
Presseschau | 21.05.2009
Deutsche Babys werden immer fetter, Drachen spucken Gift, Vögel sind sich treu und gehen fremd und Gerhard Vollmer spricht über die Vereinbarkeit von Glaube und Evolution. Außerdem wird über Gentechnik aufgeklärt, der Didaktikstreit fortgesetzt und der „Missing Link“ entzaubert. Auf zum Atom... nein, zur Presseschau!
Unsere Meldung von letzter Woche über den gefundenen „Missing-Link“ hat sich bewahrheitet: Der sieben Millionen Jahre alte Sahelanthropus [3] wurde bereits am 19. Juli 2001 entdeckt. Es handelt sich um den ältesten gemeinsamen Urahn von Mensch und Schimpanse.
Aber halt: Wer oder was ist nun „Ida“ aus der „Darwinius masillae“ genannten Art, über die alle reden? Ganz einfach: Es handelt sich um den ältesten gemeinsamen Urahn von Feuchtnasenaffen und Trockennasenaffen (zu letzten gehört der Mensch), der vor 47 Millionen Jahren lebte und noch früher, nämlich schon 1984 gefunden [4] wurde. Ein Biologe namens Jörn Hurum hat das Fossil vor ein paar Jahren gekauft, seine Präsentation medienwirksam vorbereitet und diese nun gestartet. Endlich hätten wir also die beiden „Missing Links“. Wer will noch einen, wer hat noch nicht?
So revolutionär ist der Fund, man ahnt es sicher, eher weniger. Biologen waren sich durchaus darüber im Klaren, dass Feucht- und Trockennasenaffen einen gemeinsamen Vorfahren gehabt haben müssen und nun wurde er eben gefunden (bzw. der Fund veröffentlicht), erfreulicherweise im äußerst gut erhaltenen Zustand. Das ist zwar ganz entzückend, aber die einzigen Individuen, dessen Weltbild aufgrund dieses Fundes nun einstürzen muss, sind diejenigen, die bislang felsenfest davon überzeugt waren, dass Feucht- und Trockennasenaffen keinen gemeinsamen Vorfahren haben, was in der Tat ein bemerkenswert seltsamer Glaube ist.
Neu an der Sache ist der vom Entdecker selbst ausgelöste Medienhype. Normalerweise publizieren Wissenschaftler ihre Funde zunächst in Fachzeitschriften und lassen sie von anderen Experten verifizieren. In diesem Fall hat Dr. Hurum lieber eine offizielle Website [5] zum Fund gestartet und mit dem amerikanischen Doku-Kanal „History“ ein Filmchen gedreht, dass er bei der BBC [2] ausstrahlen lässt.
Schließlich noch ein Fernsehtipp zum Thema: Am 31. Mai bringt Terra X von 19:30 – 20:15 auf ZDF die erwähnte Dokumentation [6] über den Fund nach Deutschland.
Ein Fenster in die Erdgeschichte [7]
Idas Fundort war die berühmte „Grube Messel“. SPD, CDU und FDP planten jahrelang, sie in eine Müllkippe umzuwandeln. Erst Anfang der 90er Jahre ließ der damalige hessische Umweltminister Joschka Fischer die Grube in einem heldenhaften Einsatz (und gegen die Zahlung von 30 Millionen Mark) als Fossilienfundstätte schützen.
Staffelschwänze sind sich treu und gehen fremd [8]
Zwei nahe verwandte Arten der Vogelgattung Staffelschwänze unterscheiden sich radikal in ihrem Paarungsverhalten. Eine der Arten geht ständig fremd und die andere hält sich ein Leben lang die Treue. Ansonsten sind sich die beiden Arten sehr ähnlich.
Aufklärung über Pflanzengenetik [9]
Unsere Regierung tut zur Abwechslung mal was Sinnvolles und lädt zu einem Runden Tisch zur Pflanzengenetik ein. Zu diesem hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung eine Website online gestellt, auf der qualifiziert und sachlich über Gentechnik informiert wird.
Interview mit Gerhard Vollmer [10]
Prof. Dr. rer. nat. Dr. phil. Gerhard Vollmer aus dem Darwin-Jahr-Komitee hat ungemein viele akademische Titel. Kein Wunder also, dass er etwas Interessantes zum Thema Evolution beisteuern kann, wie etwa in diesem Interview zur aktuellen Tagung „Die Fruchtbarkeit der Evolution“.
Die erste Blume [11]
Zuerst waren die Nadelbäume. Doch vor 130 Millionen Jahren entstanden die ersten Blüten und Laubbäume. Ein Forscher hat nun herausgefunden, wie die ersten Blumen aussahen. „Der Ursprung der ersten Blüte ist der Schlüssel zum Ursprung der gesamten Blütenpflanzen“, sagte dazu jener Forscher mit dem Namen Andre Chanderbali. „Es gab nichts Vergleichbares vor ihnen und nichts seither.“ Leider gibt es keine offizielle Website zur ersten Blume und keine Doku von „History“. Da bringen Dr. Chanderbali seine flotten Sprüche auch nichts mehr.
„Drachen töten doch mit Gift“ [12]
Jedenfalls steht das auf „DiePresse.com“. Gemeint sind Komodowarane, die, wie sich nun herausgestellt hat, auch Gift verwenden, um ihre Opfer zu töten. Man geht davon aus, dass der Glücksdrache Fuchur aus der Unendlichen Geschichte seine Opfer nicht mit Gift tötet.
