätte ohne den Eingriff des Menschen wohl nicht so stattgefunden.
Artaufspaltung ohne räumliche Trennung [3]
Adaptive Radiation nennt sich ein Vorgang, bei dem sich Arten bei räumlicher Trennung aufspalten und neue Arten bilden. Das funktioniert aber auch ohne räumliche Trennung, wenn Weibchen diejenigen Männchen auswählen, die besonders an eine bestimmte Nahrungsquelle angepasst sind.
Sex! [4]
...im Titel erhöht die Auflage. Doch warum gibt es Sex anstelle von asexueller Fortpflanzung? Damit befasst sich der hier verlinkte Artikel.
Männer sind handlungsbereiter [5]
Nicht, wenn es darum geht, Schränke zusammenzubauen, aber bei einer drohenden Gefahr. Das weibliche Gehirn befasst sich bei der Konfrontation mit bedrohlichen Bildern mit der Verarbeitung von Emotionen, während bei Männern das vegetative Nervensystem aktiv wird, was nahelegt, dass Männer bei Gefahren eher handeln, während Frauen sich überlegen, wie sie emotional darauf reagieren sollen. Das kann auch Sinn ergeben, so dient die emotionale Verarbeitung vielleicht der Unterstützung von anderen Gruppenmitgliedern, während Männer panisch in der Gegend herumlaufen.
Spätestens seit wir darüber berichten. Doch schon vorher war die Evolution für manche eine echte Zumutung, worauf dieser Artikel zurückblickt.
Auch Tiere stehen auf Musik [7]
Tiere reagieren ebenfalls auf Musik, um nicht zu sagen: Sie mögen Musik. Papageien stehen auf Rockmusik (und tanzen sogar dazu), Katzen mögen Klassik und Kühe und Lisztaffen genießen langsame Musik. Diesmal hat sogar YouTube bei der Forschung geholfen, wo ein Biologe auf den tanzenden Kakadu „Snowball“ [8] aufmerksam geworden ist. Der Forscher sah sich den Vogel näher an und konnte in Experimenten bestätigen, dass er wirklich zu der Musik tanzt. 33 weitere echte Papageientänzer haben die Forscher auf YouTube entdeckt. Nur ein indischer Elefant war dort auszumachen, der als Nicht-Papagei ebenfalls tanzen konnte. Was das Rythmusgefühl angeht, scheinen Papageien so gut wie alleine zu stehen. Hunde und Katzen reagieren zwar auf Musik, zeigen aber kein Rythmusgefühl.
Viele Tierarten sind außerdem in der Lage, im Gegenzug für eine Belohnung Kunstwerke bestimmten Stilen zuzuordnen. Werden Kunsthistoriker bald arbeitslos?
Über den Zusammenhang zwischen Sprache und Musik erfährt man hier etwas [9].
Rätselhafter Peking-Mensch [10]
1929 wurde der Homo erectus pekinensis entdeckt, der vor 780 000 Jahren gelebt hat. Ist also gar nicht so lange her, schließlich entstand der Homo Sapiens vor rund 200 000 Jahren. Leider sind seine Knochen einfach verschwunden. Übriggeblieben sind lediglich ein paar Zähne.
Einfachstes Bakterium offenbart Grundlagen des Lebens [11]
Das Bakterium Mycoplasma pneumoniae wurde nun bis auf die letzten Details erforscht. Es hat sich als äußerst anpassungsfähig erwiesen und kann von der jeweiligen Situation abhängig exakt die nötigen Eiweiße herstellen. Insgesamt ist es viel komplexer, als die Forscher angenommen hatten. Leben kommt nicht mit weniger aus, als es dieses einfachste aller Bakterien aufbringen kann. Und das ist bereits überraschend viel.
Gentranser schützt vor Aids [12]
Erste Erfolge der „Evolutionären Medizin“!
Gegen den Status Quo [13]
Die Sechs-Tage-Theoretiker sind im Darwin-Jahr relativ still gewesen (nicht ihre beste Zeit, trotz des Auftritts im Stuttgarter Naturkundemuseum), dafür tauchen immer wieder theistische Evolutionisten auf und schieben die naturalistischen Evolutionsbefürworter in die Fanatiker-Ecke. Dabei fällt vor allem ihre propagandistische Ausdrucksweise ins Auge.
