
Presseschau | 15.05.2009
Der Missing Link wurde endlich entdeckt, der Film zum Darwin-Jahr ist schon hier, die Natur ist ein schlechtes Vorbild, Ohrwürmer lassen ihre Kinder im Stich, wir lieben Blumen und deren Blüten haben eine Antirutsch-Beschichtung. Ein evangelischer Theologe verteidigt den Kreationismus und Mathematiker mischen mit beim Didaktikstreit. Willkommen bei der Presseschau.
Die Überreste des (eines) gemeinsamen Vorfahren von Mensch und Affe wurden endlich gefunden. Am 19. Mai werden sie in einer BBC-Dokumentation mit David Attenborough vorgestellt. Zwischen 37 und 47 Millionen Jahre ist das Skelett des Adapiden alt. „Darwinius masillae“ wurde das Lemuren-ähnliche Tier getauft, dessen Entdeckung einen großen symbolischen Wert hat – Wissenschaftlern ist ohnehin schon klar, dass wir von von Tieren abstammen (oder Tiere sind), aber der sprichwörtliche „Missing Link“ wurde erst jetzt gefunden und könnte eine öffentliche Debatte auslösen. Das Skelett ist vollständig erhalten und wurde bislang nicht öffentlich vorgestellt. Zwar könnte man anmerken, dass die ganze Missing-Link-Angelegenheit ziemlich albern war – es existieren schließlich bereits zahlreiche Skelette, die unsere Ahnengeschichte aufzeigen – aber dieser Fund könnte das leidige Thema endgültig beenden.
Nein, es ist nicht der Film, in dem Tom Cruise Darwin spielt. Zumindest laut Rüdiger Suchsland (Telepolis) ist „X-Men Origins: Wolverine“ der „Film zum Darwin-Jahr“. Gewiss hat die X-Men-Reihe etwas mit dem Thema Evolution zu tun, geht es darin schließlich um „Mutanten“, die über besondere Fähigkeiten verfügen. Realistisch ist das zwar nicht gerade, wären diese Fähigkeiten (etwa Kontrolle des Wetters oder Spontanheilung schwerster Verletzungen) doch auf natürliche Weise nicht zu erklären, obgleich sie in den Filmen durchaus so erklärt werden, aber egal: Wolverine sei „liberale Fantasy“, eine spannende Geschichte über die „Zivilisierung der Bestie, vom Mensch im Tier“ und wird gewiss das Interesse einiger Kinobesucher an der Evolutionstheorie wecken.
Das schlechte Vorbild der Natur [4]
Der Philosoph Michael Pauen befasst sich mit dem Verhältnis zwischen Soziobiologie, Sozialdarwinismus und Moralphilosophie. Kann man durchaus ohne Gehirnzellenverlust lesen, was leider bei weitem nicht für alle Artikel zu diesem Thema gilt.
Weil sie schön sind. Eine evolutionäre Erklärung bietet Prof. Reichholf an.
Blüten mit Antirutsch-Beschichtung [6]
Man weiß jetzt, wozu die zapfenförmigen Zellen auf der Oberfläche von Blütenblättern gut sind, die ihnen ein samtartiges Aussehen verleihen: Sie bieten Insekten Halt, damit sie die Pollen mitnehmen und verbreiten können.
RNA: Die Chemie, aus der das Leben wurde [7]
In der Ursuppe entstand die RNA und aus dieser entstand die DNA, daraus die Zellen, mehrzellige Organismen, Würmer, Menschen. So oder so ähnlich muss es gewesen sein.
Dinosaurier-Drama in Kanada [8]
Kaum sind sie geschlüpft, wurden junge Entenschnabelsaurier in Kanada von Troodons gefressen. Die Troodons sahen so aus wie die Velociraptoren in Jurassic Park, die wiederum viel zu groß sind, um wie Velociraptoren auszusehen. Kanada ist offenbar doch gefährlicher, als es uns Michael Moore glauben machen will.
Ohrwürmer lassen hungrige Kinder im Stich [9]
Mit den Ohrwürmern sind hier keine penetranten Melodien gemeint, die ihre Kinder wohl nicht im Stich lassen, sondern die Insekten gleichen Namens. Diese verpflegen nur ihre stärksten Jungtiere und lassen die anderen sterben.
In diesem Artikel geht es um die musikalischen Ohrwürmer. Musik war vielleicht ein verbales Kommunikationsmittel, um bestimmte Stimmungen zu erzeugen. Aus evolutionärer Sicht ist die Musikalität wahrscheinlich ein Nebenprodukt.
Buntbarsche: Hüten um zu brüten [11]
Wenn untergeordnete Buntbarsch-Weibchen den Nachwuchs dominanter Paare hüten, bekommen sie im Gegenzug Zugriff auf die Laichplätze, was ihre eigene Fortpflanzung ermöglicht.
