
Gedicht | 10.03.2009
Der Neuro- und Entwicklungsbiologe Prof. Dr. Harald Rösner erzählt die Geschichte des Menschen von seinen Ursprüngen auf den Bäumen bis zu seinem aktuellen Dasein als "Modernist". Das Besondere daran: Er tut das nicht in Form eines zähen Artikels, sondern als flottes Gedicht!
Als Darwins Ahnen noch Menschenaffen waren
vor etwa 9 Millionen Jahren
beschloss der Vorstand ihres Clans
im süßen Rausch des Lotos-Wahns
dem kühlen Norden zu entfliehen
und zurück nach Afrika zu ziehen.
Hier gab es Blüten und Früchte im Überfluss
ein Paradies für einen Dryopithecus.
Ganz allmählich wurde es heißer und trocken,
man blieb noch eine Weile auf den Bäumen hocken,
doch schließlich hangelten sie sich herab
und bewegten sich fortan in halbaufrechtem Trapp. Sahelanthropus zog in die Sahara.
Orronin blieb in Ostafrika.
Danach verlor sich ihre Spur,
doch für eine Weile nur
von knapp einer Million Jahren,
bis endlich einer der Nachfahren,
ein gewisser Ardipithecus
mit dem Nachnamen ramidus,
-in Aramis gesichtet-
unser Wurzelgeflecht weiter verdichtet.
Sein Oberschenkelhals war lang,
ein weiteres Indiz für aufrechten Gang.
So folgte eine weitere Million an Jahren,
in der die Darwinschen Gene, lauftechnisch erfahren,
es möglich machten, mit erhobenen Köpfen
und Weitsicht neue Ressourcen zu schöpfen.
Man sammelte alles wie die fleißigen Bienen
und nannte sich jetzt Australopithecinen.
Ihr Superstar ward als Lucy bekannt,
bis heute ist strittig, ob sie mit Darwin verwandt,
ihr Becken zumindest war wunderschön
und sie konnte wie Darwin schon aufrecht gehen.
Dafür sprechen auch Fußabdrücke
in der Asche von Laetoli sowie weitere Fundstücke,
die anatomisch vermessen den Schluss erlauben
- freilich muss man Anthropologen nicht alles glauben –
dass die Füße in der Nachfolgezeit
sich kaum verändert haben bis heut.
Das gleiche gilt für unsere Hände
skeletttechnisch waren sie schon fast am Ende
ihrer Entwicklung zur Perfektion,
Darwin erbte, sozusagen, wie Lucies Sohn,
die Fähigkeit zu manipulieren,
um dies und jenes auszuprobieren.
Der Restkörper vor allem Gehirn und Geist
wurden zwar ab und zu verspeist,
großartig entwickelt wie ja bei Darwin schon
oder manch anderen bedeutenden Person,
waren sie damals jedoch noch nicht,
wohl auch nicht nötig aus heutiger Sicht.
Darum verwundert niemand, dass aus dieser Periode
nicht ein Werkzeug, geschweige denn eine Episode
versteinert oder schriftlich bekannt.
Die Gene hatten sich bis dahin ziemlich verrannt
in Fortschritte körperlicher Art.
Erst allmählich wurde es schicklich und smart,
mit Artefakten zu kokettieren,
um seine Power zu demonstrieren.
Da Evolution nur so funktioniert,
dass immer mal wieder ein Gen mutiert,
das an einen Fortpflanzungsvorteil gekoppelt,
z.B. wenn sich ein Sex-Gen verdoppelt
oder ein geschickter Werkzeugmacher
mehr Frauen erfreut als sein Widersacher,
wird verständlich, dass Geschick, Intelligenz und Schmeichelei
-angeboren, erlernt ist einerlei-
durch die natürliche Selektion
mit Blick auf Darwin – ihr ahnt es schon –
solche Varianten protegiert
die praktisch und geistig besser etabliert.
Tonangebend und mit dem nötigen Biß
hieß eine dieser Varianten Homo habilis.
Kaum war die Namensänderung bekannt
ging ein Raunen durch das Afrikanische Land.
Alle wollten nun Homo heißen,
doch die meisten starben aus, hatten zu wenig zu beißen.
In weniger als 500.000 Jahren
gab es immer neue Menschenscharen.
Homo rudolfensis und ergaster
erfanden zudem ein neues Laster.
Sie begnügten sich nicht mit Knochenmark,
Menschenhirnsuppe war besser und stark.