So spricht der katholische Pflanzenökologe Professor Dr. Ludger Grünhage von einem „dogmatischen Evolutionismus als materialistisch-naturalistische Weltanschauung“. Christliche Apologeten haben 2000 Jahre damit verbracht, dem „Materialismus“ (Annahme, dass nichts außer Materie existiert, existiert seit den griechischen Atomisten) einen schlechten Klang zu verleihen, nun wird er mit dem Naturalismus (Annahme, dass es außer der natürlichen Welt nichts gibt) vermengt, damit der auch schlecht klingt. Diese panischen Angriffe zeigen, wie zerbrechlich irrationale Weltbilder sind.
Bizarr auch der wiederkehrende Vorwurf, Naturalisten wären „dogmatisch“. Nicht nur, weil er falsch ist, sondern vor allem, weil er unfreiwillig impliziert, dass am religionseigenen Dogmatismus etwas verkehrt ist. Dabei beruht das ganze Weltbild der katholischen Kirche auf Dogmen, die vom Vatikan erlassen werden. Joseph Ratzinger war Professor für Dogmatik. Offenbar glauben Katholiken doch, dass Dogmen eine wunderbare Sache sind. Irgendwann sollte man bemerken, dass man nicht den Ast absägen sollten, auf dem man sitzt.
„Interessanterweise sind die Kreationisten dort mit den ‚Neuen Atheisten‘ vollkommen einig. Beide Seiten glauben, dass Evolutionstheorie und Schöpfungsglauben nicht zusammengehen, nur die einen opfern dann die Evolutionstheorie und die anderen den Schöpfungsglauben. In der Mitte stehen die vernünftigen Leute, die sich darüber im Klaren sind, dass menschliche Erkenntnis nie alles abdeckt, was ist.“ So Hansjörg Hemminger, Weltanschauungsbeauftragter der Evangelischen Kirche in Württemberg in einer SWR-Doku über Kreationisten [14].
Die eine Seite sagt, dass „2+2=4“ ist, während die andere Seite behauptet „2+2=5“. In der Mitte stehen die vernünftigen Leute. Für sie ist „2+2=4,5“.
Fundamentalisten verlassen sich auf den Glauben, die „Neuen Atheisten“ verlassen sich auf das Denken, und die „vernünftigen“ Leute denken hin und wieder mal und dann glauben sie wieder etwas ohne guten Grund. Wenigstens sind die Weltbilder von Fundamentalisten und „Neuen Atheisten“ halbwegs konsistent und nicht komplett willkürlich – nicht, dass sie sonst noch etwas gemeinsam hätten. Das Mainstream-Weltbild beruht dagegen offenbar auf kulturellen Strömen, die ohne rationalen Widerstand durch die Gehirne fließen.
Aber diese Polarisierung funktioniert schon wunderbar. Da gibt es zwei Gruppen, die den Status Quo angreifen, also müssen beide Gruppen verrückt sein. Die normalen Leute stehen da drüber, ist schließlich undenkbar, dass der Status Quo unsinnig ist. Oder? Kann Gott gleichzeitig existieren und nicht existieren? Existiert etwa nur ein göttlicher Fuß, oder ein göttlicher Hintern? Der Status Quo ist lediglich eine Reflektion der politischen Zeitgeistes, laut dem jedes Weltbild offiziell irgendwie wahr ist. Es ist nicht die Aufgabe von Wissenschaftlern, das einfach abzunicken und zu sagen: „Ja, es ist alles wahr, was du sagst. Egal, was es ist. Und jetzt lasst mich in Ruhe und gebt mir Forschungsgelder.“ Wissenschaft basiert auf der kritisch-rationalen Überprüfung von absolut allem, auch wenn das manchmal unbequem ist.
Es ergibt außerdem keinen Sinn nur zu fragen, ob die Evolutionstheorie mit dem Glauben vereinbar ist. Wo sind auf einmal Physik, Chemie und co. geblieben? Vielleicht bekommt man es irgendwie hin, nur einen dieser Bereiche mit Gott zu vereinbaren, wenn man dafür die anderen ignoriert. Zum Beispiel könnte man die natürliche Evolution akzeptieren, aber die natürliche Entstehung des Lebens („chemische Evolution“) ablehnen, weil sie einem anderen Forschungsgebiet angehört. Oder man könnte die Kosmologie ignorieren und Gott als den Urheber des Urknalls identifizieren. Oder man ignoriert sämtliche Naturgesetze, die mit der Keksproduktion zusammenhängen und behauptet, Gott wäre ein Keks. Geht alles, wenn man nur den Irrsinn mit der Muttermilch aufgesogen hat.