Wählerisches Raubinsekt macht aus einer Fischart zwei [12]
Wanzen haben Mitglieder einer Fischart so lange voneinander getrennt, bis sie zu unterschiedlichen Arten wurden. Normalerweise funktioniert dies durch geographische Isolation.
Interview mit David Attenborough [13]
„Aber der Umstand, dass alles Leben [durch Evolution] entstanden ist, ist ein historisches Faktum, für das die Beweislage sehr viel besser ist als für viele historische Ereignisse, die wir in unserem Geschichtsunterricht lehren“, sagt der berühmte Naturforscher. Und noch mehr.
Südamerikanische Indigene namens „Waorani“ haben ständig Krieg geführt. 59% der Erwachsenen kamen gewaltsam zu Tode. Erst als ihnen zwei Frauen das Christentum lehrten, wurden sie friedlicher. Das dürfte dem Papst gefallen.
Theologe gegen „arrogante Abwehr des Kreationismus“ [15]
Es geht uns um die „kulturelle Deutungsmacht“, sagt der evangelische Theologe Dr. Friedrich Wilhelm Graf von der Universität München. Sonst würden wir ja nicht diese bösen Dinge über die Evolution erzählen. „Kreationismus sei zu verstehen als ein "religiöser Gegenentwurf zu einem Wissenschaftsglauben, der Professoren zu Propheten stilisiert und durch besseres Erkennen Lebenssinn gewinnen will'' “, zitiert man Graf bei den Evangelikalen von pro. Ferner: „ Anders als in Europa arbeiten in den USA eine ganze Reihe bedeutender Wissenschaftler für kreationistische Organisationen. Auch sind hier in den letzten zwanzig Jahren mehrere große Forschungsinstitute gegründet worden, allen voran das 'Institute for Creation Research and Answers in Genesis' in Seattle.“
Wenn man jede Müllhalte „Forschungsinsitut“ nennt, dann ist das „Institute for Creation Research“ ein Forschungsinstitut. So viel ist klar. Durch die Namensgebung wird ihre zentrale „Theorie“ mit der sprechenden Schlange und dem Gott, der sein eigener Sohn ist und der sich von einer antiken Besatzungsmacht umbringen lässt, um den Menschen die Sünde des Essens einer Frucht vor ein paar tausend Jahren zu vergeben, auch nicht überzeugender. Ein mit Doktortitel bedachter, vom Steuerzahler gut ausgestatteter Theologe an einer großen deutschen Universität verteidigt den Kreationismus... Na ja, die Meinung, die Zivilisation sollte besser untergehen, ist ja inzwischen ohnehin weit verbreitet.
Mathematik dank Gehirn-Recycling [16]
Für Mathematik benutzt das Gehirn eine Region, die eigentlich für räumliche Bewegung zuständig ist und eine, die sich mit der Verschiebung der Aufmerksamkeit befasst. Ein Mathe-Areal gibt es nicht.
Was Menschen von Tieren unterscheidet [17]
Obwohl die Grenze zwischen anderen Tieren und Menschen mit Darwin sehr viel kleiner geworden ist, gibt es doch noch relevante Unterschiede zwischen Menschen und dem Rest, darunter vor allem unsere Fähigkeit, „die von der Welt gelieferten Sinneseindrücke mittels eines symbolischen-relationalen Systems zu interpretieren“.
Evo-Devo [18]
Die Vererbung erworbener Eigenschaften – scheint es doch zu geben. Allerdings verschwinden sie nach ein paar Generationen wieder und spielen in der Evolution keine Rolle.
An Schnecken haben Forscher zeigen können, dass diejenigen von ihnen, die am wenigsten Energie verbrauchen, am längsten leben. Wer am langsamsten herumkriecht, hat also klare Vorteile (es sei denn, er will Fressfeinden entkommen, aber damit haben Schnecken ohnehin so ihre Probleme). Faulpelze haben es eben drauf.
Forscher haben ein künstliches Ökosystem in einem Reagenzglas entwickelt, in dem RNA-Moleküle miteinander konkurrieren und ökologische Nischen besetzen. Man geht heute davon aus, dass RNA-Moleküle die Vorfahren von DNA-Molekülen waren.
„Komplex“ und „mysteriös“ soll die Evolution von Viren sein, stellen die Forscher fest. Dabei stecken nur zehn Gene in einem Virus. Das allerdings hat einen großen Vorteil für die Viren, weil sie schnell mutieren und ihre Gene austauschen können.
