Rezension | 03.12.2009
In diesem Buch geht es, wie der Untertitel schon sagt, um „Darwins religiöse Gegner und ihre Argumentation.“ Überwiegend befassen sich die Autoren kritisch, sachlich und detailliert mit der Argumentation deutscher Kreationisten.
In der Tat steckt beachtlich viel Aufwand mit einem hohen Maß an Fairness in dieser sorgfältigen Demontage. Die Autoren nehmen die bizarren Thesen der Kreationisten ernst und zeigen, was von ihnen übrig bleibt, wenn man das tut: Gar nichts.
Obwohl das Buch von mehreren Autoren geschrieben wurde und man die Kapitel unabhängig voneinander lesen kann, ist es doch kein herkömmlicher Sammelband, sondern es existieren durchaus inhaltliche Verknüpfungen zwischen den Kapiteln, die zudem in ihrer Reihenfolge geordnet sind. Zwar veröffentlicht der Verlag Vandenhoeck & Ruprecht auch theologische Literatur und ein Beitrag im Buch stammt entsprechend von einer Theologin, aber trotzdem kann man „Evolution im Fadenkreuz des Kreationismus“ insgesamt nur als wissenschaftliches Sachbuch auf relativ hohem Niveau einordnen und keineswegs als theologisches Machwerk. Die Beiträge handeln fast ausschließlich von der wissenschaftlichen Widerlegung von Kreationismus und Intelligent Design.
Mit rund 400 Seiten samt Glossar, Quellenverzeichnis und allem, was dazu gehört, behandelt das Buch alle relevanten Aspekte der ideologischen Evolutionskritik: Ihr geschichtlicher Hintergrund, die Frage nach ihrer Wissenschaftlichkeit, die Rolle des Zufalls in der Evolution, die Zweifel an der Stammesgeschichte, die Kritik an der noch sehr jungen Evolutionären Entwicklungsbiologie (Evo-Devo), die Zweifel an der natürlichen Entstehung des Lebens (chemische Evolution), die Kritik an der Makroevolution, die Entstehung irreduzibler Komplexität und typische Fehlschlüsse von Kreationisten. Hauptautor und Herausgeber ist der Chemiker Martin Neukamm, der zwar kein Biologe ist, der sich aber seit vielen Jahren professionell mit der Evolutionskritik auseinandersetzt. Ich denke nicht, dass man behaupten kann, es käme bei der Lektüre irgendein Zweifel an seiner Qualifikation auf. Außerdem ist es wahrlich nicht so, als hätte die Evolutionstheorie nichts mit Chemie zu tun.
Gerade die Ausführungen zur Evolution im Bereich der Chemie, insbesondere im Bereich Evo-Devo und chemische Evolution, sind sehr anspruchsvoll. Überhaupt hat es das ganze Buch in sich, nur die Beiträge von Thomas Junker und der Theologin Christina aus der Au kann man auch Laien empfehlen, nicht dass sie außerdem noch etwas vereinen würde. Obwohl, eigentlich kann man den Beitrag von Christina von der Au niemandem ernsthaft empfehlen, allenfalls jenen, die sich für theologische Verrenkungen interessieren, um doch irgendwie das Christentum mit der Evolution zu vereinbaren, ein Unterfangen, das der Autorin nicht gelingt.
Abgesehen von den seltenen theologischen Einwürfen gibt es nichts an dem Buch auszusetzen, jedenfalls, insofern man mit dem hohen Niveau und der teils sehr detaillierten Demontage kreationistischer Behauptungen leben kann. Angesichts dessen ist es nicht ganz klar, an wen sich das Buch eigentlich richtet. Als Einführung ist es auf jeden Fall ungeeignet. Aufgrund seiner hohen Qualität sollte es aber jemand lesen und ich meine, es kommen insbesondere Biologielehrer, Biologiestudenten, Chemiker mit Interesse an der Evolution und diejenigen Nicht-Experten dafür in Frage, die sich privat schon eine ganze Weile lang mit der Evolution befasst haben. Sein Ziel erfüllt das Buch zweifellos: Die Demontage kreationistischer Evolutionskritik.