Sexuelle Selektion [13]
Sexuelle Selektion ist einer der Evolutionsmechanismen, auf die Charles Darwin selbst noch gekommen ist. Es geht im Prinzip darum, dass die attraktivsten Männchen und Weibchen die besten und zahlreichsten Partner bekommen. Attraktiv macht dabei Stärke, Schönheit, Schlauheit, Erfindungsreichtung (etwa beim Bau eines Vogelnestes) und so weiter. Die sexuelle Selektion übt jedoch einen geringeren Einfluss aus als die natürliche Selektion, da andernfalls niemand mehr da wäre, der selektiert werden könnte.
Babys werden fetter [14]
„Das mittlere Geburtsgewicht der deutschen Babys steigt pro Jahrzehnt um 20 bis 70 Gramm“, heißt es in diesem Artikel der Süddeutschen. Und schuld daran ist die falsche Ernährung der Mütter während der Schwangerschaft. Um eines mal klar zu sagen: Die Ernährung der Mutter während der Schwangerschaft hat einen gewaltigen Einfluss auf die zukünftige Beschaffenheit des Kindes. Also sollten sich die Damen lieber für eine Weile zusammenreißen, wenn sie keine bleibenden Schäden ihrer Kinder riskieren wollen.
Warum haben Giraffen einen so langen Hals? [15]
Schon Lamarck hat sie sich gestellt. Eine Frage, die jener ähnelt, warum die Banane krumm ist, mit dem Unterschied, dass wir sie nicht beantworten können. Die sexuelle Selektion hat nichts mit der Giraffenhalslänge zu tun. Die natürliche aber irgendwie auch nicht. Da hat man klar etwas übersehen und wird noch eine Weile weiterforschen müssen.
Blondinen im Vorteil [16]
Angeblich sind sie ja dumm, die Blondinen. Evolutionär sind sie auf jeden Fall im Vorteil und werden von Männern bevorzugt. Warum sich die Haarfarbe Blond bei Frauen so weit verbreitet hat, darüber wird eifrig spekuliert.
Was ist so toll an Wer wird Millionär? [17]
Es ist sicherlich nicht Günther Jauch. Stattdessen ist es das „Mitfreuen“ am Erfolg anderer, das evolutionär auf unser Leben in kleinen Stämmen zurückgeht, als wir noch genetisch eng miteinander verwandt waren.
Die Ausgabe des türkischen Wissenschaftsmagazins Bilim ve Teknik, die sich anlässlich des Darwin-Jahrs mit der Evolutionstheorie befassen wollte, wurde kurz vor Erscheinen eingestampft. In „Nature“ erfahren wir etwas über die Hintergründe. So glauben die meisten hohen Regierungsbeamten der Türkei offenbar nicht an die Evolution.
Jerry Coyne ärgert die „Accomodationists“ [19]
Der Biologe Jerry Coyne ist immernoch dabei, wissenschaftsdidaktische Organisationen zu kritisieren, die meinen erklären zu müssen, dass Religion und Wissenschaft kompatibel sind. In der Versöhnungsliteratur der National Academy of Sciences, der NCSE, der NAS und anderen ist immer wieder zu hören, dass Glaube und Wissenschaft unterschiedliche Methoden wären, um die Welt zu verstehen, beide ermöglichten uns einen Zugang zu „unterschiedlichen Wahrheiten“. Nun hat Jerry Coyne den genannten Organisationen die Aufgabe gestellt, die Wahrheiten, zu denen man nur mit dem Glauben gelangen kann, einmal deutlich zu benennen. Das dürfte sie die nächsten paar Millionen Jahre beschäftigen.
AM
Links:
[1] http://www.darwin-jahr.de/sites/darwin-jahr.de/files/story/node-272-445.jpg
[2] http://news.bbc.co.uk/2/hi/science/nature/8057465.stm
[3] http://news.bbc.co.uk/2/shared/spl/hi/pop_ups/05/sci_nat_enl_1112790669/html/1.stm
[4] http://www.welt.de/wissenschaft/evolution/article3779751/Ida-und-die-ganz-grosse-Show-um-den-missing-link.html
[5] http://www.revealingthelink.com/
[6] http://terra-x.zdf.de/ZDFde/inhalt/12/0,1872,1021580_idDispatch:8665980,00.html?dr=1
[7] http://www.sueddeutsche.de/wissen/807/469365/text/
[8] http://derstandard.at/?url=/?id=1242316365226
[9] http://www.bmbf.de/de/13622.php
[10] http://www.hilpoltsteiner-zeitung.de/artikel.asp?art=1021126&kat=48&man=16
[11] http://www.scinexx.de/wissen-aktuell-9938-2009-05-20.html
[12] http://diepresse.com/home/science/480434/index.do?_vl_backlink=/home/science/index.do
[13] http://www.sueddeutsche.de/wissen/192/468755/text/
[14] http://www.sueddeutsche.de/gesundheit/160/468723/text/
[15] http://www.dnews.de/wissenschaft/40193/langer-hals-der-giraffen-bleibt-ratsel.html
[16] http://www.focus.de/wissen/wissenschaft/mensch/evolutionsbiologie-blondinen-bevorzugt_aid_399523.html
[17] http://www.dradio.de/dlf/sendungen/forschak/966439/
[18] http://www.nature.com/nature/journal/v458/n7236/full/458259a.html
[19] http://whyevolutionistrue.wordpress.com/2009/05/20/contest-name-a-truth-revealed-by-faith/