Presseschau | 12.03.2009
Hat es Menschen geben müssen? Warum läuft die Evolution manchmal rückwärts? Sollte man Richard Dawkins aus Oklahoma verbannen? Und: Ist die Erde bald der Planet der Affen? Fragen über Fragen, die nur unsere Presseschau beantworten kann. Leider fordert uns Berliner Naturkundemuseumsdirektor Reinhold Leinfelder dazu auf, endlich still zu sein. Ob wir die Bitte wohl beherzigen werden?
Wir sollten endlich mal still sein [2]
Es dürfte sich inzwischen herumgesprochen haben, dass wir uns jeden Sonntag in rote Kutten gehüllt auf ein Pentagramm stellen, um Drachen zu beschwören. Zugegeben. Aber sind wir schon so tief gesunken, um Charles Darwin Worte in den Mund zu legen, die er gar nicht von sich gegeben hat? Reinhold Leinfelder, Direktor des Berliner Naturkundemuseums, hatte nach dem Genuss der Darwin-Rede vom Frankfurter Festakt diesen Eindruck gewonnen. Ob dem so ist, darauf wird der Autor der Rede, Michael Schmidt-Salomon, bei Gelegenheit noch selbst eingehen (Spoiler: Es ist nicht so!). Interessant sind aber auch die anderen Vorwürfe von Herrn Leinfelder.
So hält er es für völlig daneben, aus wissenschaftlichen Erkenntnissen Schlussfolgerungen für ein modernes Weltbild zu ziehen und diese den Menschen mitzuteilen: „Aber auch wer behauptet, dass sich aus naturwissenschaftlichen Erkenntnissen zwingend und allgemeingültig eine atheistische Weltanschauung ergäbe, liegt nicht nur erkenntnistheoretisch falsch, sondern macht Evolutionswissenschaften wieder zur Ideologie und fördert dadurch Wissenschaftsfeindlichkeit, wenn nicht gar Schlimmeres.“
Abgesehen davon, dass wir nichts dergleichen behaupten: Das Unheil verkündende „wenn nicht gar Schlimmeres“ am Ende, lässt einem das Blut schön in den Adern gefrieren. „Jünger“ von Richard Dawkins „Gotteswahn“ nennt er uns im folgenden und meint, dass etwas Besseres den Kreationisten gar nicht hätte passieren können, als unsere bescheidene Wenigkeit. Zu viel des Lobs, sagt der notorische Wissenschaftsblogger Sven Keßen alias „Kamenin“, der mit uns zwar nichts zu tun hat, der aber trotzdem der Meinung [3] ist (siehe auch seinen Folgekommentar [3]), Wissenschaft wäre zu mehr zu gebrauchen als nur zur Herstellung von automatischen Toilettensitzreinigern:
„Wenn man feststellt, dass die Evolutionstheorie religiöse Schöpfungsmythen widerlegt und uns sehr wohl auch Hinweise über die Rolle des Menschen in der Welt liefern kann, selbst wenn diese nur eine Interpretation der wissenschaftlichen Ergebnisse darstellt und nicht in sich selbst Wissenschaft, dann instrumentalisiert man damit nicht Wissenschaft, man macht sie schon gar nicht zur Ideologie: man nimmt sie nur ernst im Nachdenken über die Welt.“
So schaut das nämlich aus. Herr Leinfelder scheint zudem der Meinung zu sein, er würde ein stichhaltiges Argument vorbringen, wenn er uns „neo-atheistisch“ nennt, was aber durchaus nicht der Fall ist. Im Prinzip ist es einfach nur sinnlos und bestenfalls nervtötend, das „neu“ aus „Neue Atheisten“ durch das lateinische „neo“ zu ersetzen und dem „religionskritisch“ ein „extrem“ voranzustellen. Wie Sven Keßen in Bezug auf Herrn Leinfelders Haltung zudem feststellt:
„Mit Verlaub, das ist für mich keine neutrale Position, sondern eine, die weltanschaulich implizit sehr wohl Stellung bezieht, indem sie nämlich einige von Religionen propagierte Grundannahmen über die Rolle des Glaubens in der Gesellschaft voraussetzt, die absolut nicht neutral sind.“
Eben. Doch bevor wir Herr Keßens Ausführungen einfach vollständig zitieren (die als Antwort nichts zu wünschen übrig lassen), möchte ich noch auf einen Leinfelder-Vorwurf eingehen, der sich direkt an mich (Andreas Müller) wendet und nicht an die Giordano Bruno Stiftung – auch wenn er das vermutlich tun soll: „Manche nennen sich Krawallatheisten oder Antitheisten und werfen anderen Atheisten Kuschelatheismus vor. Die Ausdrücke stammen nicht von mir.“ Stimmt. Bei „Antitheist“ handelt es sich um einen Begriff, der schon recht lange die Runde macht und den ich im Sinne von Christopher Hitchens [4] verwende. „Krawallatheismus“ ist der Vorwurf, den Joachim Kahl gegenüber Richard Dawkins erhebt (und den ich mir parodistisch ausgeborgt [5] habe) und Kuschelatheist [6] war meine Wortneuschöpfung, die Atheisten bezeichnen soll, die religiösen Menschen gegenüber eine herablassende Haltung einnehmen. Kuschelatheisten behandeln Gläubige wie kleine Kinder und beschützen sie umsichtig vor schädlichen Einflüssen. Zum Beispiel vor den weltanschaulichen Folgen wissenschaftlicher Erkenntnisse.
