Rezension | 10.02.2009
Bei „Charles Darwin – Wer ist das?“ handelt es sich um ein Kinderbuch von Katrin Hahnemann über den bedeutenden Naturforscher. Es betont vor allem den biographischen Aspekt, bietet aber auch eine knappe Einführung in die Evolution. Ist es geeignet, um Kinder an das Thema heranzuführen?
Ein Kinderbuch für nackte Affen?
Was zunächst auffällt, ist der ungewöhnliche Druck des Buches in schwarz und grün auf weißem Hintergrund. Das passt thematisch, geht es doch um „Natur“. Auch die amüsanten Zeichnungen sind in diesen Farben gehalten. Insgesamt hätte man zwar bunte Bilder bevorzugt, aber es ist zumindest besser als schwarz-weiß.
Inhaltlich folgen wir Darwin in seinen wichtigsten Lebensstationen. Dabei werden die Charaktermerkmale herausgearbeitet, die ihn dazu befähigten, seine Theorie aufzustellen und letztlich zu veröffentlichen. Das waren zum Beispiel Mut, Unabhängigkeit und Neugier. Am Ende wird dem Leser die Frage gestellt, ob Darwin ein Held, beziehungsweise ein Vorbild war. Das solle er nun selbst entscheiden. Nebenbei erfährt man in Infokästen etwas über die Evolutions- und allgemeiner auch über die Wissenschaftstheorie.
Ungewöhnlich ist an dem Buch, dass die Autorin auf die weltanschauliche Bedeutung von Darwins Theorie eingeht und noch ungewöhnlicher ist, dass sie das auf vernünftige Art und Weise tut. So heißt es in der Einleitung: „Ein süßer Schimpanse ist ein Verwandter von dir. Lustig? [...] Zu [Darwins] Zeit, vor knapp 200 Jahren, fanden die Menschen diesen Gedanken kein bisschen lustig. [...] Die Vorstellung, dass der Mensch vom Affen abstammt, wie viele es vereinfachend nannten, fanden sie völlig verrückt. Warum? Weil der Mensch dann nicht mehr so etwas Besonderes ist. Sie glaubten nämlich, der Mensch sei von Gott geschaffen, um über die Tiere und Pflanzen zu herrschen.“ (S. 6) Hier drängt sich dem Leser zurecht der Schluss auf, dass dem aber nicht so ist.
Kleine Ungenauigkeiten
Leider finden sich einige Ungenauigkeiten in dem Buch. Zum Beispiel werden die verschiedenen Evolutionstheorien der Zeit einfach alle „Evolutionstheorie“ genannt, als wäre es eine einzige. Es wird der Eindruck erweckt, der Unterschied bestehe nur darin, dass Darwin sie bewiesen habe und die anderen Anhänger der „Evolutionstheorie“ nicht. Zwar muss man das Thema für Kinder ab acht Jahren grob vereinfachen, allerdings nur, wenn es sinnvoll und notwendig ist. So heißt es zum Beispiel auch, Theologie wäre dasselbe wie Religionswissenschaft (vgl. S. 19). Das ist sie aber nicht. In der Theologie geht es um die verschiedenartige Auslegung von Unsinn, der grundlos geglaubt wird, während es der Religionswissenschaft um die ernsthafte Erforschung des Phänomens „Religion“ geht.
Vor allem wird unsorgfältig mit dem Begriff „Theorie“ umgegangen. Darunter fällt in dem Buch zum Beispiel auch die „Theorie“ von Kapitän Fitzroy, laut der man die Charakterzüge eines Menschen an seiner Nase ablesen könne (vgl. S. 26). Nun kann man aber nicht die Evolutionstheorie mit einer solchen „Theorie“ begrifflich auf eine Ebene stellen. Man hätte doch auch schreiben können, dass er dies glaubte, oder dass er diese Idee hatte, oder dass es seine Meinung war. Definiert wird „Theorie“ von Hahnemann wie folgt: „Eine Theorie ist eine Idee, wie etwas sein oder gewesen sein könnte. Keine Regel oder bewiesene Tatsache.“ (S. 48). Allerdings könne man eine Theorie auch „beweisen“. Leider unterscheidet sich die Verwendung des Begriffs innerhalb der Wissenschaft ganz erheblich von seiner Verwendung in der Alltagssprache.
