Kommentar | 08.07.2009
In der aktuellen Ausgabe des „Physik Journal“, die Mitgliederzeitschrift der Deutschen Physikalischen Gesellschaft, befinden sich zwei Leserbriefe [2], die sich kritisch auf den Leitartikel In der Welt geht es mit rechten Dingen zu! [3] von dem bekannten Astronomen Harald Lesch aus der Mai-Ausgabe beziehen. Harald Lesch hat selbst auf diese geantwortet, doch möchte ich eine weiterführende Antwort ergänzen.
Zunächst einmal möchte ich den von der Redaktion als „Meinung“ betitelten Leitartikel [3] von Harald Lesch wärmstens empfehlen. Bereits im Untertitel heißt es „Evolution und Naturalismus bilden die Grundlage der Naturwissenschaft“ und in dieser „Meinung“ argumentiert Herr Lesch konsequent für einen, wie er es nennt, „evolutionären Naturalismus“, also einen ergebnisoffenen, sich weiterentwickelnden und stets sich selbst verbessernden Naturalismus. Obwohl Herr Lesch selbstbezeichneter Protestant ist (in diesem Interview [4] erfährt man etwas über sein äußerst nebulöses, deistisch-pietistisch anmutendes Gottesbild), sehe ich in diesem Artikel beim besten Willen überhaupt keine Unterschiede mehr zur Position der AG Evolutionbiologie und der Giordano Bruno Stiftung.
Der vergessene Unsinn
Nun betitelt die Redaktion die beiden kritischen Leserbriefe mit „Das vergessene Fundament“. Mit diesem angeblichen Fundament der Naturwissenschaften ist der christliche Gott gemeint. Im ersten Leserbrief schreibt Dr. Alexander Fink „Schon in der Einführung in die Wissenschaftsgeschichte und -theorie lernt man, dass der wissenschaftliche Forschungsprozess und sein Erfolg nicht auf Naturalismus und Evolution reduziert werden können. So scheitert der reduktionistische Naturalismus an der Begründung des zentralen Fundamentes der wissenschaftlichen Forschung, nämlich der dreifachen Kongruenz von menschlichem Denken, mathematischer Logik und physikalischem Naturgeschehen.“ Das ist komplett erfunden, auch wenn es kompliziert klingt. Folgt man Dr. Finks Fußnote, dann sieht man, wie diese Erfindung zustande gekommen ist.
Dr. Fink bezieht sich auf einen Aufsatz [5] von dem Nobelpreisträger Eugene Wigner mit dem Titel „Die unvernünftige Effektivität der Mathematik in den Naturwissenschaften“ aus dem Jahre 1960. Die Tatsache, dass dieser Aufsatz mit einem Zitat von Bertrand Russel beginnt, wird den einen oder anderen Leser schon ahnen lassen, wie Herr Finks Auslegungskünste funktionieren. Eugene Wigner macht leider den Fehler, sein Erstaunen und seine Bescheidenheit angesichts der offenen Rätsel des Universums zum Ausdruck zu bringen. Es ist geradezu ein Naturgesetz, dass wissenschaftliche Bescheidenheit von christlichen Apologeten aufgegriffen werden wird, um sie in ein Argument für die Existenz einer Lösung dieser Rätsel außerhalb der Wissenschaften umzudeuten, respektive für die Existenz Gottes.
In Wigners Essay befinden sich Sätze, die geradezu dazu auffordern, von Kreationisten und ähnlich Gesinnten aus dem Kontext gerissen und vereinnahmt zu werden, zum Beispiel: „Es ist schwer zu glauben, dass unsere Verstandesmacht durch Darwins Prozess der natürlichen Selektion zu der Perfektion gebracht wurde, die sie zu besitzen scheint“. Oder nehmen wir diesen Satz: „Es ist keineswegs natürlich, dass ‚Naturgesetze‘ existieren, noch weniger, dass der Mensch in der Lage ist, sie zu entdecken.“ Ein absoluter Traum für christliche Apologeten! Was Wigner damit tatsächlich sagen wollte, interessiert da schon gar nicht mehr.
