
Presseschau | 16.10.2009
Tiere spüren Schmerz wie Menschen, Archi wird missbraucht und eine Eidechse läuft übers Wasser. Es ist zum Heulen, doch warum Weinen wir eigentlich? Immerhin verhalten sich Schimpansen ebenfalls altruistisch und Sex gibt es auch über Artgrenzen hinweg. Auf zur fröhlichen Presseschau!
Hatte das Vergießen von Tränen einen evolutionären Vorteil? Fragen Sie uns nicht... Weder Soziobiologen, noch Psychologen, noch sonstwer kennt die Funktion des emotionalen Weinens. Wir tun es nicht, damit es uns besser geht, um andere zu manipulieren, um Aufsehen zu erregen oder um auf andere Weise zu kommunizieren. Wir wissen, dass Frauen viel häufiger und länger weinen als Männer, aber wozu irgendjemand überhaupt weint, ist völlig unklar.
Das absolute Haeckel-Buch ist da [3]
Ernst Haeckel machte die Evolutionstheorie in Deutschland bekannter, als sie es zu der Zeit in Darwins Heimatland war. Prof. Uwe Hossfeld hat sich Ernst Haeckel einmal näher angesehen und ein Buch über ihn herausgebracht, das Originalillustrationen, Auszüge aus den wichtigsten Originaltexten, sowie eine Haeckel-Biographie enthält.
Egoistische Gene auch bei Pflanzen [4]
Pflanzen erkennen ihre Verwandten mit Hilfe eines Wurzelsekrets und behandeln sie bevorzugt, indem sie fremden Pflanzen die Nährstoffe streitig machen und sie mit verwandten Pflanzen teilen.
Forscher pflanzen Fliegen falsche Erinnerungen ein [5]
Mit einem Laserblitz haben Forscher einem Fliegenhirn falsche Erinnerungen eingepflanzt. Die Nervenzellen gaben als Reaktion darauf Dopamin ab, worauf die Fliege abneigend reagierte.
Westliche Frauen haben höheren Hormonspiegel [6]
Viel Essen und wenig Bewegung führt bei Frauen zu einem häufigeren Vorkommen der Sexualhormone Progesteron und Östrogen. Hierdurch setzt die Menstruation früher ein, inzwischen schon ab zwölf Jahren und das Risiko für Krankheiten wie Gebärmutterhalskrebs, Eierstockkrebs und Brustkrebs steigt. Forscher denken über eine Pille nach, die den Progesteron- und Östrogenspiegel niedrig halten soll. Alternativ könnten Mädchen mehr Sport treiben.
Jeder mit jedem [7]
Nicht nur einsamen Schäfern ist das Phänomen bekannt. Im Tierreich kommt es beizeiten zur „Hybridisierung“, also zu der Fortpflanzung verschiedener Arten miteinander. Arten werden eigentlich so definiert, dass sie keine fruchtbaren Nachkommen miteinander zeugen können, aber gelegentlich gibt es Ausnahmen. Forscher streiten sich darüber, ob es auch zwischen Affen und frühen Menschen (die Linien spalteten sich vor sechs Millionen Jahren auf) zu sexuellen Kontakten mit entsprechenden Folgen gekommen ist. Schon unsere Vorfahren kannten also womöglich das 68er-Sprichwort: „Wer zweimal mit der selben pennt, gehört schon zum Establishment“.
Wallace: Der malayische Archipel [8]
Evolutionsfans werden gerade so richtig verwöhnt. Zu den erlesensten Veröffentlichungen dieses Jahres gehört eine Neuausgabe von Alfred. R. Wallace' „Der malayische Archipel“, das erste Werk des neu gegründeten „Verlag der Pioniere“, das aufgrund seiner Exotik auch mit 79 Euro zu Buche schlägt. Dafür sieht es entsprechend handverlesen aus:

Archaeopteryx nicht so eng mit Vögeln verwandt [9]
Was für Kreationisten mal wieder der Evolution den Todesstoß versetzt, ist für Paläontologen kein großer Schock: Die „Archaeopteryx“ genannte Zwischenform aus Dinosaurier und Vogel ist näher mit Dinosauriern verwandt als mit Vögeln. Das heißt allerdings auch, dass der Vogelflug bereits manchen Dinosauriern möglich war.