Es lohnte sich auch, denn in der Folge sodann
wuchs ihr eigenes Gehirn auf das Doppelte heran.
Ein Glück muss man mit Blick auf Darwin wohl sagen
kaum auszudenken, hätten seine afrikanischen Ahnen
auf Zuwachs des Gehirns verzichtet,
was hätte Darwin dann von seiner Reise berichtet?
Der Raum in Afrika wurde enger,
die Menschen gleichzeitig schmaler und länger.
Als sie in der Ferne erblickten das Rote Meer
gab es für viele kein Halten mehr,
sie zogen erhobenen Hauptes gen Osten,
erreichten China und Java auf eigene Kosten.
Das war vor gut einer Million Jahren
als diese Hominini erecti in Scharen,
ihre Gene in Asien verstreuten,
und auch Abstecher nach Europa nicht scheuten.
Die Darwinenser jedoch blieben stur,
in Afrika gab es ja schon eine Infrastruktur.
So kam es, dass ihr Genom afrikanisch blieb,
sie pflegten weiter was ihnen teuer und lieb,
durchmischten sich fleißig landauf – landab,
und hielten so die Evolution auf Trapp.
Sie isolierten sich auch mal probeweise
um zu testen ob auf diese Weise
durch Genfluss besondere Typen entstehen,
welche bleiben – falls gut, doch – falls schlecht, wieder gehen.
Ob sich Darwin als Sonderfall lässt typisieren,
darüber kann man nur spekulieren.
Eines lässt sich retrospektiv jedoch sagen,
die menschliche Stimme – auch ihr Versagen –
müssen damals entstanden sein,
natürlich noch nicht so perfekt und fein
wenn wohl erklingt in unserem Ohr,
Alt, Sopran, Bass und Tenor.
Noch 500.000 Jahre sollten vergehen
bis gewisse Menschen auch in Heidelberg gesehen.
In ganz Europa waren sie verbreitet
und haben den Neandertalern den Weg bereitet.
Diese kamen erst viel später ins Neandertal,
verzettelten sich das eine ums andere mal,
haben Kunst und Kultur schon mal versucht,
in der Altsteinzeit das Moustèrien für sich verbucht.
Doch letztlich fehlte ihnen der Kick,
wahrscheinlich ein zentralnervöser Klick,
um noch besser zu nutzen eine große Nervenzellbrache
u. a. zur Perfektionierung der menschlichen Sprache.
Zusammen mit einem vergrößerten Rachen,
Feinmotorik der Muskeln u. a. zum Lachen
wurde die Syntax-Sprache als evolutionäre Innovation
zum entscheidenden Medium sozialer Kommunikation.
Sinnvolle Sätze im Zusammenhang
resultieren ausschließlich und ohne Zwang
aus Prozessen, die auch „Stilles Sprechen“ lenken,
Neurobiologen nennen das „Denken“.
Wenn Gedanken dann im Gespräch kommunizieren,
und Hirngespinste sich synchronisieren,
erweitern gemeinsame Intonationen
soziale und kulturelle Dimensionen,
Analyse und Planung, Scham, Mitgefühl, Schuld,
konzertierte Aktionen, Visionen, Geduld.
Zudem forcierte eine längere Kindheit- eine weitere Innovation-
durch Lehren und Lernen die Tradition
von Riten, Kunst, Technik, Ideen genialer Erfinder,
kooperative Familienstrukturen und damit mehr Kinder.
Alles dies wurde rasch positiv bedacht
von der Selektion, die nach wie vor gab Acht,
dass Gene sich manifestieren,
die gruppendynamisches Wachstum garantieren.
Ein solches Genom haben nach heutigem Ermessen
wohl gewisse Darwinenser besessen,
die erst vor ca. 100.000 Jahren
in kleinen organisierten Scharen
Afrika über den Nahen Osten verließen,
und das Tor zur Welt nochmals aufstießen.
Sie erkundeten alles, Wald, Steppen und Strand
Vom Atlantik bis China und Feuerland.
Sie verdrängten alle Menschen aus früheren Zeiten,
da halfen auch keine Eitelkeiten,
selbst die Neandertaler mussten erfahren,
dass sie der Konkurrenz unterlegen waren.
Ca 35.000 Jahre vor unserer Zeit
war der „anatomisch moderne Mensch“ soweit,
genetisch gerüstet und Kultur beflissen,
die Flagge einer neuen Epoche zu hissen.