Wigner argumentiert für nichts anderes als einen ehrlichen Skeptizismus aus der Perspektive des Forschungsstandes seiner Zeit. Er fragt sich zum Beispiel, ob die menschliche Intelligenz ausreicht, um das Universum jemals vollkommen zu verstehen. Nun spricht Wigner sogar von „ultimativer Wahrheit“ und man befürchtet schon, dass er mit einem Wanderprediger aus Nazareth und Betlehem ins Haus fallen wird. Doch jetzt sehen wir uns einmal an, wie Eugene Wigner diese „ultimative Wahrheit“ definiert: „Ein Bild, das eine konsistente Verschmelzung der kleinen Bilder in eine einzige Einheit darstellt und das auf den diversen Aspekten der Natur beruht.“ Mit anderen Worten ist Eugene Wigners „ultimative Wahrheit“ nichts anderes als eine Art naturalistische Weltformel, ein grundlegendes, naturalistisches Prinzip der Naturgesetze. Mit Dr. Finks Wüstengott hat das rein gar nichts zu tun. Und auch der Rest des Essays weist keinerlei Argumente in Richtung eines Teufelsaustreibers aus, der vor 2000 Jahren gerüchteweise im Mittleren Osten sein Unwesen trieb und der mit dem Schöpfer des Universums verwandt sein soll.
Eugene Wigner ließ sich Jahrzehnte später von einem geistigen Vorläufer der Templeton-Stiftung umwerben [6], nämlich von der „International Conference on the Unity of the Sciences“, bei der die Moonies (Unification Church) saftige Preisgelder verteilten. Wigner interessierte sich aber mehr für die Erforschung des Bewusstseins, als für christliche Dogmen.
Wir leben nicht mehr in der Rennaissance
Dr. Fink hätte sich diesen gerissenen Verweis auf Wigners Aufsatz allerdings sparen können, weil er in der zweiten Fußnote ein Buch von John Lennox anführt, einem englischen Mathematikprofessor, der ganz offen als christlicher Apologet auftritt. Wie das Leben so spielt, hat Lennox schon an drei öffentlichen Debatten mit Richard Dawkins teilgenommen. In der zweiten und dritten Debatte [7] wird deutlich, wie sich Lennox von liberalen Theologen unterscheidet: Er glaubt im wörtlichen Sinne an die ganze Palette der neutestamentlichen Wunder, von der Verwandlung Wassers in Wein, bis hin zum Laufen auf dem Wasser. Dass dieser Aberglaube mit Wissenschaft nichts zu tun hat, sollte offensichtlich sein. Wer dies bezweifelt, der vergleiche die chemischen Formeln von Wasser (H2O) und Alkohol (C2H6O) und überlege sich, wie man das eine jemals in das andere „verwandeln“ könnte!
Die Überraschung hebt sich Dr. Fink bis zum Schluss auf: „Der wissenschaftliche Fortschritt hängt nicht an einem grundlegenden Naturalismus“, sagt er. Ganz im Sinne der Kreationisten wird also die Notwendigkeit des methodologischen Naturalismus als Grundlage der Wissenschaften in Frage gestellt. Ich lasse den Evolutionsbiologen Jerry Coyne darauf antworten [8]:
„Es gab eine Zeit, als Gott ein Teil der Wissenschaft war. Newton dachte, dass seine physikalische Forschung dabei helfen könnte, Gottes himmlischen Plan zu verdeutlichen. So auch Linnaeus, der schwedische Botaniker, der unser aktuelles Schema für die Organisation der Arten entwickelte. Aber über Jahrhunderte der Forschung haben wir gelernt, dass die Idee ‚Gott hat es gemacht‘ unser Verständnis der Natur niemals auch nur ein Fünkchen verbessert hat. Und das ist der Grund, warum wir sie aufgegeben haben.“
„Nur“ eine Religion?
Ed Dellian, der zweite Leserbriefautor, drückt sich um einiges deutlicher aus: „Und er [Harald Lesch] hätte deutlich sagen sollen, dass der philosophische ‚Naturalismus‘ nichts anderes ist als philosophischer Materialismus, gegründet auf das Dogma des ‚methodischen Atheismus‘, welches alle nicht-materiellen Entitäten a priori aus der Naturwissenschaft ausschließt.“
Was ich immer wieder erstaunlich finde, ist der Vorwurf christlicher Apologeten, der Atheismus oder die Wissenschaft seien „auch nur eine Religion“ oder, wie hier, der methodische Atheismus sei ein „Dogma“. Implizit in diesem Argument ist doch die Feststellung, dass etwas falsch ist an Religionen und Dogmen! Wäre das nicht so, dann wäre ja gar nichts Schlimmes daran, wenn Atheismus oder Wissenschaft tatsächlich Religionen wären!
