Religionsunterricht | 20.10.2009
Die Berlin-Brandenburgische Fördergruppe der Giordano Bruno Stiftung hat an Berliner Schulleiter, Lehrer, Eltern und Schüler eine Rundmail geschickt, in der sie dazu aufruft, die Inhalte des Religionsunterrichts auf seine Vereinbarkeit mit dem Berliner Schulgesetz zu überprüfen, sowie ein wachsames Auge zu werfen auf mögliche kreationistische Indoktrination. Die Reaktionen sprechen für sich.
Was Religionslehrer und Kreationisten davon halten
Das Schreiben wolle den Eindruck erwecken, als ob Religionsunterricht schulgesetzwidrig erteilt und zu staatlich finanzierter Indoktrination genutzt werde. „Das ist diffamierend. Die Beschäftigung mit biblischen Aussagen zur Schöpfung und mit dem Schöpfungsglauben ist für den Religionsunterricht unaufgebbar. Das hat nichts mit einer Befürwortung des Kreationismus zu tun“, so Lüpke.
Der Vorsitzende des Notbund für den Evangelischen Religionsunterricht, Pfarrer i. R. Rolf Lüpke (Berlin), beschwert sich [2] hier gegenüber dem evangelikalen Nachrichtenmagazin idea [3] (zitiert von kath.net) über die Rundmail und bezeichnet sie als „diffamierend“. Da stellt sich zunächst einmal die Frage, was ein ehemaliger Pfarrer der EKD mit den Evangelikalen zu tun hat, von denen sehr viele Kreationisten sind? Und was ist der Notbund für den Evangelischen Religionsunterricht?
Das steht in einem internen Dokument [4], das der Verband der Berliner Religionslehrer und Religionslehrerinnen aus irgendwelchen Gründen einfach ins Netz gestellt hat. Dort erfahren wir, dass es sich um einen Verein handelt, der den Religionsunterricht in Berlin verteidigen will, das Ziel sei die „Erhaltung des evangelischen Religionsunterrichts“. Wie aus dem Dokument hervorgeht, arbeitet dieser Verein eng mit dem Verband der Berliner Religionslehrer und Religionslehrerinnen zusammen. Beide Organisationen standen an forderster Front der Kampagne Pro Reli, die in Berlin ein Wahlpflichtfach Religion einführen wollte (aktuell ist Ethik Pflichtfach und Religion freiwillig).
Rolf Lüpke ist der Vorsitzende des Notbund und ein evangelischer Pfarrer im Ruhestand, der eine interessante Funktion [5] inne hatte: „Als Kirchenschulrat habe ich mich lange um die Organisation des evangelischen Religionsunterrichts in Berlin gekümmert, zum Beispiel um die Einstellung der Lehrkräfte.“
Sie können die Rundmail [6] selbst lesen, die Philipp Möller mit seinem Team formuliert hat. In der Rundmail steht ganz deutlich:
Die Evolutionären Humanisten Berlin-Brandenburg, die sich vor Ort für Humanismus und Aufklärung einsetzen, sprechen sich entschieden dagegen aus, dass christlich-fundamentalistische Strömungen Zugriff auf staatlichen Religionsunterricht erhalten, um unwissenden Kindern dort ihre religiösen Irrlehren als Wahrheit zu verkaufen.
Es geht den Evolutionären Humanisten ganz ausdrücklich nur um „christlich-fundamentalistische Strömungen“. Warum sagt nun ein ehemaliger Pfarrer der EKD, der für die Organisation des evangelischen Religionsunterrichts in Berlin verantwortlich war, es wäre „diffamierend“, wenn die Evolutionären Humanisten vor Fundamentalisten warnen? Vielleicht weil der „Schöpfungsglaube“ doch irgendwie zusammenhängt mit dem Kreationismus? Wenn die Evolutionstheorie korrekt ist, dann hat Gott die Lebewesen nicht alle individuell erschaffen, sondern er hat sie allenfalls bei seiner Erschaffung des Universums vorgesehen. Eine andere religiöse Position ist nicht mehr wissenschaftlich vertretbar (und auch diese ist reichlich unplausibel).
Der Geschäftsführer der evangelikalen Studiengemeinschaft Wort und Wissen, Reinhard Junker (Baiersbronn), warf den Autoren des Schreibens vor, eine „antichristliche Stimmung“ zu erzeugen.