Kai Kupferschmidt findet die Idee gut, einen Tag für die Evolution einzurichten. In einem Kommentar beim Tagesspiegel erklärt er, warum er diese obskure Meinung vertritt.
Menschen hat es geben müssen [8]
Der Paläobiologe Simon Conway Morris sagt, dass es unweigerlich zur Entwicklung des Menschen hat kommen müssen. Da war wohl nichts zu machen – falls wir in einem deterministischen Universum leben. Selbst dann hätte die Entstehung des Menschen allerdings keinen „höheren Sinn“ gehabt oder wäre gar Teil eines Plans. Es ist halt passiert, weil die Naturgesetze so sind, wie sie sind.
Evolution im Rückwärtsgang [9]
Eine schöne Veranschaulichung der Tatsache, dass es bei der Evolution um die Anpassung an Umweltbedingungen geht und nicht so sehr um einen „Fortschritt“, sind bestimmte Fischarten, die erst kleiner geworden sind, um Fischernetzen zu entkommen, und die nun wieder größer werden.
Tiere und der Klimawandel [10]
Das Klima wandelt sich ständig, aktuell ist es jedoch besonders eifrig dabei. Die Spezies, die sich den neuen Bedingungen schneller anpassen können, haben Glück. Die anderen nicht so sehr.
Die Ur-Schnarchnasen [11]
Frühjahrsmüdigkeit liegt in den Genen. Bereits unsere Vorfahren litten darunter. Unser Tagesablauf wird nämlich stark durch das Sonnenlicht bestimmt, welches die Hormone Serotonin und Melatonin ausschütten lässt. Melatonin ist schuld an unserer Müdigkeit. Dem geben wir Saures mit einem sonnigen Gemüt!
Wir werden schlau und asozial [12]
Die lange Zeit, die wir vor Computerbildschirmen verbringen, führt dazu, dass wir intelligenter werden, aber auch weniger Wert auf soziale Kontakte legen, sagt die Hirnforscherin Susan Greenfield. Außerdem gebrauchen wir unsere Intelligenz nicht, um wichtige Fragen zu beantworten, sondern nur für Internet und Computerspiele. Auf mich trifft das auf jeden Fall zu. Auf Sie auch?
Alles ist Evolution [13]
Auch die Oper? Und ob! Über Thomas Junker aus dem Darwin-Jahr-Komitee ist nun ein Porträt in der Frankfurter Rundschau erschienen.
Darwin und die Spieltheorie [14]
Kinofans dürfte der Begriff „Spieltheorie“ aus dem spannenden Drama „A Beautiful Mind“ mit Russel Crowe geläufig sein. Die Spieltheorie erforscht unter anderem mathematisch und mit Hilfe von Computersimulationen das Verhalten von Menschen in größeren Gruppen. Was das mit Darwin zu tun hat, erfährt man beim Standard.
Santino Guevara [15]
Ein Affe plant den Aufstand: Der Schimpanse Santino hat in einem Zoo in Cambridge Steine gesammelt und sie in fünfzig Verstecken gelagert. Immer wieder griff er nach den Geschossen und warf sie auf Besucher. Mathias Osvath der Universität in Lund kam zu dem Ergebnis, dass Santino ein hochentwickeltes Bewusstsein und sponante Planungsfähigkeit besitzt, wie man sie bislang noch niemals nachweisen konnte.