Davon abgesehen ist der „methodische Atheismus“ natürlich keine Religion, sondern die Nullhypothese der Naturwissenschaften, die nur so viel „Metaphysik“ zulässt, wie zum Verständnis des Gesetzesnetzes der Natur ungedingt erforderlich ist. Es handelt sich also um das Gegenteil eines Dogmas, nämlich um ein „ontologisches Sparprogramm“ (auch bekannt als „Ockhams Rasiermesser“).
Doch selbst aus der Perspektive der christlichen Theologie ergibt das Argument keinen Sinn: Der christliche Gott ist ein übernatürlicher Gott, der sich durch seine Übernatürlichkeit selbst aus der Erkenntnisfähigkeit der Naturwissenschaften ausschließt. Sie heißen ja schließlich nicht Übernatürlichkeitswissenschaften! Griffe Gott nun in die natürliche Welt ein, dann könnte die Wissenschaft einen solchen Eingriff allerdings mit ihren Methoden messen und würde dies unzweifelhaft auch tun. Gewiss könnte die Wissenschaft solche Eingriffe übersehen, wenn sie sehr selten und sehr klein wären und keine Auswirkungen hätten, die sich vom gewöhnlichen Naturgeschehen unterscheiden ließen. Aber warum sollte sich Gott mit solchen Kleinigkeiten aufhalten und sich absichtlich dermaßen verstecken? Intelligent Design argumentiert dennoch so, Gott würde in der Welt herumpfuschen und kleine Hinweise auf seine Existenz für uns einbauen, ohne es jedoch belegen zu können.
Wie könnten göttliche Fingerzeige aussehen?
Es gäbe sehr wohl einiges, was Wissenschaftler von ihrem „Dogma“ des Naturalismus abbringen könnte, beziehungsweise was Gott zumindest erheblich plausibler erscheinen lassen könnte. Jerry Coyne erwähnt einige denkbare göttliche Fingerzeige in der natürlichen Welt:
„Wunderheiler könnten die verlorene Sehkraft wiederherstellen, nur der Krebs von guten Menschen würde sich auflösen, die Toten könnten ins Leben zurückkehren, wir könnten bedeutungstragende DNA-Sequenzen finden, die nur von einem intelligenten Agenten in unser Genom hätten eingebaut werden können, Engel könnten im Himmel erscheinen. Die Tatsache, dass keines von diesen Dingen jemals wissenschaftlich dokumentiert wurde, gibt uns zusätzliche Zuversicht, dass wir recht damit haben, bei natürlichen Erklärungen für die Natur zu bleiben. Und es erklärt, warum so viele Wissenschaftler, die gelernt haben, Gott als eine Erklärung abzulehnen, ihn auch als eine Möglichkeit verworfen haben.“
Das Erhabene der Natur
Das Problem besteht also, unter anderem, darin, dass es überhaupt keine Belege dafür gibt, dass Gott jemals in die natürliche Welt eingegriffen hat! Persönlich teile ich die Einschätzung des Schriftstellers Joseph Conrad („Das Herz der Finsternis“):
„Nein, ich bin zu stark in meinem Bewusstsein des Erstaunlichen verwurzelt, als dass mich das bloße Übernatürliche faszinieren könnte, das (nehmen Sie es, wie Sie wollen), nichts ist als ein fabrizierter Gegenstand, die Fabrikation von Geistern, die den intimen Feinheiten unseres Verhältnisses zu den Toten und zu den Lebenden, in ihrer ungezählten Vielfalt, gefühllos gegenüberstehen; eine Entweihung unserer zartesten Erinnerungen; ein Frevel an unserer Würde.“ (Author's note to The Shadow Line, meine Übers.)
AM
Links:
[1] http://www.darwin-jahr.de/sites/darwin-jahr.de/files/story/node-297-485.jpg
[2] http://www.pro-physik.de/Phy/pdfstart.do?mid=3&articleid=40076&recordid=40106
[3] http://www.pro-physik.de/Phy/pdfstart.do?mid=3&articleid=37188&recordid=37204
[4] http://chilli.cc/index.php?id=72-1-297
[5] http://www.dartmouth.edu/%7Ematc/MathDrama/reading/Wigner.html
[6] http://www.tparents.org/Library/Unification/Books/Tbns/TBNS-06.htm
[7] http://richarddawkins.net/article,3911,Richard-Dawkins-and-John-Lennox-at-the-Oxford-University-Museum,Richard-Dawkins-John-Lennox
[8] http://www.tnr.com/story_print.html?id=1e3851a3-bdf7-438a-ac2a-a5e381a70472