Wie Geräusche die Augen schärfen [10]
Geräusche stimulieren den Sehsinn. Da Geräusche schneller verarbeitet werden, beeinflussen sie die Interpretation von Bildern. Dies diente unserer Fähigkeit, Räuber schneller wahrzunehmen und vor ihnen zu flüchten.
Gibt es das Ich? [11]
Mich gibt es, aber gibt es auch das „Ich“, von dessen Perspektive aus wir die Welt betrachten, oder ist es eine Illusion, die uns einen Überlebensvorteil gebracht hat? Mit dieser Frage befassen sich der Philosoph Thomas Metzinger und der Neurowissenschaftler Georg Northoff.
Website über Prof. Dr. Hermann Müller [12]
Hermann Müller war ein Biologe des 19. Jahrhunderts, der mit Charles Darwin korrespondierte und sich großen Ärger mit Kreationisten (preußische Bürgerschaft, Presse und Geistlichkeit) einhandelte. Auf dieser Website kann man Müllers Briefwechsel mit Darwin nachlesen und erfährt alles über „Lippstädter Fall“. Hier ein schönes Zitat von Müller:
H. Müller war überzeugt, dass „... jedes religiöse Bedenken, nicht nur gegen die Naturforschung selbst, sondern auch gegen die Uebermittlung ihrer Ergebnisse an die Schüler höherer Lehranstalten vollständig verschwinden muss, sobald die Vertreter der Religion und diejenigen der Naturwissenschaft in dem unbedingten Streben nach Wahrheit übereinstimmen.“
Englische Presse
Schimpansen verhalten sich auch altruistisch [13]
Schimpansen helfen Artgenossen auch dann, wenn sie keinen direkten persönlichen Vorteil oder eine unmittelbare Gegenleistung erwarten können. Allerdings verhalten sie sich vor allem auf Anfrage altruistisch und nur selten von sich aus.
Tiere spüren Schmerz wie Menschen [14]
Prof. Craig Johnson hat für das englische und das neuseeländische Landwirtschaftsministerium eine neue Studie angefertigt, die aufzeigt, dass Tiere, die geschächtet werden (ihre Kehle wird nach einem religiösen Ritus durchgeschnitten) für 10-30 Sekunden den Schmerz spüren, bis sie ohnmächtig werden. Mit Elektroenzephalogrammen wurde festgestellt, dass die selben Hirnregionen bei mindestens acht Säugetieren aktiv sind, die auch beim Menschen aktiv sind, wenn er Schmerz verspührt. Betäubt man sie vor der Tötung mit einem Elektroschock, verschwindet das Signal, die Tiere spüren dann also nichts mehr (Anm: Außer der Furcht vor der Tötung, insofern ihnen klar ist, was sie erwartet).
Sprecher der jüdischen und muslimischen Glaubensgemeinschaften in England und Neuseeland behaupteten als Reaktion auf die Studie, das die Tiere beim Schächten keinen Schmerz verspürten und dass vielmehr der Elektroschock Schmerzen auslöse. Wie die Studie aber gezeigt hat, ist gerade das eben nicht so.
Das Wissenschaftsmagazin „New Scientist“ veröffentlichte in der selben Ausgabe, in der sich die Studie befindet, auch eine ungewöhnlich deutliche Stellungnahme: „Die Erzeugung von unnötigen Schmerzen bei Tieren ist berechtigterweise verpöhnt. Also warum erlauben wir, dass so viele Tiere mutwillig schmerzhafte Tode in Schlachthäusern sterben? Die Antwortet lautet traurigerweise: Wegen der Religion. [....] Religionen verteidigen das, was man nicht verteidigen kann, oftmals mit einem Hinweis auf ihr automatisches Recht auf „Respekt“. Zweifellos werden sie das diesmal erneut tun – und die Gesellschaft wird sie einfach damit davonkommen lassen.“
Und genau das ist geschehen.
