
Presseschau | 20.11.2009
Ist Artenvielfalt ein Fehler der Natur? Begründete der Herd die Liebe? Kann man doch Dinos erschaffen? Ist das Liebeshormon auch für Liebe da? Und: Sollten wir Menschenhirne essen? Schwierige Fragen, die wir nicht immer beantworten können. Dafür nörgeln wir an Theologen herum.
Wir sollten keine Menschenhirne essen [2]
Für den Fall, dass sie etwas dergleichen vorhatten: Lassen Sie es lieber sein. Der Stamm der Fore in Papua-Neuguinea praktizierte noch bis in die 1950er Jahre Kannibalismus. Sie aßen die Gehirne ihrer Verstorbenen aus Respekt auf (Wundern Sie sich nicht: Die Tibeter lassen ihre Toten aus Respekt von Geiern fressen [3]). Das Problem: Die Fore erkrankten an Kuru, einer unheilbaren Krankheit. Allerdings stellte man nun fest, dass die Fore sehr schnell eine Immunität gegen Kuru entwickelten, die sich evolutionär rapide durchsetzte. Sollten Sie also jemanden in Ihrer Nachkommenschaft wünschen, der gefahrlos Gehirne essen kann, so empfiehlt es sich, doch bald damit anzufangen. Aber vorher viele Kinder zeugen.
Ist Artenvielfalt ein Fehler der Natur? [4]
Nein. Aber das „warum“ ist interessant und in dem Video an Ende des Artikels über Darwin erklärt Prof. Reicholf, warum es nicht den einen Superpredator, etwa einen großen Löwen, in einer Region gibt, anstelle von mehreren verschiedenen Raubtieren. Sie können sich im Grunde gleich alle Videos von Prof. Reichholf reinziehen.
Begründete der Herd die Liebe? [5]
Nein, aber es ist eine schöne Überschrift. Gerechtfertigt wird sie von dem Autoren dieses Artikels mit einer komplizierten Kette an Ereignissen, in der irgendwann mal Herd und Liebe vorkommen. Einer neuen Theorie von Richard Wrangham zufolge wurde der Mensch erst durch die Erfindung des Kochens zum Menschen, weil wir uns die Zeit für die lange Verdauung von Rohkost ersparen konnten. Die Zeit nutzten wir laut Wrangham, um konservativ zu werden: Der Mann ging auf die Jagd und die Frau kochte zu Hause. Auch Fleisch soll sehr wichtig gewesen sein. Kochen und Fleisch führten angeblich zu einem Energieüberschuss, der unser Gehirn anwachsen ließ.
Der jagende Mann und die zu Hause gebliebene und dort kochende Frau sollen nun aufeinander angewiesen gewesen sein und so sei die Liebe entstanden. Vielleicht konnten die zwei Turteltäubchen aber gar nicht von dem gejagten Fleisch leben, weil wir von Naturvölkern wissen, dass sie viel zu selten große Beutetiere nach Hause bringen, und die von den Frauen eingesammelten Beeren dienten Kind und Frau zur Ernährung, während das Jagen vor allem den Männern als Hierarchiekampf diente. Vielleicht war auch alles ganz anders. Was wir gebrauchen könnten, wäre eine Wagenladung neuer Funde aus der Steinzeit, um solche Fragen ernsthaft beantworten zu können.
Institut für Theologische Zoologie [6]
Nein, das ist kein Witz. Nächsten Monat wird tatsächlich das erste „Institut für Theologische Zoologie“ eröffnet und zwar keineswegs im amerikanischen Bibelgürtel, sondern in Münster. In Deutschland. Und was tun die da drin? Versuchen sie herauszufinden, zu welcher Gattung Theologen gehören? Keineswegs. Es geht mal wieder um Faktenverdrehung: Die biblische Wertschätzung des Tieres sei erst in der Neuzeit verloren gegangen, erfährt man von Pfarrer Hagencord, der einen Vorgeschmack auf die Inhalte der dortigen Vorlesungen gibt. Ein „seelenloser Automat“ war das Tier für den bösen Descartes. Schon wieder sollen Renaissance und Aufklärung an allem schuld sein, tatsächlich war im christlichen Mittelalter gar nicht zu denken an eine „Wertschätzung des Tieres“, allenfalls, wenn es schon am Grill hängt.