„kreativ und fruchtbar“ stand dort zu lesen,
das sind wir, die modernen menschlichen Wesen.
Mit dieser neuen Dimension
ward der Startschuss gegeben zu einer Explosion:
Dichtung, Kunst und Religionen,
Staatsgebilde, Pharaonen,
Kalter Krieg und Blinde Kuh,
Sterbender Schwan, vielleicht Bird Flu !?,
Staatsbankett, Brot für die Welt,
Altenheime, Kindergeld,
Caesar, Lenin, Bruderkuss
Styropor und Klettverschluss
Tschernobyl und Weißer Riese,
Kaviar, Weltwirtschaftskrise.
Klimawandel, Mondlandung,
Menschenrecht, Mao Tse Tung
Raucherbein, Computerviren,
Ei und Samen tief gefrieren,
Rotes Kreuz und Schindlers Liste
Opernball und Puppenkiste
Vatikan, Kopernikus,
Weihnachtsbaum und Zaubernuss,
Kunst am Bau und Blaue Reiter,
Protektion als Wegbereiter,
Steinigung und Nobelpreis
Kindersoldaten und Genmais,
Schillers Räuber, Telefon,
Woytila, Napoleon ,
Berlin, Sizilien, Mafia,
United States, Hiroshima,
Doktor Faustus, Spätburgunder,
Dampfmaschine, Sieben Wunder.
Mozart, Brahms, Bach und Händel,
Bundesverdienstkreuze am Bändel.
Schreibtischtäter verzocken Milliarden,
der Reservespeck steckt voller Maden,
die „Not leidende Bank“ macht als Unwort die Runde,
jetzt schlägt wieder des Steuerzahlers Stunde.
Terror , Krieg und Völkermord,
egal ob die UNO auch vor Ort.
Aids, Hunger, Gewalt ein weltweites Drama,
gibt es ein wenig Hoffnung mit Barack Obama?
Kreationisten, Pietisten, Zionisten und Buddhisten
Hinduisten, Islamisten, Kommunisten, Terroristen Fundamentalisten, Konformisten, Lobbyisten und Faschisten
ein jeder wird geprägt zu einem der vielen Spezialisten.
Vor 10 Tausend Jahren begann der Run,
seitdem schwillt die Menschheit pilzartig an
quasi zu einem kosmischen Brot,
von dem jeder kostet zwischen Geburt und Tod
ein winzig kleines vierdimensionales Stück
das ist alles, unsere Liebe unser Leid, unser Glück.
Ging Darwin heut noch mal auf Reisen,
er könnte jetzt vielleicht beweisen,
dass Genmutationen und Neuregulation
verworfen oder manifestiert durch Selektion
das Leben auf dem Globus formen,
und seit Urzeiten diese modulierenden Normen
immer neue Varianten geschaffen
und auch uns Menschen aus dem Genpool der Affen
als Gattung Homo entstehen ließen,
auch wenn manchen diese Vorstellungen immer noch verdrießen.
„Licht wird auch auf den Ursprung des Menschen fallen“
deutete Darwin zunächst vorsichtig an,
mit der „Abstammung des Menschen“, die folgte,
brach der Damm.
Die Botschaft schwoll an zu einem unaufhaltsamen Strom:
„ auch wir sind ein Produkt der Evolution!“
Allerdings wissen wir das nur, weil unser Nervensystem
auf noch rätselhafte Weise, das ist unser Problem,
die Welt so phantastisch reflektiert,
uns womöglich auch mal irritiert,
Zwar hat unser Gehirn die Kultur entfacht,
und uns damit erst zu Menschen gemacht,
doch wird es ihm jemals auch gelingen,
über den eigenen Schatten zu springen,
um unbefangen und objektiv zu analysieren,
wie Bewusstsein, Denken und Geist funktionieren?
Ist es grundsätzlich nicht möglich diese Fesseln zu sprengen,
werden wir uns vergeblich bemühen, unser „Ich“ zu erkennen.
Dank Darwin scheint jedoch gewiss:
Auch der „geistige Sprengstoff“ für die kulturelle Explosion
ist ein Produkt der Evolution.
Homo sapiens sollte dies anerkennen
und sich (wenigstens in diesem Jahr)
Homo sapiens darwinensis
nennen.
Harald Rösner
Links:
[1] http://www.darwin-jahr.de/sites/darwin-jahr.de/files/story/node-230-368.jpg
[2] https://www.uni-hohenheim.de/67720.html?typo3state=persons&lsfid=1264