Theistische Evolution?
Jetzt, wo das gesagt ist, gehe ich kritisch auf die „aufgeklärten“ theologischen Einwürfe ein, denn gerade die werden gesellschaftlich respektiert, obwohl sie nicht viel vernünftiger sind als der Kurzzeit-Kreationismus. Zwar ist die Konfrontation mit wissenschaftlichen Erkenntnissen bei der sogenannten „theistischen Evolution“ naturgemäß erheblich geringer, ebenso fordern theistische Evolutionisten keine Schöpfung im Biologieunterricht, aber sieht man sich ihre Argumentation philosophisch oder wissenschaftheoretisch an, kommt einem das kalte Grausen.
Hansjörg Hemminger ist studierter Biologe und Beauftragter für Weltanschauungsfragen der Evangelischen Landeskirche in Württemberg. Überwiegend erspart er dem Leser theologische Ausführungen (in welchem Fall es nichts an seinen Texten auszusetzen gibt), aber manchmal tauchen sie doch auf, zum Beispiel auf Seite 24-25, wo es heißt: „Darin [im EKD-Text 94] wird nicht nur der Kreationismus kritisiert, sondern ebenso die angeblich wissenschaftliche Kritik am Glauben, der die Wissenschaft als einzigen Zugang zur Realität versteht.“ Leider wird dieser Seitenhieb auf den „Neuen Atheismus“ nicht weiter ausgeführt. Man erfährt nicht, warum die Kritik nur „angeblich“ wissenschaftlich sein soll. Ebenso erfährt man nicht, wer genau der Meinung ist, dass die Wissenschaft der einzige Zugang zur Realität wäre. Die Neuen Atheisten weisen stets darauf hin, dass für sie auch Philosophie, Kunst, persönliche Erlebnisse, etc. Zugänge zur Realität sind (was nicht heißt, dass sie im Widerspruch zu wissenschaftlichen Erkenntnissen stehen dürften). Das war also ein bloßer Strohmann.
Auf S. 29 erfährt man von Hemminger, dass die Brights ein amerikanischer Studentenbund wären, was nicht den Tatsachen entspricht (es handelt sich um eine internationale, vor allem online aktive naturalistische Bewegung von abnehmender Bedeutung). Auf S. 31 erfahren wir: „Der so genannte Darwinismus kommt in der Ideologiegeschichte der Neuzeit eher spät, nach den mechanistischen Menschenbildern der Aufklärungszeit, nach der französischen Revolution und sogar nach der Geschichtsideologie von Karl Marx.“ Weder der „Darwinismus“ noch die mechanistischen Menschenbilder der Aufklärungszeit (die nur von Minderheiten wie Julien Offray de la Mettrie oder Baron D'Holbach vertreten wurden) gehören zur „Ideologiegeschichte“. Vielmehr handelt es sich um eine wissenschaftliche Theorie und um eine für damalige Verhältnisse sehr fortschrittliche, keineswegs dogmatische Philosophie, die auf den wissenschaftlichen Erkenntnissen der Zeit beruhte.
Auf S. 159 hat sich in einem Text der christlichen Evolutionsbefürworter Hansjörg Hemminger und Andreas Beyer ein weiterer theologischer Einschub eingeschlichen. So erfährt man dort: „Aus der Sicht des jüdischen und christlichen Glaubens handelt es sich [beim Kreationismus] auch um schlechte Theologie, weil das Schöpfungshandeln Gottes zu einer weltimmanenten Ursache unter anderen gemacht wird, anstatt zum Ursprung und Urgrund alles Seienden und Werdenden.“ Das erscheint mir eine vollkommen willkürliche Behauptung zu sein. Wer entscheidet denn auf welcher Grundlage, was gute und was schlechte Theologie ist? Diese Frage war schon immer eine bloße Machtfrage, weil sich theologische Fragen argumentativ nicht entscheiden lassen. Der Gewinner eines 30-jährigen Krieges würde eine theologische Frage für sich entscheiden, so ist das historisch gelaufen.