Bill Maher über Texas Bildungsausschuss [22]
Der Komiker Bill Maher (Religulous) macht sich in diesem Video über den Texanischen Bildungsausschuss, eine Art Kultusministerium des Staates, lustig. Dieser wird von einem Kreationisten geleitet und öffnet sich zunehmend gegenüber allerlei Pseudowissenschaften. Man „hat einen Kreationisten zum Leiter des Texanischen Bildungsausschusses ernannt. Das ist schockierend! Texas hat einen Bildungsausschuss?“
Mathematiker mischt mit beim Didaktikstreit [23]
Blogs sind eine praktische Sache. Sehr viele amerikanische Wissenschaftler haben einen (auch zunehmend viele deutsche). Praktisch ist das auch für Journalisten, weil sich nun öffentlich abspielt, was vorher in verschlossenen Konferenzräumen vor sich gegangen ist. In diese Kategorie gehört die aktuelle Auseinandersetzung um die Art und Weise, wie Evolution vermittelt werden sollte. Seit Jahrzehnten haben amerikanische Wissenschaftsorganisationen auf die Vereinbarkeit von Wissenschaft und Religion hingewiesen, was sich aber nicht in einer höheren Akzeptanz oder in einem besseren Verständnis der Wissenschaft niedergeschlagen hat. Darum hat der Biologe Jerry Coyne sich mit diesen Organisationen angelegt. Er fordert, dass Biologen einfach ihre Wissenschaft vermitteln sollen, ohne auf theologische Fragen Bezug zu nehmen und so zu tun, als wäre kritisches Denken und blinder Glaube vereinbar, was ihnen ja sowieso niemand abkauft.
Inzwischen schließen sich auch Wissenschaftler anderer Disziplinen als der Biologie Jerry Coyne an, jüngst der Mathematiker Jason Rosenhouse. Über moderate Religiöse, für gewöhnlich theistische Evolutionisten, sagt er: „Sie fühlen sich eigentlich nicht wohl mit der Evolutionstheorie, aber sie sind damit zufrieden, sie zu ignorieren und lassen Wissenschaftler einfach ihr Ding machen. Aber wenn jemand wie Dawkins ankommt und es ihnen schonungslos ins Gesicht sagt, können sie es nicht länger ignorieren. Das macht Dawkins so bedrohlich.“
Ferner betont er: „Aber Menschen, die sich über polemische Atheisten ausheulen, die angeblich der Sache schaden, sind im Unrecht. Diese Atheisten sind tatsächlich die einzige Hoffnung für eine Langzeitlösung.“
AM
Links:
[1] http://www.darwin-jahr.de/sites/darwin-jahr.de/files/story/node-269-442.jpg
[2] http://diepresse.com/home/science/478060/index.do
[3] http://www.heise.de/tp/r4/artikel/30/30226/1.html
[4] http://www.freitag.de/wochenthema/0920-das-schlechte-vorbild-der-natur
[5] http://www.welt.de/wissenschaft/article3739980/Warum-lieben-wir-Blumen.html
[6] http://www.scienceticker.info/2009/05/14/blueten-mit-antirutsch-beschichtung/
[7] http://diepresse.com/home/science/478946/index.do?from=gl.home_wissenschaft
[8] http://www.scienceticker.info/2009/05/13/dinosaurier-drama-in-kanada/
[9] http://pressetext.de/news/090513035/ohrwuermer-lassen-hungrige-kinder-im-stich/
[10] http://bazonline.ch/wissen/medizin-und-psychologie/Wieso-es-Ohrwuermer-gibt/story/16607323
[11] http://www.scinexx.de/wissen-aktuell-9905-2009-05-13.html
[12] http://www.wissenschaft-online.de/artikel/994787
[13] http://www.fr-online.de/in_und_ausland/kultur_und_medien/feuilleton/1752093_Interview-David-Attenborough-Der-Wurm-in-der-Traene-des-Nilpferds.html?sid=d97ee0a52f39b0735dca43ccc89fa173
[14] http://diepresse.com/home/science/478387/index.do?_vl_backlink=/home/science/index.do
[15] http://www.pro-medienmagazin.de/themen/gesellschaft/gesellschaft-single/datum/12/05/2009/theologe-graf-sieht-arrogante-abwehr-des-kreationismus/
[16] http://www.heise.de/tp/r4/artikel/30/30273/1.html
[17] http://www.wienerzeitung.at/DesktopDefault.aspx?TabId=3946&alias=wzo&cob=413036
[18] http://www.derbund.ch/wissen/natur/Darwin-hatte-doch-recht/story/15060223
[19] http://www.welt.de/die-welt/article3728954/Langsam-lebt-am-laengsten.html
[20] http://www.sciencedaily.com/releases/2009/04/090429140849.htm
[21] http://www.nytimes.com/2009/05/05/health/05virus.html?_r=2&pagewanted=1&ref=science
[22] http://richarddawkins.net/article,3821,-Bill-Maher-Mocks-Texas-Gov-Perry-Over-Evolution-and-Swine-Flu,Texas-Freedom-Network
[23] http://scienceblogs.com/evolutionblog/2009/05/accommodationism_and_all_that.php