Erst mit den utilitaristischen Philosophen der Aufklärung, zum Beispiel Jeremy Bentham, hat sich das allmählich geändert. Eine Tierrechtsbewegung existiert erst seit den 1970ern und wurde gegründet von dem australischen Philosophen Peter Singer, den Christen als den amoralischen, atheistischen Satan schlechtin darstellen. Vielleicht entdecken sie ja eines Tages, dass gar nicht Peter Singer, sondern sie selbst die Tierrechtsbewegung gegründet haben und dass sie schon in der Bibel prophezeit wurde. Die Studentin Marlene Frekers fragt in Bezug auf das neue Institut: "Wo wird denn schon von Wertschätzung für Tiere gesprochen?" Sie hat recht: Tierrechtler wurden gerade aus der Existenz herausdefiniert, also bleiben nur Christen und tausend andere Leute übrig, die über Wertschätzung von Tieren sprechen.
Der Lehramtsstudent Lukas Ricken sieht in diesen Seminaren "etwas Neues, das gab es in dieser Form noch nie", heißt es im Hamburger Abendblatt. Aber Lukas: Das ist die alte christliche Propaganda-Soße, laut der Christen alles, was gut ist, erfunden und getan haben, während Ungläubige an allen Übeln der Welt schuld sind. Die Soße wurde nur aufgewärmt und hat jetzt einen neuen Namen. „Raider“ hat man irgendwann in „Twix“ umgetauft und „Lügen für Gott“ heißt jetzt „Institut für Theologische Zoologie.“ Natürlich finanziert von der Solidargemeinschaft. Wenigstens mit Soße haben wir Solidarität, wenn schon nicht mit den Menschen in Darfur.
Am Ende heißt es: Als Konsequenz fordern Wissenschaftler im „Great Ape Project“, „dass wir Menschenaffen folgende Rechte zugestehen müssten: das Recht auf Leben, auf Schutz der individuellen Freiheit und auf Schutz vor Folter“. Und wer fordert das? Auch die Christen? Keineswegs. Peter Singer. Aber sehen wir mal, wie das nächstes Jahr aussieht.
Liebeshormon ist kein Liebeshormon [7]
Das als „Liebeshormon“ bekannte Oxytozin löst soziale Gefühle aus, darunter aber nicht nur Liebe, sondern auch Eifersucht und Häme.
Charles Darwin erkannte die Grausamkeit der Natur, aber für die menschliche Gesellschaft lehnte er sie ab. Die Verharmlosung der Sklaverei als „Symbiose“, die in seiner Zeit vorherrschte, trug er nicht mit.
Der böse Dawkins [9]
Pater „Theophil“ drischt auf die Neuen Atheisten ein. Wenn es die nicht gäbe, wüssten Pfarrer heute gar nicht mehr, wenn sie noch politisch korrekt verdammen könnten. Dabei unterstellt er den satanischen Neo-Atheisten, sie würden die Haltung vertreten: „Gott ist nicht beweisbar, also lassen wir’s“. Dabei ist die „Gott ist nicht beweisbar“-Angelegenheit ein Teil der christlichen Apologetik und „lassen wir's“ ein theologischer Ratschlag für alle Fragen der Wissenschaft. Ein Gott, der die Gebete seiner Anhänger erhört, wäre zumindest plausibel belegbar. Man müsste nur die Wirksamkeit der Gebete von z.B. Christen mit der Wirksamkeit muslimischer Gebete vergleichen. Das kann man mit allen religiösen Gruppierungen tun. Man würde feststellen, dass Gott überhaupt keine Gebete erhört, es also einen Gott nicht gibt, der Gebete erhört. Quod erat demonstrandum.
Gegen Speziesismus [10]
Achim Stößer vertritt eine drastische Position, was Tierrechte angeht. Aber seine Pressemitteilung liest sich recht gut.
Steckt Gott in den Genen? [11]
Mit dieser Frage befassen sich Wissenschaftler gerade. Im verlinkten Beitrag vom Deutschlandradio bekommt man einen guten Überblick über die verschiedenen Theorien zum Thema. Leider passt dem Moderator nicht, was er hört, also relativiert er immer wieder mal und überlässt einem Theologen das Schlusswort.
Männer sind Felsen [12]
Der Charakter von Männern ist vorhersehbarer und stabiler als der von Frauen, was jenen aber gut gefällt. So können sie länger in die Zukunft planen.