Was Beyer und Hemminger hier beschreiben, ist außerdem der deistische Schöpfergott und nicht das, was man klassischerweise unter dem christlichen Schöpfergott verstanden hat. Von letztem hat man gemeinhin angenommen und nimmt es oftmals noch immer an, dass er die Arten alle einzeln erschaffen hat, den Menschen dabei „nach seinem Ebenbild“. Zwar ist die buchstabengetreue Wortgläubigkeit sämtlicher Inhalte der Bibel eine moderne Erscheinung, aber man hat zum Beispiel den Sündenfall rund 1500 Jahre lang durchaus für ein historisches Ereignis gehalten. Ohne diesen würde Jesu Erlösungstat und die Theologie um die Ursünde ja gar keinen Sinn ergeben.
Glaube es einfach
Kommen wir schließlich zu dem theologischen Beitrag von Christina Aus der Au. Sie stellt gleich zu Anfang (S. 341) fest: „Auch wenn Vertreter eines ‚aufgeklärten‘ Christentums nicht die Schöpfungsgeschichte als wissenschaftliche Alternative zur Evolutionstheorie ins Feld führen, heißt dies aber nicht, dass sie sich deswegen wissenschaftsgläubig von den Naturwissenschaften vorschreiben ließen, was sie zu wissen und zu glauben hätten.“ Auch die „aufgeklärten“ Christen lassen sich also nicht verführen vom Gott der Wissenschaft. Schließlich heißt es im ersten Gebot: „Du sollst neben mir keine anderen Götter haben“.
Die Autorin hat offensichtlich keinerlei Verständnis dafür, wie die wissenschaftliche Herangehensweise funktioniert, wenn sie ernsthaft meint, dass die Naturwissenschaften – oder auch die Geisteswissenschaften – von irgendwem einen Glauben einfordern würden oder dass wir die Leute zwingen würden, etwas zu wissen. Sie können auch unwissend bleiben, eine Gelegenheit, die viele Menschen ergreifen. Wissenschaftliches Arbeiten funktioniert auf der Basis von Logik und Empirie, nicht auf der Basis von, einfach so, ohne Grund, irgendetwas zu glauben, nur weil es Tradition ist, nur weil es eine Autorität sagt, nur weil es offenbart wurde. Wer außer uns sagt denn bitte: „Glaube nichts, prüfe alles“? Das Christentum wohl kaum.
Christina Aus der Au spricht von einem „Kategorienfehler“ und meint damit folgendes: „Naturwissenschaftliches Beobachten kann sich immer nur auf von außen beschreibbare Vorgänge beziehen. Ob dahinter ein planendes Subjekt steckt oder nicht, ist nicht beschreibbar und somit einem Beobachter nicht zugänglich“ (S. 345). Da stellt sich jetzt natürlich die Frage, warum dieses planende Subjekt der Theologie zugänglich sein sollte. Welche Methoden hat die Theologie, die wir nicht haben? Und woher weiß man eigentlich, dass dieses planende Subjekt überhaupt existiert, wenn es sich dem naturwissenschaftlichen Beobachten nicht erschließt? Könnte man nicht genausogut feststellen: „Ob dahinter ein zaubernder Kobold steckt oder nicht, ist nicht beschreibbar und somit einem Beobachter nicht zugänglich“ oder „Ob dahinter eine unsichtbare, plappernde Mülltonne steckt oder nicht, ist nicht beschreibbar und somit einem Beobachter nicht zugänglich“?
Davon abgesehen stimmt das alles sowieso nicht. Denn ein „planendes Subjekt“ ist ein rationaler Agent. Wir müssten also in der Lage sein, den rationalen Plan des planenden Subjekts in der Natur zu beobachten. Stattdessen entdecken wir aber, dass die Evolution gerade nicht zweckgerichtet, also geplant ist. Im Gegenteil ist die Natur sinnlos und hat kein erkennbares Interesse am Menschen oder an sonstigen Lebensformen (was nicht bedeutet, dass unser Leben sinnlos ist! Schließlich können wir uns den Lebenssinn selbst erschaffen, eine weithin unterschätzte Fähigkeit, welche den meisten anderen Tieren nicht gegeben ist!). Auf S. 345 spricht die Autorin den „methodischen Theismus“ an und meint damit „ein jüdisch-christliches Bekenntnis zu Gott dem Schöpfer“ und eine „entsprechende[...] Interpretation des Kosmos“. Die Methodik des methodischen Theismus besteht also darin, einfach so etwas zu glauben und den gesamten Kosmos vor dem Hintergrund dieses völlig willkürlichen Glaubens zu interpretieren. Warum sollte man das tun?