Es ist sonnenklar, dass die Kreationisten von Wort und Wissen gerne so viel Einfluss hätten wie möglich. Und wer nicht mit ihnen übereinstimmt, der verbreitet eben eine „antichristliche Stimmung“. Aber warum veröffentlicht kath.net diesen Bericht überhaupt zusammen mit den Evangelikalen von idea? Wort und Wissen leugnet schließlich nicht, eine kreationistische Organisation zu sein. Haben Katholiken etwa auch ein Problem mit der Evolutionstheorie? Oder ist das „nur“ Atheophobie, die irrationale Angst vor Atheisten und allem, was sie sagen und tun, sei es nur ein harmloser Hinweis auf das Schulgesetz und eine Warnung vor Fundamentalisten?
Was die Giordano Bruno Stiftung davon hält
Die offizielle Position der Stiftung zur Frage des Religionsunterrichts ist kein Geheimnis und ist auf der offiziellen Website nachzulesen. Umso erstaunlicher, dass es niemand getan hat. Hier die relevanten Passagen [7]:
Dafür soll im Unterricht über alle Weltreligionen und Ideologien in historisch-wissenschaftlicher Weise aufgeklärt und Grundlagen des Humanismus und der Aufklärung, die zur Schaffung der Menschenrechte geführt haben, vermittelt werden. Die Lehrpläne sind an aktuellen Erkenntnissen der Wissenschaften zu orientieren. Es ist ein objektiv und rational fundiertes Weltbild zu vermitteln. Den Schülern soll undogmatisch ein umfassender Überblick ethischer Grundprinzipien auf Basis empirischer Wissenschaft und Philosophie aufgezeigt werden, ohne dass bestimmte Religionen oder Ideologien bevorzugt behandelt werden. Insbesondere sind Klauseln aus einigen Bundesländer-Verfassungen zu entfernen, in denen als Bildungsziele eine Erziehung nach christlich geprägter Ethik oder in einer „Ehrfurcht vor Gott“ formuliert ist.
In Schulen haben religiöse Symbole wie auch konfessioneller Religionsunterricht nichts zu suchen.
Die Giordano Bruno Stiftung möchte also keineswegs den Religionsunterricht kontrollieren. Sie fordert vielmehr, dass er in seiner jetzigen Form abgeschafft wird. An die Stelle des konfessionellen Religionsunterrichts tritt ein objektiver, wissenschaftlicher Unterricht über Religion. Die eigentliche Position der Stiftung ist also viel radikaler als das, wofür sie hier kritisiert wird.
Michael Schmidt-Salomon hat auch selbst eine Position zum Thema [8] verfasst:
„Weltanschaulich neutral“ kann und darf sich der Staat nur dort verhalten, wo weder die humanistischen, auf den Menschenrechten beruhenden ethischen Prinzipien des Grundgesetzes noch die Seriosität des Bildungsauftrags (Stichwort: Kreationismus) auf dem Spiel stehen. Um überhaupt in den Genuss staatlicher Förderung kommen zu können, müssten die Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften – vor allem wenn sie im pädagogischen Bereich tätig sind – zunächst ihre „Hausaufgaben“ erledigen, d.h. aus ihren Weltbildern all jene Elemente entfernen, die entweder mit den Kriterien einer humanen Ethik oder aber mit hinreichend gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen kollidieren.
Die Evolutionären Humanisten Berlin-Brandenburg haben sich unter anderem mit dem Hinweis verteidigt, dass es sich nicht um eine offizielle Aktion der Stiftung selbst handelte, sondern um eine Aktion eine ihrer Fördergruppen. Das ist zwar korrekt, aber ich denke, man kann sagen, dass die Evolutionären Humanisten durchaus im Sinne der Stiftung gehandelt haben. Die Reaktionen zeigen deutlich, wie notwendig ihre Aktion war.
Andreas Müller
Links:
[1] http://www.darwin-jahr.de/sites/darwin-jahr.de/files/story/node-342-932.JPG
[2] http://www.kath.net/detail.php?id=24252
[3] http://www.idea.de/nachrichten/nachrichten-des-tages-detailartikel/artikel/atheisten-rufen-zur-kontrolle-des-religionsunterrichts-auf.html
[4] http://www.religionslehrer-berlin.de/notbund/Kooperation%20NB%20und%20VBRR.pdf
[5] http://www.taz.de/1/archiv/print-archiv/printressorts/digi-artikel/?ressort=bt&dig=2009%2F04%2F24%2Fa0166&cHash=8effd015ed
[6] http://gbsbb.wordpress.com/2009/10/13/kreationismus-in-berliner-klassenzimmern/
[7] http://www.giordano-bruno-stiftung.de/Projekte/forderungen09.pdf
[8] http://www.leitkultur-humanismus.de/petitionerz.htm