(Danke an Rolf Degen für den Hinweis)
Ardipithecus schändlich missbraucht [15]
Wie zuvor mit „Ida“ wird nun mit „Ardi“ allerlei Unfug getrieben. Das „Family Research Council“, eine US-Organisation der religiösen Rechten, benutzt Ardi, um gegen Schwule zu wettern und die „Natürlichkeit“ der klassischen Ehe herauszustellen. Sie argumentieren mit Hilfe soziobiologischer Erkenntnisse, ohne diese zu verstehen. Die Investition von Eltern in ihre Kinder habe sich evolutionär gerade bei Menschen und ihren Vorfahren besonders bewährt (die Zeit, während der Kinder von ihren Eltern abhängen, ist bei Menschen viel länger als bei allen anderen Lebewesen).
Dabei übersieht die christliche Rechte allerdings, dass es in der Natur auch Fälle gibt, wo zwei Männchen sich um den Nachwuchs kümmern. „Eltern“ ist sowieso relativ. Die Modelle für „parental investment“, also elterliche Investition in den Nachwuchs, sind mathematisch. Zahlen interessieren sich nicht für Geschlechter. Ebenso könnten sich zwei (oder mehr) Frauen oder zwei (oder mehr) Männer um den Nachwuchs kümmern. Umso merkwürdiger ist die Tatsache, dass hier mit Peter Sprigg jemand evolutionäre Argumente gebraucht, der selbst gar nicht an die Evolution glaubt.
Darwinopterus evolvierte rasant [16]
Es wurde ein neues Flugsaurier-Fossil entdeckt, das eine Zwischenform zweier Arten des Pterodactylus darstellt. Hals und Nacken müssen sich beim Darwinopterus sehr schnell entwickelt haben. Solche Entwicklungssprünge sind bereits seit einer Weile bekannt und wurden von Stephen Jay Gould als „puntuated equilibrium“ oder „Punktualismus“ bezeichnet. Wieder mal einer dieser Funde, der Darwins Evolutionstheorie laut Presse in den Grundfesten erschüttern soll und tatsächlich höchstens „ganz interessant“ ist für Biologen.
Was haben Jesus und Eidechsen gemeinsam? [17]
Sie können beide über das Wasser laufen. Bestimmte Eidechsen erzeugen mit Hilfe von Schuppen an ihren Füßen Luftblasen, was ihnen dabei hilft, die Oberflächenspannung nicht zu durchbrechen. Vor allem in Notsituationen nutzen sie diese Fähigkeit, um über das Wasser zu fliehen. Forscher haben dem Reptil den Spitznamen „Jesus-Christus-Eidechse“ gegeben.
AM
Links:
[1] http://www.darwin-jahr.de/sites/darwin-jahr.de/files/story/node-337-575.jpg
[2] http://www.fr-online.de/in_und_ausland/wissen_und_bildung/aktuell/2013749_Traenenforschung-Frauen-sind-Heulsusen.html
[3] http://www.darwin-jahr.de/../../../../../../../../termine/absolute-ernst-haeckel
[4] http://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/0,1518,655426,00.html
[5] http://derstandard.at/fs/1254311676435/Forscher-pflanzen-Fliegen-schlechte-Erinnerungen-ein
[6] http://www.dradio.de/dlf/sendungen/forschak/1052402/
[7] http://www.sueddeutsche.de/wissen/336/490709/text/
[8] http://www.verlag-der-pioniere.de/
[9] http://www.wissenschaft.de/wissenschaft/news/307621
[10] http://www.focus.de/gesundheit/ratgeber/hoeren/sehen-wie-geraeusche-die-augen-schaerfen_aid_445392.html
[11] http://www.dradio.de/dlf/sendungen/studiozeit-ks/1051643/
[12] http://www.ostendorf-gymnasium.de/mueller/index.htm
[13] http://www.sciencedaily.com/releases/2009/10/091014102035.htm
[14] http://www.newscientist.com/article/mg20427302.400-no-godgiven-right-to-be-cruel-to-animals.html
[15] http://scienceblogs.com/pharyngula/2009/10/poor_ardipithecusexploited_aga.php
[16] http://edition.cnn.com/2009/TECH/science/10/14/darwinopterus.dinosaur.fossil/index.html?eref=edition_world
[17] http://news.bbc.co.uk/earth/hi/earth_news/newsid_8304000/8304139.stm