Volksinitiative für Kreationismus [16]
Die Organisation „Pro Genesis“ bereitet in der Schweiz eine Volksinitiative (Bürgerentscheid) vor, welche den Kreationismus in den Biologieunterricht bringen will. Eine Partei namens EDU (Eidgenössische Demokratische Union) findet den Vorschlag super: „Die Kinder sollen zwischen beiden Theorien entscheiden können“, sagt Nationalrat Christian Waber im Sinne der „Teach the Controversy“-Strategie der Intelligent-Design-Anhänger. SVP-Nationalrat Hans Fehr ist auch dafür, weil die Schweiz ein christliches Land sei und den Islamisten Paroli bieten müsse. Das geht aber nicht, indem man muslimischem Fundamentalismus einfach „unseren eigenen“ christlichen Fundamentalismus entgegen hält, Herr Fehr! Wie wäre es mit „Wir sind ein aufgeklärtes Land und brauchen keine Mythen, egal welcher Herkunft?“.
Wasserflöhe reinkarniert! [17]
Forscher haben aus 40 Jahre alten Dauereiern Wasserflöhe wieder zum Leben erweckt. Zur Feier des Tages wurde gleich ihre Genonstruktur analysiert und festgestellt, dass sie sich in lediglich 50 Jahren merklich verändert hat. Evolution kann beizeiten erstaunlich schnell sein.
Sex and Crime [18]
Der Verhaltensforscher Frans de Waal erzählt in seinem aktuellen Schmöker „Der Affe in uns“ wieder etwas über Schimpansen, über Bonobos und über uns. In der Zeit findet sich eine Rezension des Buches.
Zum Glauben geboren? [19]
Die aktuelle Ausgabe von Gehirn & Geist befasst sich mit der Evolution der Religion. Enthalten ist unter anderem ein Streitgespräch zwischen Franz M. Wuketits und Richard Schröder über "Sinn und Unsinn des Glaubens" und ein Beitrag namens „Darwins philosophischer Imperativ“ von Ulrich Kutschera.
Die Sintflut – ein Rinnsal [20]
Es ist unlängst bekannt, dass die Dinosaurier ausgestorben sind, weil Noah sie nicht mit auf seine Arche genommen hat. Wie so viele unlängst bekannte Dinge stimmt das kein bisschen, auch wenn Kreationisten das anders sehen. Bislang ging man allerdings davon aus, dass es zumindest eine örtliche Flut im Mittleren Osten gegeben haben muss, schließlich kommt der Flutmythos bei allen Kulturen der Gegend vor, auch schon im sumerischen Gilgamesh-Epos. Doch weit gefehlt: Wie man nun herausfand, gab es nicht einmal eine örtliche Flut. Demnach haben sich die Sumerer diesen Mythos einfach ausgedacht und die anderen haben ihn abgeschrieben. Wäre ja nicht das erste Mal.
Etwas ist faul im Staate Oklahoma [21]
Ein örtlicher Politiker reichte einen Gesetzesentwurf ein, der den Evolutionsbiologen Richard Dawkins das Betreten des US-Bundesstaats Oklahoma verbieten sollte. Man will ihn nicht im Staate haben, weil „seine öffentlichen Stellungnahmen zur Evolutionstheorie und seine Meinung über jene, die nicht an diese Theorie glauben, von dem abweichen, was die meisten Bürger Oklahomas glauben und weil seine Ausführungen beleidigend für sie sind“, heißt es im Gesetzesentwurf. Für eine Verbannung aufgrund der Offenlegung von Tatsachen ließ sich jedoch keine Mehrheit finden und Dawkins durfte seinen Vortrag halten [22].
Aufstand der Affen [23]
Santino war erst der Anfang. Ein anderer Affe hat nun seinen Besitzer mit einer Kokosnuss getötet, weil dieser ihn dazu gezwungen hat, pausenlos eben jene Kokosnüsse einzusammeln. Bei Widerwillen gab es Schläge. Das hat dem Affen nicht gefallen und er ließ die Nuss herunterfallen.
In diesem überaus befremdlichen Rap-Video werden die „HOX“ genannten regulierenden Gene und Evo Devo besungen. Ist zwar viel zu anspruchsvoll, als dass man wirklich etwas dabei lernen könnte, was aber zumindest mal was Neues ist für Rap.