Und all dies nur, damit Gläubige ihre persönlichen Meinungen mit dem ultimativen Autoritätsargument (Gott) in ihrem Ärmel vertreten können (siehe dazu Spektrum der Wissenschaft [15]).
Zum Abschluss dieser kleinen Anti-Predigt gibt es noch ein schönes YouTube-Video [16], eine Antwort auf zentrale theologische Behauptungen (englisch). Weitere (englische) Empfehlungen: Ein Artikel über die populäre Religionsapologetin Karen Armstrong [17] und eine Kritik der „aufgeklärten“ Theologie von John Haught [18] durch den Biologen Jerry Coyne. Haught versucht sich ebenfalls daran, Gott mit der Evolutionstheorie zu vereinbaren.
Englische Presse
Cambridge feiert Darwin-Jahr [19]
Die britische Edel-Universität Cambridge hat einen eigenen YouTube-Kanal, außerdem findet man sie auch bei Twitter, Facebook und anderen „Web 2.0“-Medien. Die Zeiten von Schuluniformen, Zwangsgottesdiensten, Prügelstrafen und pikfeinen Benimmlehrern in schwarzen Anzügen mit Pfeife sind offenbar auch in englischen Privatuniversitäten an ihrem Ende angelangt. Immernoch „High Class“ ist jedoch das, was auch High Class sein sollte, nämlich das Bildungsangebot von Cambridge, wie man in den Videos zum Darwin-Jahr nachvollziehen kann. Richard Dawkins von der Oxford-Universität hat sich sogar zu den Niederungen des universitären Erzfeindes herabgelassen und bietet ebenfalls einen Cambridge-Vortrag an. Das jährliche „Boat Race“, das die beiden Unis gegeneinander ausfechten, findet trotz derartiger Kollaborationen weiterhin statt. Die Professoren haben die Veränderungen gut aufgenommen [20].
Und wieder darf eine dieser steinalten britischen Einrichtungen hier in diesem erhabenen Pressedienst Erwähnung finden. Die Royal Society feiert ihr 350-jähriges Bestehen. Zwecks der Feier ihres 350-jährigen mutigen Durchhaltens hat die Royal Society eine Website [22] aufgemacht, in der man die wichtigsten Entdeckungen britischer Wissenschaftler nachvollziehen kann. Charming.
AM
Links:
[1] http://www.darwin-jahr.de/sites/darwin-jahr.de/files/story/node-355-603.png
[2] http://www.wissenschaft.de/wissenschaft/news/308701
[3] http://www.heise.de/tp/r4/artikel/31/31598/1.html
[4] http://www.neues-deutschland.de/artikel/160107.warum-gibt-es-sexualitaet.html
[5] http://www.wissenschaft.de/wissenschaft/news/308600
[6] http://www.wienerzeitung.at/DesktopDefault.aspx?TabId=3946&alias=wzo&cob=454648
[7] http://www.faz.net/s/Rub80665A3C1FA14FB9967DBF46652868E9/Doc%7EE2CF86AEB5087492782838D816CEA66BA%7EATpl%7EEcommon%7EScontent.html
[8] http://www.youtube.com/watch?v=N7IZmRnAo6s
[9] http://www.scinexx.de/wissen-aktuell-10905-2009-12-04.html
[10] http://www.welt.de/die-welt/wissen/article5409754/Raetselhafter-Peking-Mensch.html
[11] http://www.biotechnologie.de/BIO/Navigation/DE/root,did=104550.html?listBlId=74462
[12] http://www.neues-deutschland.de/artikel/160241.gentransfer-schuetzt-vor-aids.html
[13] http://www.allgemeine-zeitung.de/region/oppenheim-nierstein-guntersblum/oppenheim/7983364.htm
[14] http://www.youtube.com/watch?v=ZtoyJb4DGu8
[15] http://www.wissenschaft-online.de/artikel/1015719
[16] http://www.youtube.com/watch?v=5wV_REEdvxo
[17] http://www.truthdig.com/arts_culture/item/troy_jollimore_on_karen_armstrongs_the_case_for_god_20091203/
[18] http://whyevolutionistrue.wordpress.com/2009/12/03/john-haughts-sophisticated-theology-why-evolution-is-really-part-of-gods-plan/
[19] http://www.youtube.com/cambridgeuniversity#p/a
[20] http://www.youtube.com/watch?v=KG_oErV2wXc
[21] http://royalsociety.org/Royal-Society-Past-Present-Future/
[22] http://trailblazing.royalsociety.org/