Im wissenschaftlichen Diskurs umschreibt der Begriff „Theorie“ den mächtigsten Status, den eine Erklärung überhaupt haben kann. Viel mehr als nur eine Idee. Eine wissenschaftliche Theorie ist ein umfassendes System zur Beschreibung und Erklärung und sie dient dazu, auf Grundlage von exakter Beobachtung, von Experimenten und Logik widerlegbare Vorhersagen über zusammenhängende Erscheinungen zu machen.
Auch wird eine „Art“ so definiert, dass zu verschiedenen Arten gehörende Individuen zusammen keine Jungen bekommen könnten (S. 54). Das können sie aber, zum Beispiel ist ein Maultier das Junge von einem Pferd und von einem Esel. Daher ist die Definition geläufiger, dass Mitglieder unterschiedlicher Arten keine fruchtbaren Nachkommen miteinander zeugen können. Mit anderen Worten: Die Kinder von zwei Arten können selbst keine Kinder bekommen. Auch das kann man Kindern durchaus vermitteln und der höhere Vereinfachungsgrad erscheint hier insofern unnötig.
An mehreren Stellen (z.B. S. 90) heißt es, dass Menschen nicht vom Affen abstammen, sondern dass sie mit ihm einen gemeinsamen Vorfahren haben. Wenn man allerdings bedenkt, dass dieser gemeinsame Vorfahre selbst ein Affe war [2] und dass wir aus biologischer Sicht ebenfalls Affen sind, relativiert sich etwas die Bedeutung dieser Beobachtung. Trotzdem ist es natürlich korrekt, dass wir von keiner heute lebenden Affenart abstammen, außer von unserer eigenen.
Auch nicht ganz zutreffend ist folgende Aussage: „1925 wurde in Tennesse ein Lehrer vor Gericht gestellt, weil er die Evolutionstheorie gelehrt hatte!“ Gemeint ist der berühmte „Affenprozess“ oder „Scopes-Prozess“, nach dem Namen des Lehrers. Allerdings war es durchaus legal in Tennesse, die Evolutionstheorie zu lehren. Man durfte nur nicht behaupten, dass sie auch für den Menschen gilt. Und das hat Scopes getan.
Die schönen Bilder
Neben historischen Fotos und Grafiken gibt es in dem Buch auch Karikaturen von Uwe Mayer zu bestaunen. Diese sind recht witzig und sie lockern den Inhalt auf. Sehr schön ist die Zeichnung, in der Kapitän Fitzroy kritisch Darwins Nase beäugt (S. 27). Am besten ist die zweiseitige Zeichnung gelungen, auf der die Spätviktorianer Darwins Theorie zur Kenntnis nehmen (S. 84-85). Sie rennen panisch durch die Straßen und schreien Dinge wie „Meine Urahnen waren Affen??? Wie kann das sein?“. Darunter ist auch ein Pfarrer, der die Hände gen Himmel reckt und fragt „Und was ist mit Gott?“, während sich zwei Kinder vor ihm hinter ihrer Mutter verstecken.
Fazit
Von ein paar Ungenauigkeiten abgesehen ist das Buch durchaus gelungen. Positiv hervorzuheben sind vor allem die kindgerechte Sprache, die witzigen Zeichnungen, die vernünftige Darstellung der weltanschaulichen Folgen der Evolutionstheorie und die unaufdringliche Art der Wertevermittlung. So werden am Ende auch und besonders die Werte hervorgehoben, die einen kritischen Geist auszeichnen und die Darwins Kritiker noch nie teilten: Neugier, Vorsicht, Selbstvertrauen, Wahrheitsliebe, Unabhängigkeit und Mut.
Insgesamt ist „Charles Darwin – wer ist das?“ für Kinder und für ihre erwachsenen Vorleser durchaus zu empfehlen.
AM
Links:
[1] http://www.darwin-jahr.de/sites/darwin-jahr.de/files/story/node-205-305.jpg
[2] http://www.darwin-jahr.de/evo-wissen/stammt-mensch-affen-ab