Der Glaube im Gehirn [25]
Gehirn und Glaube – man würde ja nicht meinen, dass die Beiden allzu nahe miteinander verwandt sind. Doch eine neue Studie will bewiesen haben, dass religiöser Glaube zur menschlichen Natur gehört und von evolutionärem Vorteil ist. Sieht man genauer hin, legt die Studie aber das genaue Gegenteil nahe, wie Professor Grafmann, der Autor, selbst andeutet: Die Studie „besagt, dass das Gehirn von Natur aus dazu neigt, praktisch alles zu glauben, wenn es gute Gründe dafür gibt. Wenn etwas jedoch unbekannt ist, führt die selbe neuronale Maschinerie zu der Bildung religiösen Glaubens.“ Ferner sagt er: „Es ist nichts Besonderes an religiösem Glauben in diesen Gehirnstrukturen. Religion hat keinen „Gottes-Bereich“ als solchen, sondern ist eingegliedert in eine ganze Reihe anderer Glaubenssysteme im Gehirn, die wir jeden Tag nutzen.“
Zudem stellt Grafmann fest: „Unsere Ergebnisse [...] unterstützen aktuelle psychologische Theorien, die religiösen Glauben innerhalb evolutionär-adaptiver kognitiver Funktionen basieren.“
Interessanterweise ist das genau das Selbe, was Vertreter der eigentlich konkurrierenden Nebenprodukt-Theorie auch sagen. Niemand bezweifelt, dass wir von Natur aus zur Religiosität fähig sind. Es geht um etwas ganz anderes: Ist unsere Religiosität, ähnlich wie unsere Musikalität oder Sprachfähigkeit, ein Teil unserer Natur und sind wir somit zur Religion verdammt, oder können wir die Systeme unseres Gehirns, die für den Glauben an Übernatürliches verwendet werden können, auch zu etwas Sinnvollem einsetzen? Diese Studie legt eindeutig letztes nahe und, im Gegensatz zu dem, was dieser Artikel uns vorgaukelt, nicht erstes.
AM
Links:
[1] http://www.darwin-jahr.de/sites/darwin-jahr.de/files/story/node-232-370.jpg
[2] http://achdulieberdarwin.blogspot.com/2009/03/instrumentalisierung-von-darwin-durch.html
[3] http://kamenin.wordpress.com/2009/03/09/neutralitat-und-ihre-tucken-eine-antwort-an-reinhold-leinfelder/
[4] http://www.thoughttheater.com/2007/07/hitchens_offers_an_explanation_of_antitheism_1.php
[5] http://hpd.de/search/node/krawallatheisten
[6] http://hpd.de/search/node/diese+braven+atheisten
[7] http://www.tagesspiegel.de/meinung/kommentare/auf-den-punkt/Evolution;art15890,2748507
[8] http://www.sueddeutsche.de/wissen/757/459399/text/
[9] http://www.dradio.de/dlf/sendungen/forschak/931408/
[10] http://pressetext.ch/news/090309034/klimawandel-betrifft-tierarten-unterschiedlich-stark/
[11] http://www.salzburg.com/nwas/index.php?article=DText/0*jy8x*yz3lqpda3p3$*wey&img=&text=&mode=&section=lifestyle&channel=nachrichten&sort=#
[12] http://www.welt.de/welt_print/article3333949/Wir-werden-asozialer.html
[13] http://www.fr-online.de/frankfurt_und_hessen/nachrichten/frankfurt/1685607_Das-Portraet-Lust-Angst-Ekel-alles-ist-Evolution.html
[14] http://derstandard.at/?url=/?id=1234508740522
[15] http://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/0,1518,612251,00.html
[16] http://www.20min.ch/news/wissen/story/Adam-und-Eva-im-Bio-Unterricht--12938030
[17] http://www.scinexx.de/wissen-aktuell-9623-2009-03-11.html
[18] http://www.zeit.de/2006/50/ST-de-Waal
[19] http://www.gehirn-und-geist.de/
[20] http://www.tagesspiegel.de/magazin/wissen/Sintflut;art304,2741760
[21] http://scienceblogs.com/pharyngula/2009/03/richard_dawkins_banned_in_okla.php
[22] http://richarddawkins.net/article,3646,Richard-Dawkins-at-the-University-of-Oklahoma---Introduction,Richard-Dawkins
[23] http://www.telegraph.co.uk/earth/wildlife/4970905/Monkey-kills-cruel-owner-with-coconut-thrown-from-tree.html
[24] http://www.youtube.com/watch?v=9k_oKK4Teco&eurl=http://scienceblogs.com/pharyngula/
[25] http://www.independent.co.uk/news/science/belief-and-the-brains-god-spot-1641022.html