Englische Presse
Was für eine Überschrift. Aber genau um dieses Thema dreht sich eine Debatte in der aktuellen Ausgabe von Nature: Sollten Intelligenzunterschiede zwischen menschlichen Rassen wissenschaftlich untersucht werden? Die Autoren des „Pro“-Beitrags sind der Meinung, dass Intelligenz stark kulturell beeinflusst wird, aber sie warnen trotzdem davor, ihre Kontrahenten zu zensieren, die Intelligenz eher für genetisch bedingt halten.
Vögel können durch Mundwinkel kreischen [14]
Der Kronwaldsänger und der Hausfink können durch ihre Mundwinkel gezielt Raubtiere ankreischen, um sie zu verjagen.
Kann man doch Dinos erschaffen? [15]
Jack Horner ist Paläontologe und war Berater für alle „Jurassic Park“-Filme über geklonte Dinosaurier in einem modernen Freizeitpark. Ausgerechnet er hat nun ein Buch geschrieben, in dem er darlegt, wie man aus einem Huhn einen Dinosaurier machen könnte. Da Vögel von Dinosauriern abstammen und Hühner in einer embryonalen Phase einen langen Schwanz ausbilden, den sie später wieder verlieren, müsse man nur das Gen, das die Ausbildung verhindert, ausschalten. So ließen sich vielleicht Hühner mit scharfen Zähnen, einem langen Schwanz und krallenartigen Händen erzeugen.
Darwin in Russland [16]
Zum Anlass von Darwins Geburtstag hat das US-amerikanische Wissenschaftsmagazin Nature nicht nur seine aktuelle Ausgabe [17] dem Naturforscher gewidmet, sondern auch ihre Onlineausgabe „Global Darwin“ genannt. Unter diesem Banner geht es um die Frage, wie die Evolutionstheorie weltweit Verbreitung fand. Dazu gehört ein Artikel über Darwins Rezeption in Russland, der bei Uwe Hoßfeld und Kollegen von der Uni Jena aber nicht auf große Begeisterung gestoßen ist. Ihre Kritik und die Antwort des Autors kann man online im Nature Forum [18] nachlesen.
AM
Links:
[1] http://www.darwin-jahr.de/sites/darwin-jahr.de/files/story/node-352-599.jpg
[2] http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,662482,00.html
[3] http://feuerbringer.com/2009/09/15/tibetisches-begrabnisritual/
[4] http://www.welt.de/wissenschaft/evolution/article5241032/Darwins-Werk-gegen-die-goettliche-Schoepfungslehre.html
[5] http://www.fnp.de/fnp/themen/wissenschaft/rmn01.c.6858197.de.htm
[6] http://www.abendblatt.de/ratgeber/wissen/article1277060/Die-Evolution-im-Paradies.html
[7] http://www.fr-online.de/in_und_ausland/wissen_und_bildung/aktuell/2076303_Liebeshormon-verstaerkt-Neid-und-Haeme.html
[8] http://www.faz.net/s/Rub9D229D57C7F947129665399BB3D3BB9B/Doc%7EECDA255C867C7457194CC08333BFAC5DF%7EATpl%7EEcommon%7EScontent.html
[9] http://www.augsburger-allgemeine.de/Home/Lokales/Landsberg/Lokalnachrichten/Artikel,-Fragen-ueber-Fragen-zur-Evolution-_arid,1992810_regid,2_puid,2_pageid,4500.html
[10] http://www.pr-inside.com/de/evolutionstag-r1594837.htm
[11] http://www.dradio.de/dlf/sendungen/studiozeit-ks/1071282/vorschau/
[12] http://www.dnews.de/lifestyle/143053/frauen-mogen-durchschaubare-manner.html
[13] http://www.nature.com/nature/journal/v457/n7231/full/457788a.html
[14] http://www.telegraph.co.uk/science/science-news/6591256/Birds-can-talk-out-of-the-corner-of-their-mouths.html
[15] http://www.cbsnews.com/stories/2009/11/12/60minutes/main5629962.shtml?tag=contentMain;contentBody
[16] http://idw-online.de/de/news345044
[17] http://www.nature.com/nature/journal/v462/n7271/
[18] http://network.nature.com/groups/naturenewsandopinion/forum/topics/5954?page=1