Über den christlichen Gott sagt Christina Aus der Au auf S. 346: „Mit seinem Namen entzieht er sich jeglichem Definitionsversuch; er ist nicht die Ursache, sondern der Urheber der Schöpfung.“ Natürlich ist es ungemein praktisch, wenn man etwas nicht definiert, weil es dann auch nicht widerlegt werden kann. Ich könnte zum Beispiel sagen: „Das Pumplerpum schmeckt süß und cremig.“ Fragt mich jemand, was das Pumplerpum eigentlich ist, weil er das auch einmal versuchen möchte, sage ich einfach: „Mit seinem Namen entzieht sich das Pumplerpum jedem Definitionsversuch.“ Und schon kann niemand widerlegen, dass das Pumplerpum wirklich süß und cremig schmeckt. Man muss es mir einfach glauben. Oder auch nicht. Ich kann ferner nicht erkennen, warum ein Urheber keine Ursache sein sollte. Natürlich sind Urheber (personelle) Ursachen. Wenn ich mit meiner Hand eine Kugel anstoße, ist der Stoß meiner Hand die Ursache der Bewegung der Kugel und ich bin der Urheber der Bewegung der Kugel. Ist Gott also der Urheber der Schöpfung, muss er zum Zeitpunkt der Schöpfung mit der natürlichen Welt interagiert haben. Was prinzipiell überprüfbar wäre, zum Beispiel wenn plötzlich aus dem Nichts eine Unmenge an Energie aufgetaucht wäre (was aber nicht so war).
Auf S. 347 stellt die Autorin fest: „Aber auch hier liegt der Clou darin, dass sich Gott in seiner Rede als der Souveräne, der Nicht-Objektivierbare offenbart, der als solcher gerade nicht ein Element naturwissenschaftlicher Erklärung sein kann.“ Dies bedeutet nichts anderes, als dass Gott einfach so behauptet, dass wir ihn nicht untersuchen könnten. Aber warum sollten wir ihm das glauben? Es interessiert uns doch nicht, ob Gott sich für den nicht-untersuchbaren Souverän hält, genausowenig wie es uns interessieren würde, wenn sich ein König für den nicht-untersuchbaren (und somit nicht-kritisierbaren!) Souverän halten würde. Wir untersuchen und hinterfragen ihn einfach trotzdem!
Und wieder müssen die Neuen Atheisten, namentlich werden Richard Dawkins und Daniel Dennett genannt, dran glauben, wenn die Autorin feststellt, wem die Evangelische Kirche entgegentritt, nämlich den „übereifrige[n] Exponenten“ der Evolutionstheorie, „die den Naturalismus unreflektiert zu einer Weltanschauung erhoben haben“ (S. 348). Selbstverständlich wird in keiner Weise belegt, inwiefern dieser Prozess „unreflektiert“ vonstatten gegangen sei. Der Beitrag endet mit einem Vergleich der biblischen Schöpfungsgeschichte und der Evolutionstheorie mit einer Orgel und einem Staubsauger. Ich empfinde das als derart unpoetisch, dass ich mich nicht näher damit befassen möchte.
Fazit
Wer in der Evolutionsbiologie schon etwas belesener ist und sich für Kreationismus und Intelligent Design interessiert, der sollte sich „Evolution im Fadenkreuz des Kreationismus“ auf jeden Fall zulegen.
AM
Links:
[1] http://www.darwin-jahr.de/sites/darwin-jahr.de/files/story/node-354-601.jpg